Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 452



115 II 452

80. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1989
i.S. Dr. X. gegen Klinik Y. AG (Berufung) Regeste

    Art. 267a OR. Erstreckbarkeit von Mietverhältnissen.

    Voraussetzungen, unter welchen Mietverhältnisse, die Bestandteil eines
gemischten oder eines zusammengesetzten Vertrages bilden, nach Art. 267a
OR erstreckbar sind.

Sachverhalt

    A.- Am 6. Mai 1983 schlossen die Betriebsgesellschaft der Klinik
Y. in Heiden und Dr. med. X. eine als Zusammenarbeitsvertrag bezeichnete
Vereinbarung ab, welche die Rechtsbeziehungen der Parteien hinsichtlich
der Tätigkeit des Dr. X. als Belegarzt der Klinik regelte. Der Vertrag
wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen; die Kündigungsfrist betrug
sechs Monate (Art. 5).

    Am 1. April 1984 schlossen die Klinik Y. AG und Dr. X. weiter
einen Mietvertrag über eine Arztpraxis innerhalb des Klinikgebäudes
ab, welchen sie am 16. Juni 1987 um zusätzliche Räume erweiterten. Auch
dessen Dauer war unbestimmt, wobei als Kündigungsfrist "der im Art. 5 des
Zusammenarbeitsvertrages vom 06.05.83 vereinbarte Zeitraum" festgesetzt
wurde.

    Mit Schreiben vom 3. Januar 1989 kündigte die Klinik Y. AG den
Zusammenarbeitsvertrag und forderte den Mieter auf, sämtliche Räume bis
zum 7. Juli 1989 freizugeben.

    B.- Am 29. Januar 1989 ersuchte Dr. X. um Erstreckung
des Mietverhältnisses über die Praxisräume bis Ende 1990. Der
Kantonsgerichtspräsident von Appenzell A.Rh. verneinte mit Entscheid
vom 13. April 1989 dem Grundsatze nach einen Anspruch des Klägers
aus Art. 267a OR, erstreckte das Mietverhältnis aber dennoch bis zum
31. Oktober 1989. Auf Appellation des Klägers und Anschlussappellation
der Beklagten hin wies der Obergerichtspräsident des Kantons Appenzell
A.Rh. das Gesuch am 22. Juni 1989 vollumfänglich ab.

    C.- Das Bundesgericht weist die vom Kläger eingelegte Berufung ab,
soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Beide kantonalen Instanzen gehen davon aus, dass der Mietvertrag
der Parteien keine selbständige Bedeutung habe, sondern lediglich Teil
des Zusammenarbeitsvertrages sei; dieses Vertragsverhältnis mit bloss
untergeordnetem mietvertraglichem Element könne nicht nach Art. 267a OR
erstreckt werden. Der Kläger steht demgegenüber auf dem Standpunkt, der
Zusammenarbeitsvertrag hindere die Erstreckbarkeit des Mietvertrages nicht.

    a) Nach Art. 267a OR erstreckbar sind nur eigentliche Mietverhältnisse
über Wohn- oder Geschäftsräume, d.h. Benützungsrechte, welche in einem
eigentlichen Mietvertrag im Sinne der Art. 253 ff. OR geregelt sind
(SCHMID, N. 4 zu Art. 267a OR; JEANPRÊTRE, La prolongation des baux
à loyer, mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève Nr. 30,
S. 115; THOMAS EGLI, Kündigungsbeschränkungen im Mietrecht, S. 12
f.). Vom Gesetzgeber nicht allgemein beantwortet wird die Frage, ob auch
Benützungsverhältnisse einer Erstreckung zugänglich sind, die nicht auf
einem reinen Mietvertrag beruhen, sondern auf einem Vertrag sui generis,
welcher neben mietrechtlichen auch andere Elemente enthält (gemischter
Vertrag), oder auf einem Vertragskomplex, in welchem ein Mietvertrag mit
andern Verträgen verbunden ist (Zusammengesetzter Vertrag).

