Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 27



115 Ia 27

6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25.
Januar 1989 i.S. Einwohnergemeinde Biel gegen Erbengemeinschaft Benoit,
Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Abbruchverbot aus Denkmalschutzgründen, um eine künftige
Planungsänderung oder -ergänzung zu sichern; Gemeindeautonomie;
Verhältnismässigkeit (Art. 22ter BV); Art. 90 Abs. 1 lit. b OG.

    1. Autonomie der bernischen Gemeinden im Bereich des Landschafts-
und Denkmalschutzes nach Baugesetz und Bauverordnung von 1970 (E. 3b).

    2. Beschwerdegegner, die im kantonalen Verfahren obsiegt haben und
nicht in ihren Rechten verletzt wurden, können sich im Verfahren über eine
von anderer Seite geführte staatsrechtliche Beschwerde gegen unrichtige
Feststellungen und Folgerungen der kantonalen Instanz wenden. Ihre
Ausführungen müssen aber den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
genügen (E. 4a).

    3. Einem Abbruchverbot kann die Aufgabe zukommen, durch Erhaltung
des bestehenden Zustandes die Ergänzung oder Änderung einer Planung
nach Massstäben des Denkmalschutzes zu ermöglichen (E. 4b/bb). Die damit
verbundene Eigentumsbeschränkung ist nicht unverhältnismässig, wenn zur
Zeit die Erstellung von Neubauten nicht möglich ist, bei Abbruch der
Bauten allein kein substanzieller Ertrag ersichtlich ist, aber auch keine
ins Gewicht fallenden Erhaltungsaufwendungen notwendig sind (E. 4b/cc).

Sachverhalt

    A.- Die Erben Benoit sind Eigentümer des aus dem 19.  Jahrhundert
stammenden Bauernhofes samt Ökonomiegebäuden auf Parzelle Biel
Gbbl.-Nr. 4958, welche im Gestaltungsplanperimeter Nr. 5 des
Überbauungsplanes mit Sonderbauvorschriften "Madretsch- Ried" in Biel
liegt. Ein entsprechender Gestaltungsplan steht noch aus.

    Am 7. November 1983 stellten die Erben Benoit ein Gesuch zum Abbruch
aller zum Bauernhof gehörender 6 Gebäude (Nr. 7, 9, 9A, 11, 13 und 15). Die
Einwohnergemeinde Biel bewilligte den Abbruch des Gebäudes Nr. 9A sowie
verschiedener Annexbauten, verweigerte im übrigen aber den Abbruch. Auf
Beschwerde der Erben Benoit hin erteilte der Regierungsrat des Kantons
Bern am 21. Januar 1987 die Bewilligung zum Abbruch sämtlicher Gebäude. Der
Regierungsrat erwog, dass wohl das Hauptgebäude (Nr. 15) und die Hofgruppe
insgesamt schützenswert seien, dass aber den Eigentümern aus finanziellen
Gründen nicht zugemutet werden könne, die Hofgruppe für eine weitere
landwirtschaftliche Nutzung oder blosse Wohnnutzung zu erhalten. Eine
"realistische Nutzung" sei nur unter Mitwirkung der öffentlichen Hand
möglich, wozu sich die Einwohnergemeinde Biel aber nicht bereit erklärt
habe. Die gegen diesen Entscheid von der Einwohnergemeinde Biel und dem
Berner Heimatschutz erhobenen Beschwerden wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern mit Entscheid vom 21. Dezember 1987 ab.

    Das Bundesgericht heisst eine staatsrechtliche Beschwerde der
Einwohnergemeinde Biel gut, mit der eine Verletzung der Gemeindeautonomie
sowie von Art. 4 und Art. 22ter BV gerügt wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- b) Die Einwohnergemeinde Biel hat den Abbruch gestützt auf
das Baugesetz vom 7. Juni 1970 (aBauG) und Art. 6-8 der Bauverordnung
vom 26. November 1970 (aBauV) verweigert. Diese Rechtsgrundlagen
werden von keiner Seite in Frage gestellt. In Art. 6-8 aBauV wird für
bestimmte schützenswerte Objekte die Aufnahme kantonaler und kommunaler
Inventare sowie der Erlass von Schutzmassnahmen durch die Gemeinden
vorgesehen. Schutzmassnahmen können gemäss Art. 8 aBauV insbesondere in der
Festlegung besonderer Schutzgebiete mit Baubeschränkungen oder Bauverboten,
aber auch in individuellen Baubeschränkungen bestehen. Den Gemeinden
steht somit, wie das Bundesgericht bezüglich der Ortsplanung bereits
festgestellt hat (BGE 106 Ia 71 E. 2a; siehe auch Urteil vom 3. Februar
1982 in Zbl 83/1982, S. 352 E. 3a, je mit Hinweisen), im Bereich des
Landschafts- und Denkmalschutzes nach Baugesetz und Bauverordnung von
1970 eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu.

