Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IA 194



120 Ia 194

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8.
August 1994 i.S. H. gegen S., Evangelische Kirchgemeinde Bussnang und
Evangelischer Kirchenrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 85 lit. a OG; Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde.

    Gegen Wahlen und Abstimmungen der evangelischen Kirchgemeinden des
Kantons Thurgau kann Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG erhoben
werden (E. 1a).

    Als Beschwerdegrund der Stimmrechtsbeschwerde ist auch die Rüge
zulässig, es werde zu Unrecht davon ausgegangen, der Gemeindepfarrer
sei von Amtes wegen Mitglied der Kirchenvorsteherschaft und es hätte
richtigerweise ein Mitglied mehr in diese Behörde gewählt werden müssen
(E. 1b).

    § 29 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Thurgau; Unzulässigkeit
der Mitgliedschaft des evangelischen Gemeindepfarrers in der
Kirchenvorsteherschaft.

    Der Grundsatz von § 29 Abs. 1 der Thurgauer Kantonsverfassung, nach
dem niemand seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehören darf, ist auch
bei der Umschreibung der Mitgliedschaft in der Kirchenvorsteherschaft zu
beachten (E. 2c).

    Gemeindepfarrer unterstehen zumindest in administrativen Fragen
unmittelbar der Kirchenvorsteherschaft (E. 2b). Ihre von Amtes wegen
bestehende Mitgliedschaft in dieser Behörde, wie sie § 16 Abs. 3 der
Verfassung der Evangelischen Landeskirche vorsieht, verstösst gegen §
29 Abs. 1 der Kantonsverfassung (E. 2d und e).

Sachverhalt

    A.- Heinrich H. gehört der evangelischen Kirchgemeinde Bussnang
an. Im Blick auf die bevorstehenden Gesamterneuerungswahlen der
Kirchenvorsteherschaft stellte er in der Kirchgemeindeversammlung
vom 17. Februar 1992 die Frage, weshalb der Gemeindepfarrer Mitglied
der Kirchenvorsteherschaft und damit seiner vorgesetzten Behörde sein
dürfe. An der folgenden Kirchgemeindeversammlung vom 22. April 1992,
an der die Gesamterneuerungswahlen vorgenommen wurden, erklärte deren
Präsident, die Pfarrer seien nach geltendem kirchlichem Recht von Amtes
wegen Mitglied der Kirchenvorsteherschaft und daher nicht zu wählen.

    Am 2. Mai 1992 erhob Heinrich H. gegen die am 22. April 1992
vorgenommenen Wahlen eine Beschwerde beim Evangelischen Kirchenrat
des Kantons Thurgau. Er machte geltend, die Regelung, wonach der
Gemeindepfarrer Mitglied der Kirchenvorsteherschaft sei, verstosse gegen
die §§ 29 und 92 der Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März 1987
(KV). Nachdem ein mehrfacher Briefwechsel zu keinem Ergebnis geführt
hatte, verlangte Heinrich H. am 4. August 1993 einen Entscheid über seine
Beschwerde. Der Evangelische Kirchenrat wies die Beschwerde darauf am
29. September 1993 ab.

    Heinrich H. hat gegen den Entscheid des Evangelischen Kirchenrats eine
staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht und beantragt
dessen Aufhebung. Er rügt eine Verletzung von § 29 Abs. 1 KV sowie des
Grundsatzes der Gewaltentrennung.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid verneint eine Unvereinbarkeit
zwischen dem Amt des Gemeindepfarrers und seiner Mitgliedschaft in der
Kirchenvorsteherschaft (Exekutivbehörde der Kirchgemeinde). Zugleich
weist er eine gegen die Gesamterneuerungswahl der Kirchenvorsteherschaft
Bussnang vom 22. April 1992 gerichtete Beschwerde ab.

    a) Nach Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden
betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend
kantonale Wahlen und Abstimmungen. Als kantonal im Sinne dieser Bestimmung
gelten neben den Wahlen und Abstimmungen auf kantonaler Ebene auch jene
in den Gemeinden (BGE 119 Ia 167 E. 1a S. 169; 110 Ia 183 E. 3c S. 186;
108 Ia 38 E. 2 S. 39). Ferner fallen nicht nur Wahlen und Abstimmungen
in den Kantonen, Bezirken und politischen Gemeinden unter Art. 85 lit. a
OG, sondern auch diejenigen in anderen Körperschaften, soweit sie dem
öffentlichen Recht unterstehen.

