Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 36



114 IV 36

13. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juni 1988 in Sachen X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 305 StGB. Begünstigung.

    Begünstigung durch Beherbergen einer polizeilich gesuchten Person
für die Dauer einer Nacht.

Sachverhalt

    A.- X. machte zusammen mit seiner Ehefrau anlässlich eines
Ferienaufenthalts in Paris im Frühjahr 1985 die Bekanntschaft mit
S. und dessen Freundin R. Zu einem späteren Zeitpunkt im Verlaufe des
Jahres 1985 übergab er S. auf dessen Bitten darlehensweise Fr. 1'000.--
als Startkapital für ein neues Geschäft, obschon er vermutete, dass er
das Geld nicht zurückerhalten werde. Anfang Dezember 1986 meldete sich
S. wieder bei X. Er teilte ihm mit, dass seine Freundin für längere Zeit
nach Amerika verreist sei und er daher keine Bleibe mehr habe. X. nahm
S. in sein Einfamilienhaus in Z. auf, das er zusammen mit seiner Ehefrau
und seinen zwei Kindern bewohnte. Am 1. Februar 1987 setzte er S. vor die
Tür, nachdem in seinem Haus eine tätliche Auseinandersetzung zwischen
S. und dessen Freundin, die inzwischen aus Amerika zurückgekehrt war,
stattgefunden hatte.

    Am 4. Februar 1987 erstattete X. Strafanzeige gegen Unbekannt wegen
Diebstahls von Silbermünzen und 2'000 Franken Bargeld etc., wobei er in der
Folge S. als möglichen Täter bezeichnete. Im Rahmen der Ermittlungen wurde
bei der Durchsicht des schweizerischen Fahndungsregisters festgestellt,
dass S. steckbrieflich gesucht wurde und zur Verhaftung ausgeschrieben
war. Dies wurde X. noch am 4. Februar 1987 mitgeteilt. X. machte sich
daraufhin sofort auf die Suche nach S. und fand diesen in Begleitung
seiner Freundin am späten Abend des 4. Februar 1987 in einem Restaurant in
Richterswil. S. wusste nicht, wo er die Nacht verbringen sollte, da seine
Freundin ihn nicht in ihrer Wohnung übernachten lassen wollte. X. gewährte
S. daher auf dessen Bitten hin für die Dauer einer Nacht in seinem
Haus Unterkunft, nachdem er ihn erfolglos aufgefordert hatte, sich der
Polizei zu stellen. Am nächsten Morgen verliess S. das Haus um 6.45 Uhr,
noch bevor ein Mitglied der Familie X. aufgestanden war. S. konnte am
6. Februar 1987 aufgrund eines anonymen Hinweises in einem Restaurant in
Wädenswil verhaftet werden.

    B.- Das Bezirksgericht Höfe verurteilte X. am 23. November 1987 wegen
Begünstigung zu einer Gefängnisstrafe von 5 Tagen, bedingt vollziehbar
bei einer Probezeit von 2 Jahren. Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz
bestätigte am 15. März 1988 im Berufungsverfahren den Schuldspruch und
reduzierte die Strafe auf 3 Tage Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer
Probezeit von 2 Jahren.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom
15. März 1988 sei aufzuheben und die Sache sei zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wer jemanden der Strafverfolgung, dem Strafvollzug oder dem Vollzug
einer der in Art. 42-44 und 100bis StGB vorgesehenen Massnahmen entzieht,
wird gemäss Art. 305 Abs. 1 StGB wegen Begünstigung mit Gefängnis bestraft.

    Gegenstand des angefochtenen Urteils ist einzig die Gewährung von
Unterkunft für die Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1987.

    a) Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass das Beherbergen
einer polizeilich gesuchten Person den Tatbestand der Begünstigung
erfüllen kann. Er macht geltend, dass die ihm zur Last gelegte Gewährung
von Unterkunft für die Dauer von 6 bis 7 Nachtstunden jedenfalls unter den
konkreten Umständen des vorliegenden Falles nicht als "Entziehen" im Sinne
von Art. 305 StGB qualifiziert werden könne, da dadurch die polizeiliche
Suche nicht "stark erschwert", die Flucht nicht "in entscheidender Weise
unterstützt" und die gesuchte Person nicht "tatsächlich mindestens für eine
gewisse Zeit" der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug entzogen worden sei
und somit die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 106 IV 192
mit Hinweisen) genannten Voraussetzungen für die Bejahung des objektiven
Tatbestandes der Begünstigung entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht
erfüllt seien. Er setzt sich auch mit dem Urteil des Kassationshofes
vom 6. November 1987 in Sachen M. (auszugsweise publiziert in BJM 1988
S. 96 f.) auseinander, wonach die Gewährung von Unterkunft für die Dauer
einer Nacht den objektiven Tatbestand der Begünstigung erfüllt. Nach
Ansicht des Beschwerdeführers darf die Frage, ob das Beherbergen einer
flüchtigen Person den objektiven Tatbestand von Art. 305 StGB erfülle,
nicht schematisch behandelt werden, sondern ist entscheidend, "ob durch
die Handlung des Täters die Wahrscheinlichkeit bedeutend verringert worden
ist, dass der Gesuchte von der zuständigen Behörde gefunden wird". Diese
Frage ist nach Auffassung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände zu verneinen. Seines Erachtens
ist angesichts der Tatsachen, dass S. sich bereits seit Monaten auf der
Flucht befand, zweimal unbehelligt die Landesgrenze überschritt, sich seit
längerer Zeit im Raum Ausserschwyz/linkes Zürichseeufer aufhielt, sowie
unter Berücksichtigung der Umstände, dass die Polizei nachts lediglich
einen Bereitschaftsdienst für Notfälle unterhält und wegen der Kälte
naturgemäss nur wenige Personen unterwegs waren, durch die Gewährung von
Unterkunft für 6 bis 7 Nachtstunden die Wahrscheinlichkeit, dass S. von
der Polizei gefunden werde, nur unwesentlich reduziert worden.

