Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 221



115 II 221

38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Juni 1989 i.S.
Frieda Schwarz-Thurmann gegen Erben der Fanny Waser-Osterwalder,
Grundbuchamt Küsnacht/ZH und Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons
Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Grundbuchanmeldung (Art. 948 Abs. 1, 963 Abs. 1 und 972 ZGB).

    Ist die Anmeldung einer dinglichen Verfügung im Tagebuch eingetragen
und damit über das Grundeigentum verfügt worden, kommt ein einseitiger
Rückzug dieser Anmeldung ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Verfügung
auch dann nicht mehr in Frage, wenn deren Vollzug im Hauptbuch noch
aussteht (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Mit öffentlich beurkundetem Schenkungsvertrag vom 4.  September
1987 verpflichtete sich Fanny Waser-Osterwalder zur Übereignung der von ihr
bewohnten Liegenschaft an der Bergstrasse 20 in Küsnacht (Kanton Zürich) an
Frieda Schwarz-Thurmann. Anlässlich der Anmeldung der Eigentumsübertragung
beim zuständigen Grundbuchamt ersuchten die Vertragsparteien zugleich um
die Löschung eines Schuldbriefes im Betrag von Fr. 40'000.-- sowie um
Eintragung eines lebenslänglichen Wohnrechts zugunsten der Schenkerin.

    Das Grundbuchamt Küsnacht nahm die Eintragung dieser Anmeldungen im
Tagebuch vor. Während es die Löschung des Schuldbriefes noch gleichentags
im Hauptbuch vollzog, wurde mit der Einschreibung der Eigentumsübertragung
und des Wohnrechts zugewartet.

    B.- Am 6. Oktober zog Fanny Waser-Osterwalder die im Hauptbuch noch
nicht vollzogene Grundbuchanmeldung betreffend Eigentumsübertragung
und Wohnrecht zurück. Gleichzeitig errichtete sie einen neuen
Eigentümerschuldbrief im Betrag von Fr. 800'000.--. Die Eintragung des
Grundpfandrechts im Hauptbuch erfolgte umgehend. Am 7. Oktober wurde
Frieda Schwarz-Thurmann über den einseitigen Rückzug der Anmeldung
unterrichtet. In der Folge schloss Fanny Waser-Osterwalder bereits am
19. Oktober 1987 einen Kaufsrechtsvertrag mit einem Dritten ab. Auch
dieses Kaufsrecht wurde noch am gleichen Tag im Hauptbuch vorgemerkt.

    C.- Gegen die Zulassung des einseitigen Anmeldungsrückzuges beschwerte
sich Frieda Schwarz-Thurmann beim Bezirksgericht Meilen, welches die
Beschwerde am 19. November 1987 guthiess.

    Mit Beschluss vom 12. Juni 1988 schützte die II. Zivilkammer des
Obergerichts des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über
Grundbuchämter und Notariate den von Fanny Waser-Osterwalder gegen diesen
Entscheid gerichteten Rekurs.

    D.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ersucht
Frieda Schwarz-Thurmann um Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses
und um die Anweisung an den Grundbuchverwalter von Küsnacht (Kanton
Zürich), die Grundbuchanmeldung vom 4. September 1987 betreffend
die Liegenschaft Küsnacht GBBl 1554 Kat. Nr. 3083 zu vollziehen
und somit die Eigentumsübertragung und das Wohnrecht im Hauptbuch
einzutragen. Gleichzeitig verlangt sie die aufschiebende Wirkung der
Beschwerde.

