Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 78



114 IV 78

24. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 25. April 1988 i.S.
Generalprokurator des Kantons Bern gegen Procureur général du canton de
Genève Regeste

    Art. 350 Ziff. 1 StGB; Gerichtsstand.

    Angehoben ist die Untersuchung bei Offizialdelikten mit dem Eingang
der Strafanzeige bei der zuständigen Behörde; dazu genügt die mündlich
erstattete Anzeige des Geschädigten, selbst wenn das kantonale Prozessrecht
vorschreibt, die Anzeige sei schriftlich einzureichen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 350 Ziff. 1 StGB sind, wird jemand wegen mehrerer,
an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, die mit
der gleichen Strafe bedroht sind, die Behörden des Ortes zuständig, wo
die Untersuchung zuerst angehoben wird. Nach ständiger Rechtsprechung
gilt bei Offizialdelikten die Strafuntersuchung mit dem Eingang einer
Strafanzeige bei der zuständigen Behörde, insbesondere der gerichtlichen
Polizei, als angehoben (BGE 106 IV 34 E. 3c mit Hinweisen). Umstritten ist
im vorliegenden Fall einzig, ob eine schriftliche Anzeige erforderlich
sei, oder ob eine mündlich erstattete Anzeige des Geschädigten genüge,
um die Strafverfolgung in Gang zu setzen.

    b) Der Strafanspruch steht ausschliesslich dem Staat zu (BGE 108
Ia 99 E. 1 mit Hinweisen). Um ihn durchzusetzen, sind die staatlichen
Organe grundsätzlich verpflichtet, bei jedem Verdacht - auch ohne Anzeige
eines Betroffenen, ja sogar gegen dessen Willen - die Strafverfolgung
einzuleiten, d.h. von Amtes wegen zu handeln (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch
des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, Basel 1984, S. 126 f.;
GÉRARD PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, Lausanne 1987, S. 151
N 680). Dieser Regel kommt in Anbetracht des staatlichen Monopols zur
Strafverfolgung allgemeine Gültigkeit zu; sie hat denn auch in der einen
oder anderen Form in sämtliche kantonale Strafprozessordnungen Eingang
gefunden (PIQUEREZ, aaO, S. 151 N 680). Genügt demnach das blosse Wissen um
eine möglicherweise verübte, als Offizialdelikt strafbare Handlung, damit
die Organe der gerichtlichen Polizei tätig werden müssen, so kann es nicht
darauf ankommen, in welcher Form sie durch den Betroffenen davon erfahren
haben; ob dieser seine Mitteilung schriftlich oder nur mündlich erstatte,
bleibt daher ohne Belang, selbst wenn das kantonale Strafprozessrecht
vorschreibt, eine Strafanzeige sei schriftlich einzureichen. Etwas
anderes anzunehmen hiesse, den feststehenden Grundsatz missachten,
wonach das kantonale Verfahrensrecht die Durchsetzung des materiellen
Bundesrechts nicht erschweren oder gar verhindern darf (BGE 108 Ia 101
E. 3a), und auf die uneingeschränkte Anwendung der bundesrechtlichen
Gerichtsstandsvorschriften, welche ihrem Wesen nach eine einheitliche
sein muss (BGE 68 IV 5 f. E. 4), zu verzichten.