Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 85



114 IV 85

27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Dezember
1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen
X. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 44 StGB; ambulante Behandlung mit aufgeschobener Strafe.

    1. Wenn die angeordnete ambulante Behandlung zwar nicht angetreten
worden ist, die Drogenfreiheit jedoch durch eine andere, freiwillig
durchgeführte Therapie (z.B. den Eintritt in ein ausländisches
Drogenentzugszentrum) dennoch erreicht worden ist, kann auf den Vollzug
der zugunsten der Massnahme aufgeschobenen Strafe nachträglich verzichtet
werden, wenn zu befürchten ist, dass der Strafvollzug den eingetretenen
Erfolg erheblich gefährdet oder vereitelt (E. 3).

    2. Im Falle einer stationären Behandlung kann die freiwillige
Therapie unter Umständen auf die Strafe angerechnet werden, auch wenn
sie im Ausland durchgeführt worden ist (E. 4).

    3. Die zugunsten der ambulanten Behandlung aufgeschobene Strafe kann
nachträglich bedingt vollziehbar erklärt werden (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Der drogenabhängige X. wurde am 21. Dezember 1984 durch das
Kantonsgericht Schaffhausen unter anderem wegen Betäubungsmittelvergehen zu
zehn Monaten Gefängnis, abzüglich 115 Tage erstandener Untersuchungshaft,
verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aufgeschoben und eine
ambulante Drogenentzugstherapie i.S. von Art. 44 Ziff. 1 und 6 i.V. mit
Art. 43 Ziff. 2 StGB angeordnet. Auflagen und konkrete Weisungen dazu
enthielt der Entscheid nicht. Das begründete Urteil wurde im Juli 1985
zugestellt, weshalb sich die Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen
erst ein halbes Jahr nach Urteilsfällung mit dem Vollzug der ambulanten
Behandlung befassen konnte. Inzwischen war X. wieder straffällig geworden,
und in der Folge wurde die Massnahme nicht angetreten.

    Von Dezember 1985 bis 24. Januar 1986 befand sich X. erneut wegen
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz in Haft. Eine weitere
Verhaftung erfolgte am 3. April 1986 wegen Einbruchdiebstahls und
Übertretung des BetmG.

    Am 7. April 1986 entwich X. aus der psychiatrischen Klinik
Breitenau. Er begab sich nach Frankreich und weilte bis zum 1. August
1986 in der Drogenentzugsstation "Le Patriarche". In der Folge lebte er
drogenfrei in Paris und am 5. Januar 1988 stellte er sich freiwillig beim
Verhöramt Schaffhausen.

    Wegen der zwischen Februar 1985 und April 1986 begangenen Delikte (u.a.
BetmG-Vergehen) wurde X. am 24. Februar 1988 durch das Kantonsgericht
Schaffhausen zu acht Monaten Gefängnis (unbedingt), abzüglich 99 Tage
Untersuchungshaft, verurteilt. Nach der Verbüssung von zwei Dritteln
der Strafe konnte er am 27. April 1988 bedingt aus dem Strafvollzug
entlassen werden.

    B.- Nachdem die Staatsanwaltschaft bereits im September 1985
den Vollzug der am 21. Dezember 1984 zugunsten der ambulanten
Drogenentzugstherapie aufgeschobenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten
Gefängnis beantragt hatte, befasste sich das Kantonsgericht Schaffhausen
erst am 18. März 1988 mit diesem Begehren; es entschied, auf den Vollzug
der Strafe werde verzichtet. Dagegen führte die Staatsanwaltschaft des
Kantons Schaffhausen Beschwerde.

    Am 8. Juli 1988 hiess das Obergericht des Kantons Schaffhausen die
Beschwerde teilweise gut und erkannte, der Vollzug der am 21. Dezember
1984 ausgesprochenen Freiheitsstrafe werde bedingt aufgeschoben bei
einer Probezeit von zwei Jahren. Nebst den seinerzeit abgezogenen 115
Tagen Untersuchungshaft wurden weitere 89 Tage Massnahmenvollzug (im
"Le Patriarche") angerechnet.

