Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 197



115 Ia 197

36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16.
Oktober 1989 i.S. S. und K. und Y. AG gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV (Willkür; Anwaltsgeheimnis im Strafprozess).

    1. Ist ein Rechtsanwalt (einziger) Verwaltungsrat einer Gesellschaft,
für die er gleichzeitig anwaltlich tätig ist, so kann er sich zumindest
nicht generell auf sein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht
berufen; vielmehr ist zwischen seiner (berufsspezifisch) anwaltlichen
und seiner geschäftlichen Tätigkeit zu unterscheiden (E. 3d).
   a) Umfang der Geheimhaltungspflicht des Anwalts (E. 3d/aa).

    b) Abwägung zwischen dem rechtsstaatlichen Interesse am
Anwaltsgeheimnis und dem öffentlichen Interesse an der wirksamen
Strafverfolgung (E. 3d/cc).

    2. Verhältnis des Zeugnisverweigerungsrechts nach ZPO und StPO des
Kantons Zürich (E. 3e).

Sachverhalt

    A.- Die Rechtsanwälte S. und K. waren nacheinander
einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsräte der Y AG. In einem
Strafverfahren gegen Z, welcher angeblich die Y AG beherrscht,
ordnete die Bezirksanwaltschaft Zürich die Zeugeneinvernahme der
Rechtsanwälte an über Wahrnehmungen, welche sie in ihrer Eigenschaft
als Verwaltungsräte der Y AG gemacht haben. Gegen diese Verfügung
rekurrierten die Rechtsanwälte erfolglos bei der Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich. Ihre staatsrechtliche Beschwerde vom 29. April/2. Mai
1988 weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- c) Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Verfügung davon aus, dass
Kenntnisse, die ein Anwalt als Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft über
die betreffende Gesellschaft erworben hat, ihm als Geschäftsmann zugekommen
sind, und damit nicht unter das Berufsgeheimnis fallen. Sie lehnt es daher
ab, den beiden Beschwerdeführern ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §
130 StPO zuzubilligen.

    d) aa) Die Geheimhaltungspflicht des Anwalts erstreckt sich - wie der
Wortlaut von § 130 StPO, aber auch von Art. 321 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und §
14 des Gesetzes über den Rechtsanwaltberuf vom 3. Juli 1938 deutlich zeigen
- nur auf Tatsachen, die ihm von Klienten anvertraut worden sind, um die
Ausübung des Mandats zu ermöglichen, oder die der Anwalt in Ausübung seines
Mandats wahrgenommen hat. Diese Regelung soll dem Anwalt die Ausübung
seines Berufs im öffentlichen Interesse erleichtern. Der Anwaltsberuf
kann nur dann richtig und einwandfrei ausgeübt werden, wenn der Mandant
auf Grund einer unbedingten Garantie der Verschwiegenheit das Vertrauen
zum Anwalt hat. Das Anwaltsgeheimnis soll den Klienten davor schützen,
dass der von ihm beigezogene Anwalt gezwungen wird, ihm unter dem Siegel
der Verschwiegenheit anvertraute Tatsachen bekanntzugeben, obwohl dem
Klienten selber in bezug auf diese Tatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht
zustehen könnte (BGE 112 Ib 606).

    bb) Ist der Anwalt zugleich Verwaltungsrat seiner Klientin, so muss
zwischen der (berufsspezifisch) anwaltlichen und der geschäftlichen
Tätigkeit unterschieden werden (PETER BÖCKLI, Anwaltsgeheimnis
und Fiskus im Rechtsstaat, in: Mitteilungen des Schweizerischen
Anwaltsverbandes 1979, Nr. 64, S. 12; ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, Le
secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, in: Mitteilungen des
Schweizerischen Anwaltsverbandes 1986, Nr. 101, S. 23 ff.; Handbuch über
die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, hrsg. vom VEREIN
ZÜRCHERISCHER RECHTSANWÄLTE, Zürich 1988, S. 103 FN 74a; ROBERT HAUSER,
Der Zeugenbeweis im Strafprozess, Zürich 1974, S. 213). Überwiegt das
kaufmännische Element der Tätigkeit des Anwalts derart, dass sie nicht
mehr als eine anwaltliche betrachtet werden kann, so erstreckt sich das
Berufsgeheimnis darauf nicht mehr umfassend. So hat das Bundesgericht
in einem Rechtshilfeverfahren (BGE 112 Ib 608 E. b mit Hinweisen) und
einem Konkursverfahren (BGE 114 III 107) entschieden; der Grundsatz
gilt sinngemäss auch hier. Also dürfen die Anwälte keine Tatsachen
offenbaren, die ihnen - auch gesellschaftsintern - ausschliesslich in ihrer
Eigenschaft als Anwalt mitgeteilt worden sind; was sie jedoch unabhängig
von ihrer anwaltlichen Tätigkeit als Verwaltungsräte erfahren haben,
untersteht nicht dem Anwaltsgeheimnis, weshalb ihnen diesbezüglich kein
Zeugnisverweigerungsrecht zukommt.

