Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 II 175



115 II 175

30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. April 1989 i.S. W.
gegen W. und Kons. (Berufung) Regeste

    Vorkaufsrecht der Verwandten gemäss Art. 6 und 11 EGG.

    1. Vorkaufsberechtigte können sich auf ihr Recht berufen, wenn ihnen
der Erwerber gemäss Art. 11 EGG im Range nachgeht (E. 3).

    2. Die Annahme eines Vorkaufsfalles oder eines Umgehungsgeschäftes
ist nicht gerechtfertigt, wenn der in seinen wesentlichen Punkten ernst
gemeinte Vertrag nach seinem wirtschaftlichen Gehalt einem Kauf nicht
entspricht (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit Abtretungsvertrag vom 20. Januar 1972 übertrug W.  senior sein
in der Gemeinde H. gelegenes Heimwesen samt Vieh und Fahrhabe auf seinen
Sohn W. junior. Vom Übernahmepreis von insgesamt Fr. 139'500.-- entfielen
Fr. 71'800.-- auf den Hof, der Rest von Fr. 67'700.-- bezog sich auf Vieh
und Fahrhabe.

    W. junior wurde am 12. Dezember 1978 von seiner Frau
R. W.-M. geschieden. Die drei gemeinsamen Töchter gelangten unter
die elterliche Gewalt ihrer Mutter. Der Hof verblieb im Eigentum
von W. junior, wurde aber fortan von der geschiedenen Frau in Pacht
bewirtschaftet. Nachdem diese schliesslich zu ihrem Freund H. V. auf das
benachbarte Gut gezogen war, ersetzte W. junior den laufenden Vertrag
durch zwei neue Pachtverträge für die Dauer von je 20 Jahren und durch
einen Mietvertrag betreffend das Wohnhaus, die er am 11. Oktober und am
24. Dezember 1979 sowie am 10. Januar 1981 mit H. V. abschloss.

    Am 11. Juli 1983 einigte sich W. junior mit seinem Vater in einem
mit "Vergleich" benannten, öffentlich beurkundeten Vertrag auf die
Rückgabe des Heimwesens für Fr. 71'800.--. Die Übernahme bestehender
Pachtverhältnisse schlossen sie dabei ausdrücklich aus. Das Grundbuchamt
trug W. senior noch gleichentags als neuen Eigentümer ins Grundregister
ein. Gleichzeitig unterrichtete es R. W.-M. über die Handänderung unter
Hinweis darauf, dass möglicherweise die Voraussetzungen zur Ausübung des
Verwandtenvorkaufsrechts nach Art. 6 EGG erfüllt seien. Bereits am 20. Juli
1983 übte R. W.-M. dieses Vorkaufsrecht für ihre drei noch minderjährigen
Töchter aus, worauf das Heimwesen durch richterliche Verfügung mit einer
Kanzleisperre belegt wurde.

    B.- In der Folge klagten die drei Töchter beim Bezirksgericht
Pfäffikon/ZH gegen W. senior unter anderem auf Feststellung, dass sie durch
Ausübung des ihnen zustehenden gesetzlichen Vorkaufsrechts an Stelle des
W. senior in den mit W. junior am 11. Juli 1983 abgeschlossenen Kaufvertrag
betreffend Rückübertragung der fraglichen Liegenschaften eingetreten seien.

    Das Bezirksgericht hiess die Klage am 19. März 1985 teilweise gut,
indem es dem Feststellungsbegehren stattgab und das zuständige Grundbuchamt
anwies, die Klägerinnen als Eigentümerinnen des umstrittenen Heimwesens
einzutragen.

    C.- W. senior erklärte Berufung an das Obergericht des Kantons
Zürich. Seine Anträge lauteten auf Klageabweisung und Feststellung,
dass den Klägerinnen kein Vorkaufsrecht zustehe.

    Mit Urteil vom 31. August 1987 wies das Obergericht die Berufung ab
und sprach den Klägerinnen das Eigentum an den streitigen Liegenschaften
zu. Letztere wurden sodann verpflichtet, dem Beklagten Fr. 71'800.--
zu bezahlen.

    D.- Gegen dieses Urteil hat W. senior Berufung an das Bundesgericht
erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und
wiederholt die im kantonalen Verfahren gestellten Anträge.