    Fanny Waser-Osterwalder hat die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt. Die II. Zivilkammer des
Obergerichts des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet,
während das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement sinngemäss die
Beschwerdegutheissung verlangt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Verfahren gilt es, ausschliesslich darüber zu
befinden, ob der einseitige Rückzug einer Grundbuchanmeldung bis zu deren
Vollzug im Hauptbuch zulässig ist.

    a) Das Obergericht des Kantons Zürich hat diese Frage in
Übereinstimmung mit der langjährigen und ständigen Praxis der
Bundesbehörden und des Bundesgerichts bejaht (vgl. die Entscheide des
Bundesrates und des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in
ZBGR 1/1920, S. 6 und 9/1928, S. 69, sowie BGE 87 I 485, 85 I 168, 83 II
15; offengelassen in BGE 89 II 259 ff. sowie im Entscheid vom 3. März
1983 i.S. 'Alparama AG', veröffentlicht in ZBGR 66/1985, S. 99 ff.).
Der Vorinstanz ist dabei nicht entgangen, dass sich diese Rechtsprechung
im Laufe der Zeit wachsender Kritik ausgesetzt sah. Während sich die
ältere Lehre noch mehrheitlich zustimmend äusserte (OSTERTAG, Kommentar,
2. A. Bern 1917, N. 45 f. zu Art. 963 ZGB; HAAB, Zürich 1977, N. 14
zu Art. 656 ZGB; HAAB in ZBJV 61/1925, S. 299; HOMBURGER, Kommentar,
2. A. Zürich 1938, N. 4, 8 und 9 zu Art. 963 ZGB; A. ANDERMATT, Die
grundbuchliche Anmeldung nach schweizerischem Recht, Diss. Freiburg 1938,
S. 196 ff., und J. AUER, Die Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters,
Diss. Bern 1932, S. 44 ff.), ist diese Rechtsprechung in jüngerer
Zeit fast einhellig auf Ablehnung gestossen (vgl. etwa: DESCHENAUX, Le
registre foncier, Traité de droit privé, Bd. V/II, 2, S. 233 ff., sowie
die Übersetzung im Schweizerischen Privatrecht [SPR] Bd. V/3, S. 279
ff., je mit Hinweisen; W. HOTTINGER, Über den Zeitpunkt der Entstehung
dinglicher Rechte an Grundstücken, Diss. Zürich 1973; W. HOTTINGER in
ZBGR 53/1972, S. 193 ff.; H. HUBER in ZBGR 59/1978, S. 156 ff.; LIVER,
SPR Bd. V/1, S. 140 f. und ZBJV 96/1960, S. 448 f. sowie ZBJV 98/1962,
S. 433 f.; G. LUTZ, System der Eigentumsübertragung an Grundstücken,
Diss. Zürich 1968, S. 97 ff.; MERZ in ZBJV 98/1962, S. 44; REY in 'recht'
1986, S. 126 ff.; STEINAUER, Les droits réels, Bern 1985, S. 188, Rz. 710
ff.; T. WELTERT in SJZ 77/1981, S. 349 ff., auch mit Hinweisen; im übrigen
bereits sehr früh auch WIELAND, Kommentar, Zürich 1909, N. 7 zu Art. 972
ZGB, S. 578; GONVERS-SALLAZ, Le registre foncier suisse, 1938, N. 1 zu
Art. 15 GBV; J. GRADL, Das Grundbuchrecht nach dem Schweizerischen ZGB,
Diss. Erlangen 1913, S. 20 ff.; NUSSBAUM in ZBGR 31/1952, S. 101 ff. und
S. SCHÖNBERG, Zehn Jahre Schweizerisches ZGB, Aarau 1924, S. 13 ff.).

    In Anlehnung an diese Kritik sind in vereinzelten Kantonen von der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung abweichende Entscheidungen ergangen
(vgl. ZBGR 55/1974, S. 13 [Luzern] sowie ZBGR 58/1977, S. 87 [Aargau]).