    C.- Mit der vorliegenden eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, es sei der
angefochtene Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen "zur Anordnung des Vollzuges der vom
Kantonsgericht am 21. Dezember 1984 ausgefällten und zugunsten einer
ambulanten Massnahme aufgeschobenen Strafe von 10 Monaten Gefängnis unter
Anrechnung von 115 Tagen Untersuchungshaft, aber ohne Anrechnung der 1986
in einer ausländischen Drogenentzugsinstitution verbrachten Zeit und ohne
nachträgliche Gewährung des bedingten Strafvollzuges".

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht stellte fest, der Beschwerdegegner habe den
Ausstieg aus dem Drogenmilieu geschafft und lebe heute drogenfrei; dies
habe er erreicht, weil er während dreier Monate eine Drogenentzugstherapie
(im "Le Patriarche" in Frankreich) "unter erheblichen finanziellen
Opfern" durchgeführt habe; wenn er nun die aufgeschobene Strafe noch
verbüssen müsste, würde seine Resozialisierung, die schon vor Antritt
der am 24. Februar 1988 auferlegten Gefängnisstrafe begonnen habe,
ernsthaft gefährdet.

    Die Vorinstanz ging demgegenüber davon aus, die seinerzeitige
Anordnung einer ambulanten Massnahme habe sich als unzweckmässig erwiesen
und das Kantonsgericht hätte bereits früher entscheiden müssen, ob
der Beschwerdegegner gemäss Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB in eine Heil-
oder Pflegeanstalt einzuweisen oder ob die aufgeschobene Strafe noch zu
vollstrecken sei; im Aufenthalt in einem französischen Drogenentzugszentrum
könne kein vollwertiger Ersatz für die angeordnete, aber noch nicht
durchgeführte ambulante Behandlung gesehen werden; am ehesten dem Sinn der
gesetzlichen Ordnung entspreche es, wenn man die Therapie in Frankreich als
erfolgreich abgeschlossene, vom Kantonsgericht nachträglich akzeptierte,
stationäre Massnahme i.S. von Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB auffasse; als
"nachträglich genehmigt" habe auch das Fehlen eines Entlassungsbeschlusses
der zuständigen Behörde gemäss Art. 44 Ziff. 4 Abs. 1 StGB zu gelten;
folglich sei Art. 44 Ziffer 5 anwendbar; da die Massnahme erfolgreich
gewesen sei und die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Art. 41
Ziff. 1 StGB erfüllt seien, könne der bedingte Vollzug für die zehnmonatige
Gefängnisstrafe gewährt werden.

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall wurde die ambulante Massnahme in der
Schweiz nicht angetreten. Dennoch ist nach der Feststellung der Vorinstanz
davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner "seit der erfolgreich
durchgeführten Drogenentzugstherapie (in Frankreich) eine nachhaltige
Persönlichkeitsveränderung erfahren (hat), die im heutigen Zeitpunkt
eine günstige Prognose zulässt". Es stellt sich die Frage, was mit der
aufgeschobenen Strafe zu geschehen hat, wenn die angeordnete ambulante
Massnahme in der Schweiz gar nicht begonnen worden ist, das angestrebte
Ziel der Drogenfreiheit auf andere Weise jedoch trotzdem erreicht
wurde, in casu durch den freiwilligen Eintritt des Beschwerdegegners
in ein ausländisches Drogenentzugszentrum. Für diese Sachlage enthält
das Gesetz keine ausdrückliche Bestimmung, da weder eine begonnene,
nachträglich als misslungen und unzweckmässig erscheinende Behandlung,
noch eine erfolgreiche, vom Gericht oder der Vollzugsbehörde angeordnete
Massnahme zu beurteilen ist.

