Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 1



114 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 17. Februar 1988
i.S. Eidg. Zollverwaltung gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 2 Abs. 2, 71 Abs. 2 StGB; lex mitior, Verjährung (Zollvergehen).

    Der unter altem Recht verübte Teil eines fortgesetzten Delikts ist
unter Vorbehalt der lex mitior nach altem Recht zu beurteilen (Bestätigung
der Rechtsprechung).

    Sieht das neue Recht zwar eine längere, aber zusätzlich eine absolute
Verjährungsfrist vor, so ist das im konkreten Fall für den Täter mildere
Recht anzuwenden.

Sachverhalt

    A.- S. führte in der Zeit von 1971 bis zum 20. Oktober 1976 unter
Vorlage fingierter Pachtverträge landwirtschaftliche Erzeugnisse aus
Österreich in die Schweiz ein, wodurch er in den Genuss der Zollfreiheit
kam, wie sie im konkreten Fall beim Bestehen echter Pachtverhältnisse
von Gesetzes wegen vorgesehen gewesen wäre.

    Mit Verfügung vom 23. August 1977 erklärte die Zolluntersuchungsstelle
St. Margrethen S. für die bei den Einfuhren nicht entrichteten
Einfuhrabgaben von insgesamt Fr. 3'979.15 leistungspflichtig. Beschwerden
gegen diese Verfügung wurden durch die Oberzolldirektion, durch die
Zollrekurskommission und schliesslich am 18. August 1983 durch das
Bundesgericht abgewiesen.

    B.- Mit Strafbescheid vom 23. September 1983 verurteilte die
Eidgenössische Zollverwaltung S. wegen Bannbruchs und Zollübertretung
zu einer Busse von Fr. 48'665.--. Am 25. Oktober 1983 erhob S. dagegen
Einsprache, welche von der Oberzolldirektion mit Strafverfügung vom
9. Oktober 1985 abgewiesen wurde. Am 18. Oktober 1985 stellte S. das
Begehren um gerichtliche Beurteilung. Mit Urteil vom 9./16. Dezember 1986
bestätigte das Bezirksgericht Oberrheintal die Strafverfügung.

    Auf Berufung von S. sprach ihn das Kantonsgericht St. Gallen am
19. Oktober 1987 für die vor dem 1. Januar 1975 getätigten Einfuhren wegen
Verjährung frei und verurteilte ihn für die späteren wegen Bannbruchs
und Zollübertretung zu einer Busse von Fr. 8'000.--.

    C.- Dagegen hat die Oberzolldirektion eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz begründet ihre Auffassung, alle Handlungen des
Beschwerdegegners vor dem 1. Januar 1975 seien verjährt, wie folgt: Die dem
Beschwerdegegner vorgeworfenen Handlungen, begangen in der Zeit von August
1971 bis 20. Oktober 1976, stünden in einem Fortsetzungszusammenhang. Durch
Ziffer 7 des Anhangs zum Verwaltungsstrafrecht, in Kraft seit 1. Januar
1975, seien die Verjährungsfristen des Zollgesetzes von bisher zwei
auf fünf Jahre erhöht worden. Der unter altem Recht verübte Teil
der fortgesetzten Widerhandlung sei - unter Vorbehalt des milderen
neuen Rechtes - nach altem Recht zu beurteilen, der unter neuem Recht
verübte dagegen auschliesslich nach neuem Recht. Für alle Handlungen
vor dem 1. Januar 1975 sei deshalb die zweijährige Verjährungsfrist
gemäss altem Recht zugrunde zu legen, wobei zu berücksichtigen sei,
dass es nach altem Recht keine absolute Verjährung gab und dass die
Verfolgungsverjährung während eines Beschwerdeverfahrens bezüglich
der Festsetzung der hinterzogenen Abgabe ruhte. Vorliegendenfalls sei
am 23. September 1983, als die Eidgenössische Zollverwaltung einen
Strafbescheid im Sinne von Art. 64 VStrR gegen den Beschwerdegegner
erliess, die Verjährung nach altem Recht noch nicht eingetreten
gewesen. Die Strafverfügung der Eidgenössischen Oberzolldirektion vom
9. Oktober 1985 sei jedoch erst mehr als zwei Jahre danach ergangen. Gemäss
Art. 83 Abs. 3 alt ZG werde die Verfolgungsverjährung durch jede gegen
den Täter gerichtete Verfolgungshandlung unterbrochen. Jedoch wirke
die Ergreifung eines Rechtsmittels nicht verjährungsunterbrechend,
weshalb die Einsprache des Beschwerdegegners vom 25. Oktober 1983
keine Auswirkungen auf die Verjährung habe. Dasselbe gelte für die
Stellungnahme der Zollkreisdirektion Chur vom 31. Oktober 1983, welche
nur intern übermittelt worden und überdies nicht für die Zustellung an
den Beschwerdeführer bestimmt gewesen sei.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, die neue Verjährungsordnung
gemäss VStrR gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des
Verwaltungsstrafrechtes verübt worden seien. Massgeblich sei deshalb für
den ganzen Anklagesachverhalt die fünfjährige Verjährungsfrist des neuen
Rechtes, weshalb keine Verjährung eingetreten sei; die absolute Verjährung
trete erst im Frühjahr 1990 ein. Eventualiter wird geltend gemacht, dass
auch bei Zugrundelegung der altrechtlichen zweijährigen Verjährungsfrist
die Verjährung nicht eingetreten sei, da sowohl die Einsprache des
Beschwerdeführers vom 25. Oktober 1983 wie auch die Stellungnahme der
Zollkreisdirektion Chur die Verjährung unterbrochen hätten.

