Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 396



115 II 396

71. Beschluss der I. Zivilabteilung vom 19. September 1989 i.S. T. AG
gegen Kollektivgesellschaft M. und H. AG (Berufung) Regeste

    Art. 55 Abs. 1 lit. c und Art. 90 Abs. 1 lit. b OG.

    Begründungsanforderungen an Berufung und konnexe staatsrechtliche
Beschwerde. Nichteintreten auf beide Rechtsmittel, wenn sie missbräuchlich
mit einer im wesentlichen übereinstimmenden Begründung versehen werden.

Sachverhalt

    A.- Am 15. April 1988 verpflichtete das Bezirksgericht Plessur
die T. AG in teilweiser Gutheissung einer von der Kollektivgesellschaft
M. und der H. AG eingereichten Klage zur Zahlung von Fr. 62'550.--. Sowohl
die Klägerinnen wie die Beklagte appellierten an das Kantonsgericht von
Graubünden, das die Klage mit Urteil vom 6. September/7. November 1988
in vollem Umfang guthiess und den Klägerinnen Fr. 215'086.40 nebst 5%
Zins seit 10. Oktober 1986 zusprach.

    B.- Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung und staatsrechtliche
Beschwerde eingelegt. Mit der vorliegenden Berufung beantragt sie, den
angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte hat zwar Berufung und staatsrechtliche Beschwerde als
getrennte Eingaben eingereicht, beide Rechtsmittel aber im wesentlichen
mit der gleichen Begründung versehen. Teilweise unterschiedlich ist nur
die Bezeichnung der angeblich verletzten Normen. So wird zum Beispiel
mit der Berufung eine Verletzung von Art. 8 ZGB und mit der Beschwerde an
den entsprechenden Stellen eine solche von Art. 4 BV gerügt. Andernorts
unterscheiden sich die Begründungen nur dadurch, dass die Auffassung des
Kantonsgerichts in der Beschwerde als willkürlich und in der Berufung als
völlig abwegig bezeichnet wird. Damit übereinstimmend hält die Beklagte
auch in bezug auf den Inhalt der einzelnen Rügen die beiden Rechtsmittel
nicht klar auseinander. Sowohl mit der Beschwerde wie auch mit der Berufung
werden neben und in Verbindung mit an sich zulässigen auch Rügen erhoben,
die mit dem anderen Rechtsmittel hätten geltend gemacht werden müssen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach ständiger Rechtsprechung darf die staatsrechtliche
Beschwerde nicht mit der Berufung in einer einzigen Eingabe verbunden
werden, weil die beiden Rechtsmittel unterschiedlichen Verfahrensregeln
unterstehen und sich auch nach der Begründung, die das Gesetz für sie
zulässt, deutlich unterscheiden (Art. 43 Abs. 1 und Art. 84 ff. OG).
Eine Ausnahme rechtfertigt sich nur, wenn die beiden Rechtsmittel
äusserlich klar auseinandergehalten und auch inhaltlich nicht vermengt
werden, sondern für jedes gesondert und abschliessend dargelegt wird,
was mit ihm vorgebracht werden will (BGE 103 II 218 f. mit Hinweisen). Der
gleiche Grundsatz gilt auch im Verhältnis zwischen der staatsrechtlichen
Beschwerde und dem Rekurs in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (BGE
113 III 121 E. 1) sowie der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof.

    Erhebt ein Beschwerdeführer die Rechtsmittel zwar in gesonderten
Eingaben, aber mit gleicher Begründung, die zudem Rügen des einen
Rechtsmittels mit solchen des andern vermengt, wird nach einem neueren
Entscheid des Kassationshofes auf beide nicht eingetreten, weil in diesem
Vorgehen eine unzulässige Umgehung der zitierten Rechtsprechung liegt (BGE
113 IV 46 f.). Ob die Praxis zur Nichtigkeitsbeschwerde auch auf den Fall
der Einreichung von identisch begründeter Berufung und staatsrechtlicher
Beschwerde zu übertragen sei, wurde in BGE 114 Ia 207 zwar offen gelassen,
jedoch als naheliegend bezeichnet, da eine solche Begründung im einen
wie im anderen Fall auf den Missbrauch von Rechtsmitteln hinauslaufe.