    cc) Dem nicht zuletzt rechtsstaatlichen Interesse am Anwaltsgeheimnis
steht im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einer wirksamen
Strafverfolgung gegenüber. Hier offenbart sich deutlich, dass auch der
Anwalt grundsätzlich, d.h. im Rahmen des Gesetzes (§§ 128 ff. StPO),
zum Zeugnis verpflichtet ist. Bei Personalunion von Anwalt und
Verwaltungsrat deckt sich das Wissen des Anwalts letztlich mit dem
Wissen des Verwaltungsrats. Zwischen Verwaltungsrat und Anwalt einer
Gesellschaft findet im allgemeinen ein Wissensaustausch statt. Das führt
bei Vereinigung der beiden Funktionen in einer Person dazu, dass der
als Verwaltungsrat angesprochene Anwalt Wissen preisgeben muss, welches
- wäre er als Anwalt angesprochen - dem Anwaltsgeheimnis unterstünde
(vgl. BGE 101 Ib 248 E. c). Daraus erhellt, dass die beiden Funktionen
Anwalt und Verwaltungsrat zwar von ein und derselben Person ausgeübt werden
dürfen, bezüglich des Zeugnisverweigerungsrechts die Personalunion aber
aufgespalten werden muss. Eine andere Lösung führte dazu, dass in einem
Gerichtsverfahren der einzige Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft
nicht aussagen müsste, bloss weil er gleichzeitig Anwalt der Gesellschaft
ist. Letztlich hätte dies rechtsmissbräuchliche Besetzungen der
Verwaltungsratsmandate zur Folge, weil durch blosses Einschalten eines
Rechtsanwalts z.B. eine wirksame Verfolgung strafbarer Handlungen im Umfeld
einer Aktiengesellschaft verhindert werden könnte. Unwesentlich ist, ob
der Rechtsanwalt das Verwaltungsratsmandat treuhänderisch ausübt. Gegen
aussen tritt er als Verwaltungsrat auf und ist zum Zeugnis verpflichtet,
weil er die Kenntnisse zur Ausübung seines Mandats ja nicht mit Rücksicht
auf seine berufliche Stellung als Anwalt erfährt, sondern im Hinblick auf
seine Verwaltungsratstätigkeit (vgl. PETER FORSTMOSER, Die aktienrechtliche
Verantwortlichkeit, Zürich 1987, N. 648, 697 und 703).

    Das Bundesgericht hat kürzlich in einem Entscheid, in dem es um
die Herausgabepflicht von Geschäftsakten im Konkurs einer Gesellschaft
ging (Art. 223 Abs. 2 SchKG), analog entschieden: Der Rechtsanwalt,
der zugleich Verwaltungsratsmitglied der Gesellschaft war, hatte als
Verwaltungsratsmitglied die Geschäftskorrespondenz der Gesellschaft,
worunter aber auch die Korrespondenz mit dem Anwalt fiel, herauszugeben
(BGE 114 III 107 f., E. 3a und b). Entscheidend dabei ist, dass die
Verwaltungsratstätigkeit eben nicht zur eigentlichen Anwaltstätigkeit
gehört.

    dd) In Übereinstimmung mit dieser Rechtslage verlangt die Verfügung
der Bezirksanwaltschaft von den Beschwerdeführern ausdrücklich nur die
Aussage über Wahrnehmungen, welche sie in ihrer Eigenschaft als einzeln
zeichnungsberechtigte Verwaltungsräte der Y AG gemacht haben. Grundsätzlich
sind die Beschwerdeführer daher zur Zeugenaussage verpflichtet. Die
Staatsanwaltschaft hat § 130 der StPO nicht willkürlich angewandt. Die
Beschwerde erweist sich als unbegründet.

    e) Die Beschwerdeführer befürchten, die im Strafverfahren gewonnenen
Erkenntnisse könnten missbräuchlich auch im Zivilprozess verwendet
werden. Es ist letztlich eine Frage des kantonalen Zivilprozessrechts,
welche durch Zeugenaussagen in einem Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse
im Zivilverfahren verwendet werden dürfen. Auch das zürcherische Gesetz
über den Zivilprozess vom 13. Juni 1976 (Zivilprozessordnung, ZPO)
kennt ein Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 158 ff.). Es geht dem Wortlaut
nach gleich weit wie dasjenige im Strafprozessrecht. Daher kann das
Strafverfahren nicht dazu missbraucht werden, zu Auskünften von Zeugen
zu gelangen, die in einem Zivilverfahren nicht erhältlich wären. Die
Befürchtungen der Beschwerdeführer sind daher unbegründet.