Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 44



114 IV 44

15. Urteil des Kassationshofes vom 6. Juni 1988 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 320 StGB. Verletzung des Amtsgeheimnisses.

    Begriff des Amtsgeheimnisses (E. 2).

    Begriff des Offenbarens. Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am Abend des 12. April 1985 rief der damalige Chef der
Stadtpolizei Chur, N., die Einsatzzentrale der Stadtpolizei Chur
an und erteilte dem dort als Einsatzleiter amtenden Polizeikorporal
R. zuhanden einer Dienstgruppe einen Befehl betreffend Überprüfung einer
Helikopter-Flugbewilligung. N. gab R. dabei unter anderem bekannt,
dass Z. vom Paraclub Rätia gegen einen gewissen S. eine "Anzeige"
wegen Fehlens der erforderlichen Flugbewilligung erstattet habe. Im
Verlauf dieses Telefongesprächs, das usanzgemäss mit einem von den
PTT-Betrieben bewilligten Aufnahmegerät aufgezeichnet wurde, wies
N. Polizeikorporal R. zurecht und liess sich dabei zu unbeherrschten
Äusserungen hinreissen. Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus,
dass ein Missverständnis vorlag, und die Beteiligten entschuldigten
sich gegenseitig.

    Nachdem Polizeimann X. noch während seines Nachtdienstes vom 12. auf
den 13. April 1985 das Gespräch zwischen N. und R. in der Einsatzzentrale
ab Tonband abgehört hatte, wollte er sich dieses Gespräch als Beweismittel
für den ihm und andern Polizeibeamten nicht genehmen Führungsstil des
Polizeichefs sichern. Er holte daher noch während des Nachtdienstes
anlässlich einer Patrouillenfahrt aus seiner Wohnung ein privates
Tonbandgerät und überspielte das Telefongespräch zwischen N. und R. vom
Tonträger der Einsatzzentrale auf eine eigene Tonbandkassette. Diese
bewahrte er in der Folge in seiner Wohnung auf.

    Im Verlauf eines Abends im Herbst 1985 spielte X. in seiner
Wohnung vor seinen im privaten Rahmen anwesenden Gästen, nämlich dem
Untersuchungsrichter A. und dessen Freundin J., mittels des Tonbandes
einen Auszug aus dem fraglichen Telefongespräch ab, und zwar jene Stelle,
in welcher Polizeichef N. den Polizeikorporal R. energisch zurechtweist
und dabei unter anderem erklärt, dass er von Herrn Z. vom Paraclub eine
Anzeige erhalten habe.

    Im Anschluss an die am 11. März 1986 abgehaltene Generalversammlung
des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter, Sektion Chur, spätestens am
17. März 1986, übergab X. die erwähnte Tonbandkassette treuhänderisch an
Rechtsanwalt B., dem damaligen Präsidenten der genannten Verbandssektion,
der sie in der Folge für sich abspielte, und am 11. April 1986
händigte X. die Kassette der Behörde aus, die am 4. April 1986 eine
Strafuntersuchung wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses eröffnet hatte.

    B.- Der Kreisgerichtsausschuss Chur verurteilte X. am 8. April 1987
wegen wiederholter Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1
StGB) zu einer Busse von Fr. 300.--, bedingt vorzeitig löschbar bei einer
Probezeit von einem Jahr. Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
wies die vom Gebüssten erhobene Berufung am 16. Dezember 1987 ab.

    C.- Der Gebüsste ficht den Entscheid des Kantonsgerichtsausschusses
von Graubünden sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit
eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren stellt er
den Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur
neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird wegen Verletzung des
Amtsgeheimnisses mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer ein Geheimnis
offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder
als Beamter anvertraut worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder
dienstlichen Stellung wahrgenommen hat. Die Vorinstanz begründete die
Verurteilung des Beschwerdeführers wegen wiederholter Verletzung des
Amtsgeheimnisses damit, er habe:

    - im Herbst 1985 anlässlich eines geselligen Abends dem

    Untersuchungsrichter A. und dessen Freundin J. durch Abspielen eines

    Auszugs aus dem Telefongespräch zwischen Polizeichef N. und

    Polizeikorporal R. die vom Polizeichef dabei erwähnte Tatsache
offenbart,
   dass ein Herr Z. vom Paraclub eine offizielle Anzeige eingereicht hatte,

    - und an einem Tag in der Zeit zwischen dem 11. und dem 17. März 1986

    Rechtsanwalt B., dem Präsidenten der Sektion Chur des Verbandes

    Schweizerischer Polizeibeamter, die Tonbandkassette betreffend das

    Telefongespräch zwischen N. und R. treuhänderisch übergeben und
ihm damit
   die vom Polizeichef erwähnte Tatsache zugänglich gemacht, dass ein
   Herr Z.  vom Paraclub Rätia gegen einen gewissen Herrn S. "Anzeige"
   wegen Fehlens einer erforderlichen Flugbewilligung erstattet hatte.

