Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 III 71



115 III 71

16. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 15. März 1989 i. S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen (Rekurs)
Regeste

    Verspätete Konkurseingabe (Art. 251 SchKG).

    Eine Forderung der Ausgleichskasse für persönliche AHV/IV/EO-Beiträge
eines Selbständigerwerbenden, die im ausserordentlichen Verfahren gemäss
Art. 24 AHVV festgesetzt worden sind, kann von der Ausgleichskasse
nachträglich zur Kollokation angemeldet werden.

Sachverhalt

    A.- Die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen meldete im Konkurs des
Kurt Feuchtner, Rheineck, am 30. Dezember 1987 eine privilegierte Forderung
von Fr. 18'573.50 für Beiträge der AHV/IV/EO an, wobei es sich teils um
paritätische Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmern handelte, teils
um die persönlichen Beiträge von Kurt Feuchtner als Selbständigerwerbender.

    Am 14. November 1988 meldete die Ausgleichskasse dem Konkursamt
des Kantons St. Gallen eine nachträgliche Forderung von Fr. 4'081.40
an, welche sie auf die am 13./28. Juni 1988 vom Steueramt Rheineck
gemeldete rechtskräftige Steuerveranlagung des Kurt Feuchtner der Jahre
1985 bis 1987 (Konkurseröffnung) aus selbständiger Erwerbstätigkeit
stützte. Das Konkursamt wies diese Forderungseingabe am 30. November
1988 mit der Begründung ab, es handle sich um eine Berichtigung der
bereits rechtskräftig in der 2. Klasse kollozierten Forderung. Nach der
Rechtsprechung (BGE 108 III 82, 106 III 44) könne eine irrtümlich zu
niedrig angemeldete Forderung wegen der Rechtskraft des Kollokationsplans
nicht nachträglich berichtigt werden.

    B.- Über diese Verfügung beschwerte sich die Ausgleichskasse des
Kantons St. Gallen bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und
Konkurs des Kantons St. Gallen. Diese wies die Beschwerde am 23. Januar
1989 ab.

    Demgegenüber hiess die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts den Rekurs der Ausgleichskasse gut und wies das Konkursamt
des Kantons St. Gallen an, die nachträglich angemeldete Forderung zu
kollozieren.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Art. 251 Abs. 1 SchKG sieht die Möglichkeit vor, verspätete
Konkurseingaben noch bis zum Schluss des Konkursverfahrens anzubringen. Der
Gläubiger ist nach Abs. 2 dieser Bestimmung lediglich verpflichtet,
sämtliche durch die Verspätung verursachten Kosten zu tragen, und er kann
zu einem entsprechenden Vorschuss angehalten werden.

    In Einschränkung der an sich klaren Gesetzesvorschrift hat die
Rechtsprechung indessen festgehalten, dass aus Gründen der Rechtssicherheit
und zur Gewährleistung eines geordneten Verfahrens eine nachträgliche
Eingabe nur zugelassen werden könne, wenn es sich bei der nachträglich
angemeldeten Forderung um eine erstmals geltend gemachte Forderung handle
und nicht etwa der rechtskräftig gewordene Kollokationsplan abgeändert
werden wolle. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn der verspätete
Anspruch auf andern tatsächlichen und rechtlichen Vorgängen beruhe als
die früheren Eingaben desselben Gläubigers oder wenn der Gläubiger,
der für seine frühere Forderung einen höheren Betrag oder einen besseren
Rang beansprucht, sich auf neue Tatsachen berufen könne, die er mit der
ersten Eingabe noch nicht geltend machen konnte (BGE 108 III 82 E. 5,
mit Hinweis auf BGE 106 III 44 E. 4 und 106 II 376).

Erwägung 2

    2.- Nach der Meinung der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und
Konkurs des Kantons St. Gallen hat sich die Ausgleichskasse des Kantons
St. Gallen zu Unrecht auf die Art. 22 bis 23ter der Verordnung über die
Alters- und Hinterlassenenversicherung (vom 31. Oktober 1947, SR 831.101;
AHVV) gestützt. Massgeblich sind nach der Auffassung der Aufsichtsbehörde
(wie auch des Konkursamtes des Kantons St. Gallen in seiner Vernehmlassung)
vielmehr die Art. 24 bis 26 AHVV, welche die Festsetzung der Beiträge im
ausserordentlichen Verfahren regeln.

    Es gehe nicht an - führt die Vorinstanz aus -, dass die Ausgleichskasse
als Gläubigerin in einem Konkursverfahren den Eingang der üblichen
Steuermeldung abwarte, bis entsprechende Nachtragsverfügungen allenfalls
gestellt und Nachforderungen angemeldet würden. Aufgrund geltenden Rechts
sei die Rekurrentin gehalten gewesen, die Einschätzung des Gemeinschuldners
selbst vorzunehmen. Die Meldung des Steueramtes und die gestützt darauf
ergangenen Nachtragsverfügungen stellten keine neuen Tatsachen dar, die
eine nachträgliche Anmeldung der Forderung rechtfertigen könnten; denn
aufgrund einer Einschätzung gemäss Art. 24 AHVV wäre die Ausgleichskasse
ohne weiteres in der Lage gewesen, ihre Forderung in der ersten Eingabe
umfassend bekanntzugeben. Zudem beruhe die hier zur Diskussion stehende
Nachforderung auf dem gleichen Rechtsgrund wie die am 30. Dezember 1987
angemeldete Forderung (AHV-Beitragspflicht).

    Demnach handle es sich keineswegs um eine neue, eigenständige
Forderung.