    Die evangelischen Kirchgemeinden des Kantons Thurgau sind
Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 93 KV; § 8 der Verfassung
der Evangelischen Kirchen des Kantons Thurgau vom 10. Dezember 1984
[EKV]). Auf ihre Abstimmungen und Wahlen findet öffentliches Recht
Anwendung (§ 12 EVK). Sie können dementsprechend beim Bundesgericht mit
Stimmrechtsbeschwerde angefochten werden (BGE 105 Ia 368 E. 2 S. 369 f.).

    b) Die politischen Rechte umfassen das Recht, an Abstimmungen
teilzunehmen, Initiativen und Referendumsbegehren zu unterschreiben, sowie
das aktive und passive Wahlrecht. Mit der Stimmrechtsbeschwerde kann die
Verletzung sämtlicher im Zusammenhang mit den politischen Rechten stehenden
Vorschriften gerügt werden. Dazu zählen namentlich auch Wählbarkeits-
und Unvereinbarkeitsvorschriften (BGE 119 Ia 167 E. 1c S. 170; 116 Ia
477 E. 1a 479 ff.; 114 Ia 395 E. 3b S. 400 f.).

    Der Beschwerdeführer macht die Unvereinbarkeit des Amtes des
Gemeindepfarrers mit der Mitgliedschaft in der Kirchenvorsteherschaft
geltend. Der Kirchenrat habe dadurch § 29 Abs. 1 KV verletzt,
dass er erklärt habe, Pfarrer Klaus S. gehöre von Amtes wegen der
Kirchenvorsteherschaft Bussnang an.

    Es trifft zwar zu, dass bei den angefochtenen Wahlen vom 22. April
1992 Pfarrer Klaus S. gar nicht als Kandidat teilgenommen hat. Wie erwähnt
gehört er nach Auffassung der Thurgauer Kirchenbehörden als Gemeindepfarrer
der Kirchenvorsteherschaft von Amtes wegen an. Der Beschwerdeführer
stellt jedoch im Zusammenhang mit den Gesamterneuerungswahlen die
Verfassungsmässigkeit dieser Regelung in Frage. Sie wirkte sich auf die
angefochtenen Wahlen aus. Würde sie - wie dies der Beschwerdeführer
geltend macht - als verfassungswidrig betrachtet, so hätte am 22. April
1992 ein Mitglied mehr in die Kirchenvorsteherschaft gewählt werden müssen,
da ihr Pfarrer Klaus S. nicht mehr angehören könnte.

    Die vorliegend gerügte Verletzung von § 29 Abs. 1 KV hat demnach
einen direkten Einfluss auf die Ausübung der politischen Rechte. Ihre
Verletzung kann daher mit Stimmrechtsbeschwerde gerügt werden.

    c) Wer in der Körperschaft, deren Wahl oder Abstimmung angefochten ist,
das Stimm- und Wahlrecht hat, ist zur Erhebung einer Stimmrechtsbeschwerde
nach Art. 85 lit. a OG legitimiert (BGE 119 Ia 167 E. 1b S. 169; 118
Ia 184 E. 1b S. 188; 116 Ia E. 3a S. 364). Heinrich H. gehört der
evangelischen Kirchgemeinde Bussnang an. Er ist daher befugt, gegen die
in dieser Kirchgemeinde durchgeführten Wahlen eine Stimmrechtsbeschwerde
zu ergreifen.

    d) Nach Art. 86 Abs. 1 OG kann das Bundesgericht nur gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide angerufen werden. Der Evangelische
Kirchenrat bezeichnet es als zweifelhaft, ob im vorliegenden Fall diese
Voraussetzung erfüllt sei.

    Nach § 73 EKV in Verbindung mit § 72 Ziff. 24 EKV kann gegen Entscheide
des Evangelischen Kirchenrats über die Stimmberechtigung Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau erhoben werden. Der Beschwerdeführer
geht ohne Begründung davon aus, diese Bestimmung finde im vorliegenden
Fall keine Anwendung. Der Kirchenrat hat dem angefochtenen Entscheid
keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.