    b) Das Obergericht hat sich mit der Kritik an der insgesamt nach wie
vor gefestigten Praxis eingehend auseinandergesetzt. Es hat eingeräumt,
die sich gegen die Zulässigkeit des Anmeldungsrückzuges aussprechende
Lehre könne sich darauf berufen, dass ein solcher Rückzug nicht nur die
Rechtssicherheit beeinträchtige, sondern auch den ausgewiesenen Anspruch
des Erwerbers auf Vollzug der Eigentumsübertragung missachte. Als besonders
stossend mute dabei an, dass die mit der Verzögerung der Eintragung im
Hauptbuch entstehende Anspruchsgefährdung mitunter vom blossen Zufall -
wie etwa der konkreten Arbeitslast des Grundbuchverwalters - abhängen
könne. Dieser auch nach Auffassung des Obergerichts unbestreitbaren
Schutzbedürftigkeit des Erwerbers von dinglichen Rechten an Grundstücken
stünden indessen nach wie vor unüberwindbare, im geltenden Grundbuchrecht
begründete Hindernisse entgegen.

    c) Das Obergericht hat seinen Erwägungen das absolute
Eintragungsprinzip des geltenden Sachenrechts vorangestellt, wonach
das Eigentum erst mit der Eintragung im Hauptbuch auf den Erwerber
übergeht. Die Anmeldung dürfe zwar auch als Erfüllung der vertraglichen
Verpflichtung verstanden werden, doch bleibe sie als einseitige Vorkehr des
Veräusserers bis zum Eigentumswechsel widerruflich. Würde demgegenüber -
wie in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichts geschehen - bereits
die Anmeldung als abgeschlossene und unwiderrufliche Verfügung über das
Eigentum aufgefasst, käme dies einer Einschränkung der Rechtsstellung
des Veräusserers und Eigentümers gleich, die sich mit dem zwingenden
Eintragungsprinzip nicht vertrage. Bis zum endgültigen Vollzug der
Anmeldung stehe dem Erwerber lediglich eine obligatorisch wirkende
Anwartschaft zu; eine 'relativ dingliche Anwartschaft' aber, wie sie
im Schrifttum erwogen werde, sei dem schweizerischen Sachenrecht
fremd. Demgemäss habe der Grundbuchverwalter bis zur Eintragung
im Hauptbuch die aus dem Eigentum fliessenden dinglichen Rechte des
Veräusserers und Eigentümers zu achten, während der bloss obligatorische
Anspruch auf künftige dingliche Berechtigung des Erwerbers für ihn ohne
Belang bleibe. Bis zur Eintragung im Hauptbuch lasse sich auch eine
Rechtsausübung durch den Eigentümer nicht verhindern, weshalb diesem auch
der einseitige Anmeldungsrückzug nicht verwehrt werden dürfe.

Erwägung 3

    3.- Im Zusammenhang mit der fraglichen Rechtsausübung sind vom
Obergericht keine Anhaltspunkte ausgemacht worden, nach denen der Rückzug
der Anmeldung rechtsmissbräuchlich erfolgt wäre. Ferner hat das Obergericht
dem Umstand Bedeutung beigemessen, dass der vorliegend beabsichtigten
Eigentumsübertragung eine Schenkung und nicht ein entgeltliches
Rechtsgeschäft zugrunde lag. Dies, weil sich der oder die Beschenkte -
mangels Gegenleistung - nicht im gleichen Masse als schutzbedürftig
erweise wie der Käufer, der selbst auch eine Leistung erbringen müsse
oder bereits erbracht habe. In Anbetracht der tatsächlichen Umstände
verdiene der einseitige Rückzug der Anmeldung vorrangigen Rechtsschutz,
weshalb es - so glaubt das Obergericht - naheliege, die Beschenkte zur
Durchsetzung allfälliger Ansprüche an den Zivilrichter zu verweisen.

