Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 133



114 IV 133

38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1988 i.S. V.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons X. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 314 StGB; ungetreue Amtsführung.

    Ein Rechtsgeschäft im Sinne von Art. 314 StGB schliesst ab, wer zwar
keine formelle, aber die faktische Entscheidungskompetenz besitzt (E. 1a).

    Auch die Verletzung öffentlicher ideeller Interessen kommt einer
Schädigung gleich (E. 1b; Bestätigung der Rechtsprechung).

    2. Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 142 StGB; Bereicherung,
geringfügige Veruntreuung.

    Wer sich Originaldokumente aneignet und diese durch Kopien ersetzt,
bereichert sich, weil Originalen ein höherer Beweiswert zukommt (E. 2b).

    Die Aneignung einer Vielzahl von Originaldokumenten stellt nicht mehr
eine geringfügige Veruntreuung im Sinne von Art. 142 StGB dar (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- V. war vom 17. April 1972 bis Ende Juli 1981 vollamtlicher
landwirtschaftlicher Fachbeamter des kantonalen Steueramtes. Ihm wird
vorgeworfen, dass er entgegen den Ausstandsvorschriften während oder
nach einer bezahlten privaten Beratung von Landwirten bei Hofübergaben,
Hofabtretungen, Erbteilungen, Landverkäufen usw. auch als Beamter
tätig geworden sei, indem er in dieser Eigenschaft Anträge an die
verfügenden Behörden gestellt habe, die diese von ihm als Fachmann in
der Regel übernommen hätten. Überdies habe er immer wieder Akten des
kantonalen Steueramtes nach Hause mitgenommen und diese nach seinem
Ausscheiden aus dem Staatsdienst trotz mehrfacher Aufforderung nicht
zurückgegeben. Schliesslich habe er sich verschiedentlich Fahrkosten
sowohl vom Kanton X. wie auch von seinen privaten Kunden vollumfänglich
ersetzen lassen, ohne dass diese von der doppelten Rechnungsstellung und
Bezahlung gewusst hätten.

    Nachdem das Bundesgericht ein erstes Urteil des Obergerichts des
Kantons X. aufgehoben hatte, verurteilte dieses V. am 29. März 1988
wegen fortgesetzter ungetreuer Amtsführung, qualifizierter Veruntreuung
und Betrugs zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 4 1/2 Monaten und
einer Busse von Fr. 1'000.--. Gleichzeitig sprach es ihn von zahlreichen
Veruntreuungs- und Betrugsvorwurfen frei.

    V. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventualiter sei das angefochtene Urteil
wegen mangelnder Begründung des Schädigungsvorsatzes bei der ungetreuen
Amtsführung im Verfahren nach Art. 277 BStP zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Den Tatbestand der ungetreuen Amtsführung gemäss Art. 314 StGB
erfüllt, wer als Beamter vorsätzlich die bei einem Rechtsgeschäfte von
ihm zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigt, um sich oder einem
andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.

    a) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nie an einem
Rechtsgeschäft im Sinne dieser Bestimmung teilgenommen. Er habe lediglich
Orientierungshilfen und Empfehlungen zuhanden der Gemeindebehörden
ausgearbeitet, jedoch nie selbst entschieden. Die Entscheidungskompetenz
liege ausschliesslich beim Steueramt, Sektion Buchprüfungen, und
hauptsächlich bei den kommunalen Steuerkommissionen.

    Wie die Vorinstanz darlegt, hatte der Beschwerdeführer selbst
formell zwar keine endgültigen Entscheidungen zu treffen, besass jedoch
aufgrund seines Fachwissens und seiner Stellung als vollamtlicher Beamter
faktische Entscheidungskompetenz. Das muss nach dem Wortlaut von Art. 314
StGB genügen. Denn wer als Beamter einen Entscheid derart beeinflusst,
kann die öffentlichen Interessen auch dann schädigen, wenn er nicht selbst
formell die Entscheidung trifft. Die Beschwerde erweist sich insoweit
als unbegründet.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe keine öffentlichen
Interessen verletzt. Richtig ist, dass in BGE 101 IV 411 E. 2 angenommen
wurde, der Verstoss gegen eine Ausstandsvorschrift für sich allein
genüge noch nicht zur Annahme einer Schädigung ideeller Interessen des
Staates. Einen solchen Schluss begründete die Vorinstanz jedoch zusätzlich
damit, dass der Beschwerdeführer durch seine teils amtliche, teils private
Tätigkeit bei Identität von Kunde und Steuerpflichtigem das Vertrauen
der Bürger in die rechtsgleiche Behandlung der Steuerpflichtigen und
in die Objektivität und Unabhängigkeit der Steuerbehörden erheblich
beeinträchtigte. Das ist wesentlich mehr als das Vorliegen einer
Interessenkollision, wie sie bereits besteht, wenn ein Beamter als
Teilhaber einer Firma ein Interesse an der Vergabe von Aufträgen an diese
haben kann.