Erwägung 3

    3.- a) Zutreffend sind die Erwägungen der kantonalen Aufsichtsbehörde
insofern, als gesagt wird, die Nachforderung der Ausgleichskasse beruhe
auf demselben Rechtsgrund wie die am 30. Dezember 1987 angemeldete
und rechtskräftig kollozierte Forderung, nämlich auf der Pflicht, neben
paritätischen auch persönliche Beiträge als Selbständigerwerbender an die
Sozialversicherung zu leisten. Doch das allein ist für die Beurteilung der
vorliegenden Streitsache nicht entscheidend. Wesentlich ist vielmehr, dass
die Ausgleichskasse verpflichtet ist, Selbständigerwerbende in einem durch
die Rechtsordnung vorgeschriebenen Verfahren für ihre persönlichen Beiträge
zu veranlagen und auch eine entsprechende Korrektur vorzunehmen, falls
die ursprüngliche Veranlagung mit der letztlich massgebenden Sachlage auf
seiten des Beitragspflichtigen nicht übereinstimmt (Art. 39 und 41 AHVV).

    Im ordentlichen Verfahren gemäss Art. 22 ff. AHVV ermitteln
die Steuerbehörden das für die Berechnung der Beiträge massgebende
Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit aufgrund der rechtskräftigen
Veranlagung für die direkte Bundessteuer. Die Angaben der kantonalen
Steuerbehörden sind für die Ausgleichskasse verbindlich (Art. 23 Abs. 1
und 4 AHVV; BGE 110 V 370 E. 2a, 108 V 178 E. 2a). Können jedoch die
kantonalen Steuerbehörden keine Meldung erstatten oder verzögert sich die
Meldung so, dass die Gefahr eines Beitragsverlustes besteht, so hat die
Ausgleichskasse selber zu bestimmen, aufgrund welches Jahreseinkommens
der Jahresbeitrag festgesetzt wird (Art. 24 AHVV). Bei der Veranlagung
in diesem ausserordentlichen Verfahren steht der Ausgleichskasse aber
nicht völlig freies Ermessen zu; vielmehr muss sie sich auf alle ihr
zur Verfügung stehenden Unterlagen stützen, wozu grundsätzlich auch
die Selbsteinschätzung durch den Beitragspflichtigen gehört (Art. 26
AHVV). Ergibt sich später aus der Meldung der kantonalen Steuerbehörde ein
höheres oder niedrigeres reines Einkommen, so hat die Ausgleichskasse die
Beiträge nachzufordern oder zurückzuerstatten (Art. 25 Abs. 5 AHVV). Eine
solche Nachforderung beruht daher - entgegen der Auffassung der kantonalen
Aufsichtsbehörde und des Konkursamtes - sehr wohl auf neuen Tatsachen,
welche die Ausgleichskasse vorher nicht kannte und auch nicht kennen
konnte.

    b) Im vorliegenden Fall hat die kantonale Aufsichtsbehörde übersehen,
dass die Ausgleichskasse entsprechend den obenerwähnten Vorschriften
zu handeln hatte. Schon die Forderungseingabe vom 30. Dezember 1987
beruhte auf dem ausserordentlichen Verfahren im Sinne von Art. 22 ff.
AHVV. Dass sich die Rekurrentin trotzdem auf die Art. 22 ff. AHVV berief,
hat seinen Grund offenbar darin, dass in der Praxis der Ausgleichskassen
von einer ausserordentlichen Beitragsfestsetzung vor allem dann gesprochen
wird, wenn Sachverhalte des Art. 25 AHVV in Frage stehen (Änderung der
Einkommensgrundlagen; vgl. BGE 110 V 7 ff., 108 V 178 E. 2b, 107 V 4 ff.).

    Jedenfalls geht die kantonale Aufsichtsbehörde zu Unrecht davon
aus, dass die Ausgleichskasse schon mit ihrer ersten Forderungsanmeldung
sämtliche Beitragsforderungen gegenüber Kurt Feuchtner hätte bekanntgeben
können, wenn sie gemäss Art. 24 ff. AHVV vorgegangen wäre. Dafür fehlte
es an den erforderlichen Grundlagen, insbesondere der rechtskräftigen
Steuerveranlagung. Die Rechtsprechung zu Art. 251 SchKG (oben E. 1)
hat ganz andere Sachverhalte als diesen im Auge, soll doch vor allem
vermieden werden, dass mittels verspäteter Konkurseingaben auf unzulässige
Weise ein rechtskräftiger Kollokationsplan zu Fall gebracht und damit
die Rechtssicherheit gefährdet wird. Eine solche unlautere Absicht hat
die Rekurrentin mit ihrer nachträglichen Forderungseingabe gewiss nicht
verfolgt, sondern sie hat im Gegenteil - wie im angefochtenen Entscheid
festgehalten wird - schon in der Konkurseingabe vom 30. Dezember 1987
einen Vorbehalt bezüglich allfälliger späterer Änderungen angebracht.

    c) Die soeben angestellten Überlegungen lassen sich auch durch die
Einwände, welche das Konkursamt in seiner Vernehmlassung geltend macht,
nicht entkräften: Dass eine Revision durch die SUVA vorgenommen wurde,
konnte am Vorgehen der Ausgleichskasse, die von Gesetzes wegen aufgrund
der Meldung der kantonalen Steuerbehörde die Nachforderung stellen musste,
nichts ändern. Es ist nicht Aufgabe der SUVA, sondern der Steuerbehörden,
die Grundlagen für die Festsetzung der AHV/IV/EO-Beiträge aus selbständiger
Erwerbstätigkeit zu liefern. Durch die Revision der SUVA konnten höchstens
- wie es denn auch im vorliegenden Fall geschehen ist - die Angaben über
die paritätischen Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmern vermittelt
werden, und diese Angaben konnten allenfalls ein Indiz für die vorläufige
Schätzung der persönlichen Beiträge von Kurt Feuchtner bilden.