Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IV 104



115 IV 104

24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai
1989 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 137 StGB; Diebstahl.

    Altpapier, welches am Strassenrand bereitgestellt wird, damit es durch
eine bestimmte Person oder Organisation abgeholt und verwertet werde,
stellt für den Unberechtigten eine fremde Sache dar (E. 1b). Er bricht
fremden Gewahrsam, wenn er das Altpapier behändigt (E. 1c).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Als Diebstahl wird dem Beschwerdeführer u.a. angelastet, er habe
Ende Juli 1985 an verschiedenen Orten in Zürich gezielt ca. drei Tonnen
am Strassenrand deponiertes Altpapier (Deliktsbetrag ca. Fr. 350.--)
behändigt, welches für die "Gemeinnützige Zürcher Papierabfuhr" bestimmt
gewesen sei. Die Daten habe er der im Tagblatt publizierten Sammelliste
entnommen.

    Die Vorinstanz stellte auf die Behauptung des Beschwerdeführers ab, er
habe lediglich solche Zeitungsbündel mitgenommen, welche nicht mit einem
"P" bezeichnet gewesen seien. Zwar habe die geschädigte Genossenschaft
X. in den publizierten Sammellisten darum gebeten, das zu einem Paket
gebündelte und verschnürte Altpapier mit einem "P" zu versehen; aber auch
bezüglich desjenigen Altpapiers, welches in den fraglichen Stadtkreisen
ohne die genannte Bezeichnung am Strassenrand deponiert worden sei, müsse
davon ausgegangen werden, dass die Eigentümer es mit der konkludenten
Widmung, es einer bestimmten gemeinnützigen Organisation zukommen zu
lassen, bereitgestellt hätten. Die Altpapierbündel seien daher keine
derelinquierten Sachen gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers, er
habe geglaubt, Zeitungsbündel, die nicht mit der Angabe eines bestimmten
Empfängers versehen worden seien, dürfe er ohne weiteres an sich nehmen,
erweise sich als blosse Schutzbehauptung. Er sei gemäss seiner eigenen
Vorstellung davon ausgegangen, das fragliche Altpapier sei von den
Eigentümern gerade im Hinblick auf die publizierte Sammelaktion der
erwähnten gemeinnützigen Organisation bereitgestellt worden, weshalb der
Tatbestand auch in subjektiver Hinsicht erfüllt sei.

    a) Gemäss Art. 137 Ziff. 1 StGB begeht einen Diebstahl, wer jemandem
eine fremde, bewegliche Sache wegnimmt, um sich oder einen anderen
damit unrechtmässig zu bereichern. Es steht ausser Zweifel, dass es
sich bei den Altpapierbündeln um bewegliche Sachen handelt und dass der
Beschwerdeführer in Bereicherungsabsicht gehandelt hat. Fraglich können
nur die Tatbestandsmerkmale der Fremdheit der Sache und der Wegnahme sein.

    b) Der Beschwerdeführer macht denn auch sinngemäss geltend, davon
ausgegangen zu sein, die Papierbündel seien keine "fremden Sachen" im
Sinne des Gesetzes, da die ursprünglichen Inhaber ihr Eigentum daran
aufgegeben hätten.

    Eine Sache ist dann "fremd", wenn sie im Eigentum eines anderen als des
Täters steht. Kein Eigentum und folglich auch kein fremdes Eigentum besteht
an herrenlosen Sachen. Dazu zählen derelinquierte Sachen, d. h. solche,
an denen der frühere Eigentümer den Besitz aufgegeben hat in der Absicht,
auf das Eigentum zu verzichten. Beispiele dafür sind die liegengelassene
Zeitung sowie weggeworfene oder für die Müllabfuhr bereitgestellte
Gegenstände (LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht V/I, Basel,
1977, S. 344, 399). Wer demgegenüber zugunsten einer bestimmten Person
oder Organisation auf das Eigentum an einer Sache verzichtet, derelinquiert
nicht; in der Literatur wird diesbezüglich gerade auch die Bereitstellung
von Altstoffen zur gutscheinenden Verwertung durch die abholende Person
oder Organisation genannt (ZOBL, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. Zürich
1977, N. 13a zu Art. 718/719 ZGB und N. 10 zu Art. 729 ZGB). Folglich
handelte es sich bei dem vom Beschwerdeführer behändigten Altpapier um
eine fremde Sache.

    c) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird weiter eingewendet, die
Argumentation der Vorinstanz sei eine weltfremde, gesuchte juristische
Konstruktion, welche der wirklichen Sachlage nicht gerecht werde. Der
angefochtene Entscheid verletze Art. 137 Ziff. 1 StGB, soweit er von
einer konkludenten Widmung des Altpapiers und damit vom Weiterbestehen
des Gewahrsams bzw. der Herrschaftsmöglichkeit und des Herrschaftswillens
der Eigentümer ausgehe.