    a) Vorweg ist festzuhalten, dass im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Sinne von Art. 103 Abs. 4 GBV
allfällige Zweifel an der Gültigkeit des Verpflichtungsgeschäftes nicht
interessieren. Die Umstände, die im vorliegenden Fall zur Schenkung geführt
haben, mögen trotz der ärztlich bezeugten Urteilsfähigkeit der Schenkerin
eher seltsam anmuten; wie es sich im einzelnen damit verhält, wird indessen
allein vom Zivilrichter zu entscheiden sein. Wohl bleiben die tatsächlichen
Hintergründe der Schenkung ohne jeglichen Einfluss auf den Ausgang des
grundbuchrechtlichen Verfahrens, doch vermag gerade der vorliegende Fall zu
zeigen, dass stets mit mangelhaften Grundgeschäften zu rechnen ist, denen
gegenüber die bisherige Rechtsprechung insofern einen unbestreitbaren
Vorteil aufweist, als sie das Grundbuchberichtigungsverfahren nach
Art. 975 ZGB überflüssig macht. Dabei dürfen freilich all jene Fälle
nicht übersehen werden, in denen sich der anfängliche Verdacht auf ein
fehlerhaftes Verpflichtungsgeschäft vor dem Zivilrichter als haltlos
erweist. Gerade diese Fälle werfen aber die hier wesentliche Frage auf,
ob sich derjenige, der sich über einen Anspruch auf Eigentumsübertragung
auszuweisen vermag, trotz der entsprechenden Anmeldung beim Grundbuch im
Falle einseitigen Rückzuges regelmässig nur mit Schadenersatz begnügen
muss, während sich der rechtsbeständige Anspruch auf Übertragung des
Eigentums - ungeachtet der Möglichkeit der richterlichen Zusprechung
gemäss Art. 665 ZGB - letztlich nicht durchsetzen lässt.

    b) Diese bedeutsame Frage stellt sich - entgegen den anderslautenden
Andeutungen des Obergerichts - ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der
Eigentumsübertragung. Zwar mag es als angezeigt erscheinen, die Bindung
des Schenkenden weniger streng zu handhaben als diejenige zwischen den
Parteien eines Kaufvertrages. Eine solche Entscheidung obliegt indessen
ausschliesslich dem Gesetzgeber, der diesem Gesichtspunkt im Rahmen
der Regelung der einzelnen Vertragsverhältnisse mit den besonderen
schenkungsrechtlichen Widerrufsmöglichkeiten nach Art. 249 und 250 OR
hinlänglich Rechnung getragen hat. Im grundbuchlichen Verfahren der
Eigentumsübertragung aber ist diese unterschiedliche Behandlung von
entgeltlichen und unentgeltlichen Rechtsgeschäften umso weniger angezeigt,
als sich der Erwerber in beiden Fällen durch ein besonderes Schutzbedürfnis
auszeichnen kann; zu denken ist dabei etwa an besondere Aufwendungen,
die er gestützt auf die Grundbuchanmeldung bereits getroffen hat und
die sich mit dem Scheitern der Eigentumsübertragung als nutzlos erweisen
können. Zwar gilt es unter diesen Umständen beim Kauf sehr häufig, einen
Kaufpreis zurückzufordern. Dies allein rechtfertigt indessen nicht, den
Anspruch des Beschenkten auf Eigentumsübertragung im Grundbuchverfahren
anders zu behandeln als jenen des Käufers. Für das Eintragungsverfahren
muss vielmehr entscheidend bleiben, dass in beiden Fällen derselbe Anspruch
auf Eigentumsübertragung in Frage steht.

Erwägung 4

    4.- Gemäss Art. 972 Abs. 1 ZGB entstehen die rechtsgeschäftlich
begründeten dinglichen Rechte durch die Eintragung in das Hauptbuch;
auch ihren Rang und ihr Datum erhalten diese Rechte durch denselben
Vorgang. Die Wirkung der Eintragung wird nach Art. 972 Abs. 2 ZGB auf
den Zeitpunkt der Einschreibung in das Tagebuch zurückbezogen.

