Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 246



115 II 246

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. August 1989 i.S.
Anlagebank Zürich in Liquidation gegen Frau G. (Berufung) Regeste

    Arbeitsvertrag; Anspruch der Witwe des Arbeitnehmers gegenüber der
Personalfürsorgestiftung auf den Anteil am freien Stiftungsvermögen.

    Da der Anteil am freien Stiftungsvermögen grundsätzlich ebenfalls
dem Stiftungszweck, hier dem Vorsorgegedanken, untersteht, fällt die
Liquidationszahlung aus dem freien Stiftungsvermögen ebenfalls an den
"dannzumal berechtigten Destinatär" gemäss dem Stiftungsreglement und nicht
in die Erbmasse des Arbeitnehmers. Dass der Verteilungsplan behördlich
genehmigt wurde, der Erstdestinatär jedoch vor der Auszahlung verstorben
ist, vermag hieran nichts zu ändern (E. 2).

Sachverhalt

    A.- G. war Direktor und Delegierter des Verwaltungsrates der Anlagebank
Zürich sowie Stiftungsrat der Personalfürsorgestiftung der Anlagebank
Zürich und seit dem 1. Januar 1954 deren Destinatär. Sein Arbeitsverhältnis
dauerte bis zum 31. Juli 1978. Kurz vor seinem Ausscheiden unterzeichnete
G. eine Schuldanerkennung zugunsten der Anlagebank im Betrage von über
Fr. 21 Mio.

    Am 15. August 1978 wurde die Liquidation der Anlagebank Zürich
beschlossen und die Schweizerische Revisionsgesellschaft als Liquidatorin
gewählt. Gleichzeitig wurde die Auflösung der Personalfürsorgestiftung
eingeleitet.

    Im Rahmen ihrer Auflösung erstellte die Personalfürsorgestiftung am 22.
November 1979 einen Verteilungsplan, gemäss welchem G. als Destinatär ein
Sparkapital von Fr. 378'422.-- und als Anteil am "freien Stiftungsvermögen"
Fr. 470'922.20 zustanden. Dieser Verteilungsplan wurde vom Bezirksrat
Zürich am 29. November 1979 genehmigt.

    Bevor es zur Auszahlung dieser Ansprüche kam, verstarb G.

    Am 5. Juni 1981 klagte die Witwe beim Bezirksgericht Zürich gegen
die Personalfürsorgestiftung auf Auszahlung des Sparkapitals. Die Klage
wurde letztinstanzlich von der I. Zivilabteilung des Bundesgerichtes am
11. Februar 1986 dem Grundsatze nach gutgeheissen (BGE 112 II 38).

    B.- Strittig geblieben ist der auf G. entfallende Anteil am sogenannten
freien Stiftungsvermögen. Dieser Vermögenswert wird einerseits von der
Witwe - welche die Erbschaft ausgeschlagen hat - als Ersatzdestinatärin
von G. beansprucht. Die Anlagebank Zürich in Liq. beansprucht den gleichen
Vermögenswert gestützt auf eine Abtretung durch den einzigen Erben F.

    Die Anlagebank Zürich in Liq. hob am 28. November 1986 beim
Bezirksgericht Zürich Klage an. Sie beantragte in erster Linie die
Feststellung, dass der strittige Forderungsbetrag ihr zustehe. Die Witwe
verlangte die gegenteilige Feststellung.

    Mit Urteil vom 19. November 1987 wies das Bezirksgericht Zürich
die Klage ab und stellte fest, dass der Betrag von Fr. 647'893.80 der
Witwe zustehe.

    Die Anlagebank Zürich in Liq. reichte gegen dieses Urteil Berufung
ein. Das Obergericht des Kantons Zürich wies Berufung und Klage am 17. Juni
1988 jedoch ebenfalls ab und bestätigte das angefochtene Urteil.

    C.- Gegen dieses Urteil hat die Anlagebank Zürich in Liq. beim
Bundesgericht Berufung eingereicht. Sie beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und erneuert die im kantonalen Verfahren gestellten
Anträge.