Erwägung 4

    4.- Eine Abbruchverweigerung bedeutet für die Eigentümer eine
Einschränkung ihrer Eigentumsbefugnisse. Eine solche ist nach der
Rechtsprechung mit der Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV) nur vereinbar,
wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse
liegt und verhältnismässig ist; kommt sie einer Enteignung gleich, ist
volle Entschädigung zu leisten (BGE 113 Ia 364 E. 2; siehe auch BGE 109
Ia 258 E. 4 je mit Hinweisen).

    a) In ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde bestreiten die
Beschwerdegegner die Schutzwürdigkeit der streitbezogenen Objekte
und stellen damit das vom Verwaltungsgericht grundsätzlich anerkannte
öffentliche Interesse an der Erhaltung der Hofgruppe in Frage. Diese
Bestreitungen sind zulässig. Da die Beschwerdegegner im kantonalen
Verfahren obsiegt haben und der Entscheid des Verwaltungsgerichtes
sie nicht in ihren Rechten verletzt, steht es ihnen nicht zu, selber
staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Es kann ihnen jedoch nicht versagt
sein, sich in dem von anderer Seite eingeleiteten Beschwerdeverfahren
gegen die in ihren Augen unrichtigen Feststellungen und Folgerungen der
kantonalen Instanz zu wenden (BGE 101 Ia 525 E. 3; siehe auch BGE 89 I 523
E. 4). Die Frage, ob eine Eigentumsbeschränkung durch ein öffentliches
Interesse gedeckt sei und ob dieses die privaten Interessen überwiege,
prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Dabei auferlegt es sich
indessen Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von der Würdigung örtlicher
Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und
überblicken, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen. Diese
Zurückhaltung ist insbesondere auf dem Gebiet des Denkmalschutzes geboten,
da es in erster Linie Sache der Kantone ist, darüber zu befinden, welche
Objekte Schutz verdienen (Urteil des Bundesgerichts vom 2. Juli 1986 in
Zbl 88/1987, S. 541 E. 3c; BGE 109 Ia 259 E. 4).

    Die Beschwerdegegner wenden gegen die Schutzwürdigkeit im wesentlichen
einzig ein, dass die Gebäude baufällig und nicht von einmaliger Natur
oder besonderem Gepräge seien. Auf die von den kantonalen Instanzen
hervorgehobene Bedeutung der Bauten in ihrem Ensemble und im Zusammenhang
mit dem landschaftlichen Umfeld gehen sie nicht ein. Damit genügen
ihre Ausführungen betreffend Schutzwürdigkeit den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG aber nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichts muss zudem bei staatsrechtlichen Beschwerden die Begründung
in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein (BGE 109 Ia 306 E. 1b
mit Hinweisen). Dieser Anforderung hat auch die Vernehmlassung eines
Beschwerdegegners zu entsprechen, wenn er sich gegen die in seinen Augen
unrichtigen Feststellungen und Folgerungen eines kantonalen Entscheides
wendet. Der Hinweis der Beschwerdegegner auf ihre in den Rechtsschriften
des kantonalen Verfahrens gemachten Ausführungen ist daher unbeachtlich.

