Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 III 97



115 III 97

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Mai 1989 i.S. P.
gegen P. sowie Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts
des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 81 Abs. 1 SchKG; Einwendung der Tilgung gegenüber einem
Rechtsöffnungsgesuch, das sich auf eine richterliche Verpflichtung zur
Leistung von Unterhaltsbeiträgen gemäss Art. 145 ZGB stützt.

    Es ist nicht willkürlich, wenn der Rechtsöffnungsrichter gestützt
auf ein vollstreckbares gerichtliches Urteil betreffend Leistung von
Unterhaltsbeiträgen nach Art. 145 ZGB die definitive Rechtsöffnung
gewährt, obwohl der Schuldner durch Urkunden nachweisen kann, dass er
in früheren Monaten mehr geleistet hat als das, wozu er im betreffenden
Urteil verpflichtet worden ist. Damit ist nur die Zahlung urkundlich
nachgewiesen, nicht aber, dass der Schuldner im entsprechenden Umfang
eine verrechenbare Gegenforderung erworben hat (E. 4a-c).

    Die Tilgung familienrechtlicher Unterhaltsansprüche durch Verrechnung
setzt eine Berechnung der konkreten unverrechenbaren Quote dieser Ansprüche
voraus. Werden mehreren Personen Unterhaltsbeiträge geschuldet, so muss
überdies urkundlich feststehen, für wen die zur Verrechnung gestellten
früheren Mehrbeträge bestimmt waren (Verrechnungsverbot nach Art. 125
Ziff. 2 OR; E. 4d).

Sachverhalt

    A.- Am 1. Mai 1987 wurde P. vom Amtsgerichtspräsidenten II von
Luzern-Land im Verfahren nach Art. 145 ZGB verpflichtet, ab 1. April 1987
an seine Ehefrau und die beiden Kinder Unterhaltsbeiträge von insgesamt Fr.
3'700.-- monatlich zu leisten, zuzüglich des Mietzinses.

    Am 14. April 1988 hiess das Obergericht des Kantons Luzern einen Rekurs
von P. teilweise gut und setzte dessen Unterhaltsbeiträge rückwirkend
ab 1. April 1987 auf Total Fr. 4'300.-- monatlich fest. Da P. die
Unterhaltsbeiträge jedoch bis zum Entscheid des Obergerichts gemäss dem
Urteil des Amtsgerichtspräsidenten bezahlt hatte, entstand eine Differenz
von Fr. 7'226.-- an zuviel bezahlten Beiträgen.

    Um diese Differenz abzutragen, begann P., den zuviel bezahlten
Betrag mit den Unterhaltsbeiträgen zu verrechnen, die nunmehr nach dem
obergerichtlichen Urteil geschuldet waren. Für den Monat Juni 1988 überwies
er seiner Ehefrau zunächst lediglich den Betrag von Fr. 900.--.

    B.- Die Ehefrau betrieb ihren Ehemann P. für die ausstehende
Summe. Dieser erhob Rechtsvorschlag. Mit Entscheid vom 16. August 1988
erteilte der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Land der Ehefrau die
definitive Rechtsöffnung für Fr. 2'400.-- nebst Zins.

    P. erhob hiegegen Rekurs, der vom Obergericht des Kantons Luzern am
5. Januar 1989 abgewiesen wurde.

    C.- P. hat beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er
beantragt u.a., der Entscheid des Obergerichts vom 5. Januar 1989 sei
aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Urteil einer Behörde
des Bundes oder desjenigen Kantons, in welchem die Betreibung angehoben
worden ist, so wird die Rechtsöffnung gewährt, wenn nicht der Betriebene
durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Urteils getilgt
oder gestundet worden ist, oder er die Verjährung anruft (Art. 81 Abs.
1 SchKG).

    a) Die Beschwerdegegnerin hat im Rechtsöffnungsverfahren einen
rechtskräftigen Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vorgelegt,
in welchem der Beschwerdeführer für die Dauer des Scheidungsverfahrens zu
monatlichen Unterhaltsbeiträgen von insgesamt Fr. 4'300.-- verpflichtet
worden ist. Die in Betreibung gesetzte Beitragsforderung für den Monat
Juni 1988 im Betrage von Fr. 2'400.-- beruht daher unbestrittenermassen
auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil im Sinne von Art. 81
Abs. 1 SchKG.

