Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 154



114 IV 154

43. Urteil des Kassationshofes vom 16. November 1988 i.S. M. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG. Vereitelung einer Blutprobe.

    Der Fahrzeugführer, der seinen Wagen nach einem folgenlos gebliebenen
Schleudermanöver parkiert und sich zu Fuss davonmacht, weil er wegen seines
von der Polizei beobachteten Schleuderns eine Kontrolle befürchtet, erfüllt
nicht den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe. Der Fahrzeugführer
ist in dieser Situation mangels Eintritts eines Drittschadens nicht
verpflichtet, die Polizei zu benachrichtigen bzw. sich ihr zur Verfügung
zu halten und darf seine Flucht zu Fuss fortsetzen, auch wenn er merkt,
dass er von einem Polizeibeamten verfolgt wird.

Sachverhalt

    A.- M. fuhr in der Nacht vom 19. auf den 20. März 1987, zwischen 02.00
und 02.30 Uhr, mit einem PW Opel Kadett in Begleitung des angetrunkenen
Fahrzeughalters A. und dessen Freundin S. von Kreuzlingen, wo er zwischen
21.00 und 02.00 Uhr in zwei Lokalen Weisswein getrunken hatte, nach
Frauenfeld. Als er vom Schlossplatz in Frauenfeld in Richtung Kreuzplatz
fuhr, liess er den Motor hochdrehen. Durch den dadurch verursachten
Lärm wurde eine Polizeipatrouille, die gerade einen Personenwagen
kontrollierte, auf den daherkommenden PW Opel Kadett aufmerksam. Dieser
geriet auf dem mit Schneematsch bedeckten Kreuzplatz ins Schleudern,
fuhr auf das rechte Trottoir, überquerte schleudernd die Fahrbahn und das
linke Trottoir und kam auf dem trockenen Vorplatz vor einem Ladengeschäft
zum Stehen. M. fuhr weiter, bog nach links in die Kesselstrasse ein und
stellte den Wagen auf seinem Parkfeld in einem Hinterhof ab. Er hatte
auf der Fahrt zum Kreuzplatz die Polizeipatrouille, die dort einen
andern PW kontrollierte, gesehen und wusste, dass die Polizeibeamten
sein Schleudermanöver hatten mitverfolgen können. Er machte sich zu Fuss
davon und liess den angetrunkenen Fahrzeughalter und dessen Freundin im
parkierten Wagen zurück. Als der Polizeibeamte X. wenig später mit dem
Polizeifahrzeug beim Parkplatz eintraf, war M. bereits verschwunden. Der
darüber per Funk verständigte Polizeibeamte Z., der auf dem Kreuzplatz
geblieben war, verfolgte zu Fuss einen davonrennenden Mann, konnte diesen
aber nicht einholen. Die Fahrzeuginsassen A. und S. weigerten sich bis
zum Vormittag des 20. März 1987, den Namen des Fahrzeuglenkers anzugeben.

    B.- Das Obergericht des Kantons Thurgau sprach M. am 9. Juni 1988
in Bestätigung des Entscheides des Bezirksgerichts Frauenfeld vom
8. Januar 1988 der Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG)
sowie der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SVG sowie Art. 33 VRV)
schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer Gefängnisstrafe von 14
Tagen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, sowie zu
einer Busse von Fr. 750.--.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau sei
aufzuheben und die Sache sei zu seiner Freisprechung vom Vorwurf der
Vereitelung einer Blutprobe an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt in ihrer
Vernehmlassung unter Hinweis auf die Akten, die Anklageschrift und
die Urteile der ersten und der zweiten Instanz die Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 91 Abs. 3 SVG ist strafbar, wer sich vorsätzlich einer
amtlich angeordneten Blutprobe widersetzt oder entzieht oder den Zweck
dieser Massnahme vereitelt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
kann der objektive Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe auch dann
erfüllt sein, wenn diese noch gar nicht amtlich angeordnet worden ist,
aber nach den gesamten Umständen des Falles mit hoher Wahrscheinlichkeit
angeordnet worden wäre (BGE 109 IV 137, 113 IV 88).