    Die Witwe schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Urteils.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Entscheidend für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ist die
Frage, ob der Anteil am sogenannten "freien Stiftungsvermögen", der durch
den behördlich genehmigten Verteilungsplan dem Destinatär G. zugesprochen
worden ist, nach dessen Tod in seine Erbmasse gefallen ist oder an die
Beklagte als Ersatz- Destinatärin. Bezüglich des Sparkapitals hat das
Bundesgericht bereits entschieden, es liege zwischen G. als Promissar
und der Stiftung als Promittentin ein Vertrag zugunsten Dritter gemäss
Art. 112 Abs. 2 OR vor. Die Beklagte habe dadurch einen selbständigen,
von ihrer Erbenstellung unabhängigen Anspruch erworben. Damit sei es aber
auch unzulässig, gestützt auf Art. 5 des Reglementes eine Gegenforderung
zur Verrechnung zu stellen. Wer sich wie die Personalfürsorgestiftung
zugunsten eines Dritten verpflichtet habe, könne diese Verbindlichkeiten
nicht mit Forderungen gegen den Promissar verrechnen (Art. 122 OR; BGE
111 II 168 E. 2a).

    Die Klägerin macht zutreffend geltend, das Schicksal des freien
Stiftungsvermögens sei durch diesen Entscheid über das Sparkapital nicht
präjudiziert. Diese Frage bleibt im folgenden zu prüfen.

Erwägung 2

    2.- Als freies Stiftungsvermögen bezeichnet man jenen Teil des
Stiftungsvermögens, der nicht durch die Forderungen der Destinatäre
gebunden ist. Es entsteht durch Mutationsgewinne, Verzinsung und
freiwillige Zuwendungen (RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in
der Schweiz, N. 31 zu § 5; Reglement der Personalfürsorgestiftung der
Anlagebank Zürich, Art. 24). Auch das freie Stiftungsvermögen untersteht
indessen dem Stiftungszweck, wie er hier in Art. 1 des Reglements
umschrieben ist. Es dient im vorliegenden Fall also der Fürsorge für die
Arbeitnehmer der Stifterfirma sowie zur Gewährung von Unterstützungen an
deren Witwen und Kinder beim Tod des Arbeitnehmers. Ferner können daraus
Zahlungen an Nichtversicherte oder deren Hinterlassene ausgerichtet werden;
schliesslich dient es zur Ausgleichung allfälliger Verluste der Stiftung
und zur Bestreitung von Verwaltungskosten (Reglement, Art. 25).

    a) Während das Sparkapital der Destinatäre mit Ausnahme von
einzelbestimmten Fällen dem Verbot der Barauszahlung unterliegt, also
nur an andere Vorsorgeinstitutionen ausbezahlt werden darf (Art. 30 BVG;
Art. 331c OR), unterliegen Auszahlungen aus dem freien Stiftungsvermögen
dieser Einschränkung nicht, weil es sich nicht um Leistungen aus
individuellem Guthaben im Sinne von Art. 331a und 331b OR handelt. Dass
die Übertragung auf eine andere Vorsorgeeinrichtung wünschbar bleibt,
ändert hieran nichts (RIEMER, N. 28 und 33 zu § 5). Bei der Auflösung der
Stiftung kann das freie Stiftungsvermögen demnach in Kapitalform unter
die Destinatäre der Stiftung aufgeteilt werden (RIEMER, N. 33 zu § 5;
Reglement, Art. 27).

    b) Der entsprechende Verteilungsplan ist am 29. November 1979
behördlich genehmigt worden. Der dabei vorgesehene Anteil am freien
Stiftungsvermögen des Destinatärs G. gelangte jedoch nicht zur Auszahlung,
weil G. in der Zwischenzeit verstarb. Die Klägerin will daraus ableiten,
dass die Liquidationszahlung der Stiftung in die Erbmasse von G. falle.