    Unbestritten ist auch, dass der Beschwerdeführer Zahlungsbelege
vorgelegt hat, wonach er bis Ende April 1988 insgesamt Fr. 7'226.--
mehr an die Beschwerdegegnerin bezahlt hat als das, wozu er durch das
obergerichtliche Urteil verpflichtet worden ist. Strittig ist hingegen,
ob der Beschwerdeführer mit den entsprechenden Zahlungsbelegen den
Urkundenbeweis gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG für die Tilgung der in
Betreibung gesetzten Forderung erbracht hat.

    b) Das Obergericht hat diesen Urkundenbeweis als nicht erbracht
erachtet. Es ist davon ausgegangen, ein Schuldner, der behaupte, die in
Betreibung gesetzte Forderung sei durch Verrechnung untergangen, müsse
durch Urkunden den Bestand einer Gegenforderung beweisen. Hiefür genüge
nur eine Urkunde, die ihrerseits zur definitiven oder provisorischen
Rechtsöffnung berechtige. Zudem müsse aus der Urkunde die Höhe der
Forderung hervorgehen. Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden
ergebe sich indes lediglich, dass er gewisse Mehrleistungen erbracht
habe. Ob ihm deswegen aber auch eine Gegenforderung zustehe, sei urkundlich
nicht belegt.

Erwägung 4

    4.- Diese Urteilsbegründung hält jedenfalls vor dem Willkürvorwurf
stand. Nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift darf der Richter im
Rechtsöffnungsverfahren die Einrede der Tilgung nur anerkennen, wenn
dafür der Urkundenbeweis erbracht wird. Sofern die Tilgung auf die
Verrechnung mit einer Gegenforderung gestützt wird, muss nach Lehre und
Rechtsprechung die Gegenforderung des Schuldners ihrerseits durch ein
gerichtliches Urteil im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG oder durch eine
vorbehaltlose Anerkennung der Gegenpartei belegt sein (FRITZSCHE/WALDER,
Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, N 20 zu § 19;
GESSLER, Scheidungsurteile als definitive Rechtsöffnungstitel, SJZ 83/1987,
S. 257; PANCHAUD/CAPREZ, Die Rechtsöffnung, § 144 Ziff. 3). Es entspricht
dem Willen des Gesetzgebers, dass die Möglichkeiten des Schuldners zur
Abwehr im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung eng beschränkt sind;
um jede Verschleppung der Vollstreckung zu verhindern, kann der definitive
Rechtsöffnungstitel daher nur durch einen strikten Gegenbeweis, d.h. mit
völlig eindeutigen Urkunden, entkräftet werden (BGE 104 Ia 15; 102 Ia
367). Dies gilt gerade auch für familienrechtliche Unterhaltsforderungen,
die im materiellen Recht und im Vollstreckungsrecht in verschiedener
Hinsicht privilegiert sind (BGE 104 Ia 16).

    a) Der Beschwerdeführer vertritt den Standpunkt, bei den
Unterhaltsleistungen habe es sich um Akontozahlungen gehandelt,
die unter dem Vorbehalt einer definitiven Abrechnung erfolgt seien,
in der selbstverständlichen Meinung, dass je nach Ausgang des
Rechtsmittelverfahrens eine Rückzahlung bzw. Verrechnung zu erfolgen
habe. Es sei willkürlich und überspitzt, wenn das Obergericht einen
ausdrücklichen Vorbehalt bei den jeweiligen Zahlungen verlange.

    b) Es mag zutreffen, dass der Beschwerdeführer mit der Anfechtung
des amtsgerichtlichen Entscheides vom 1. Mai 1987 gegenüber der
Beschwerdegegnerin klar zu verstehen gegeben hat, in welchem Umfang
er die Beiträge vorbehaltlos zu bezahlen bereit sei. Dies hilft dem
Beschwerdeführer jedoch nicht weiter. Er übersieht, dass damit der
erforderliche Urkundenbeweis für den Bestand seiner Gegenforderung
nicht geleistet ist. Wie das Obergericht zutreffend ausgeführt
hat, beschränkt sich sein Urkundenbeweis auf den Nachweis, dass er
gegenüber der im rechtskräftigen Obergerichtsentscheid festgelegten
Alimentenverpflichtung gewisse Mehrleistungen erbracht hat. Ob er dadurch
auch eine Gegenforderung erworben hat, ist durch die Urkunden hingegen
nicht abgedeckt. Die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach es sich
bei seinen Beitragsleistungen um Akontozahlungen unter dem Vorbehalt der
Abrechnung bzw. Rückzahlung gehandelt habe, setzt vielmehr eine freie
richterliche Würdigung der gesamten Sachlage voraus.