    Die Erstreckbarkeit eines gemischten Vertrages wird in der Lehre
einerseits von seinem Regelungsschwerpunkt (EGLI, aaO, S. 13; JEANPRÊTRE,
aaO, S. 129), anderseits von einer Interessenabwägung im Einzelfall
abhängig gemacht (SCHMID, N. 5 zu Art. 267a OR). Entsprechendes
muss gelten, wenn zwar - etwa mangels eines einheitlichen Aktes der
Konsensbildung - von einer Mehrheit von Verträgen auszugehen ist, diese
Verträge jedoch miteinander verbunden sind, mithin ein zusammengesetzter
Vertrag vorliegt. Auch hier ist die Erstreckung des Mietverhältnisses
ausgeschlossen, wenn der damit gekoppelte Vertrag die Rechtsbeziehungen der
Parteien schwergewichtig prägt und die Überlassung des Mietobjekts bloss
als untergeordnete Nebenabrede erscheint. In jedem Einzelfall ist daher
zu prüfen, welche Bedeutung die Parteien den gekoppelten Einzelverträgen
im Hinblick auf die Gestaltung der Gesamtrechtslage beigemessen haben und
in welchem Abhängigkeitsverhältnis diese Verträge nach ihrer rechtlichen
und wirtschaftlichen Bedeutung zueinander stehen, insbesondere ob sie
als koordiniert oder als subordiniert zu gelten haben (vgl. BUCHER,
Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl. 1988, S. 23). Entsprechend
den zur Rechtsanwendung auf gemischte Verträge entwickelten Grundsätzen
ist dabei von der Interessenlage der Parteien auszugehen, wie sie in
der von ihnen getroffenen vertraglichen Regelung zum Ausdruck gelangt;
zur Ermittlung dieser Interessenlage ist vorab auf den übereinstimmenden
inneren Willen der Parteien, bei dessen Fehlen auf das Vertrauensprinzip
abzustellen (MARKUS MOSER, Die Erstreckung des Mietverhältnisses nach
Artikel 267a-267 f. des Obligationenrechts, Diss. Freiburg 1975, S. 47;
GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl. 1980,
S. 297 f.).

    Die Sondervorschrift des Art. 267c lit. b OR, wo vorausgesetzt wird,
dass ein mit einem Arbeitsvertrag verbundenes Mietverhältnis normalerweise
erstreckbar ist, steht dem nicht entgegen. Diese Bestimmung verbietet
nicht, die Erstreckbarkeit eines Mietverhältnisses gegebenenfalls deshalb
zu verneinen, weil - entgegen dem vom Gesetz vorausgesetzten Regelfall
- nach dem massgeblichen Parteiwillen das Schwergewicht eindeutig auf
dem mit der Miete gekoppelten Arbeitsvertrag liegt und der Miet- vom
Arbeitsvertrag derart abhängig ist, dass er dessen rechtliches Schicksal
in jeder Beziehung teilt. Ein allgemeiner Grundsatz, ein mit andern
Verträgen verbundenes Mietverhältnis sei von Gesetzes wegen stets nach
Massgabe von Art. 267a OR erstreckbar, lässt sich aus Art. 267c lit. b
OR erst recht nicht ableiten.

    b) Der Kantons- und der Obergerichtspräsident haben aus den gesamten
Umständen des vorliegenden Falles geschlossen, die beiden Verträge der
Parteien stünden in gegenseitiger Abhängigkeit, wobei dem Mietvertrag
insoweit bloss untergeordnete Bedeutung zukomme, als die Tätigkeit
des Klägers als Belegarzt ohne klinikinterne Privatpraxis durchaus
denkbar sei, wogegen ein reiner Mietvertrag für die Privatpraxis
des Klägers, losgelöst von dessen Stellung als Belegarzt, nicht zur
Diskussion gestanden wäre. Dieser Schluss ist, auch soweit er sich
auf die allgemeine Lebenserfahrung stützt, bundesrechtlich nicht zu
beanstanden; entgegen der Ansicht der kantonalen Instanzen, die von
einem gemischten Vertrag auszugehen scheinen, liegt allerdings wohl
eher ein zusammengesetzter Vertrag vor. Dass der Mietvertrag formell
gesehen auf den Zusammenarbeitsvertrag einzig mit dem Verweis auf
dessen Kündigungsbestimmungen Bezug nimmt, steht der gegenseitigen
Abhängigkeit der Verträge, wie sie sich aus den gesamten Umständen klar
ergibt, nicht entgegen. Die gegenteilige Auffassung würde sich nach dem
Vertrauensgrundsatz auch aus der Interessenlage der Beklagten heraus
verbieten, musste dieser doch für den Kläger erkennbar vordringlich an
der Mitarbeit der Belegärzte in der Klinik gelegen sein und war für sie
die Bereitstellung einer Privatpraxis nur dann von Interesse, wenn der
Betreiber entsprechend deren Bedarf auch der Klinik zur Verfügung stand.
Dass aber die Miete als der eindeutig untergeordnete Vertrag erscheint,
schliesst nach dem Gesagten bei Auflösung der beiden gekoppelten Verträge
ihre Erstreckung nach Art. 267a OR aus.