    Eine Verletzung der öffentlichen ideellen Interessen genügt
für die Erfüllung des Tatbestandes (BGE 101 IV 412 E. 2); eine
Verletzung öffentlicher Interessen finanzieller Art ist nicht
erforderlich. Unerheblich ist, ob gegen den Beschwerdeführer ein
Disziplinarverfahren durchgeführt werden konnte, weil er weder
eine Bewilligung für seine private Tätigkeit eingeholt noch die
Ausstandsvorschriften beachtet hatte. Da der strafrechtliche Vorwurf
darüber hinausgeht (siehe Absatz hievor), zielt die Argumentation des
Beschwerdeführers, er habe nur der Vorschrift des kantonalen Steuergesetzes
nachgelebt, wonach Steuerbehörden und Steuerpflichtige gemeinsam die für
eine vollständige und gerechte Besteuerung massgebenden tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnisse festzustellen haben, an der Sache vorbei.

    c) Der Beschwerdeführer bestreitet, in unrechtmässiger Vorteilsabsicht
gehandelt zu haben.

    Die Vorinstanz begründete diese damit, der Beschwerdeführer habe
durch die Vermengung von amtlicher und privater Tätigkeit beabsichtigt,
zusätzlich Beratungshonorare zu erzielen. Sie liess offen, ob er
darüber hinaus die privat Beratenen zum Nachteil des Staates unzulässig
begünstigte. Diese Begründung ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden;
der Beschwerdeführer bringt denn auch keine substantielle Rüge dagegen vor.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt, er sei zu Unrecht wegen Veruntreuung
verurteilt worden.

    a) Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB begeht, wer sich
eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen
andern damit unrechtmässig zu bereichern. Die Vorinstanz hat angenommen,
dieser Tatbestand sei erfüllt, weil der Beschwerdeführer amtliche
Originalakten zu seinen privaten Akten genommen habe. Originalakten
stehen zweifellos im Eigentum des Staates. Die Aneignung derartiger
Akten kann deshalb den Tatbestand eines Aneignungsdeliktes erfüllen
(vgl. BGE 70 IV 66 E. 1). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sich
in den Akten des kantonalen Steueramtes noch Kopien der behändigten
Originalakten befinden sollten; denn Originalakten haben nicht zuletzt
deshalb bei den zuständigen Amtsstellen zu verbleiben, weil im Streitfall
ein Rückgriff auf diese unumgänglich sein kann. Auch im Behalten der
Akten kann eine Aneignungshandlung liegen, nämlich dann, wenn der
Täter zum Ausdruck gebracht hat, dass er sie nicht mehr herausgeben
will; damit hat er sie seinem Vermögen einverleibt (vgl. BGE 85 IV 19
E. 2). Der Beschwerdeführer selbst ist in seiner Nichtigkeitsbeschwerde
gegen das erste Urteil des Obergerichts davon ausgegangen, dass er diese
Akten seiner privaten Aktensammlung einverleibt hatte. Damit steht fest,
dass er sich die Akten, wenn nicht schon bei der Mitnahme nach Hause, so
doch jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt aneignete. Insbesondere ist
entgegen den Ausführungen in der Beschwerde die dauernde Enteignung des
kantonalen Steueramtes respektive des Staates ebenso wie die Zueignung
durch den Beschwerdeführer zu bejahen.

    b) Das subjektive Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen
Bereicherungsabsicht ist ebenfalls erfüllt; denn in der Regel ist mit der
Aneignung auch eine Bereicherung verbunden. Bereicherungsabsicht entfällt
etwa dann, wenn dem Geschädigten der Gegenwert für den angeeigneten
Gegenstand zugekommen ist. Das trifft nicht zu, wenn der Amtsstelle nur
eine Kopie verbleibt, weil einer solchen nicht der gleiche Beweiswert
zukommen kann wie einem Original.

    Im übrigen räumt der Beschwerdeführer selbst ein, dass die Dokumente
für ihn einen wirtschaftlichen Wert darstellten ("Als sachübergreifende
Präjudiziensammlung dienten sie ihm zugegebenermassen der Erleichterung
und der Qualitätshebung seiner freiberuflichen Arbeit nach dem
Ausscheiden aus dem Staatsdienst"). In der Praxis ist denn auch die
Bereicherungsabsicht bei der Aneignung von Rationierungsmarken (BGE 70 IV
66 f.), Checkformularen (Kantonsgericht St. Gallen, SJZ 69/1973, S. 312)
und Briefen, die im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse von Bedeutung waren
(Appellationsgericht Basel-Stadt, SJZ 52/1956, S. 362), bejaht worden.

    Rechtswidrig war die Bereicherung, weil der Beschwerdeführer kein
Recht hatte, sich Originalakten anzueignen.

    c) Der Beschwerdeführer rügt, es liege höchstens eine geringfügige
Veruntreuung im Sinne von Art. 142 StGB vor. Soweit er sich überhaupt
Originalschreiben angeeignet habe, stellten diese höchstens einen geringen
Wert im Sinne jener Bestimmung dar.

    Die Vorinstanz hat sich mit dieser Frage nicht befasst. Aus ihrem
Urteil ergibt sich jedoch, dass sich der Beschwerdeführer eine Vielzahl
von Originaldokumenten angeeignet hat. Diese Feststellung ist für
das Bundesgericht verbindlich (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Von einer
geringfügigen Veruntreuung im Sinne von Art. 142 StGB kann deshalb
keine Rede sein. Nicht entscheidend für den Wert der angeeigneten Akten
ist die Frage, welches die Kosten für Fotokopien wären. Massgeblich ist
vielmehr der Wert der Originaldokumente für das Staatswesen. Der Verlust
einer Vielzahl von Originaldokumenten wiegt schwerer als die Kosten
für die Erstellung von Kopien, da solche nie den Wert eines Originals
erreichen. Die Rüge ist demnach unbegründet.