    Tatobjekt ist somit einzig die vom Polizeichef im fraglichen
Telefongespräch erwähnte Tatsache der Einreichung einer Anzeige Z. (gegen
S. wegen Fehlens einer Flugbewilligung). Es ist daher lediglich zu
prüfen, ob diese Tatsache ein Geheimnis und ob gegebenenfalls deren
Mitteilung an A. und J. bzw. an B. eine gemäss Art. 320 StGB strafbare
Geheimnisoffenbarung sei. Nicht zu untersuchen ist dagegen, ob die
Bekanntgabe der unbeherrschten Äusserungen des Polizeichefs gegenüber
dem Polizeikorporal eine Geheimnisoffenbarung und ob diese angesichts
der damals herrschenden Situation im Churer Polizeikorps gerechtfertigt
gewesen sei; die diesbezüglichen eingehenden Ausführungen in der
Nichtigkeitsbeschwerde gehen daher an der Sache vorbei.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hatte die Tatsache der Anzeigeerstattung
Z. gegen S. unbestrittenermassen in seiner amtlichen Stellung als
Polizeibeamter wahrgenommen. Er war bezüglich dieser Tatsache nach
dem einschlägigen kommunalen Recht grundsätzlich zur Verschwiegenheit
verpflichtet, und dies war ihm unbestrittenermassen bekannt. Die
Tatsache der Anzeige Z. gegen S. war nach der zutreffenden Auffassung
der Vorinstanz ein Geheimnis. Die Beteiligten hatten ein berechtigtes
Interesse und Z. hatte erklärtermassen den Willen, diese Tatsache
geheimzuhalten. Sie war nach den für den Kassationshof verbindlichen
tatsächlichen Feststellungen des Kantonsgerichtsausschusses, die
gemäss den Ausführungen im Urteil zur staatsrechtlichen Beschwerde
vertretbar sind, im Herbst 1985 bzw. im März 1986 mehreren Angehörigen
des Polizeikorps und einem begrenzten Kreis von Drittpersonen, darunter
den Redaktionsmitgliedern und einigen Mitarbeitern der Bündner Zeitung,
bekannt und damit nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz entgegen der
Meinung des Beschwerdeführers weder offenkundig noch allgemein zugänglich.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht sodann im wesentlichen geltend, die
Mitteilung der fraglichen Anzeige Z. (gegen S.) sei keine Offenbarung
im Sinne von Art. 320 StGB, da sowohl Untersuchungsrichter A. als auch
Rechtsanwalt B. einer qualifizierten Geheimhaltungspflicht unterstanden;
sie sei jedenfalls angesichts der Missstände, die damals im Churer
Polizeikorps herrschten, nicht rechtswidrig; zumindest habe er sich in
der gegebenen Situation zu seinem Vorgehen berechtigt fühlen dürfen,
zumal auch andere Beamte im Rahmen der Behandlung polizeiinterner
Angelegenheiten dem Verbandspräsidenten B. Amtsgeheimnisse offenbart
hätten, welche unbeteiligte Drittpersonen betreffende Tatsachen zum
Gegenstand hatten. Diese Einwände gehen zum grossen Teil an der Sache
vorbei und sind im übrigen unbegründet.

    a) Als der Beschwerdeführer im Herbst 1985 anlässlich eines geselligen
Abends in seiner Wohnung die Tonbandkassette betreffend das Telefongespräch
zwischen N. und R. auszugsweise abspielte, war auch J. anwesend. Nach den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die gemäss den Ausführungen
im Urteil des Kassationshofes zur staatsrechtlichen Beschwerde vertretbar
sind, hörte sich auch J. die Tonbandaufnahme an. Ob der Beschwerdeführer
sich dessen bewusst war, wie die Vorinstanz festhielt, kann vorliegend
dahingestellt bleiben; selbst wenn er entsprechend seinen Behauptungen
während des Abspielens der Kassette sein Augenmerk ausschliesslich auf das
Tonbandgerät gerichtet haben sollte, nahm er in der gegebenen Sachlage
zumindest in Kauf, dass auch J. das aufgezeichnete Telefongespräch
zwischen N. und R. hörte. J. unterstand aber unbestrittenermassen keiner
Geheimhaltungspflicht, und es lagen offensichtlich keine Gründe vor,
die den Beschwerdeführer berechtigten, ihr die Tatsache der Anzeige
Z. zu offenbaren.

    Der Beschwerdeführer spielte die fragliche Tonbandkassette auszugsweise
vor Untersuchungsrichter A. ab, weil er dessen Meinung als Jurist über
das Verhalten des Polizeichefs gegenüber dem Polizeikorporal erfahren
wollte. Er erwartete nicht, dass A. aufgrund des Gehörten die Einleitung
irgendeines Verfahrens gegen den Polizeichef veranlassen werde, sondern
er ging im Gegenteil in Übereinstimmung mit A. davon aus, dass über das
aufgezeichnete Gespräch und die Tonbandaufnahme als solche Stillschweigen
bewahrt werde. A. nahm die Tatsache der Anzeige Z. somit nicht in seiner
amtlichen Stellung, sondern als Privatmann wahr, und die vereinbarte
Diskretion beruhte daher entgegen der Meinung des Beschwerdeführers
nicht auf einer durch Art. 320 StGB strafrechtlich sanktionierten
Geheimhaltungspflicht.

