Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 144



115 IV 144

32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Juli 1989 i.S. A. und
B. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 12 Abs. 1, Art. 29 und 93 Ziff. 2 SVG, Art. 57 Abs. 1 und 4 VRV,
Art. 22 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 lit. c und Art. 24 VVV, Art. 85 Abs. 1 der
Verordnung über Bau und Ausrüstung der Strassenfahrzeuge vom 27. August
1969 (BAV).

    Auch wer durch den Kollektiv-Fahrzeugausweis berechtigt ist, an
geprüften und nicht geprüften Fahrzeugen Händlerschilder anzubringen,
muss - abgesehen von bestimmten Ausnahmen - die einschlägigen Bau- und
Ausrüstungsvorschriften beachten.

    Als Probefahrt, bei der das Fahrzeug ausnahmsweise nicht in allen
Teilen den Vorschriften entsprechen muss, gilt nur die zum Zwecke
der Abklärung des Defektes und der Kontrolle der Behebung von Mängeln
notwendige Fahrt.

Sachverhalt

    A.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich verurteilte
A. und B. am 20. April 1988 wegen SVG-Widerhandlungen (Art. 93 Ziff. 2
in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 29) zu Fr. 100.-- respektive
Fr. 200.-- Busse. Eine dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde hiess
das Obergericht des Kantons Zürich am 15. November 1988 teilweise gut. Es
sprach die Einsprecher lediglich der Übertretung von Art. 93 Ziff. 2
in Verbindung mit Art. 29 SVG schuldig, bestätigte jedoch die Bussen
des Einzelrichters.

    A. und B. führen Nichtigkeitsbeschwerde und beantragen, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und zur Freisprechung an das Obergericht
zurückzuweisen.

    Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich schliesst auf Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführer machen geltend, ein noch nicht
typengeprüftes Fahrzeug, das unter Verwendung von Händlerschildern
erprobt werde, sei nicht vorschriftswidrig im Sinne von Art. 29 SVG,
auch wenn nicht feststehe, dass die Lärm- und Abgasvorschriften schon
vollumfänglich erfüllt würden. Die Vorinstanz hielt demgegenüber fest,
auch mit einem Händlerschild versehene, nicht typengeprüfte Fahrzeuge
müssten den gesetzlichen und insbesondere den Lärm- und Abgasvorschriften
entsprechen. Hievon gebe es zwar Ausnahmen, für den vorliegenden
Fall treffe aber keine solche zu. Den Beschwerdeführern sei bewusst
gewesen, dass ihr Motorrad den in der Schweiz geltenden Vorschriften
nicht entsprochen habe, weshalb sie zu Recht der Übertretung von Art. 93
Ziff. 2 SVG in Verbindung mit Art. 29 SVG schuldig gesprochen worden seien.

    b) Nach Art. 93 Ziff. 2 SVG wird bestraft, wer ein Fahrzeug führt,
von dem er weiss oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen kann,
dass es den Vorschriften nicht entspricht. Diese Bestimmung bezieht
sich auf Art. 29 SVG, wonach Fahrzeuge nur in betriebssicherem und
vorschriftsgemässem Zustand verkehren dürfen; diese müssen so beschaffen
und unterhalten sein, dass die Verkehrsregeln befolgt werden können und
dass Führer, Mitfahrende und andere Strassenbenützer nicht gefährdet
und die Strassen nicht beschädigt werden. Gemäss Art. 85 Abs. 1 BAV
gilt ein Fahrzeug auch dann als nicht vorschriftsgemäss, wenn dauernd,
zeitweilig oder für bestimmte Fälle vorgeschriebene Teile, inbegriffen
Breite-, Geschwindigkeits- oder Landeszeichen, fehlen oder den Vorschriften
nicht entsprechen und wenn dauernd oder zeitweilig untersagte Teile, wie
Reifen mit Metallstiften, vorhanden sind oder bewilligungspflichtige ohne
Bewilligung angebracht wurden. Daraus ergibt sich, dass sich ein Fahrzeug
immer dann in vorschriftswidrigem Zustand (Art. 93 Ziff. 2 SVG) befindet,
wenn das Fahrzeug den massgebenden Bau- und Ausrüstungsvorschriften nicht
entspricht (115 IV 150 E. 3a).

