Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 34



114 IV 34

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1988 i.S.
Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 293 StGB; Behörden- und Geheimnisbegriff.

    1. Aufgrund seiner Stellung, Aufgaben und Kompetenzen ist der
Generalstabschef ein mit hoheitlichen Funktionen ausgestattetes staatliches
Organ und somit eine Behörde im Sinne von Art. 293 StGB (E. 2a).

    2. Dem Tatbestand von Art. 293 StGB liegt der formelle Geheimnisbegriff
zugrunde (E. 2b; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Im Januar 1987 fand für den Armeestab ein operatives Seminar
statt, das der Generalstabschef in seiner Gesamtheit als "geheim"
erklärte. Er hielt auch ein Referat, welches den Teilnehmern mit dem
Vermerk "vertraulich" abgegeben wurde. Aus diesem Referat zitierte M. in
der Wochenzeitung vom 30. Januar 1987.

    Das Statthalteramt des Bezirks Zürich stellte das Verfahren gegen
M. wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen am 14. Dezember
1987 ein. Es gelangte zum Schluss, beim Generalstabschef handle es sich um
keine Behörde im Sinne von Art. 293 StGB, noch sei dessen in Schriftform
abgegebenes Referat als geheim bezeichnet worden.

    Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, die Einstellungsverfügung aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an das Statthalteramt zurückzuweisen.

    M. hat sich trotz Fristansetzung zur Sache nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 293 Abs. 1 StGB wird mit Haft oder mit Busse
bestraft, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen
oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss
der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind,
etwas an die Öffentlichkeit bringt.

    a) Was unter einer Behörde im Sinne von Art. 293 Abs. 1 oder
auch anderer Bestimmungen des StGB (Art. 110 Ziff. 5 Abs. 2, Art. 285
f., 288, 291 f., 303 StGB) zu verstehen sei, ist im Strafgesetzbuch
nicht definiert. Im Bundesstaats- und Bundesverwaltungsrecht wird
der Begriff der Behörde weit gefasst. Er trifft auf alle Bundesorgane
zu, die kraft Bundesrecht mit hoheitlicher Zuständigkeit staatliche
Funktionen ausüben, stellt also einen Sammelbegriff für alle Arten dieser
Organe dar (vgl. HÄFELIN/HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
S. 185; HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts,
S. 94; FLEINER-GERSTER, Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen
Verwaltungsrechts, S. 449; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 131);
ob es sich um ein monistisches oder ein Kollegialorgan handle, ist
dabei ohne Bedeutung (FLEINER-GERSTER, aaO, S. 450 f.). Soweit die
Stafrechtsliteratur sich überhaupt zum Behördenbegriff äussert, wird er
auch dort nicht anders oder enger gefasst (STRATENWERTH, BT II, S. 166
N. 34 und S. 280 N. 3; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch,
S. 506 Nr. 774).

    Werden Stellung, Aufgabe und Kompetenzen des Generalstabschefs
in Betracht gezogen, der nicht dem Beamtengesetz untersteht (Art. 6
i.V.m. Art. 1 Rechtsstellungsverordnung/SR 510.22), wie sie sich aus den
ihn betreffenden Bestimmungen ergeben (insbesondere Art. 40, 42 und 168
MO/SR 510.10; Art. 2, 3 und 23 f. DO/SR 510.21), dann kann keinem Zweifel
unterliegen, dass es sich bei ihm um ein mit hoheitlichen Funktionen
ausgestattetes staatliches Organ, mithin um eine Behörde im Sinne von
Art. 293 Abs. 1 StGB handelt. Als solche ist bereits der Sekretär des
Justizdepartements oder die Kantonspolizei betrachtet worden (BGE 85 IV
83 E. 2).

    b) Dem Tatbestand von Art. 293 StGB liegt der formelle Geheimnisbegriff
zugrunde, so dass es einzig darauf ankommt, ob die Akten, Verhandlungen
oder Untersuchungen der Behörde durch Gesetz oder durch Verfügung derselben
als geheim erklärt worden sind; dabei macht es keinen wesentlichen
Unterschied ob sie als geheim oder als bloss vertraulich bezeichnet wurden,
wenn nur klar ist, dass damit die Öffentlichkeit hatte ausgeschlossen
werden wollen (BGE 108 IV 187 E. 1a). Das aber ist vorliegend der Fall;
durch die Bezeichnung des operativen Seminars als insgesamt "geheim" und
jene des schriftlich abgegebenen Referats als "vertraulich" war dessen
Kenntnis auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt und damit geheim
im Sinne von Art. 293 Abs. 1 StGB. Dass dem Generalstabschef die Befugnis
zu einer derartigen Anordnung zustand, kann nicht bestritten werden. Ergab
sich der geheime Charakter des Schriftstücks bereits aus dem angebrachten
Vermerk "vertraulich", so kommt nichts darauf an, ob der Beschwerdegegner
um die Bezeichnung des Seminars als insgesamt "geheim" wusste.