    Ob der Beschwerdeführer B. die Tonbandkassette betreffend das
Telefongespräch zwischen N. und R. nicht nur in dessen Eigenschaft als
Präsident der Sektion Chur des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter,
sondern auch in dessen Eigenschaft als Rechtsanwalt treuhänderisch
überliess, wie er behauptet, und ob B. daher einer qualifizierten
Geheimhaltungspflicht (siehe Art. 321 StGB) unterstand, kann aus
nachstehenden Gründen dahingestellt bleiben.

    b) Die Mitteilung eines Geheimnisses an eine Drittperson ist
entgegen den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde auch dann eine
Offenbarung im Sinne von Art. 320 StGB, wenn die Drittperson ihrerseits
einer Geheimhaltungspflicht untersteht und die fragliche Tatsache auch
nach der Mitteilung noch ein Geheimnis darstellt (SCHULTZ, Die Verletzung
des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320 StGB, Kriminalistik 1979, S. 371;
SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar zum dt.StGB, 22. Aufl., N. 19 zu § 203
dt.StGB). Die Bekanntgabe der Strafanzeige Z. durch den Beschwerdeführer
an A. bzw. an B. wäre dann keine tatbestandsmässige Offenbarung, wenn sie
dem ordentlichen Dienstweg entsprochen hätte (vgl. auch SCHULTZ, op.cit.,
S. 371 f.; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, N. 8 zu § 353 dt.StGB). Das war
vorliegend offensichtlich nicht der Fall.

    Die Mitteilung der Anzeige Z. wäre dann nicht rechtswidrig, wenn sie
durch einen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund (z.B. im Sinne von Art. 32
StGB) oder durch einen aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund (etwa die
Wahrung berechtigter Interessen) gedeckt wäre. Das trifft vorliegend
entgegen der Meinung des Beschwerdeführers schon deshalb nicht zu,
weil die Anzeige Z. (gegen S. wegen Fehlens einer Flugbewilligung) mit
dem umstrittenen Führungsstil des Polizeichefs bzw. mit den damaligen
Missständen im Churer Polizeikorps offensichtlich und auch für den
Beschwerdeführer erkennbar nichts zu tun hatte. Selbst wenn man dem
Beschwerdeführer zubilligen wollte, er habe sich in der gegebenen Situation
berechtigt gefühlt, A. bzw. B. von den unbeherrschten Äusserungen des
Polizeichefs gegenüber dem Polizeikorporal Mitteilung zu machen, wäre
die vorliegend allein zur Diskussion stehende Bekanntgabe der Anzeige
Z. rechtswidrig, da die Offenbarung dieses Geheimnisses auch für den
Beschwerdeführer erkennbar zur Begründung der gegen den Polizeichef
erhobenen Vorwürfe bzw. zur Darstellung der Missstände im Churer
Polizeikorps völlig unnötig, ohne Schwierigkeiten vermeidbar und daher
unverhältnismässig war.

    Dem Beschwerdeführer kann auch nicht Rechtsirrtum zugebilligt
werden. Er vermag nicht darzulegen, inwiefern andere Beamte im Rahmen
der Auseinandersetzungen um die Situation im Churer Polizeikorps dem
Verbandspräsidenten B. in ähnlicher Weise unnötig Geheimnisse unbeteiligter
Drittpersonen offenbart hätten. Vergleichbare Amtsgeheimnisverletzungen
anderer Beamter boten dem Beschwerdeführer im übrigen keine zureichenden
Gründe zur Annahme, er tue überhaupt nichts Unrechtes.

    c) Gewiss ging es dem Beschwerdeführer nicht darum,
Untersuchungsrichter A. und dessen Freundin J. sowie Rechtsanwalt
B. die Tatsache mitzuteilen, dass Z. eine Anzeige erstattet hatte,
sondern lag ihm vielmehr daran, ihnen anhand eines Beispiels vorzuführen,
zu welchen unbeherrschten Äusserungen sich der Polizeichef gegenüber
Untergebenen hinreissen lassen konnte. Das ändert indessen nichts daran,
dass der Beschwerdeführer, dem der Inhalt der Tonbandaufnahme bekannt war,
vorsätzlich auch jene Tatsache offenbarte. Es wäre ein leichtes gewesen,
die Namen des Anzeigers und des Angezeigten unkenntlich zu machen.

    d) Da die Tatsache der Anzeige Z. gegen S. nichts mit den Missständen
im Churer Polizeikorps zu tun hatte, die den Beschwerdeführer bedrängten
und ihm unhaltbar erschienen, ist in bezug auf die Mitteilung jener
Tatsache weder der Strafmilderungsgrund der schweren Bedrängnis noch
jener der achtungswerten Beweggründe gegeben. Dem geringen Verschulden
des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz bei der Strafzumessung im Rahmen
von Art. 63 StGB gebührend Rechnung getragen.