    a) Mit diesem sogenannten Eintragungsprinzip ist in Art. 972 ZGB ein
wegleitender Gedanke des schweizerischen Sachenrechts verankert worden,
der - im Bestreben um die Offenlegung dinglicher Rechtspositionen -
auch in anderen Bestimmungen zum Ausdruck gelangt (vgl. auch Art. 656
Abs. 1, 712d, 731 Abs. 1, 746 Abs. 1, 783 Abs. 1, 799 Abs. 1 ZGB;
allgemein DESCHENAUX, SPR, aaO, S. 8 f.; MEIER-HAYOZ, Kommentar, Bern
5. A. 1981, Systematischer Teil, N. 72 ff., sowie 3. A. Bern 1964/1973,
N. 1 zu Art. 656 ZGB). Entstehen demnach beschränkte dingliche Rechte
und geht Eigentum mit sämtlichen damit verbundenen Wirkungen erst mit
der Eintragung im Hauptbuch über, bleibt auch der Veräusserer so lange
Eigentümer, und zwar grundsätzlich mit allen daraus abzuleitenden Rechten,
bis diese Eintragung im Hauptbuch vollzogen wird (vgl. dazu DESCHENAUX,
SPR, aaO, S. 613 f.). Folgerichtig erschöpft sich demgegenüber der
Anspruch des Erwerbers bis zur Eintragung im Hauptbuch, mithin bis zum
Übergang des Eigentums, in einer bloss schuldrechtlichen Forderung
(vgl. Art. 665 Abs. 1 ZGB). Daran ändert auch der Umstand nichts,
dass die Wirkung dieser Eintragung nach Art. 972 Abs. 2 ZGB auf den
Zeitpunkt der Einschreibung in das Tagebuch zurückbezogen wird. Wird
demnach die Frage der Zulässigkeit des einseitigen Rückzuges der
Grundbuchanmeldung ausschliesslich unter diesem Gesichtspunkt des absoluten
Eintragungsprinzips angegangen, besteht tatsächlich keine Veranlassung,
von der bisherigen Betrachtungsweise abzuweichen. Ob freilich diese auch
dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Sichtweise nicht zu eng ist,
ob namentlich die durch Art. 972 Abs. 1 ZGB vorgegebene Rechtslage auch
zwingend zum Schluss führen muss, es lasse sich mit der Stellung des
Veräusserers als Eigentümer nicht vereinbaren, dass sich dieser mit der
Grundbuchanmeldung zugleich seines Verfügungsrechts über das Eigentum
begebe, bleibt im folgenden zu prüfen. Dabei wird ganz wesentlich darauf
abzustellen sein, welche Bedeutung der Grundbuchanmeldung beizumessen ist.

    b) Wie dem Obergericht nicht entgangen ist, hat sich das Bundesgericht
unlängst wiederholt zu dieser Frage geäussert (BGE 111 II 46 E. 4, 110
II 130 E. 2b). Beide Entscheidungen sind zum sogenannten Doppelverkauf
ergangen, und beide Male ist das Bundesgericht zur Auffassung gelangt,
dass zusammen mit der Anmeldung der Eigentumsübertragung im Hinblick
auf die Erfüllung eines bestimmten Verpflichtungsgeschäfts endgültig
über das Eigentum verfügt werde. Demgegenüber hat die Vorinstanz dem
in der Grundbuchanmeldung liegenden Verfügungsakt bloss eine beschränkte
Bedeutung beigemessen; dies, weil in den fraglichen Fällen jeweilen nur
das Verhältnis zwischen den beiden Erwerbern erörtert worden sei, nicht
aber die Stellung des veräussernden Eigentümers zu dem erst im Tagebuch
eingeschriebenen und somit noch nicht dinglich berechtigten Erwerber. Jene
Rangfolge bestimme sich in der Tat nach dem Zeitpunkt der Einschreibung
im Tagebuch, wie dies Art. 972 Abs. 2 ZGB vorsehe, derweil im Verhältnis
zwischen Veräusserer und Erwerber davon auszugehen sei, dass es sich bei
der Grundbuchanmeldung um eine einseitige Vorkehr des bisherigen und bis
zum Übergang des Eigentums allein verfügungsberechtigten Veräusserers
handle, die als solche grundsätzlich widerruflich bleiben müsse.

