Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 297



115 II 297

53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Oktober 1989
i.S. B. gegen B. (Berufung) Regeste

    Berufungsfähigkeit von Eheschutzentscheiden betreffend das
Getrenntleben gemäss Art. 176 ZGB.

    Der Entscheid, mit welchem der Eheschutzrichter in Anwendung von
Art. 176 ZGB das Getrenntleben der Ehegatten regelt, stellt keinen
Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG dar und kann deshalb beim
Bundesgericht nicht mit Berufung angefochten werden (Bestätigung der
Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Berufungskläger führt aus, das Bundesgericht sei bisher
generell auf Berufungen gegen Eheschutzentscheide nicht eingetreten mit
der Begründung, es gehe dabei weder um eine Zivilrechtsstreitigkeit noch
um einen Endentscheid. Richtigerweise handle es sich aber beim Streit
um die Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen im Eheschutzverfahren um
eine Zivilrechtsstreitigkeit. Auch sei der angefochtene Entscheid als
Endentscheid zu betrachten, denn er könne nicht in einem ordentlichen
Verfahren überprüft und die einmal bezahlten Beträge könnten nicht
mehr zurückgefordert werden. Nur bei veränderten Verhältnissen sei
eine Neufestsetzung möglich. Nach zürcherischem Recht ergehe der
Eheschutzentscheid sodann zwar im summarischen Verfahren, doch seien
dabei sämtliche Beweismittel zugelassen, so dass kein Unterschied zu
einem ordentlichen Prozessverfahren bestehe. Andere Urteile, in denen
Unterhaltsbeiträge festgesetzt würden, so beispielsweise Trennungs-
oder Scheidungsurteile, seien vom Bundesgericht im übrigen immer als
Endentscheide angesehen worden. Auch diese Urteile seien aber in gleicher
Weise wie die Eheschutzentscheide provisorisch, indem sie bei Änderung der
Verhältnisse abgeändert werden könnten. HAUSHEER/REUSSER/GEISER (Kommentar
zum Eherecht, Bd. I, N. 24 zu Art. 180 ZGB) seien deshalb der Meinung,
eine Überprüfung der Rechtsprechung sei wünschbar.

Erwägung 2

    2.- Es trifft zu, dass das Bundesgericht die Berufungsfähigkeit
von Eheschutzentscheiden in einigen Urteilen unter anderem deswegen
verneint hat, weil derartige Auseinandersetzungen nicht als
Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne von Art. 44 bzw. 46 OG anzusehen
seien (vgl. z.B. BGE 95 II 71 E. 1, 91 II 416 E. 1). An dieser - in den
erwähnten Urteilen übrigens nicht näher begründeten - Auffassung kann in
der Tat nicht festgehalten werden. Entscheidend für die bundesgerichtliche
Praxis war indessen, dass Eheschutzentscheide nicht als Endentscheide
gemäss Art. 48 Abs. 1 OG betrachtet werden können. Schon unter der
Herrschaft des OG von 1893 hatte das Bundesgericht gestützt auf die
Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes die Auffassung vertreten, bei den
Entscheidungen über Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft
handle es sich wegen ihres ausgesprochen provisorischen Charakters nicht
um Haupturteile im Sinne des damaligen Art. 58 OG; denn die aufgrund von
Art. 169 ff. aZGB ergangenen Anordnungen blieben nur solange aufrecht,
als die anormalen Verhältnisse, die das Eingreifen des Richters nötig
gemacht hätten, andauerten (BGE 43 II 275/276, 68 II 245 ff.). An dieser
Rechtsprechung hat es auch unter der Herrschaft des OG von 1943, das den
Begriff des Haupturteils durch denjenigen des Endentscheids ersetzte,
festgehalten, wobei es darauf hinwies, die Revision habe die Materien,
in denen die Berufung zulässig sei, nicht ausdehnen wollen (BGE 72 II 55
ff.; vgl. auch BGE 77 II 282, 80 I 308). Die herrschende Lehre hat sich
dieser Auffassung angeschlossen (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 166;
LEMP, N. 13 zu Art. 169 ZGB; WURZBURGER, Les conditions objectives du
recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 192; STAEHELIN, Die objektiven
Voraussetzungen der Berufung an das Bundesgericht, ZSR 94/1975 II S. 23/24;
DESCHENAUX/ STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, S. 159/160; vgl. aber
GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 542 Anm. 11). Es
besteht kein Anlass, darauf zurückzukommen, zumal das neue Eherecht am
Charakter der Eheschutzmassnahmen, jedenfalls soweit es wie im vorliegenden
Fall um die Regelung des Getrenntlebens geht (Art. 176 ZGB), nichts
geändert hat. Zwar ist richtig, dass Eheschutzmassnahmen insofern nicht
bloss vorläufigen Charakter haben, als sie nicht in einem ordentlichen
Verfahren überprüft und nur mit Wirkung für die Zukunft abgeändert
werden können. Das gleiche gilt aber auch für die gestützt auf Art. 145
ZGB für die Dauer des Scheidungsprozesses angeordneten vorsorglichen
Massnahmen, die mit der eheschutzrichterlichen Regelung des Getrenntlebens
in funktioneller Hinsicht eng verwandt sind, deren Berufungsfähigkeit
aber nie behauptet worden ist. In beiden Fällen sollen die Beziehungen
zwischen den Ehegatten (nur) für die Dauer eines ausserordentlichen
Zustands geregelt werden. Wird die Scheidung ausgesprochen oder
normalisieren sich die Verhältnisse wieder, so fallen die Massnahmen
dahin. Dass der ausserordentliche Zustand, dem diese Massnahmen begegnen
sollen, ausnahmsweise auch über Jahre andauern kann, kann für die Frage
ihrer Berufungsfähigkeit nicht massgebend sein. Beizufügen ist, dass für
Eheschutzmassnahmen unter Umständen blosse Glaubhaftmachung genügend, ja
sogar geboten sein kann (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 15 zu Art. 180 ZGB;
vgl. auch VOGEL, Der Richter im neuen Eherecht, SJZ 83/1987 S. 132). Der
Begriff des Endentscheids setzt aber eine vollständige Abklärung des
Sachverhalts voraus (BGE 104 II 219/220). Dass das Bundesgericht im
Zusammenhang mit der Frage der Berufungsfähigkeit von Entscheiden
betreffend das Gegendarstellungsrecht in BGE 112 II 195/196 E. 1 im
Ergebnis von diesem Grundsatz abgewichen ist (vgl. dazu VOGEL, ZBJV
124/1988 S. 255/256), beruht auf der besonderen Ausgestaltung dieses
Rechtsinstituts und darf nicht verallgemeinert werden.

    Auf die vorliegende Berufung, die sich einzig gegen die
eheschutzrichterliche Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen richtet, kann
somit nicht eingetreten werden. Wie es sich mit der Berufungsfähigkeit
von anderen Eheschutzmassnahmen verhält, ist damit nicht entschieden.