    Im Entwurf der Expertenkommission von 1959 wurde bei den Massnahmen
für geistig Abnorme bestimmt, dass der Richter den Vollzug der zugunsten
einer ambulanten Behandlung aufgeschobenen Strafe anordnet, wenn sich
der Verurteilte, bei dem eine Anstaltseinweisung nicht als notwendig
erscheint, "böswillig" der ambulanten Massnahme entzieht (Art. 44bis
Ziff. 3 Abs. 3 des Entwurfes, zitiert nach FRAUENFELDER, Die ambulante
Behandlung geistig Abnormer und Süchtiger als strafrechtliche Massnahme
nach Art. 43 und 44 StGB, Diss. ZH 1978, S. 13). Der Entwurf des
Bundesrates von 1965 und der heute geltende Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2
StGB sehen demgegenüber vor, der Entscheid über den Vollzug der Strafe
nach einer als unzweckmässig aufgehobenen ambulanten Behandlung werde
ganz ins richterliche Ermessen gestellt, unbekümmert darum, ob sich
der Täter der Behandlung entzogen habe oder nicht (FRAUENFELDER, aaO,
S. 14-18, insbesondere S. 15). Dasselbe gilt auch für Art. 44 StGB,
der die Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen zum Gegenstand hat
(REHBERG, ZStR 93/1977, S. 198 bei Fn. 76).

    Nach diesen Ausführungen kann bei der Beurteilung der oben
aufgeworfenen Frage jedenfalls nicht allein darauf abgestellt werden, ob
der Betroffene die Massnahme angetreten hat oder nicht. Es ergibt sich
aus dem Gesetz nicht, nach welchen Kriterien der Richter die Frage zu
entscheiden hat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Hauptzweck
der Massnahmen die Besserung des Täters und damit die Bekämpfung der
Rückfallgefahr darstellt. Folgerichtig kann nach einer Entlassung aus der
(durchgeführten) Massnahme denn auch vom Vollzug der Strafe abgesehen
werden, wenn zu befürchten ist, dass der Strafvollzug den Erfolg der
Massnahme erheblich gefährdet oder gar vereitelt (Art. 43 Ziff. 5 Abs. 1,
44 Ziff. 5 StGB).

    Dieser Aspekt kann auch dann nicht ausser acht gelassen werden,
wenn die angeordnete ambulante Massnahme zwar nicht begonnen worden,
die Heilung oder Suchtfreiheit jedoch gleichwohl eingetreten ist. Dies
muss jedenfalls dann gelten, wenn der Betroffene - wie hier - sich einer
(wenn auch nicht der vom Gericht angeordneten) Behandlung unterzogen hat,
um von seiner Sucht loszukommen. Denn unter diesen Umständen dürfte die
Feststellung, die gerichtlich angeordnete ambulante Behandlung sei aus
Gründen "gescheitert", die vom Verurteilten zu vertreten sind, nur mehr
formell zutreffen und den Tatsachen nicht gerecht werden. Nebenbei ist
darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall den kantonalen Behörden der
Vorwurf gemacht werden muss, nicht mit dem nötigen Nachdruck auf den Beginn
und die Durchführung der ambulanten Massnahme hingewirkt zu haben; so wurde
das mündlich eröffnete Urteil der Vollzugsbehörde erst ein halbes Jahr
später schriftlich mitgeteilt. In Fällen der vorliegenden Art überzeugt
schliesslich auch der Einwand nicht, der Täter entgehe jeder Sanktion, da
nicht einmal die gerichtlich angeordnete Massnahme vollzogen worden sei;
das Entscheidende ist, dass der Betreffende selber einen Einsatz geleistet
hat, der der gerichtlich angeordneten ambulanten oder stationären Massnahme
gleichkommt, um von seiner Sucht wegzukommen. Hat ein solcher Einsatz
Erfolg, dann soll dieser genauso wenig durch den nachträglichen Vollzug
einer aufgeschobenen Strafe gefährdet oder zunichte gemacht werden wie ein
Erfolg der gerichtlich angeordneten Massnahme. Es ist an dieser Stelle
zu betonen, dass es im vorliegenden Verfahren nicht mehr um die Prüfung
geht, ob seinerzeit der Strafvollzug zu Recht zugunsten der ambulanten
Behandlung aufgeschoben worden ist; es geht heute nur noch darum, über
das Schicksal der aufgeschobenen Strafe zu befinden.