    Es erscheint nicht klar, ob die in § 72 Ziff. 24 EKV genannten
Anstände über die Stimmberechtigung auch solche über die Unvereinbarkeit
zweier Ämter umfassen. Unter "Stimmberechtigung" im engeren Sinne könnte
nur das Stimm- und das aktive Wahlrecht, allenfalls noch das passive
Wahlrecht, die Wählbarkeit, verstanden werden. Im vorliegenden Fall
geht es indessen nicht um die Wählbarkeit von Pfarrer Klaus S. in die
Kirchenvorsteherschaft, sondern um die Vereinbarkeit zwischen Pfarramt
und Mitgliedschaft in der Kirchenvorsteherschaft. Das Bundesgericht
hat lange Zeit Beschwerden über solche Unvereinbarkeitsbestimmungen
nicht als Stimmrechtsbeschwerden nach Art. 85 lit. a OG, sondern als
Verfassungsbeschwerden behandelt. Erst in jüngerer Zeit zählt es auch
die Unvereinbarkeitsbestimmungen zum Schutzbereich der politischen
Rechte (vgl. BGE 119 Ia 167 E. 1c S. 170; 116 Ia 477 E. 1a 479 ff.;
114 Ia 395 E. 3b S. 400 f.). Es erscheint jedenfalls als ungewiss,
ob das Verwaltungsgericht in der hier gegebenen Streitsache auf eine
Beschwerde gegen den Entscheid des Kirchenrats eintreten würde. Da nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vom Erfordernis der Ausschöpfung
des kantonalen Instanzenzugs abgesehen werden kann, wenn ernsthafte Zweifel
über die Zulässigkeit eines kantonalen Rechtsmittels bestehen (BGE 118 Ia
415 E. 3 S. 418 f.; 116 Ia 442 E. 1a S. 444; 114 Ia 263 E. 2b S. 265),
ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten.

    e) Gemäss Art. 89 Abs. 1 OG sind Stimmrechtsbeschwerden innert 30
Tagen seit Eröffnung des angefochtenen Akts zu erheben. Sowohl der
Beschwerdeführer als auch der Evangelische Kirchenrat gehen davon
aus, dass nicht schon die am 9. Juli 1992 formlos erteilte Antwort
als anfechtbarer Entscheid anzusehen ist, sondern erst die förmliche
Abweisung der Beschwerde am 29. September 1993. Dem ist beizupflichten. Die
Beschwerdefrist ist unter diesen Umständen eingehalten.

    f) Es sind damit sämtliche Voraussetzungen zur Erhebung einer
Stimmrechtsbeschwerde erfüllt. Auf das Rechtsmittel ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, § 16 Abs. 3 EKV, wonach der von
der Gemeinde gewählte Pfarrer von Amtes wegen der Kirchenvorsteherschaft
angehöre, widerspreche der Unvereinbarkeitsbestimmung von § 29 Abs. 1 KV,
der verbiete, dass jemand seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehöre.
Es verletze die politischen Rechte, wenn der Evangelische Kirchenrat die
Auffassung vertrete, Pfarrer Klaus S. gehöre der Kirchenvorsteherschaft
Bussnang von Amtes wegen an.

    Das Bundesgericht prüft im Rahmen der Stimmrechtsbeschwerde die
Auslegung und Anwendung des kantonalen Verfassungsrechts frei (BGE 119
Ia 167 E. 2 S. 174).

    a) Die Thurgauer Verfassung vom 16. März 1987 stellt am Anfang ihres
organisationsrechtlichen Teils in § 29 Abs. 1 den Grundsatz auf, dass
niemand seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehören dürfe.

    Die etwas ältere Verfassung der Evangelischen Landeskirche aus dem
Jahre 1984 bestimmt in § 16 Abs. 3, dass von der Gemeinde gewählte Pfarrer
von Amtes wegen Mitglieder der Kirchenvorsteherschaft seien.

    Ob diese beiden Normen im vorliegenden Fall zueinander in Widerspruch
treten, wie dies der Beschwerdeführer behauptet, hängt davon ab,
ob die Kirchenvorsteherschaft die unmittelbare Aufsichtsbehörde des
Gemeindepfarrers ist (dazu nachstehend lit. b) und ob § 29 Abs. 1 KV für
den in Frage stehenden Bereich der kirchlichen Organisation Anwendung
findet (dazu nachstehend lit. c). Anhand der gefundenen Antworten
ist anschliessend über das Vorliegen einer Verletzung des kantonalen
Verfassungsrechts und damit der politischen Rechte des Beschwerdeführers
zu befinden (nachstehend lit. d und e).

    b) Die Aufgaben der Kirchenvorsteherschaft werden in § 18 EKV
im einzelnen aufgeführt. Nach Ziff. 8 dieser Bestimmung zählt dazu
ausdrücklich die Aufsicht über die Amtsführung der Pfarrer.