    Die Einwendungen der Beschwerdegegner vermögen die von der Vorinstanz
festgestellte Schutzwürdigkeit der Liegenschaften aber auch in materieller
Hinsicht nicht in Frage zu stellen. Die kantonale Kommission zur Pflege
der Orts- und Landschaftsbilder (OLK) hat empfohlen, das Hauptgebäude
und einzelne Nebengebäude zu erhalten. Nach der Stelle für Altstadt-
und Denkmalpflege des Hochbauamtes der Stadt Biel soll das Hauptgebäude
Nr. 15 und mindestens ein Nebengebäude erhalten und einer sinnvollen
Nutzung zugeführt werden. Sie stellt fest, dass die Liegenschaft an
das alte Rodungsgebiet des Madretschgebietes und die ursprüngliche
landwirtschaftliche Nutzung erinnere. Die Liegenschaften könnten der
Neubausiedlung eine historische Dimension bieten und als Quartierzentrum
und Identifikationsbasis dienen. Die Denkmalpflege des Kantons Bern hat
in ihrem Mitbericht an den Regierungsrat des Kantons Bern vom 2. Juni 1986
die Schutzwürdigkeit der Hofgruppe ebenfalls bejaht. Als denkmalpflegerisch
besonders wertvoll wurde der Wohnteil des Hauptgebäudes Nr. 15 bezeichnet,
welches ein herrschaftliches Bauernhaus des sogenannten Dreisässen-Haustyps
darstellt. Es zeichne sich aus durch die gut erhaltene originale äussere
und innere Bausubstanz und sei von besonderem kulturgeschichtlichen
Wert, weil es sich um den einzigen noch erhaltenen Vertreter dieses
herrschaftlichen Bauernhaustyps auf Bieler Gemeindegebiet handle. Am
Augenschein mit dem Regierungsstatthalteramt wurden diese Feststellungen
bestätigt; sie in Zweifel zu ziehen, besteht nach den vorliegenden
Unterlagen und aufgrund der Vorbringen der Beschwerdegegner kein Anlass.

    b) Damit eine Eigentumsbeschränkung vor der Eigentumsgarantie
standhält, muss nicht nur der damit angestrebte Zweck im öffentlichen
Interesse liegen. Nach der Rechtsprechung verlangt zudem der Grundsatz der
Verhältnismässigkeit, dass die Eigentumsbeschränkung zur Erreichung des
angestrebten Zieles geeignet und erforderlich ist und dass das verfolgte
Ziel in einem vernünftigen Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln, den
zu seiner Verwirklichung notwendigen Freiheitsbeschränkungen, steht (BGE
111 Ia 27 E. 3b; siehe auch BGE 93 I 707 E. 5 je mit Hinweisen). Dieses
letztere Gebot der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne wird nach dem
Entscheid des Verwaltungsgerichts durch das Abbruchverbot verletzt, weil
sich die Eigentumsbeschränkung im Rahmen der Abwägung von öffentlichen
und privaten Interessen für die Beschwerdegegner als unzumutbar darstelle.

    aa) Das Verwaltungsgericht ging bei der Würdigung der durch das
Abbruchverbot bewirkten Eigentumsbeschränkung wie schon der Regierungsrat
davon aus, dass damit die Pflicht zur kunstgerechten Sanierung verbunden
sei. Eine solche Erhaltung der Hofgruppe könne den Eigentümern nur
zugemutet werden, wenn eine weitere sinnvolle und finanziell tragbare
Nutzung der Gebäude möglich sei. Das sei aber nicht der Fall. Einer
landwirtschaftlichen Nutzung der Parzelle stehe die heutige Planung mit
der für die Wohnnutzung vorgesehenen Bauzone entgegen. Ein sinnvolles
Weiterbestehen der Hofgruppe wäre mit erheblichen Investitionen verbunden
und könnte nur im Rahmen einer öffentlichen oder halböffentlichen Um-
bzw. Neunutzung gewährleistet werden. Diesbezüglich habe aber die
Einwohnergemeinde Biel ausdrücklich erklärt, die Gebäude nicht kaufen
zu wollen und kein Interesse daran zu haben, die Gebäude öffentlichen
Zwecken dienstbar zu machen.