    Im Lichte dieser Überlegungen erscheint der Entscheid des
Kantonsgerichts vom 18. März 1988 jedenfalls dann als zutreffend,
wenn feststeht, dass der nachträgliche Vollzug der Freiheitsstrafe den
Resozialisierungserfolg gefährdet. Die Frage, ob ein solcher Erfolg
tatsächlich eingetreten ist und durch den Strafvollzug gefährdet werden
könnte, ist in Fällen der vorliegenden Art jedoch zunächst (analog zu
Art. 44 Ziff. 5 StGB) der zuständigen Behörde (oder einem Fachmann,
wenn sich die zuständige Behörde mit dem Fall gar nicht befasst hat)
zur Prüfung vorzulegen, bevor der Richter entscheidet.

    b) Das Obergericht ging davon aus, die stationäre Massnahme im "Le
Patriarche" und das Fehlen des "Entlassungsbeschlusses" seien durch das
Kantonsgericht "nachträglich akzeptiert" worden. Mag dies hinsichtlich
der Massnahme noch angehen, so verletzt der nachträgliche Verzicht auf
einen Entlassungsbeschluss sowohl Ziff. 3 als auch Ziff. 5 von Art. 44
StGB (s. oben E. 3a, letzter Absatz). Die Vorinstanz nahm offenbar
Zuflucht zu dieser gewagten Konstruktion, da sie den nachträglichen
Vollzug als unbefriedigend betrachtete und davon ausging, der Vollzug
der aufgeschobenen Strafe würde die eingetretene Resozialisierung
beeinträchtigen. Ob dies zutrifft, kann jedoch nicht aufgrund der
"allgemeinen Lebenserfahrung" beurteilt werden, sondern muss ebenfalls
Gegenstand eines fachkundigen Berichtes sein, der sich mit der gesamten
momentanen Situation des Beschwerdegegners befasst. Es ist darauf
hinzuweisen, dass es um eine bereits 1984 ausgesprochene Freiheitsstrafe
geht, die zwecks Heilung aufgeschoben wurde und deren nachträglicher
Vollzug den Beschwerdegegner bei der heutigen Situation besonders
empfindlich treffen dürfte.

    c) Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist demnach
gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht wird
zu prüfen haben, ob vom Vollzug der seinerzeit aufgeschobenen Strafe
abgesehen werden kann oder ob die Strafe nachträglich verbüsst werden
muss. Sie wird dabei insbesondere einen Bericht darüber einzuholen haben,
inwieweit beim Beschwerdegegner ein Resozialisierungserfolg eingetreten
ist und ob dieser durch den nachträglichen Vollzug der Strafe aus dem
Jahre 1984 in Frage gestellt würde.

Erwägung 4

    4.- Sollte die Vorinstanz zum Schluss kommen, auf den Vollzug
der Strafe könne nicht verzichtet werden, so stellt sich die Frage,
ob und inwieweit die Dauer des Aufenthaltes in der Entzugsstation "Le
Patriarche" auf die Dauer der Strafe anzurechnen ist. Die erste Instanz
hatte sich mit dieser Frage nicht zu befassen, da sie vom Vollzug der
Strafe absah. Demgegenüber hat das Obergericht diesbezüglich 89 Tage
angerechnet, "da die freiwillig durchgeführte Drogenentzugstherapie
in stationärer Behandlung dem formell angeordneten und auch formell
aufgehobenen Aufenthalt in einer Heilanstalt gleichzusetzen ist".

    Zu prüfen ist, ob und inwieweit Art. 44 Ziff. 5 Satz 3 StGB auf den
vorliegenden Fall anwendbar ist, wonach die Dauer des Freiheitsentzuges
durch den Vollzug der Massnahme in einer Anstalt auf die Dauer der bei
ihrer Anordnung aufgeschobenen Strafe anzurechnen ist. Im Zusammenhang mit
einer ambulanten Behandlung kommt diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut
grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Behandlung mindestens
teilweise stationär erfolgt ist.