    c) Inwieweit sich der einseitige Widerruf der Grundbuchanmeldung mit
deren Wesen vereinen lässt, bleibt jedoch fraglich. DESCHENAUX jedenfalls,
auf den das Obergericht sich glaubt berufen zu können, zieht solches nur
insoweit in Betracht, als die Grundbuchanmeldung gleichsam als Antrag in
einem Verwaltungsverfahren in Erscheinung tritt, welches seinen Abschluss
mit der Einschreibung im Hauptbuch finden soll (vgl. in Traité de droit
privé, aaO, S. 237 bei Fn. 67; SPR, aaO, S. 283). Darin erschöpft sich
freilich auch für diesen Autor die Bedeutung der Grundbuchanmeldung ganz
offensichtlich nicht; vielmehr erkennt DESCHENAUX darin zugleich einen
privatrechtlichen, materiellen Gehalt, indem er die Anmeldung als ein auf
vertraglicher Einigung beruhendes Verfügungsgeschäft versteht, das wegen
der Übereinstimmung zwischen Veräusserer und Erwerber dem einseitigen
Widerruf, namentlich durch ersteren, entzogen bleibt (DESCHENAUX, SPR,
aaO, S. 282 f.). Diese wesentlich vom deutschen Recht beeinflusste
Sichtweise des Verfügungsvertrages ist im übrigen bereits von WIELAND
vertreten worden, in ihrer Geltung für das schweizerische Sachenrecht
jedoch nicht unwidersprochen geblieben (vgl. §§ 873, 925 BGB; WIELAND,
aaO, N. 2 zu Art. 963 ZGB, S. 559; dazu auch WIEGAND, Doppelverkauf und
Eigentumserwerb, BN 1985, S. 11 ff., insb. S. 17 f.). So ist auch in
neuerer Zeit vermerkt worden, dass mit der begrifflich unscharfen Figur
des Verfügungsvertrages für die Lösung praktischer Fragen nichts gewonnen
werde; gerade das deutsche Recht zeige, dass mit der sogenannten Einigung
ein Verfügungsvertrag zwar vorausgesetzt werde, dieser dingliche Vertrag
für sich allein indessen keine Bindungswirkung herbeizuführen vermöge,
sondern überdies die Antragsstellung beim Grundbuchverwalter, mithin die
Anmeldung, erfordere und sich darin vom schuldrechtlichen Grundgeschäft
wesentlich unterscheide (WIEGAND, aaO, S. 18 mit Hinweisen; demgegenüber
wiederum DESCHENAUX, SPR, aaO, S. 283 f.).

    Diese in der Lehre geführte Auseinandersetzung muss vorliegend
indessen nicht entschieden werden. Fest steht auf jeden Fall,
dass es der Grundbuchanmeldung bedarf. Ohne Zweifel wird dieser
Anmeldung nicht gerecht, wer darin bloss den auf die Einleitung eines
Verwaltungsverfahrens gerichteten Antrag erkennen will. Vielmehr gilt
heute als allgemein anerkannt, dass der entsprechenden Willenserklärung des
verfügungsberechtigten Veräusserers auch eine materiellrechtliche Wirkung
zukommt; darin besteht grundsätzliche Einigkeit zwischen Rechtsprechung
und Lehre, selbst wenn auch weiterhin verschiedene Rechtsauffassungen
bezüglich der Bedeutung der Grundbuchanmeldung bestehen bleiben (BGE 111
II 46 f. E. 4; 110 II 128 ff., sowie die Übersicht bei DESCHENAUX, SPR,
aaO, S. 280 ff.). Welche Wirkung dieser Willenserklärung zuhanden des
Grundbuchverwalters beizumessen ist, und welche Bedeutung ihr demzufolge
im System des schweizerischen Sachenrechts zukommt, gilt es abschliessend
zu erwägen.