    Der Evangelische Kirchenrat anerkennt, dass die Gemeindepfarrer
zumindest in administrativer Hinsicht der unmittelbaren Aufsicht der
Kirchenvorsteherschaft unterstehen. Er macht jedoch geltend, in seinem Amt
als Hirte der Gemeinde sei ihm die Kirchenvorsteherschaft beigeordnet,
und in Fragen der Glaubensverkündigung und Liturgie habe sie keine
Kompetenzen. In dieser letzteren Hinsicht sei der Pfarrer direkt der
Aufsicht des Kirchenrats unterstellt. Wenn der Gemeindepfarrer somit der
Kirchenvorsteherschaft angehöre, so sitze er höchstens dann in seiner
Aufsichtsbehörde, wenn es um rein administrative Belange gehe. Diesfalls
würden aber die üblichen Ausstandsregeln gelten, weshalb eine Verletzung
von § 29 Abs. 1 KV nicht angenommen werden könne. Im übrigen sei die
Stellung des Pfarrers in der Kirchenvorsteherschaft historisch begründet;
früher sei er sogar von Amtes wegen deren Präsident gewesen.

    Auch wenn sich die Aufsicht der Kirchenvorsteherschaft über die
Amtsführung der Pfarrer gemäss § 18 Ziff. 7 EKV nicht auf die geistlichen
Belange erstreckt, so besteht sie unbestrittenermassen im Bereich der
administrativen Fragen. Diese mögen bei der Verwirklichung des kirchlichen
Auftrags zwar weniger im Vordergrund stehen als die geistlichen Aufgaben,
doch kommt ihnen im kirchlichen Leben keineswegs eine nur nebensächliche
Bedeutung zu. Entgegen der Auffassung des Evangelischen Kirchenrats wird
§ 29 Abs. 1 KV nicht Genüge getan, wenn der Gemeindepfarrer bei der
Behandlung administrativer Fragen, die ihn betreffen, in den Ausstand
tritt. Die Verfassungsbestimmung bezweckt vielmehr eine klare Trennung
zwischen den Aufsichtsbehörden und den ihnen unmittelbar Unterstellten. Sie
will damit die Unabhängigkeit des für die Aufsicht zuständigen Organs
gegenüber den Beaufsichtigten gewährleisten. Diese Unabhängigkeit
ist nicht in gleichem Masse vorhanden, wenn ein Untergebener zugleich
Mitglied der Aufsichtsbehörde ist und nur einzelfallweise in den Ausstand
tritt. Umgekehrt hindert die Nichtmitgliedschaft des Pfarrers in der
Kirchenvorsteherschaft diese nicht, ihn beratend beizuziehen, namentlich
wenn Fragen aus dem geistlichen Bereich zu behandeln sind.

    Die Hinweise des Evangelischen Kirchenrats auf den historischen
Hintergrund von § 16 Abs. 3 EKV sind im vorliegenden Zusammenhang nicht
von Bedeutung. Die frühere Kantonsverfassung kannte keine § 29 Abs. 1 KV
entsprechende Bestimmung. Die Meinungsäusserungen zu § 16 Abs. 3 EKV in
der vorberatenden Kommission vom 18. März 1983 konnten die erst vier Jahre
später beschlossene neue Kantonsverfassung noch nicht mitberücksichtigen.

    Es ergibt sich somit, dass die Kirchenvorsteherschaft zumindest
im administrativen Bereich die unmittelbare Aufsichtsbehörde des
Gemeindepfarrers ist. Eine Verletzung von § 29 Abs. 1 KV liegt aber nur
vor, soweit diese Norm auch im hier zu beurteilenden kirchlichen Bereich
beachtet werden muss.

    c) Nach § 92 Abs. 1 KV ordnet die evangelisch-reformierte Landeskirche
des Kantons Thurgau ihre inneren Angelegenheiten selbständig. Die Belange,
welche sowohl den staatlichen als auch den kirchlichen Bereich betreffen,
regelt sie in einem Erlass, der die demokratischen und rechtsstaatlichen
Grundsätze zu wahren hat (§ 92 Abs. 2 KV). Zu den letzteren gehört auch
§ 29 Abs. 1 KV, wonach niemand seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde
angehören darf.