    Nach Ansicht der Vorinstanz ist der Aufenthalt des Beschwerdegegners
im "Le Patriarche" als stationär zu betrachten. Es sind in diesem
Zusammenhang zwei Umstände zu beachten: Erstens wurde die Behandlung
in der Drogenstation "Le Patriarche" nicht vom Gericht oder der
zuständigen Behörde angeordnet, und zweitens befindet sich die Anstalt
in Frankreich. Es stellt sich folglich die Frage, ob eine nicht von
schweizerischen Straf- oder Vollzugsbehörden angeordnete und im Ausland
durchgeführte stationäre Behandlung auf die Dauer der aufgeschobenen Strafe
angerechnet werden könne. Auch für diese Frage enthält das Gesetz keine
ausdrückliche Lösung, da es nur auf die gerichtlich angeordnete und in
der Schweiz durchgeführte Behandlung zugeschnitten ist.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können privat gewählte
Anstaltsaufenthalte dann auf eine Strafe angerechnet werden, wenn
die freiwillig durchgeführte Massnahme eine vom Richter anzuordnende
Sanktion mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung der
Strafverfolgungsbehörden antizipiert hat; einen Anstaltsaufenthalt, den
das Gericht nicht angeordnet hätte, braucht es auch bei der nachträglichen
Beurteilung nicht zu berücksichtigen (BGE 105 IV 299 E. 2). Im zitierten
bundesgerichtlichen Präjudiz wurde eine Freiheitsstrafe als durch den
Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt getilgt erachtet, wobei dieser
Aufenthalt im Anschluss an die gerichtlich angeordnete psychiatrische
Begutachtung, aber noch vor Fällung des erstinstanzlichen Urteils
stattgefunden hatte.

    Der heute zu beurteilende Fall ist in wesentlichen Punkten anders
gelagert als das genannte Präjudiz des Bundesgerichtes. Zunächst erkannte
das Kantonsgericht auf eine ambulante Behandlung, die in der Folge nicht
begonnen wurde. Der Richter konnte sich zu jenem Zeitpunkt gar nicht
mit dem Drogenentzug im "Le Patriarche" befassen, da dieser noch gar
nicht zur Diskussion stand. Der Beschwerdegegner unterzog sich in der
Folge dieser Therapie, ohne mit dem Richter oder den Vollzugsbehörden
Kontakt aufzunehmen.

    Nun stellt das Obergericht aber für das Bundesgericht verbindlich
fest, das Kantonsgericht habe die erfolgreich durchgeführte Massnahme
"nachträglich akzeptiert". Es stellt sich die Frage, ob auch in einem
solchen Fall analog zu BGE 105 IV 297 ff. der freiwillig absolvierte
Aufenthalt in einer Heilanstalt auf die Strafe angerechnet werden
darf. Gegen eine solche Lösung spricht nichts. Es wäre sachlich nicht
gerechtfertigt und würde überdies dem Resozialisierungsziel widersprechen,
wenn das Gericht zwar eine von ihm ausdrücklich angeordnete oder eine
vorgängige, von ihm im Strafurteil nachträglich akzeptierte Massnahme
anrechnen dürfte, nicht aber eine Massnahme, die der Betroffene selber
gewählt hat und die in etwa einer stationären Massnahme des schweizerischen
Rechts entspricht. Letztere Voraussetzung ist nach Ansicht der Vorinstanz
erfüllt. Worauf sie diese Annahme stützt, sagt sie jedoch nicht. Dies wäre
nachzuholen, wenn im neuen Entscheid der Aufenthalt im "Le Patriarche"
auf die vollziehbar erklärte Strafe angerechnet werden sollte.

    Dass der Drogenentzug im Ausland stattgefunden hat, ändert nichts. Auch
in solchen Fällen kann der erkennende Richter abklären, ob die Beschränkung
der persönlichen Freiheit in der ausländischen Institution ungefähr
dem Freiheitsentzug in einer schweizerischen Heil- und Pflegeanstalt
gleichkommt. Diese Frage hat das Obergericht bejaht. Wie erwähnt, wird
sich der neue Entscheid dazu noch näher auszusprechen haben.