Erwägung 5

    5.- a) Das Bundesgericht hat die Anmeldung im Sinne von Art.
963 Abs. 1 ZGB in seiner jüngsten Rechtsprechung als Verfügung über das
Grundeigentum bezeichnet (BGE 110 II 131 E. 2b und 111 II 46 E. 4). Diese
Auffassung deckt sich mit der heute vorherrschenden Lehre (vgl. bereits
GUHL, Persönliche Rechte mit verstärkter Wirkung, in Festgabe der
Berner Juristischen Fakultät zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens
des Bundesgerichts, 1924, S. 105 f.; HOMBERGER, aaO, N. 4 zu Art. 963
ZGB; LIVER, ZBJV 98/1962, S. 431; LIVER in SPR Bd. V/1, S. 139 und in
ZBJV 122/1986, S. 116; MEIER-HAYOZ, aaO, N. 34 zu Art. 656 ZGB; HUBER,
aaO, sowie REY, aaO, S. 128). Die Grundbuchanmeldung gilt demnach
als Willenserklärung des Eigentümers, die den Grundbuchverwalter
zur Vornahme der im Grundbuch erforderlichen Änderung veranlasst,
wobei mit der Eintragung im Hauptbuch schliesslich der Eigentumswechsel
herbeigeführt wird. Nach der gesetzlichen Ordnung des Grundbuches erfolgt
die Eintragung im Hauptbuch nicht unmittelbar und sofort, sondern es geht
ihr zunächst die Einschreibung im Tagebuch voraus (Art. 948 Abs. 1 ZGB,
Art. 14 GBV). Der Grundbuchverwalter hat aber die Eintragung im Hauptbuch
aufgrund der Einschreibung im Tagebuch und aufgrund der Ausweise so bald
wie möglich vorzunehmen (Art. 26 Abs. 1 GBV). Diese in der Ausgestaltung
des Grundbuches angelegte Mehrstufigkeit des zur Eigentumsübertragung
führenden Verfahrens, dessen Abwicklung zur Änderung des dinglichen
Rechtsbestandes unumgänglich ist, ändert aber nichts an der Tatsache, dass
der Veräusserer mit der Anmeldung seinen auf die Übertragung des Eigentums
abzielenden Geschäftswillen bekundet und damit all das vorgekehrt hat,
was es seinerseits zur Erfüllung seiner Leistungsverpflichtung aus dem
Grundgeschäft bedarf. Der weitere Verlauf des Eintragungsverfahrens,
welches mit der Eintragung im Hauptbuch zum Abschluss gelangt, bleibt
seinem Einfluss entzogen. Dieses Verfahren richtet sich ausschliesslich
nach den Vorschriften in Gesetz und Grundbuchverordnung, wo eine
zusätzliche Mitwirkung des Anmeldenden nicht vorgesehen ist (Art. 948,
963 ff. ZGB; Art. 26 ff. GBV). Freilich garantiert auch die Anmeldung
allein nicht in jedem Fall die Vornahme der Eintragung im Hauptbuch;
immerhin besteht aber Gewähr dafür, dass letztere - und damit der wirksame
Eigentumswechsel - durch den Grundbuchverwalter nur in den gesetzlich
vorgesehenen Ausnahmefällen der begründeten Abweisung einer mit formellen
Mängeln behafteten Grundbuchanmeldung verweigert werden kann (Art. 966
ZGB, Art. 24 GBV). Bereits mit der Einschreibung im Tagebuch aber hat der
Veräusserer im Hinblick auf die Erfüllung seiner Leistungsverpflichtung
seine Rechtsstellung als Eigentümer aufgegeben oder - zur Begründung
eines beschränkten dinglichen Rechts - eingeschränkt.