    Nach einer Bemerkung im angefochtenen Entscheid "hat zu gelten,
dass wer in einer Ortschaft unvermittelt auf die linke Fahrbahnseite
gerät, nicht nur den Verdacht erweckt, zu schnell gefahren, sondern
auch angetrunken gewesen zu sein". Die Vorinstanz ist der Auffassung,
nach den Umständen habe kein Zweifel daran bestanden, dass die Polizei
eine Blutprobe angeordnet hätte, und sie hält für den Fall, dass dies
als ernsthaft bestritten zu gelten hätte, fest, "dem Beschuldigten (sei)
ausserdem eine eindeutige Äusserung nachgewiesen worden, wonach er selber
an die Möglichkeit einer Blutprobe gedacht habe", womit der Nachweis
eines eventualvorsätzlichen Handelns erbracht sei.

    Auch wenn man davon ausgeht, dass die Polizeibeamten aufgrund
der gesamten Umstände (Hochdrehen des Motors, Schleudermanöver,
allfälliger Alkoholgeruch in der Atemluft des Beschwerdeführers
etc.) mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätten und
der Beschwerdeführer mit einer solchen Massnahme rechnete, erfüllte sein
Verhalten, durch welches er diese Massnahme vereitelte, aus nachstehenden
Gründen nicht den Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG.

Erwägung 2

    2.- a) Der Kassationshof hat seine Rechtsprechung betreffend die
Vereitelung einer Blutprobe durch Unterlassen der Unfallmeldung in BGE
109 IV 137 unter anderem dahingehend präzisiert, dass der objektive
Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG in diesen Fällen nur dann erfüllt
sein kann, wenn der Fahrzeuglenker gesetzlich (vgl. Art. 51 SVG) zur
Benachrichtigung des Geschädigten bzw. der Polizei verpflichtet war,
wenn mit andern Worten die Unterlassung der Unfallmeldung, durch welche
der tatbestandsmässige Erfolg der Vereitelung einer sehr wahrscheinlichen
Blutprobe herbeigeführt wurde, als solche rechtswidrig ist. Ist bei einem
Unfall niemand verletzt und keine Drittperson geschädigt worden, besteht
jedoch keine gesetzliche Meldepflicht und erfüllt die Unterlassung der
Unfallmeldung den objektiven Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG nicht,
und zwar auch dann nicht, wenn die Polizei bei Kenntnis des Unfalls sehr
wahrscheinlich eine Blutprobe angeordnet hätte. Die sich aus den Umständen
ergebende hohe Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe begründet
als solche keine Meldepflicht des Fahrzeuglenkers.

    b) Wer nach einem Unfall mit Drittschaden ohne Benachrichtigung des
Geschädigten bzw. der Polizei wegfährt, nimmt eine Handlung vor, indem
er wegfährt, und begeht eine Unterlassung, indem er den Geschädigten
bzw. die Polizei nicht benachrichtigt. Der Kassationshof sah in seiner
Rechtsprechung zu Art. 91 Abs. 3 SVG in diesen Fällen das rechtlich
relevante Verhalten jeweils nicht im Wegfahren (das ja unter Umständen
zum Zwecke der Erstattung einer Meldung erfolgen kann), sondern in der
Unterlassung der Unfallmeldung, mit der Folge, dass gemäss BGE 109 IV 137
der objektive Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG nur dann erfüllt sein kann,
wenn der Fahrzeuglenker zur Meldung des Unfalls an den Geschädigten bzw. an
die Polizei gesetzlich verpflichtet war. Der objektive Tatbestand von
Art. 91 Abs. 3 SVG ist in diesen Fällen also nicht deshalb erfüllt, weil
durch das Wegfahren eine Blutprobe, die sehr wahrscheinlich angeordnet
worden wäre, vereitelt wurde; nicht die Wegfahrt ist entscheidend,
sondern die Tatsache, dass der Fahrzeuglenker nach seiner Wegfahrt der
Polizei nicht für allfällige Abklärungen zur Verfügung stand, obschon er
dazu gesetzlich verpflichtet war.