    aa) Wegnehmen im Sinne von Art. 137 StGB bedeutet den Bruch fremden
und die Begründung neuen Gewahrsams. Der Gewahrsam besteht nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der tatsächlichen Sachherrschaft,
verbunden mit dem Willen, sie auszuüben (BGE 112 IV 11 mit Hinweisen). Ob
Gewahrsam gegeben ist, bestimmt sich nach allgemeinen Anschauungen und
den Regeln des sozialen Lebens (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht
BT I, 3. Aufl., S. 195, N. 79; NOLL, Schweizerisches Strafrecht BT
I S. 133; REHBERG, Strafrecht III, 3. Aufl., S. 32; SCHÖNKE/SCHRÖDER,
Strafgesetzbuch, 23. Aufl., N. 23 zu § 242 dtStGB).

    Die tatsächliche Sachherrschaft kann als unmittelbare, ungehinderte
Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache umschrieben werden (NOLL, aaO,
S. 133). Ohne Zweifel behält derjenige, der eine Sache vor seinem
Haus am Strassenrand deponiert, die Herrschaft darüber, denn er hat
die physisch-reale Möglichkeit, jederzeit darauf einzuwirken (REHBERG,
aaO, S. 32); der unmittelbaren Verwirklichung seines Einwirkungswillens
auf die Sache steht kein Hindernis entgegen (SCHÖNKE/SCHRÖDER, aaO,
N. 25 zu § 242 dtStGB). Daran ändert nichts, dass die Strasse eine der
Allgemeinheit zugängliche Örtlichkeit darstellt; es verhält sich beim zum
Abholen bereitgestellten Altpapier des vorliegenden Falles prinzipiell
gleich wie bei einem vor dem Haus abgestellten Fahrzeug.

    Es stellt sich weiter die Frage, ob der Eigentümer noch den Willen
hat, die Herrschaft über die Sache auszuüben. Dies ist klarerweise
dann zu verneinen, wenn es ihm gleichgültig ist, ob die Müllabfuhr oder
irgendwelche Dritte das Altpapier mitnehmen. Für den vorliegenden Fall
hat die Vorinstanz jedoch für den Kassationshof verbindlich festgestellt,
die Eigentümer hätten beabsichtigt, das bereitgestellte Altpapier "einer
bestimmten gemeinnützigen Organisation zukommen zu lassen". Wer aber
irgendeine Sache vor das Haus stellt, damit sie von einer bestimmten Person
oder Organisation abgeholt werde, ist mit der Aufhebung seines Gewahrsams
dann nicht einverstanden, wenn die Sache von einer unbefugten Drittperson
behändigt wird (ebenso JENNY, ZBJV 124/1988 S. 420/421). Folglich hat
er den Willen, die Herrschaft über die Sache auszuüben, nicht aufgegeben.

    Das Korrektiv gegenüber einer zu weitgehenden Ausdehnung des Gewahrsams
(z.B. im Falle von losen Altpapierhaufen oder von Fahrzeugwracks)
gibt der subjektive Tatbestand (NOLL, aaO, S. 133). Diesen aber hat die
Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich als gegeben erachtet.

    bb) Zu derselben Lösung käme man im übrigen, wenn man darauf
abstellen wollte, es müsse zwischen dem Ort, an welchem sich die
Sache befindet, und der Art der Sache ein funktioneller Zusammenhang
bestehen (vgl. SCHÜRMANN, in recht, 1988, S. 33 FN 19 und S. 34 FN 24,
je mit Hinweis auf NOLL). Gebündeltes und verschnürtes Altpapier,
welches einer gemeinnützigen Organisation zukommen soll, wird im
Falle organisierter Sammelaktionen regelmässig zur Abholung auf dem
Trottoir vor dem Haus bereitgestellt. Der Strassenrand ist m.a.W. der
eindeutig bestimmungsgemässe Ort zur Deponierung des abholbereiten
Altpapiers, ähnlich wie es sich z.B. bei einem Holzstoss im Wald verhält
(vgl. SCHÜRMANN, aaO, S. 33). Insoweit besteht im vorliegenden Fall ein
funktioneller Zusammenhang; anders wäre es demgegenüber etwa bei dem in
der Literatur erwähnten, auf der Strasse liegenden Taschentuch (NOLL,
aaO, S. 133).

    d) Gesamthaft gesehen verletzte die Vorinstanz kein Bundesrecht,
wenn sie die Altpapierbündel als fremde Sachen betrachtete und in deren
Behändigung durch den dazu nicht berechtigten Beschwerdeführer einen
Gewahrsamsbruch erblickte. Die Beschwerde ist abzuweisen.