Erwägung 2

    2.- a) Die Auffassung der Vorinstanz, für das strafbare Verhalten
vor dem Inkrafttreten des VStrR beurteile sich die Frage der Verjährung
nach der alten Fassung des ZG, ist zutreffend. Das Bundesgericht
hat bereits in BGE 72 IV 135 erkannt, dass der unter altem Recht
verübte Teil des fortgesetzten Delikts unter dem Vorbehalt der lex
mitior nach altem Recht zu beurteilen ist. Zwar begann die Verjährung
vorliegend zufolge Fortsetzungszusammenhangs erst mit der Beendigung
der deliktischen Tätigkeit am 20. Oktober 1976 (Art. 83 Abs. 2 alt
ZG; Art. 71 Abs. 2 StGB). Daraus kann jedoch entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerin nicht hergeleitet werden, die Verjährungsfrage
beurteile sich ausschliesslich nach neuem Recht. Denn das fortgesetzte
Delikt ist nicht ein einheitliches Delikt. Vielmehr liegen ihm mehrere
Einzeldelikte zugrunde, die an sich einzeln beurteilt werden könnten,
jedoch aus Gründen der Prozessökonomie wie ein einziges behandelt werden
(vgl. STRATENWERTH, AT I, § 19 N. 18 mit Hinweisen).

    Gesetzesänderungen können in der Regel nur Auswirkungen haben
auf Taten, die nach Inkrafttreten der Änderung begangen wurden
(Art. 2 Abs. 1 StGB), vorliegend also nur auf die nach dem 1. Januar
1975 begangenen Verstösse gegen das Zollgesetz. Wollte man anders
entscheiden, dann hätte dies etwa zur Folge, dass eine nach altem
Recht beispielsweise nur als Übertretung strafbare Verhaltensweise bei
Fortsetzungszusammenhang schwerer bestraft werden könnte, wenn das neue
Recht dafür Vergehensstrafe androht. Es liegt auf der Hand, dass ein
Verhalten, das nach altem Recht nur eine Übertretung darstellt, nicht
deshalb, weil es im Fortsetzungszusammenhang mit einem neurechtlich als
Vergehen qualifizierten Verhalten steht, rückwirkend die Qualifikation
eines Vergehens haben kann. Entsprechendes muss für eine Verlängerung der
Verjährungsfrist gelten. Nach altem Recht trat die Verjährung nach zwei
Jahren ein (Art. 83 Abs. 1 alt ZG). Die Anwendung der neuen fünfjährigen
Verjährungsfrist gemäss Art. 11 VStrR verstiesse deshalb gegen das
Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Vorschriften. Daran ändert
auch nichts, dass nach neuem Recht eine absolute Verjährung nach 7 1/2
Jahren eintreten kann, während das alte Recht das Institut der absoluten
Verjährung nicht kannte. Denn diese Milderung des neuen Rechtes käme
vorliegendenfalls nicht zum Zuge.

    Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihre Ansicht, die neue
Verjährungsordnung gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des
Verwaltungsstrafrechtes verübt worden seien, auf BGE 104 IV 266. In der
Tat wird in der Regeste dieses Urteils gesagt, die neue Verjährungsordnung
des VStrR gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des VStrR verübt
worden seien. Die damals zu entscheidende Rechtsfrage unterscheidet sich
jedoch von der heutigen: Zu entscheiden war ein Fall, in dem es nach
altem Recht keine Vollstreckungsverjährung gab, wohl aber nach dem neuen
Recht des VStrR. Das neue Recht wurde deshalb als das mildere im Sinne
von Art. 2 Abs. 2 StGB rückwirkend angewendet (BGE 104 IV 267 E. 1). Auch
aus dem Urteil des Bundesgerichtes (II. öffentlichrechtliche Abteilung)
vom 18. August 1983 i.S. des Beschwerdegegners sowie aus dem Urteil vom
29. August 1984 i.S. P. C. ergibt sich nichts für den Standpunkt der
Beschwerdeführerin, da in jenen Entscheidungen das hier zur Diskussion
stehende Problem nicht erörtert wurde. Unbehelflich ist auch der Hinweis
auf den Grundsatz, es sei immer nur das alte oder das neue Recht als ganzes
anzuwenden, eine Verbindung beider Rechte dagegen ausgeschlossen. Nach der
Rechtsprechung besteht nämlich ein Verbot der kombinierten Anwendung
des alten und des neuen Rechtes nur in bezug auf ein und dieselbe Tat
(BGE 102 IV 197). Es soll damit vermieden werden, dass hinsichtlich
eines Delikts beispielsweise dessen Qualifikation sich nach altem, die
Sanktion sich aber nach neuem Recht richte. Entsprechend wurde angenommen,
dass das Verbot nicht gelte, wenn es um Drogenhandel einerseits und
Konsumhandlungen andererseits gehe oder wenn Konsumhandlungen im weiteren
Sinne unter sich verschiedene rechtliche Einheiten darstellen. Zur Frage,
wie ein Verjährungsproblem wie das vorliegende zu lösen sei, hat sich das
Bundesgericht dabei nicht ausgesprochen. Im Gegenteil wurde in BGE 78 IV
129 wie bereits in 77 IV 207 gesagt, dass die unter altem Recht begangene
Tat nach altem Recht verjährt, wenn dieses milder ist als das neue.

    b) Unterbrechung der Verjährung trat nach Art. 83 Abs. 3 alt ZG
ein "durch jede gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung". Diese
Formulierung ist offensichtlich enger als die nach neuem Recht massgebliche
Regel von Art. 72 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, wonach unter anderem auch die
Ergreifung von Rechtsmitteln zur Unterbrechung der Verjährung führt. Die
Einsprache des Beschwerdegegners vom 25. Oktober 1983 war offensichtlich
keine gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung und unterbrach deshalb
die Verjährung nicht.

    Aber auch die interne Stellungnahme der Zollkreisdirektion Chur vom 31.
Oktober 1983 war keine gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung. Sie
findet sich bezeichnenderweise auch nicht in den Untersuchungsakten.
Erforderlich für die Verjährungsunterbrechung nach Art. 83 Abs. 3 alt ZG
ist eine den Prozess fördernde Handlung, die nach aussen in Erscheinung
tritt (BGE 73 IV 258 f.), ein nur interner Vorgang genügt nicht (BGE 90
IV 63).

    Die am 23. September 1983 durch Ausfällung des Strafbescheides
beginnende, neue zweijährige Verjährungsfrist wurde deshalb bis zum
Erlass der Strafverfügung durch die Eidgenössische Oberzolldirektion am
9. Oktober 1985 nicht gültig unterbrochen. Die Beschwerde erweist sich
deshalb als unbegründet.