Erwägung 5

    5.- Was den bedingten Vollzug der Strafe betrifft, hatte das
Kantonsgericht seinerzeit am 21. Dezember 1984 die Strafe, deren
Vollzug zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben wurde,
zu Recht unbedingt ausgesprochen (vgl. dazu FRAUENFELDER, aaO, S. 97
f.). Einer nachträglichen Umwandlung dieser unbedingten Strafe in eine
bedingt aufgeschobene scheint der Gesetzeswortlaut entgegen zu stehen,
wonach zu entscheiden ist, ob und inwieweit die Strafe noch vollstreckt
werden soll. Das Bundesgericht hat denn auch unter dem alten Recht in
bezug auf den vermindert zurechnungsfähigen Täter entschieden, der
Ausdruck "inwieweit" beziehe sich auf die Dauer des anzurechnenden
Massnahmevollzuges (BGE 73 IV 3 E. 1; ebenso REHBERG, ZStR 93/1977,
S. 188 f.).

    Diese Rechtsprechung ist auf berechtigte Kritik gestossen (SCHULTZ,
Strafrecht AT II, 4. Aufl., S. 40; FRAUENFELDER, aaO, S. 168; Obergericht
des Kantons Zürich in ZR 80/1981, Nr. 47, S. 146 ff.), und die Frage
wurde beim trunk- und rauschgiftsüchtigen Täter durch kantonale Behörden
denn auch anders entschieden (s. Obergericht des Kantons Bern in ZBJV
109/1973, S. 128; 82/1946 S. 266 f.). Die Frage, ob der nachträgliche
Vollzug angeordnet werden muss, beurteilt sich in erster Linie darnach,
inwieweit beim Betroffenen eine Besserung eingetreten ist und inwieweit
diese Besserung durch den nachträglichen Vollzug in Frage gestellt
würde. SCHULTZ bemerkt dazu richtig, dass der bedingte Strafvollzug
einen Anreiz für künftiges Wohlverhalten darstellt und sich deshalb
günstig auswirken kann. Da (auch nach Meinung der Beschwerdeführerin)
weder der Gesetzeswortlaut noch die Materialien (vgl. BBl 1965 I S. 577)
die Möglichkeit des nachträglichen bedingten Strafvollzuges ausschliessen,
ist diese der formalistischen Betrachtungsweise vorzuziehen, wonach der
unbedingte Strafvollzug mit dem ursprünglichen Strafurteil Rechtskraft
erlangt habe. Diesem Einwand kann schon deshalb keine entscheidende
Bedeutung zukommen, weil vom Vollzug der Strafe überhaupt abgesehen
werden kann.

    Was die Beschwerdeführerin gegen die hier vertretene Auffassung
vorbringt, überzeugt nicht. Der Variantenreichtum im Massnahmerecht
ist von der Sache her begründet, da das Ziel der Resozialisierung
individuell möglichst angepasste Lösungen verlangt. Auch hat es der
Gesetzgeber in Fällen, in welchen sich eine Massnahme als angezeigt
erweist, bewusst in Kauf genommen, dass bis zur endgültigen Erledigung
geraume Zeit verstreichen kann. Was die Frage der Prognose betrifft,
ist es durchaus sachgerecht, von der heutigen Situation auszugehen,
denn die zwischenzeitlich durchgeführte Massnahme ist für die Frage der
Zukunftsaussichten von erheblicher Bedeutung; dass dem Beschwerdegegner
im Entscheid vom 24. Februar 1988 aus objektiven Gründen der bedingte
Strafvollzug verweigert werden musste, ändert daran nichts; in diesem
Urteil ging es um noch gar nicht beurteilte Straftaten, und nach der
ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2
StGB war der bedingte Vollzug ausgeschlossen, da der Beschwerdegegner
vorgängig mehr als drei Monate Untersuchungshaft erstanden hatte; dass
hier ein Widerspruch zu liegen scheint, ist auf die besonderen Umstände
des vorliegenden Falles zurückzuführen, in welchem aussergewöhnlich spät
über den nachträglichen Vollzug der seinerzeit zugunsten der ambulanten
Behandlung aufgeschobenen Strafe zu entscheiden ist. In diesem Punkt
erweist sich die von der Vorinstanz gefundene Lösung als vertretbar.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird gutgeheissen,
der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 8. Juli
1988 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückgewiesen.