Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 97



115 II 97

18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1989
i.S. Firma A. gegen Firma B. und Schiedsgericht Z. (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 190 ff. IPRG. Intertemporales Recht.

    Beschwerden gegen Schiedsentscheide: Ist der angefochtene Entscheid
vor Inkrafttreten des IPRG gefüllt worden, so sind am 1. Januar 1989
bereits hängige Anfechtungsverfahren oder Rechtsmittel, die dagegen erst
nachher eingelegt worden sind, noch nach bisherigem Recht zu behandeln.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG,
SR 291) vom 18. Dezember 1987 ist am 1. Januar 1989 in Kraft getreten
(AS 1988 II 1831). Es enthält in Art. 176 ff. Bestimmungen über die
internationale Schiedsgerichtsbarkeit, auch solche über die Möglichkeit,
Schiedsurteile mit Beschwerde anzufechten (Art. 190 Abs. 2). Die
Parteien können allgemein die Anwendung kantonaler Bestimmungen über die
Schiedsgerichtsbarkeit vereinbaren (Art. 176 Abs. 2), insbesondere eine
kantonale Rechtsmittelinstanz vorbehalten (Art. 191 Abs. 2). Andernfalls
entscheidet das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde
als einzige Beschwerdeinstanz (Art. 191 Abs. 1). Hievon geht mangels
einer besondern Vereinbarung offenbar auch die Beschwerdeführerin aus.

    Da vorliegend der Revisionsentscheid des Schiedsgerichts erst
nach Inkrafttreten des IPRG mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde und
staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, aber schon vorher gefällt und
eröffnet worden ist, fragt sich indes, ob die Anfechtung sich noch nach
kantonalem oder bereits nach dem neuen eidgenössischen Recht richtet;
denn das eine schliesst das andere zwangsläufig aus. Dem Wortlaut
der Übergangsbestimmungen (Art. 196 ff. IPRG) ist dafür nichts zu
entnehmen. Das intertemporale Recht für das Schiedsverfahren ist daher
durch Auslegung des Gesetzes oder, falls eine Lücke bestehen sollte,
durch Richterrecht zu gewinnen (Art. 1 Abs. 1 und 2 ZGB).

    a) Grundsätzlich sind dabei je nach dem Umstand, auf den abgestellt
wird, verschiedene Lösungen denkbar. Als zeitliche Abgrenzungskriterien
sind insbesondere zu erwägen, ob das Anfechtungsverfahren am 1. Januar 1989
bereits hängig gewesen oder erst nachher angehoben, der Schiedsentscheid
vorher oder nachher gefällt und eröffnet, das Schiedsverfahren erst
nachher im Sinne von Art. 181 IPRG anhängig gemacht oder ob sogar die
Schiedsvereinbarung erst nachher geschlossen worden ist. Die Meinungen
in der Lehre sind geteilt. Die Auffassung, dass das neue Recht sofort
und uneingeschränkt auf hängige Anfechtungsverfahren anzuwenden sei,
kantonale Beschwerden also als staatsrechtliche weiterzubehandeln
wären, wird soweit ersichtlich von keiner Seite vertreten. Sie wäre
rechtsstaatlich auch kaum haltbar, ganz abgesehen davon, dass sie wegen
der unterschiedlichen Rechtsbehelfe zu stossenden Ergebnissen führen
müsste. Die Meinung sodann, das Schiedsverfahren sei einheitlich dem
im Zeitpunkt der Schiedsvereinbarung geltenden Recht zu unterstellen,
da nur dieses der Willensübereinstimmung und damit der Rechtswahl der
Parteien entspreche, scheint in Frankreich vorzuherrschen (ROUBIER,
Le droit transitoire, 2. Aufl., Paris 1960, S. 552 mit Zitaten), in der
schweizerischen Lehre aber keinen Halt zu finden.

    Ein Teil dieser Lehre ist vielmehr der Auffassung, nach dem
1. Januar 1989 könnten internationale Schiedssprüche nicht mehr mit
kantonalen Rechtsmitteln angefochten werden; die Anfechtung richte sich
ausschliesslich nach neuem Recht, weshalb allein noch die staatsrechtliche
Beschwerde offenstehe; die Auffassung stützt sich insbesondere auf die
positivrechtlichen Übergangsbestimmungen (Art. 196 und 197 IPRG) und
deren teleologische Bedeutung (A. BUCHER, in Festschrift R. Moser S. 198;
P. LALIVE, in Le nouveau droit international privé suisse S. 211/12;
BLESSING, in Journal of International Arbitration Vol. 5/1988 Nr. 2
S. 24; BLESSING in ASA [Association suisse de l'arbitrage] - Bulletin
1988 S. 334). Eine gegenteilige Auffassung geht dahin,). am 1. Januar
1989 hängige Schiedsverfahren seien ausschliesslich nach bisherigem
Prozessrecht, zu dem auch das Rechtsmittel- und das Organisationswesen
der Instanzen gehöre, zu Ende zu führen (POUDRET, in ASA-Bulletin 1988
S. 36/37; BROGGINI, ebenda S. 275 ff.; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches
Schiedsgerichtsrecht, S. 9).

    Eine zwischen diesen Auffassungen vermittelnde Lösung möchte zwar
das neue Recht sogleich angewendet wissen, ihm aber weder hängige
Anfechtungsverfahren noch Rechtsmittel unterstellen, deren Frist
im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits zu laufen begonnen hat,
oder die sich gegen in jenem Zeitpunkt bereits gefällte Entscheide
richten. Massgebend ist somit das Datum des Schiedsentscheides: Die
funktionelle Zuständigkeit und das Prozessrecht des Rechtsmittelverfahrens
richten sich nach neuem Recht, wenn der Entscheid nach dem 1. Januar 1989
ergangen ist, andernfalls nach bisherigem, kantonalem Recht (ROSSEL, in
ASA-Bulletin 1988 S. 302; WENGER, ebenda S. 315/16; nunmehr auch POUDRET,
ebenda S. 308; ferner A. BUCHER, Le nouvel arbitrage international en
Suisse, S. 33 Rz. 72).

    b) Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst, nach seinem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den Wertungen, die ihm zugrunde liegen,
auszulegen. Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein
nicht entscheidend. Die Materialien fallen nur ins Gewicht, wenn sie bei
unklaren oder unvollständigen Bestimmungen deren Sinn erkennen lassen
(BGE 103 Ia 290 E. 2c mit Hinweisen). Besondere Bedeutung erlangen sie
zudem im Bereiche der echten Lücken, vermögen letztlich doch nur sie dem
Richter Aufschluss darüber zu verschaffen, ob der Gesetzgeber eine Frage
bewusst oder unbewusst offengelassen hat oder ob er sie durch bewusstes
Schweigen in negativem Sinne entscheiden wollte (MEIER-HAYOZ, N. 255
zu Art. 1 ZGB). In der vorliegenden Streitfrage helfen die Materialien
allerdings nicht weiter. Der Entwurf des Bundesrates sah vor, dass
internationale Schiedssprüche mit kantonalen Rechtsmitteln angefochten
werden können, Zuständigkeitsentscheide mit ordentlichem Rechtsmittel,
Sachentscheide mit Nichtigkeitsbeschwerde; die Kollisionsfrage wurde aber
nicht aufgeworfen (BBl 1983 I 464/65 und 516). Diese Frage wurde auch in
den eidgenössischen Räten, auf welche die heutige Ordnung zurückgeht, nicht
erörtert (Amtl.Bull. 1986 NR S. 1368, 1987 StR S. 198 f. und NR S. 1072).

    Das neue Recht über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit will
vor allem die als ungenügend erachteten kantonalen Regelungen samt
den Bestimmungen des Konkordates (SR 279) durch eine einzige Ordnung
ersetzen, welche den vielfältigen Anforderungen an eine internationale
Rechtsprechung genügt, dem traditionell guten Ruf der Schweiz als Sitz
internationaler Schiedsgerichte gerecht wird und neben einer einheitlichen
Rechtsanwendung auch den Anschluss an die internationale Entwicklung
gewährleistet. Diese Bestrebungen kennzeichneten schon die Vorarbeiten,
insbesondere die Botschaft zum Entwurf (BBl 1983 I 264 ff. und 456 ff.),
und setzten sich schliesslich auch in den eidgenössischen Räten durch,
wo vorab verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vereinheitlichung
des Verfahrensrechts zu überwinden waren (vgl. dazu SCHNYDER, Das neue
IPR-Gesetz, S. 124/25; E. BUCHER, in ZBJV 124bis/1988 S. 288 ff.). Die
allgemeine Absicht des Gesetzgebers, dass das neue Recht möglichst rasch
und umfassend angewendet wird, wo Gründe der Rechtssicherheit und das
Verbot der Rückwirkung nicht eine weitere Anwendung des bisherigen Rechts
erheischen (BBl 1983 I 469), erhellt insbesondere aus den Grundgedanken der
Übergangsbestimmungen. Diese enthalten indes intertemporales Privatrecht
und nicht intertemporales Prozessrecht; sie geben daher auf die hier
streitige Frage keine unmittelbare Antwort (BROGGINI, S. 281 ff.). Für
ein bestimmtes Kollisionsrecht bezüglich des Verfahrens sind auch
ihrer Zielsetzung keine Anhalte zu entnehmen. Mangels eines schlüssigen
Auslegungsergebnisses ist somit vom Bestand einer Gesetzeslücke auszugehen.

    c) Die Lücke ist gemäss Art. 1 Abs. 2 ZGB nach gesetzgeberischer
Methode auszufüllen. Da es um Verfahrensrecht geht, liegt es nahe, sich
an bestehenden Vorschriften des Bundesrechts in Übergangsbestimmungen zu
orientieren. Aus solchen Vorschriften erhellt, dass der Gesetzgeber vor
Inkrafttreten einer neuen Ordnung ergangene Entscheide im allgemeinen
noch dem bisherigen Recht zu unterstellen pflegt, der vermittelnden
Lösung also den Vorzug gibt (Art. 171 Abs. 1 OG und Ziff. III Abs. 2
der Schlussbestimmungen zu dessen Novelle von 1968; Art. 81 VwVG;
Art. 106 Abs. 1 VStrR). Die laufende Revision des OG regelt die Frage
sinngemäss gleich, indem sie vorsieht, dass das Gesetz auf die nach seinem
Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar ist,
auf ein Beschwerde- oder Berufungsverfahren jedoch nur dann, wenn auch der
angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ergangen ist
(BBl 1985 II 951 Ziff. III/3; Amtl.Bull. 1987 NR S. 381 und 1988 StR
S. 261).

    Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften grundsätzlich
sofort und uneingeschränkt anzuwenden, wenn die Kontinuität des materiellen
Rechts dadurch nicht gefährdet wird und Übergangsbestimmungen nicht
ausdrücklich etwas anderes vorsehen. Das leuchtet namentlich dann
ein, wenn das neue Recht dem Rechtssuchenden günstiger ist (BGE 111 V
47 mit Zitaten). Im Schrifttum herrscht die gleiche Auffassung vor,
auch zu den Rechtsmitteln, deren Zulässigkeit nach dem im Zeitpunkt
ihrer Einlegung geltenden Prozessrecht beurteilt wird. Ein Vorbehalt
wird in Zivilprozessen für den Fall gemacht, dass das neue Recht keine
gleichwertige Anfechtungsmöglichkeit kennt. Auch wird nicht verkannt,
dass gerade in solchen Prozessen die Vielfalt der bestehenden Regelungen
einheitliche Grundsätze vermissen lässt (GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 53; HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess-
und Gerichtsorganisationsrecht, S. 14/15 Rz. 42 f.; SUSANNE SCHOCH,
Das intertemporale Zivilprozessrecht, Diss. Zürich, S. 45 ff. und 58/59).

    Systematische Überlegungen rechtfertigen es, die positive
Kollisionsnorm aus bestehenden Übergangsbestimmungen des Bundesrechts zu
übernehmen und sie in Schiedsverfahren analog anzuwenden. Ist wie hier eine
Lücke auszufüllen, so entspricht die Übernahme nicht nur dem Postulat,
identische Sachverhalte rechtlich gleich zu erfassen, sondern auch dem
Grundsatz der Praktikabilität (BGE 110 II 296), ginge es doch insbesondere
nicht an, Schiedsentscheide beliebig nach altem oder nach neuem Recht
anfechten zu lassen, wenn die Frist dazu erst unter dem neuen abläuft;
eine analoge Anwendung der auf verwandten Rechtsgebieten bestehenden
Kollisionsnorm garantiert die Einheit des Rechtsweges und damit eine
einheitliche Überprüfung des angefochtenen Entscheides. Anlass zu einer
solchen Anwendung besteht umso mehr, als die Anfechtungsmöglichkeiten
nach altem und neuem Recht nicht als gleichwertig erscheinen. Nach
kantonalem Recht und auch nach dem Konkordat (Art. 36 lit. f) kann ein
Schiedsentscheid im allgemeinen wegen Willkür, nach Art. 190 Abs. 2 lit. e
IPRG materiellrechtlich dagegen nur noch wegen Unvereinbarkeit mit dem
Ordre public angefochten werden, was nach herrschender Auffassung nicht
das gleiche ist. Ungleichheiten ergäben sich ferner aus der Zulässigkeit
formeller Rügen sowie aus der verschiedenen Wirkung und Rechtsnatur, welche
Nichtigkeitsbeschwerden des kantonalen Rechts von der staatsrechtlichen
Beschwerde unterscheiden. Auch sie lassen sich nur vermeiden, wenn im
Sinne der vermittelnden Lösung Schiedsentscheide, die vor dem Inkrafttreten
des IPRG gefällt worden sind, vom neuen Recht ausgenommen werden.