    Welche Bedeutung den vom Beschwerdeführer erbrachten Leistungen
materiellrechtlich zukommt, ist denn auch umstritten. Während der
Beschwerdeführer sinngemäss behauptet, durch seine Mehrleistungen sei
eine Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung entstanden, die nun
zur Verrechnung gestellt werde, beruft sich die Beschwerdegegnerin darauf,
der Beschwerdeführer habe freiwillig eine Nichtschuld bezahlt, die gemäss
Art. 63 OR nicht zurückgefordert werden könne. Zudem sei die Zahlung in
Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt. Diesem Standpunkt hält der
Beschwerdeführer wiederum entgegen, er habe sich in einem entschuldbaren
Irrtum befunden.

    Über solch heikle materiellrechtliche Fragen hat der
Rechtsöffnungsrichter indessen nicht zu befinden. Die Entscheidung dieser
Fragen ist vielmehr dem Sachrichter vorbehalten (BGE 113 III 9 unten
sowie 86). Dasselbe gilt für die Behauptung des Beschwerdeführers, das
Verhalten der Beschwerdegegnerin sei rechtsmissbräuchlich und verstosse
gegen Treu und Glauben. Denn auch die Beantwortung dieser Frage setzt
eine Beurteilung der materiellen Rechtslage voraus.

    c) Nichts anderes ergibt sich aus BGE 113 III 86. Das Bundesgericht hat
dort zunächst das Erfordernis erwähnt, dass im Verfahren der definitiven
Rechtsöffnung bei der Einrede der Tilgung der Forderung durch Verrechnung
die Gegenforderung des Schuldners durch Urkunden nachgewiesen werden
müsse. Unmittelbar daran anschliessend hat es allerdings festgehalten,
jedenfalls unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür sei es
haltbar, wenn der Schuldner durch Urkunden lediglich die Zahlung durch
einen Dritten nachweise, im übrigen aber sonstwie dartue, dass dadurch
ein ihm zustehender Anspruch ins Vermögen des Anspruchsberechtigten
übergegangen sei.

    Hieraus ergibt sich jedoch nichts für den vorliegenden
Fall. Entscheidend war in BGE 113 III 86 nämlich, dass sich der
Schuldner auf eine Gesetzesvorschrift berufen konnte, nach deren klarem
Wortlaut durch die urkundlich nachgewiesene Zahlung ein Anspruch des
Unterhaltsschuldners in das Vermögen der Unterhaltsgläubigerin übergegangen
war. Das Bundesgericht erachtete es daher nicht als willkürlich, dass der
kantonale Rechtsöffnungsrichter die Anrechnung der betreffenden Zahlung
auf die Unterhaltsverpflichtung anerkannt hatte. Im Unterschied dazu
kann der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall keine Gesetzesbestimmung
anführen, welche die Anrechenbarkeit seiner Mehrleistungen auf die nunmehr
geschuldeten Unterhaltsbeiträge bestätigen würde.

    d) Überdies beruft sich die Beschwerdegegnerin auf das
Verrechnungsverbot in Art. 125 Ziff. 2 OR. Nach dieser Gesetzesbestimmung
können Verpflichtungen gegen den Willen des Gläubigers nicht durch
Verrechnung getilgt werden, wenn deren besondere Natur die tatsächliche
Erfüllung an den Gläubiger verlangt, wie Unterhaltsansprüche und
Lohnguthaben, die Zum Unterhalte des Gläubigers und seiner Familie
unbedingt erforderlich sind. Erst nach einer Berechnung der konkreten
unverrechenbaren Quote stünde somit fest, ob es dem Beschwerdeführer
freistand, von den für den Monat Juni 1988 geschuldeten Unterhaltsbeiträgen
von Fr. 4'300.-- den beachtlichen Betrag von Fr. 2'400.-- durch
Verrechnung zu tilgen. Hinzu kommt, dass der Wortlaut der betreffenden
Gesetzesbestimmung zumindest nicht ganz eindeutig ist (vgl. BGE 88
II 311 f.; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
Obligationenrechts, Anm. 76 zu § 78).

    Ferner müsste feststehen, mit welchen Unterhaltsforderungen
verrechnet werden soll. Bekanntlich schuldet der Beschwerdeführer nicht
nur der Beschwerdegegnerin, sondern auch den beiden Kindern bestimmte
Unterhaltsbeiträge. Da der Beschwerdeführer jeweils nur einen Gesamtbetrag
überwiesen hat, müssen seine Mehrleistungen somit vorerst auf die
Forderungen der Kinder und der Beschwerdegegnerin aufgeteilt werden,
um die jeweiligen Mehrbeträge anschliessend mit den entsprechenden
Unterhaltsforderungen zu verrechnen. Dies geht indessen ebenso wie die
Berechnung der unverrechenbaren Quote entschieden über die Prüfungsbefugnis
des Rechtsöffnungsrichters hinaus (vgl. hierzu BGE 111 II 108).