    b) Diese Ausführungen des Beschwerdeführers geben keinen Anlass
zur Änderung der im Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1987 in
Sachen M. wiedergegebenen Rechtsprechung. Nach der in BJM 1988 S. 95
ff. nicht veröffentlichten Erwägung 5a dieses Entscheides ist es in vielen
Fällen schwierig und oft unmöglich abzuschätzen, was geschehen wäre,
wenn die Tathandlung unterblieben wäre. Zur Bejahung des objektiven
Tatbestandes der Begünstigung reicht es aus, dass die Tathandlung
geeignet ist, den Flüchtigen für eine gewisse Zeit der Strafverfolgung
oder dem Strafvollzug zu entziehen. Es ist nicht erforderlich, dass
diese Folge tatsächlich eintrat, sondern es genügt eine diesbezügliche
Gefahr. Andernfalls wäre der Anwendungsbereich von Art. 305 StGB insoweit,
dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwider, allzu stark eingeschränkt. Das
Beherbergen einer flüchtigen Person für die Dauer einer Nacht ist seiner
Natur nach geeignet, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person
zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern. Indem der Beschwerdeführer S.
für die Dauer von 6 bis 7 Nachtstunden in seinem Einfamilienhaus in Z.
Unterkunft gewährte, erfüllte er nach der zutreffenden Auffassung der
Vorinstanz den objektiven Tatbestand von Art. 305 StGB. Ob er entsprechend
den Erwägungen des Kantonsgerichts, die in der Nichtigkeitsbeschwerde
kritisiert werden, durch die inkriminierte Handlung S.' "Entschluss,
sich der Polizei nicht zu stellen, wesentlich erleichtert hat, indem er
ihm die Gelegenheit bot, sich auf die neue Situation einzustellen und
seine Flucht neu zu organisieren", kann dahingestellt bleiben, da es
darauf nicht ankommt.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer wusste unbestrittenermassen, dass
S. polizeilich gesucht wurde. Ihm war sodann, wie jedermann, bekannt,
dass das Beherbergen einer flüchtigen Person in einer Privatwohnung für die
Dauer einer Nacht seiner Natur nach geeignet ist, den behördlichen Zugriff
auf die gesuchte Person zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern. Damit
ist der Vorsatz gegeben. Da der tatsächliche Eintritt jenes Erfolges nach
dem Gesagten zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes von Art. 305 StGB
nicht erforderlich ist, müssen sich das Wissen und der Wille des Täters
nicht auf einen solchen Erfolg beziehen. Die Anwendung von Art. 305 StGB
setzt sodann nicht voraus, dass der Täter in der Absicht oder aus dem
Beweggrund handelte, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person
zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern. Es ist daher für die Frage
der Tatbestandsmässigkeit der inkriminierten Handlung unerheblich, dass
der Beschwerdeführer keine solchen Absichten bzw. Motive hatte, sondern
S. nur ungern zu sich nahm, nachdem er ihn erfolglos aufgefordert hatte,
sich der Polizei zu stellen. Der Beschwerdeführer gewährte S. trotz des
Scheiterns seiner diesbezüglichen Bemühungen Unterkunft, und er macht mit
Recht selber nicht geltend, dass sich dies zwecks weiterer Einflussnahme
oder zwecks Gewährung einer Gelegenheit zur Besinnung aufgedrängt habe.

    b) Der Beschwerdeführer behauptet, er habe S. aus Angst vor dessen
möglichen gewalttätigen Reaktionen für den Fall, dass er ihn in der
nächtlichen Kälte stehen liesse, zu sich genommen. Diese Behauptung
steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
und ist daher im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis BStP). Sie berührt im
übrigen als Tatmotiv die Frage des Vorsatzes nicht. Sie steht sodann
im Widerspruch zur Darstellung des Beschwerdeführers, wonach S. als
eigentlicher Kleinkrimineller mit Sicherheit Unterschlupf in einer Scheune
oder sonst in einem privaten Unterstand gesucht hätte. S. hatte abgesehen
davon nach dem von ihm verübten Diebstahl genügend Geld, um sich in einem
geeigneten Ort vor der Kälte zu schützen. Dass der Beschwerdeführer in den
kritischen Minuten, in denen er sich entscheiden musste, ob er S. für die
Nacht Unterkunft gewähren solle, angeblich die Tragweite seiner Handlung
nicht bedachte, berührt die Frage des Vorsatzes nicht. Dazu genügt es in
einem Fall der vorliegenden Art, dass ihm die Tragweite seines Handelns
an sich bewusst war. Der Beschwerdeführer legt schliesslich nicht dar,
inwiefern die Vorinstanz seine Lage zu Unrecht nicht als Notstandssituation
im Sinne von Art. 34 StGB bzw. als schwere Bedrängnis im Sinne von Art. 64
StGB qualifiziert habe.

    Die Vorinstanz hat die Motive des Beschwerdeführers und den
Bagatellcharakter seiner Tat im Rahmen von Art. 63 StGB gebührend dadurch
berücksichtigt, dass sie die Mindeststrafe von 3 Tagen Gefängnis (Art.
305 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 StGB), bedingt vollziehbar bei einer
Probezeit von 2 Jahren, ausfällte.