    Die Klägerinnen schliessen auf Abweisung der Berufung und Bestätigung
des vorinstanzlichen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Wird ein landwirtschaftliches Gewerbe oder werden wesentliche Teile
davon verkauft, so steht gemäss Art. 6 EGG den Nachkommen, dem Ehegatten
und den Eltern des Verkäufers ein Vorkaufsrecht zu. Art. 11 Abs. 1 EGG
regelt sodann die Reihenfolge der berechtigten Verwandten zur Ausübung
des Vorkaufsrechts wie folgt: Kinder, Enkel, Ehegatten, Eltern und -
sofern kantonalrechtlich vorgesehen - Geschwister vor ihren Nachkommen.

    Der Beklagte wirft dem Obergericht die Verletzung von Art. 11 Abs. 1
EGG vor, da es diese Bestimmung trotz Fehlens eines Vorkaufsfalles zur
Anwendung gebracht habe. Auch nach Ansicht des Obergerichts - meint der
Beklagte - gelte die Veräusserung an einen Vorkaufsberechtigten gerade
nicht als Vorkaufsfall. Mit der Rückübereignung des Heimwesens vom Sohn
an ihn selbst sei dem Grundanliegen des EGG, nämlich der Erhaltung der
Beziehungen zwischen Hof und Familie, hinreichend Nachachtung verschafft
worden, weshalb es an der wesentlichsten Voraussetzung, nämlich an der
Veräusserung an einen Dritten gebreche.

    Mit diesen Vorbringen vermag der Beklagte nicht durchzudringen. Das
Obergericht hat die grundsätzliche Besserberechtigung der Klägerinnen
als Nachkommen des Veräusserers gegenüber dessen Vater, dem Beklagten,
mit Recht bejaht. Tatsächlich kann der Verwandtenverkauf nicht zum
vornherein als Ausnahme von Art. 6 Abs. 1 EGG behandelt werden; damit
die in Art. 11 Abs. 1 EGG verankerte Besserstellung bestimmter Verwandter
nicht vereitelt wird, dringt das Vorkaufsrecht je nach dem Rangverhältnis
des Vorkaufsberechtigten gegenüber dem "Käufer" durch (JENNY, Das
bäuerliche Vorkaufsrecht, Diss. Freiburg, Beromünster 1955, S. 84). Dass
das Vorkaufsrecht immer dann versagen soll, wenn die Veräusserung an
einen der gesetzlichen Vorkaufsberechtigten erfolgt (vgl. MEIER-HAYOZ,
Kommentar, 3. A. Bern 1975, N. 64 zu Art. 682 ZGB), kann angesichts
der Rangordnung in Art. 11 Abs. 1 EGG zumindest für den Geltungsbereich
des bäuerlichen Bodenrechts nicht zutreffen. Hier muss vielmehr gelten,
dass der Verkauf eines landwirtschaftlichen Gewerbes an einen im letzten
Glied Vorkaufsberechtigten den besser Berechtigten nicht um sein Recht
bringen darf (D. BINZ-GEHRING, Diss. Bern 1973/74, S. 155 f. lit. c,
unter kritischer Bezugnahme auf MEIER-HAYOZ, aaO; im Ergebnis gleich: A.
JOST, Handkommentar zum EGG, Bern 1953, N. 2 lit. a zu Art. 1 EGG, S. 54
f., A. JOST in: Das neue landwirtschaftliche Bodenrecht der Schweiz,
1954, S. 46; R. HOTZ, Bäuerliches Grundeigentum, in ZSR 98/1979 II 109
ff., insb. S. 126 f.; offengelassen bei O.K. KAUFMANN, Die Neuordnung des
Landwirtschaftsrechts, 1952, S. 45; nicht ganz einschlägig BGE 82 II 468).