    b) Tatsächlich ist Art. 972 Abs. 2 ZGB, wonach die Eintragung im
Hauptbuch auf den Zeitpunkt der Einschreibung in das Tagebuch zurückbezogen
wird, nicht zu übersehen. Diese Rückwirkung berechtigt zur Annahme,
dass das Gesetz für die Aufgabe der Rechtsstellung des Veräusserers
bereits der Grundbuchanmeldung, welche die unverzügliche Einschreibung im
Tagebuch nach sich zieht, entscheidende Bedeutung beimisst. Folgerichtig
ist deshalb bereits im früheren Schrifttum darauf verwiesen worden, dass
das Recht des Erwerbers nach der Einschreibung im Tagebuch nicht mehr
durch Beschränkungen der Verfügungsfähigkeit auf seiten des Veräusserers,
sei es durch dessen Tod, Handlungsunfähigkeit, oder sei es durch Beschlag
infolge Pfändung, Arrests oder aber Konkurses, beeinträchtigt werden dürfe
(WIELAND, aaO, N. 8 zu Art. 972 ZGB, S. 578; VON TUHR, Eigentumsübertragung
nach schweizerischem Recht, in ZSR 40/1921, S. 62; OSTERTAG, aaO, N. 8
zu Art. 972 ZGB). Weder die Geltung noch die Bedeutung des absoluten
Eintragungsprinzips können durch diese Betrachtungsweise geschmälert
werden. Daraus ist aber nicht notwendigerweise auch der Schluss zu
ziehen, dass der Veräusserer nach der Einschreibung des neuen Erwerbers
im Tagebuch in seiner Rechtsstellung keinerlei Beschränkung hinzunehmen
hätte. Wie dargelegt, wird mit dem Rückbezug der Wirkung der Eintragung im
Hauptbuch auf den Zeitpunkt der Einschreibung im Tagebuch auf alle Fälle
die Rangfolge sämtlicher dinglichen Rechte festgelegt, die auch bis zum
Vollzug der Einschreibung im Hauptbuch noch begründet, dem im Tagebuch
bereits eingetragenen Erwerber indessen nicht entgegengehalten werden
können (BGE 111 II 46 E. 4). Diese Wirkung der Tagebucheinschreibung
entspricht derjenigen einer Vormerkung nach Art. 960 ZGB, die eine
Verfügungsbeschränkung nach sich zieht (LIVER, ZBJV 96/1960, S. 449;
DESCHENAUX, SPR, aaO, S. 285; sowie REY, aaO, S. 130). Nun ist aber nicht
einzusehen, weshalb diese Rechtsfolge nur gegenüber dem Erwerber sowie
den Berechtigten aus nachträglich begründeten beschränkten dinglichen
Rechten eintreten sollte, nicht aber gegenüber dem veräussernden Noch-
Eigentümer selbst, der seine Verfügung über das Eigentum angemeldet
und dadurch die Einschreibung veranlasst hat. Zwar werden dadurch die
umfassenden Befugnisse des Eigentümers in der Tat beschnitten, doch ist
diese Beschränkung der Verfügungsmacht eben die Folge der Willenserklärung
zuhanden des Grundbuchverwalters, wonach die bisherige Rechtsstellung
aufgegeben wird. Eine vergleichbare Beschränkung der Verfügungsmacht des
Eigentümers ist dem geltenden Sachenrecht nicht unbekannt; spiegelbildlich
trifft das für Art. 656 Abs. 2 ZGB zu, indem zwar ausnahmsweise der
Eigentumserwerb schon vor der Eintragung im Hauptbuch eintritt, der
Erwerber indessen erst nach der Eintragung über das Eigentum verfügen kann.

    c) Den Erwägungen des Obergerichts, wonach die Tagebucheinschreibung
ihre Wirkung nur für das Rangverhältnis mehrerer Erwerber, nicht aber
gegenüber dem Eigentümer selbst entfalte, kann somit nicht gefolgt
werden. In Weiterführung der jüngeren, mit BGE 110 II 131 und 111 II
46 eingeleiteten Rechtsprechung ist mithin an BGE 87 I 485 nicht mehr
festzuhalten. Demnach soll der bisherige, veräussernde Eigentümer keinen
Rechtsschutz mehr geniessen, wenn er die erfolgte Anmeldung der dinglichen
Verfügung vor der Eintragung im Hauptbuch einseitig zurückziehen will.