    bb) Das nach Art. 8 aBauV erlassene Abbruchverbot versteht sich
nach Überschrift und Text dieser Bestimmung als Schutzmassnahme gegen
die Beeinträchtigung von besonders geschützten Objekten. Nach der
bestehenden Planung befinden sich die Gebäude in einer für die Wohnnutzung
vorgesehenen Bauzone. Planungsrechtliche Grundlage bildet im weiteren der
Überbauungsplan mit Sonderbauvorschriften "Madretsch-Ried" vom 20. Juni
1978. Nach Art. 4 der Sonderbauvorschriften dürfen Baubewilligungen nur
aufgrund eines Gestaltungsplanes erteilt werden. Ein solcher besteht für
den vorliegenden Perimeter Nr. 5 bislang nicht. Im Rahmen der noch offenen
Planungsfestlegungen können nach Art. 88 Abs. 1 lit. f des Baugesetzes
des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 (neu BauG) nähere Bestimmungen über die
Gestaltung und Restauration von schützenswerten Bauten erlassen werden
(vgl. ALDO ZAUGG, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni
1985, N. 16 zu Art. 88/89 BauG). Art. 128 neu BauG sieht sodann als
ultima ratio die Enteignung für Massnahmen zum Schutze solcher Bauten
vor (ALDO ZAUGG, aaO, N. 7d zu Art. 128/129 BauG). Der bestehende
Überbauungsplan mit Sonderbauvorschriften ging nicht davon aus, dass es
sich bei den umstrittenen um schutzwürdige Bauten handle. Wird mit den
kantonalen Instanzen die Schutzwürdigkeit festgestellt, so wäre deshalb
die Planung im Planungsperimeter Nr. 5, sei es im Rahmen des noch offenen
Gestaltungsplanes, sei es in Ergänzung oder Änderung des Überbauungsplanes,
auf die Rücksichtnahme auf die geschützten Objekte und eine demzufolge
allenfalls nötige Anpassung zu überprüfen (ALDO ZAUGG, aaO, N. 2 zu
Art. 149 BauG). Dabei kann sich die Bedeutung der Schutzwürdigkeit
oder der konkreten Nutzung der Hofbauten je nach der weiteren Planung
verschieden darstellen. Es hiesse, wie die Beschwerdeführerin zu
Recht feststellt, diese künftige Planung ausser acht zu lassen,
wenn heute nur auf eine mögliche Nutzung der Hofbauten abgestellt und
über die wechselseitigen Beziehungen zur künftigen baulichen Umgebung
hinweggesehen würde. Dem Abbruchverbot kommt unter diesen Umständen die
Aufgabe zu, den bestehenden Zustand zu erhalten und die Möglichkeit einer
späteren Sanierung sicherzustellen oder sie jedenfalls nicht durch einen
heutigen Abbruch der Bauten vorzeitig auszuschliessen. Ungeachtet der im
kantonalen Verfahren verneinten Frage, ob der Gestaltungsplan gesetzliche
Voraussetzung einer Abbruchbewilligung darstelle, ist doch festzustellen,
dass mit einem heutigen Abbruch der noch nicht konkretisierten Planung
vorgegriffen würde. Die Beschwerdeführerin rügt deshalb zu Recht, dass der
angefochtene Entscheid den Abbruch erlaubt hat, bevor eine rechtsgenügliche
Konkretisierung oder jedenfalls Prüfung der auf die Schutzwürdigkeit der
Bauten abgestimmten Planung erfolgt ist.

    cc) Anstelle der heutigen Hofgruppe besteht kein Alternativprojekt,
welches für den Fall des Abbruches der Bauten eine sinnvollere und
finanziell tragbare Nutzung des fraglichen Geländes in absehbarer
Zeit ausweisen würde. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der mit
dem Abbruchverbot verbundenen Eigentumsbeschränkung sind deshalb die
heutigen baulichen Verhältnisse mit der bei einem Abbruch der Bauten
zur Zeit nur ohne die Erstellung von Neubauten möglichen Nutzung des
Areals zu vergleichen. Auch bei einem Abbruch der Bauten wäre aber
kein substanzieller Ertrag ersichtlich. Jedenfalls solange keine ins
Gewicht fallenden Erhaltungsaufwendungen notwendig sind, kann die mit dem
Abbruchverbot bewirkte Sicherung des Schutzzweckes auch ohne besonders
einträgliche Nutzung nicht als unverhältnismässig bezeichnet werden. Solche
Erhaltungsaufwendungen sind aber nicht ausgewiesen. Nachdem die Stadt
Biel besondere Sanierungs- und Denkmalpflegemassnahmen nicht angeordnet
hat, können dem Abbruchverbot die für eine Neunutzung veranschlagten
Investitionen jedenfalls solange nicht entgegengehalten werden, als
sich die Erhaltung der Hofbauten nicht aufgrund eines bereinigten
Überbauungsplanes oder eines bewilligungsfähigen Neubauprojektes als
unzumutbar darstellt.