    Gemäss Art. 22 Abs. 3 VVV berechtigt der Kollektiv-Fahrzeugausweis
zum Anbringen der darin genannten Händlerschilder an geprüften
und nicht geprüften Fahrzeugen der im Ausweis genannten Art und zur
Verwendung dieser Fahrzeuge im Verkehr nach Massgabe der nachfolgenden
Bestimmungen. Der Dispens von der Prüfpflicht bedeutet aber nicht, dass
auch die generelle gesetzliche Verpflichtung, die einschlägigen Bau- und
Ausrüstungsvorschriften einzuhalten, entfällt. Dies kommt in der geltenden
Regelung dadurch zum Ausdruck, dass der Kollektiv-Fahrzeugausweis nur
an Personen und Unternehmungen abgegeben wird, welche die erforderlichen
Fachkenntnisse und Einrichtungen besitzen, um selbst beurteilen zu können,
ob das Fahrzeug den Vorschriften entspricht und betriebssicher ist. Da
zudem auch für Führer, die Fahrzeuge mit Händlerschildern verwenden,
die Verpflichtung des Art. 57 Abs. 1 VRV gilt, wonach jeder Führer sich
vergewissern muss, dass das Fahrzeug in vorschriftsgemässem Zustand ist,
kann aus der geltenden Regelung bezüglich Händlerschilder nicht geschlossen
werden, mit dem Verzicht auf die amtliche Prüfung habe der Gesetzgeber
auch von der Einhaltung der Ausrüstungsvorschriften dispensiert.

    Auch wenn die Erleichterung bei Fahrzeugen mit Händlerschildern
sich grundsätzlich auf die Befreiung von der amtlichen Prüfpflicht
beschränkt, und damit diese Fahrzeuge nur in vorschriftsgemässem Zustand
verkehren dürfen, lässt die geltende Regelung Ausnahmen zu. Ausdrücklich
festgehalten ist dies für Überführungsfahrten in Art. 57 Abs. 4
VRV. Nach dieser Bestimmung, die allgemein und nicht nur für Inhaber
von Händlerschildern gilt, dürfen mit Motorfahrzeugen, die sich im Bau,
Umbau oder in Reparatur befinden, Überführungsfahrten ausgeführt werden,
wenn wenigstens Lenkung und Bremsen betriebssicher sind, ein Bremslicht
vorhanden ist, bei Nacht oder schlechter Witterung die Beleuchtung den
Vorschriften entspricht und kein übermässiger Lärm entsteht. Darüber
hinaus ist es in der Praxis im Rahmen der in Art. 24 VVV zugelassenen
Verwendungszwecke von Händlerschildern auch in anderen Fällen nicht immer
möglich, den vorschriftsgemässen Zustand voll einzuhalten. Dies trifft
insbesondere bei Erprobung von neuen Fahrzeugen durch Hersteller und
Sachverständige zu, wobei als Sachverständige im Sinne dieser Bestimmung
nicht nur die amtlichen Experten gelten, sondern alle Personen, die nach
Art. 23 Abs. 1 lit. c VVV die nötigen fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen
zur Verwendung nicht geprüfter Fahrzeuge besitzen. Wenn der Gesetzgeber
diese Verwendungsarten ausdrücklich zulässt, so nimmt er damit in Kauf,
dass das Fahrzeug auf solchen Fahrten unter Umständen nicht in allen Teilen
den Vorschriften entspricht. Dabei muss aber stets - analog den in Art.
57 Abs. 4 VRV enthaltenen Kautelen - gefordert werden, dass mindestens
immer Lenkung und Bremsen betriebssicher sind und ein Bremslicht vorhanden
ist, beziehungsweise bei Nacht oder schlechter Witterung die Beleuchtung
den Vorschriften entspricht und kein übermässiger Lärm entsteht. Als
Probefahrt, bei der das Fahrzeug ausnahmsweise nicht in allen Teilen
den Vorschriften entsprechen muss, gilt aber nur die zum Zwecke der
Abklärung des Defektes und der Kontrolle der Behebung von Mängeln
notwendige Fahrt. Dies ist der Fall, wenn gewisse Funktionen sich nicht
anders kontrollieren lassen, nicht aber dann, wenn es zur Abklärung des
Defektes keiner Probefahrt bedarf (BGE 106 IV 404 f. E. 4).

    c) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis
Abs. 1 BStP) haben die Beschwerdeführer vom Mai 1986 bis August 1987
in der Schweiz mit dem fraglichen Motorrad mehrere tausend Kilometer
zurückgelegt im Bewusstsein, dass es den in der Schweiz geltenden
Vorschriften nicht entsprach. Mit dem Vorbringen, "sämtliche Motorräder,
welche zur Zeit in die Schweiz eingeführt würden, benötigten zusätzliche
Drosselungseinrichtungen zur Verminderung von Lärm und Abgasen", bestätigen
sie indirekt diesen Sachverhalt. Ob für die Lärm- und Abgasmessung des
Motorrades der Beschwerdeführer Probefahrten überhaupt notwendig waren,
ist fraglich. Jedenfalls waren dazu nicht Fahrten von insgesamt mehreren
tausend Kilometern erforderlich. Da somit kein hievor aufgezählter
Ausnahmefall zutrifft, büsste die Vorinstanz die Beschwerdeführer zu
Recht wegen Übertretung von Art. 93 Ziff. 2 in Verbindung mit Art. 29
SVG. Da die Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass nur notwendige
Fahrten mit einem Fahrzeug in vorschriftswidrigem Zustand zulässig sind,
erweisen sich ihre Rügen als unbegründet.