    Das Gesagte muss auch in Fällen gelten, in denen sich kein Unfall
mit Drittschaden ereignete. Es besteht kein sachlicher Grund, in diesen
Fällen - anders als beim Wegfahren nach einem Unfall mit Drittschaden ohne
Benachrichtigung des Geschädigten bzw. der Polizei - die Wegfahrt als die
massgebende Tathandlung zu betrachten. Indem der Beschwerdeführer, nachdem
der PW Opel Kadett nach dem Schleudermanöver auf dem trockenen Vorplatz
vor einem Ladengeschäft zum Stehen gekommen war, die Fahrt fortsetzte,
den Wagen auf seinem nahe gelegenen Parkfeld parkierte und sich zu Fuss
davonmachte, hielt er sich, ähnlich einem Fahrzeuglenker, der nach einem
Unfall ohne Benachrichtigung des Geschädigten bzw. der Polizei die Flucht
ergreift und/ oder sich versteckt, der Polizei nicht für allfällige
Abklärungen zur Verfügung. Der objektive Tatbestand von Art. 91 Abs. 3
SVG kann indessen nur erfüllt sein, wenn der Beschwerdeführer verpflichtet
gewesen wäre, sich der Polizei zur Verfügung zu halten, d.h. an der Stelle,
an welcher der PW Opel Kadett zum Stehen gekommen war, oder jedenfalls auf
dem nahe gelegenen Parkplatz, zu dem er den Wagen in der Folge gelenkt
hatte, zu warten, bis die Polizeibeamten ihn der ihm wahrscheinlich
erscheinenden Kontrolle unterzogen bzw. ihm die Entfernung vom Ort
des Geschehens erlaubten, oder wenn er sonstwie zur Benachrichtigung
der Polizei verpflichtet gewesen wäre. Eine solche Pflicht oblag ihm
jedoch nicht, da ihm die Polizeibeamten keine Weisungen irgendwelcher
Art erteilt hatten, deren Missachtung rechtswidrig wäre. Die Tatsache,
dass die Polizei zufälligerweise am Ort des Geschehens war und dieses,
wie der Beschwerdeführer wusste, beobachtet hatte, begründete für sich
allein keine Verhaltenspflichten. Dass die Polizeibeamten gerade wegen
des Verhaltens des Beschwerdeführers (Weiterfahrt und anschliessendes
Davonrennen) keine Gelegenheit hatten, ihm Weisungen zu erteilen,
ist unerheblich; entscheidend ist, dass er mangels eines Unfalls mit
Drittschaden weder zum Warten noch zur Benachrichtigung der Polizei
verpflichtet war und dass ihm tatsächlich keine Weisungen erteilt wurden.

    c) Allerdings verfolgte der Polizeibeamte Z. zu Fuss den davonrennenden
Beschwerdeführer. In dieser Verfolgung mag allenfalls eine konkludente
Aufforderung zum Stehenbleiben enthalten sein, die aber weder der
Verkehrsregelung noch der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von
Ordnung und Sicherheit im Strassenverkehr diente (vgl. dazu BGE 102 IV
255) und somit keine polizeiliche Weisung im Sinne von Art. 27 Abs. 1
SVG darstellte, deren Missachtung rechtswidrig wäre.

    d) Da der Beschwerdeführer somit nicht verpflichtet war, am Ort des
Geschehens zu bleiben oder die Polizei zu benachrichtigen bzw. seine
Flucht zu Fuss abzubrechen, stellt sein Verhalten, durch das er sich der
von ihm befürchteten Kontrolle entzog, keine unter Art. 91 Abs. 3 SVG
fallende Tathandlung dar.