Erwägung 4

    4.- a) Das Vorkaufsrecht räumt seinem Inhaber die Befugnis ein,
durch einseitige, vorbehalt- und bedingungslose Erklärung gegenüber
dem Verpflichteten das Eigentum an einer Sache zu erwerben, sofern der
Verpflichtete diese Sache an einen Dritten verkauft. Auch das Vorkaufsrecht
gemäss Art. 6 EGG entspricht grundsätzlich dem vertraglichen Vorkaufsrecht
sowie den gesetzlichen Vorkaufsrechten des Art. 682 ZGB (BGE 111 II
492 E. 3b mit Hinweisen). Objektive Voraussetzung zur Ausübung des
Vorkaufsrechts ist der Eintritt des Vorkaufsfalles; Art. 6 EGG verlangt
dafür den Abschluss eines Kaufvertrages des Vorkaufsverpflichteten
mit einem Dritten. Ob dieser Tatbestand erfüllt ist, beurteilt sich
nicht nach formellen, sondern nach materiellen, wirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Deshalb kann ein Vorkaufsfall durchaus bejaht werden,
obgleich der Form nach kein Kauf abgeschlossen worden ist, nämlich
dann, wenn mit einer anderen Rechtsform ein dem Kauf entsprechender
wirtschaftlicher Zweck erzielt werden soll (MEIER-HAYOZ, in ZBGR 45/1964
S. 267; MEIER-HAYOZ im Kommentar, aaO, NN. 59 ff. zu Art. 682 ZGB sowie
JENNY, aaO, S. 80 ff.). Vorausgesetzt wird demnach ein Rechtsgeschäft,
welches auf dem freien Willen des Veräusserers beruht und auf die
Veräusserung einer Sache gegen Geld gerichtet ist; ferner darf die
Festsetzung dieser Gegenleistung nicht wesentlich von der Person des
Leistungsgegners abhängen (BGE 94 II 343 E. 2). Nicht als Vorkaufsfall
gelten darum etwa die Schenkung, der Erbfall und die Erbteilung sowie
der Verpfründungsvertrag; auch die gemischte Schenkung wird von der
Rechtsprechung und der herrschenden Lehre nicht als Vorkaufsfall betrachtet
(BGE 102 II 250 E. 4, 101 II 62; anders JENNY, aaO, S. 84).

    b) Diese Umschreibung des Vorkaufsfalles vermag all jene
rechtsgeschäftlichen Vorgänge zu erfassen, die - bezogen auf den
wirtschaftlichen Erfolg - einem Kauf gleichkommen. Das ist auch für
die Frage des Umgehungsgeschäftes zu beachten. Durch die generell an
Sinn und Zweck, insbesondere am wirtschaftlichen Gehalt des Geschäftes
anknüpfende Betrachtungsweise kann sich daher ein selbständiger Tatbestand
der Umgehung gar als entbehrlich erweisen (MERZ, Kommentar Bern 1966,
N. 91 zu Art. 2 ZGB, sowie KRAMER, Kommentar, Bern 1986, N. 145 zu Art. 18
OR). Rechtsgeschäfte, die in solch wertender Betrachtungsweise nicht
als Vorkaufsfall zu bezeichnen sind, können somit nur ausnahmsweise
als Umgehungsgeschäft in Erscheinung treten, nämlich wenn sie als
ausgesprochen dolos erscheinen; so namentlich, wenn die entsprechenden
Rechtsakte keinerlei schützenswerte Zwecke verfolgen, sondern lediglich
auf die Vereitelung eines bestimmten Vorkaufsrechts abzielen.

    c) Die Abtretung vom Vater auf den Sohn im Jahre 1972 war unbestritten
im Hinblick auf die künftige Erbfolge veranlasst worden; sie zielte
im wesentlichen darauf ab, die Weiterführung des Gewerbes innerhalb der
Familie des Beklagten sicherzustellen. Dieses Ziel ist durch das Scheitern
des Sohnes im familiären, offenbar aber auch im wirtschaftlichen Bereich,
unerreichbar geworden. Auch hat letzterer mit der Weiterverpachtung an die
Mutter der Klägerinnen, oder vielmehr an deren Freund, sein mangelndes
Interesse an der aktiven Bewirtschaftung des eigenen Gutes hinlänglich
kundgetan. Unter diesen Umständen erweist sich die Annahme, die Rückgabe
an den Beklagten bezwecke in wirtschaftlicher Hinsicht die Aufhebung des
vorgängigen Abtretungsgeschäftes, durchaus als gerechtfertigt.

    Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt
hat, liegen keinerlei Anzeichen für eine Simulationsabsicht vor. Die
Rückübertragung des Heimwesens an den Beklagten zu den verurkundeten
Bedingungen entspricht somit dem tatsächlichen Geschäftswillen der
Beteiligten. Ob der von den Vertragsparteien angestrebte Erfolg
noch mit demjenigen eines Kaufes verglichen werden kann, bleibt
näher zu prüfen. Dabei muss zwar befremden, dass - offensichtlich zur
Vermeidung jeglicher Diskussion über einen Vorkaufsfall der Anschein der
unfreiwilligen Rückübertragung erweckt werden sollte. Dies allein vermag
indessen die Anwendung von Art. 6 EGG solange nicht zu rechtfertigen, als
der im wesentlichen ernst gemeinte Vertrag aufgrund seiner wirtschaftlichen
Zielsetzung nicht als Vorkaufsfall oder als Umgehung des gesetzlichen
Vorkaufsrechts betrachtet werden kann. Dem steht namentlich das 1983
vereinbarte Entgelt entgegen; letzteres richtete sich nicht nach dem
damaligen Marktwert des Heimwesens, sondern ausschliesslich nach der
im Jahre 1972 erfolgten Abtretung, die im Hinblick auf die künftige
Erbfolge ausgestaltet wurde und deshalb als Verwandtenkauf neben der
Entgeltlichkeit bereits auch ein beträchtliches Mass an unentgeltlicher
Zuwendung einschloss. Durch die in der Zwischenzeit erfolgte Wertsteigerung
ist das Ausmass der unentgeltlichen Zuwendung zugunsten des Beklagten noch
zusätzlich angewachsen, wie auch vom Obergericht zutreffend festgehalten
worden ist. Wurde somit die Gegenleistung auch 1983 wesentlich von
der Person des Vertragspartners abhängig gemacht, besteht die einzige
Ähnlichkeit mit einem Kauf in der Verpflichtung zur Eigentumsübertragung,
während das Geschäft als Ganzes einem voll entgeltlichen Vorkaufsfall nicht
entspricht. Auch dies hat das Obergericht zutreffend vermerkt, doch hat es
sich dann mit seiner Schlussfolgerung, wonach sich die mit dem "Vergleich"
beabsichtigte Rückübertragung dennoch als Umgehungsgeschäft erweise,
in Widersprüche verstrickt. Dies gilt insbesondere für den Schluss des
Obergerichts, der tiefe Übernahmepreis sei bloss gewählt worden, um den
"Vergleich" von 1983 als Rückabwicklung des Abtretungsvertrages von 1972
erscheinen zu lassen. Wohl handelten die Vertragsparteien in Kenntnis
der grundsätzlichen Vorkaufsberechtigung der Klägerinnen, was sogar im
"Vergleich" selbst zum Ausdruck gelangte. Auch war es ihr Anliegen,
das entsprechende Vorkaufsrecht nicht entstehen zu lassen, was sie dazu
bewog, die Rückübertragung als unfreiwillige in Erscheinung treten zu
lassen. Das Handeln der Vertragsparteien erweist sich aber insofern
als schützenswert, als für die in Anlehnung an die Übertragung von
1972 vorgenommene Ausgestaltung des "Vergleichs" letztlich nicht die
Umgehung des Verwandtenvorkaufsrechts, sondern vorab der Gedanke der
"restitutio in integrum" einschliesslich der teilweise unentgeltlichen
Zuwendung wegleitend gewesen ist. Würde man - wie das Obergericht -
der Handlungsweise der Vertragsparteien den Schutz versagen, bewirkte
dies, dass schliesslich sämtliche zwischen Verwandten abgeschlossenen
Übereignungsgeschäfte als Vorkaufsfälle oder als Umgehungsgeschäfte
qualifiziert werden müssten. Dies stünde in unhaltbarem Widerspruch zur
Begrenzung des Vorkaufsfalles seitens des Gesetzgebers und schliesslich
auch zum Grundsatz der Privatautonomie. Dies ist vom Obergericht
verkannt worden; durch die Annahme eines Vorkaufsfalles oder vielmehr
eines Umgehungsgeschäftes hat es die Verfügungsfreiheit des Beklagten
allzusehr eingeschränkt und darum Bundesrecht verletzt.

    Erweist sich daher die Handlungsweise der Vertragsparteien als
schützenswert und die Annahme eines Vorkaufsfalles als unbegründet,
erübrigen sich auch zusätzliche Erwägungen zu den weiteren Rügen des
Beklagten. Der angefochtene Entscheid ist als bundesrechtswidrig aufzuheben
und die Klage abzuweisen.