Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 270



115 IV 270

59. Urteil der Anklagekammer vom 26. September 1989 i.S. L. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und Procura pubblica della
giurisdizione sopracenerina del cantone Ticino Regeste

    Art. 346 Abs. 1 StGB; Begehungsort/Reisecheck.

    Die in betrügerischer Absicht erfolgte telefonische Meldung eines
gar nicht eingetretenen Verlustes von Reisechecks ist noch nicht
Ausführungshandlung beim Betrug; der letzte entscheidende Schritt, von
dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt, wird erst getan, wenn die
schriftliche Verlustmeldung der Verkaufsstelle ausgehändigt oder der Post
übergeben wird.

    Für die Bestimmung des Begehungsortes ist daher darauf abzustellen,
wo der Rückerstattungsantrag wahrheitswidrig ausgefüllt, unterzeichnet
und aus den Händen gegeben wurde.

Sachverhalt

    A.- L. kaufte am 12. Mai 1989 bei der Schweizerischen Bankgesellschaft
(SBG) in Basel Swiss Bankers Travellers Cheques im Werte von Fr. 10'000.--;
zwei davon löste er am 14. und 15. Mai 1989 in Bellinzona bzw. Lugano
ein. Am 15. Mai 1989 meldete er dem Swiss Bankers Travellers Cheque Centre
in Bern (Zentralstelle) telefonisch den Verlust von Reisechecks im Wert
von Fr. 9'400.--; am 16. Mai 1989 stellte er in Basel den entsprechenden
schriftlichen Rückerstattungsantrag; am 18. Mai 1989 erhielt er über
den geltend gemachten Betrag durch den Schweizerischen Bankverein (SBV)
in Basel Ersatzchecks, die er gleichentags in Basel einlöste. Zwölf der
als verloren gemeldeten Reisechecks löste er im Kanton Tessin ein.

    B.- Am 20. Juni 1989 brachte die Zentralstelle der Stadtpolizei Bern
den geschilderten Sachverhalt zur Anzeige; diese erstattete am 21. Juni
1989 Strafanzeige gegen L. In der Strafanzeige findet sich der Vermerk,
dass sich mit dieser Angelegenheit bereits die Tessiner Kantonspolizei
in Locarno befasse.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern überwies daher am
28. Juni 1989 die Akten des Untersuchungsrichteramtes Bern der
Staatsanwaltschaft des Sopraceneri mit dem Ersuchen um Stellungnahme zur
Gerichtsstandsfrage. Diese lehnte ihre Zuständigkeit ab mit dem Hinweis,
die Tatsache, dass sich die Polizei von Locarno am Rande mit einzelnen
Checks befasst haben soll, vermöge nicht den Gerichtsstand im Kanton
Tessin zu begründen.

    Auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt erachtete ihre
Zuständigkeit nicht als gegeben.

    C.- Mit Gesuch vom 18. August 1989 beantragt der Generalprokurator des
Kantons Bern bei der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des
Kantons Basel-Stadt, eventuell jene des Kantons Tessin, für berechtigt und
verpflichtet zu erklären, die L. zur Last gelegten strafbaren Handlungen
zu verfolgen und zu beurteilen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt, die Behörden
des Kantons Bern zuständig zu erklären.

    Die Procura pubblica sopracenerina beantragt, die Behörden des Kantons
Basel-Stadt zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

             Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 346 Abs. 1 StGB sind für die Verfolgung und
Beurteilung einer strafbaren Handlung die Behörden des Ortes zuständig,
wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde.

    b) Ausführungshandlung beim Betrug ist jede Tätigkeit, die nach dem
Plan des Täters auf dem Weg zum Erfolg den letzten entscheidenden Schritt
darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt, ausgenommen wegen
äusserer Umstände, die eine Weiterverfolgung der Absicht verunmöglichen
oder erschweren; eine blosse Vorbereitungshandlung ist für die Bestimmung
des Gerichtsstandes nicht massgeblich, ausgenommen natürlich in Fällen, wo
diese ausdrücklich als strafbar erklärt wird (E. SCHWERI, Interkantonale
Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, Bern 1987, N. 70). Ausgeführt
ist der Betrug dort, wo der Täter jemanden durch Vorspiegelung oder
Unterdrückung von Tatsachen oder durch arglistige Ausnützung eines Irrtums
zu einem Verhalten bestimmt, das den sich Irrenden oder einen Dritten am
Vermögen schädigt (E. SCHWERI, a.a.O, N. 106).

Erwägung 2

    2.- a) Bei der Beurteilung des Gesuches ist davon auszugehen, was
dem Beschuldigten aufgrund der Akten vorgeworfen werden kann.

    b) Aus den Akten ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass
L. bereits beim Kauf der Reisechecks mit Betrugsabsicht gehandelt hätte;
der Beschuldigte scheint bis heute dazu nicht befragt worden zu sein.

    c) Die telefonische Verlustmeldung an die Zentralstelle in Bern hat
noch keine Vermögensschädigung zur Folge, sondern bewirkt erst, dass im
Sinne einer provisorischen Massnahme zur Vermeidung von grösserem Schaden
die betreffenden Reisechecks gesperrt werden. Sofern der vom Verlust
Betroffene unverzüglichen Ersatz der Reisechecks wünscht, weist ihn die
Zentralstelle an eine Verkaufsstelle - in der Regel eine Bank -, wo er
einen Rückerstattungsantrag ausfüllen muss, worauf ihm die Ersatzchecks
ausgehändigt werden. Wünscht er nicht sofortigen Ersatz, so wird ihm
das Rückerstattungsformular durch die Zentralstelle an die Wohnadresse
zugestellt; die Zentralstelle veranlasst in diesem Fall dann auf Wunsch
in der Regel die Auszahlung des geltend gemachten Betrages an die Bank des
Antragstellers. Nach der - zwar bereits in betrügerischer Absicht erfolgten
- telefonischen Meldung eines nicht eingetretenen Verlustes kann sich der
Täter daher immer entscheiden, ob er den weiteren, für die Vergütung der
Checks unerlässlichen Schritt des Ausfüllens des Rückerstattungsantrages
ausführt oder aber davon absehen will. Unter diesen Umständen erscheint
die blosse telefonische Verlustmeldung nicht als der letzte entscheidende
Schritt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt.

    Der letzte entscheidende Schritt wird erst getan, wenn die schriftliche
Verlustmeldung der Verkaufsstelle ausgehändigt oder der Post übergeben
wird; erst in diesem Moment setzt der Täter unmittelbar zur Tat an,
erreicht er auf dem Weg zum Erfolg den Punkt, in welchem er fast gezwungen
ist, weiterzuhandeln, und es für ihn in der Regel kein Zurück mehr
gibt. Für die Bestimmung des Begehungsortes ist daher im vorliegenden
Fall darauf abzustellen, wo der Beschuldigte den Rückerstattungsantrag
wahrheitswidrig ausfüllte und unterzeichnete. Dies war nach den Akten in
Basel der Fall, wo somit auch der Begehungsort im Sinne von Art. 346 StGB
liegt. Am selben Ort wurde der Betrug im übrigen auch vollendet, indem
L. die Ersatzchecks beim Schweizerischen Bankverein in Basel entgegennahm
(vgl. E. SCHWERI, aaO, N. 107).