    Zu den inneren Angelegenheiten der Landeskirchen zählen gemeinhin
Lehre, Verkündigung, Kultus, Seelsorge, kirchlicher Unterricht, Mission
und karitative Tätigkeit, zu den äusseren Angelegenheiten dagegen
Organisation, Mitgliedschaft, Stimm- und Wahlrecht und Finanzordnung
(ULRICH HÄFELIN, Kommentar BV, Art. 49, N. 23; UELI FRIEDERICH, Kirchen und
Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat, Diss. Bern, 1993, S. 374
ff.; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz,
Diss. Zürich, 1988, S. 138 f.). Während die Evangelische Landeskirche
des Kantons Thurgau in der Ordnung der inneren Angelegenheiten gemäss §
92 Abs. 1 KV Autonomie geniesst und daher grundsätzlich nicht an die
Prinzipien der Thurgauer Kantonsverfassung gebunden ist, besteht eine
solche Bindung gemäss § 92 Abs. 2 KV für die äusseren bzw. gemischten
Angelegenheiten (vgl. auch KARLEN, aaO, S. 283; FELIX HAFNER, Kirchen im
Kontext der Grund- und Menschenrechte, 1992, S. 333).

    Die in § 18 EKV genannten Aufgaben der Kirchenvorsteherschaft
erstrecken sich zu einem erheblichen Teil auf äussere
Angelegenheiten. Ebensowenig ist die Tätigkeit der Gemeindepfarrer auf
innere Angelegenheiten beschränkt (vgl. § 23 EKV). Auch die Aufsicht der
Kirchenvorsteherschaft über die Amtsführung der Pfarrer berührt in einem
beträchtlichen Umfang äussere Angelegenheiten. Dies gilt namentlich mit
Bezug auf organisatorische, administrative und finanzielle Fragen. Die
Bildung und Zusammensetzung der Kirchenvorsteherschaft ist jedenfalls
insoweit ebenfalls als äussere Angelegenheit zu betrachten, als deren
Tätigkeit äussere Angelegenheiten betrifft.

    Die Bestimmung der Zusammensetzung der Kirchenvorsteherschaft kann
somit nicht vollständig dem inneren Bereich zugerechnet werden, in dem
der Landeskirche Autonomie zukommt. Demzufolge ist gemäss § 92 Abs. 2
KV bei der Umschreibung des Mitgliederkreises der Kirchenvorsteherschaft
der Grundsatz von § 29 Abs. 1 KV zu beachten.

    d) Wie bereits dargelegt wurde, ist die Kirchenvorsteherschaft
zumindest in administrativen Fragen die unmittelbare Aufsichtsbehörde der
Pfarrer. In diesem zugleich den äusseren Angelegenheiten zuzurechnenden
Bereich ist § 29 Abs. 1 KV auch für die kirchliche Organisation
verbindlich. Für eine abweichende Regelung, wie sie § 16 Abs. 3 EKV
darstellt, besteht kein Raum. Diese letztere Norm ist daher mit § 29
Abs. 1 KV insoweit nicht vereinbar.

    Die Genehmigung von § 16 Abs. 3 EKV durch den Grossen Rat des
Kantons Thurgau vom 4. November 1985 ändert an dieser Feststellung
nichts. Einmal ist zu beachten, dass sie noch unter der Herrschaft der
alten Kantonsverfassung von 1869 erfolgte, welche keine § 29 Abs. 1 KV
entsprechende Bestimmung enthielt. Die neue Verfassung vom 16. März 1987
trat am 1. Januar 1990 in Kraft und setzte alles früher erlassene Recht,
das ihr widersprach, ausser Kraft (§ 96 Abs. 1 KV). Sodann könnte ein
Genehmigungsentscheid eines Kantonsparlaments das Bundesgericht nicht
hindern, auf staatsrechtliche Beschwerde hin eine mit der Kantonsverfassung
im Widerspruch stehende Bestimmung der Kirchenverfassung aufzuheben
bzw. als nicht anwendbar zu erklären.

    e) Aus den voranstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Evangelische
Kirchenrat im vorliegenden Fall § 16 Abs. 3 EKV wegen Widerspruchs zu §
29 Abs. 1 KV nicht hätte anwenden und Pfarrer Klaus S. nicht von Amtes
wegen als Mitglied der Kirchenvorsteherschaft Bussnang hätte ansehen
dürfen. Sein Entscheid ist in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde
daher aufzuheben. Zur Herstellung des verfassungsmässigen Zustands hat
der Evangelische Kirchenrat einen neuen Entscheid zu fällen, der darauf
hinausläuft, dass Pfarrer Klaus S. nicht länger das Amt eines Mitglieds
der Kirchenvorsteherschaft Bussnang wird ausüben dürfen. Über die aus
diesem Urteil für andere Kirchgemeinden zu ziehenden Konsequenzen ist
hier nicht zu befinden, da sich der Streitgegenstand des vorliegenden
Falls auf die Zulässigkeit der Mitgliedschaft von Pfarrer Klaus S. in
der Kirchenvorsteherschaft Bussnang beschränkt.