    Wie bereits erwähnt, untersteht indessen auch das sogenannte freie
Stiftungsvermögen dem Stiftungszweck und damit dem Vorsorgegedanken. Die
Liquidationszahlung aus dem freien Stiftungsvermögen bildet somit
ebenfalls eine Vorsorgeleistung. Der "dannzumal berechtigte Destinatär"
gemäss Art. 12 der Stiftungsurkunde, dessen Anwendung von der Klägerin
auch vor Bundesgericht ausdrücklich zugestanden wird, kann daher nur
jemand sein, für den der Vorsorgegedanke zutrifft. Mit dem Hinschied
von G. fiel der Anspruch auf Auszahlung des aus dem Stiftungsvermögen
entstandenen Betreffnisses deshalb nicht in die Erbmasse, sondern an die
ihm als Destinatärin nachfolgende Witwe.

    Was die Klägerin hiegegen ausführt, vermag nicht zu überzeugen. Vor
allem macht sie unter Hinweis auf BGE 111 II 169 E. 2b geltend, wegen des
fehlenden Barauszahlungsverbotes für das freie Stiftungsvermögen sei dieses
aus dem Vorsorgezweck entlassen. Das erwähnte Urteil betrifft indessen die
in Art. 331c Abs. 4 OR besonders aufgezählten Barzahlungsfälle, die nicht
vom Vorsorgegedanken getragen sind. Hievon ist der vorliegende Fall zu
unterscheiden, bei welchem grundsätzlich ein Vorsorgefall eingetreten ist
(BGE 112 II 40 f. E. 4). Dass diesfalls für das freie Stiftungsvermögen
etwas anderes gelten solle als für das Sparkapital, lässt sich dem von der
Klägerin zitierten Bundesgerichtsentscheid nicht entnehmen. Auch ist es
unerheblich, ob das in bar ausbezahlte Kapital dem Vorsorgezweck entwendet
werden könnte. Aus diesem Umstand lässt sich nicht ableiten, dass dieses
Geld nicht als Vorsorgeleistung bestimmt ist und die entsprechenden
Regeln keine Anwendung finden. Entscheidend ist im Gegenteil einzig,
dass der den Destinatären zustehende Teil am Liquidationsvermögen nach
dem Stiftungszweck beim Ausfall eines Destinatärs wiederum Destinatären
der Stiftung zufallen soll. Nach dem Ableben des Arbeitnehmers als
Erstdestinatär treten nun aber dessen Angehörige - hier die Witwe - als
Destinatäre ein (vgl. auch SCHWEIZER, Rechtliche Grundlage der Anwartschaft
auf eine Stiftungsleistung in der beruflichen Vorsorge, Diss. Zürich 1985,
S. 37).

    c) An diesem Ergebnis vermag auch nichts zu ändern, dass der auf G.
entfallende Anteil am freien Stiftungsvermögen im Verteilungsplan
festgelegt und dieser noch vor dem Tod von G. behördlich genehmigt
worden ist. Der Verteilungsplan dient den Liquidatoren lediglich als
Instrument zur Verteilung des freien Stiftungsvermögens. Er verschafft
den Destinatären jedoch keinen Leistungsanspruch, es sei denn, er werde
den Destinatären vorbehaltlos im Sinne einer Leistungszusicherung eröffnet
(MANHART, Die Aufhebung mit Liquidation von Stiftungen, insbesondere von
Personalfürsorgestiftungen, Diss. Zürich 1986, S. 161). Dass letzteres der
Fall gewesen sei, hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich
verneint. G. hat deshalb zu Lebzeiten keinen festen Leistungsanspruch
erworben, der anschliessend in die Erbmasse gefallen ist.

    Unter diesen Umständen besteht somit kein Anlass, den auf
G. entfallenden Anteil am freien Stiftungsvermögen hinsichtlich der
Anspruchsberechtigung anders zu behandeln als sein Sparkapital.