    Angesichts der übereinstimmenden rechtlichen Grundlagen leuchtet in
der Tat ein, dass das gleiche missbräuchliche Vorgehen auch im Verhältnis
von Berufung und staatsrechtlicher Beschwerde unzulässig sein muss. Das
gilt um so mehr, als die Praxis des Kassationshofes als folgerichtige
Fortführung der Rechtsprechung des Bundesgerichts in allen erwähnten
Bereichen zu verstehen ist, wie aus BGE 113 IV 46 E. 2b hervorgeht.
Dort wird darauf hingewiesen, dass im Fall einer einzigen Eingabe, die als
Nichtigkeitsbeschwerde sowie als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnet
wird und die erwähnten Mängel aufweist, lediglich auf das eine Rechtsmittel
von vornherein nicht eingetreten wird (gleich für den Bereich von Berufung
und Beschwerde BGE 103 II 220 Nr. 37). Der Grund, warum bei getrennten
Eingaben beide Rechtsmittel unzulässig sind, liegt somit nicht in der
Vermengung der Rügen als solcher, sondern darin, dass als deren Folge im
Einzelfall die Begründung für beide Rechtsmittel nicht ausreichend klar
ersichtlich ist und damit den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt.

    b) Als Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung, die auch für
den hier vorliegenden Fall Geltung haben muss, lassen sich demnach
folgende Grundsätze festhalten. An zwei äusserlich getrennte, jedoch
inhaltlich im wesentlichen übereinstimmende Rechtsmittel werden die
gleichen Anforderungen gestellt wie an eine gemeinsame Eingabe für beide
Rechtsmittel. Daher sind für jedes Rechtsmittel gesondert die nach Gesetz
und Praxis jeweils zulässigen Rügen in der vorgeschriebenen Form zu erheben
und zu begründen. Zufolge der Verflechtung nicht offenkundig aufscheinende
und nicht eindeutig zugeordnete Vorbringen dürfen vom Bundesgericht
übergangen werden. Dieses ist nicht verpflichtet, die Entflechtung selbst
vorzunehmen. Ist den Ausführungen für keines der beiden Rechtsmittel eine
klare und eindeutig zugeordnete Begründung zu entnehmen, so ist auf beide
nicht einzutreten.

    Zu berücksichtigen ist aber, wie bereits in BGE 114 Ia 208
hervorgehoben wurde, dass nur bei Missbrauch auf beide Rechtsmittel nicht
einzutreten ist. Diese Voraussetzung fehlt im Bereich von Berufung und
staatsrechtlicher Beschwerde dann, wenn wegen unklarer oder mehrdeutiger
Begründung des angefochtenen Entscheides die Wahl des geeigneten
Rechtsmittels nicht leicht zu treffen ist oder aus Gründen, die in der
Eigenheit der Rechtsmittel selbst liegen, die Abgrenzung zwischen ihnen
erschwert wird. In diesen Fällen ist es nicht ausgeschlossen, die gleiche
Beanstandung im einen Verfahren als Verletzung von Bundesrecht gemäss
Art. 43 Abs. 1 OG und im andern als solche der Verfassung auszugeben, wenn
die Rügen entsprechend gekennzeichnet werden. Davon abgesehen ist es aber
nicht Aufgabe des Bundesgerichts, aus zwei inhaltlich gleich begründeten,
jedoch als Eingaben in verschiedenen Verfahren bezeichneten Rechtsmitteln
die jeweils zulässigen Rügen herauszusuchen und damit die erforderliche
Trennung nachträglich selbst vorzunehmen.

Erwägung 3

    3.- Ein solcher Missbrauch liegt hier vor. Denn obschon keine der
erwähnten Schwierigkeiten in bezug auf die Wahl des Rechtsmittels und der
jeweils vorzubringenden einzelnen Rügen bestehen, wird die Begründung einer
behaupteten Verletzung von Bundesprivatrecht durchwegs mit jener eines
angeblichen Verstosses gegen Art. 4 BV vermengt. Als Folge davon erfüllen
die einheitlich mit beiden Rechtsmitteln erhobenen einzelnen Rügen weder
die spezifischen Begründungsanforderungen der staatsrechtlichen Beschwerde
noch jene der Berufung. Daher ist auf beide Rechtsmittel nicht einzutreten.