Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 426



114 II 426

82. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1988 i.S.
M. gegen S. (Berufung) Regeste

    Ablösung einer Dienstbarkeit; Anwendung des Grundsatzes der Identität
bei der Vereinigung von zwei Grundstücken (Art. 736 Abs. 1 ZGB).

    Wird das berechtigte Grundstück mit einem anderen Grundstück vereinigt,
so bleibt für die Beurteilung des Interesses an der Dienstbarkeit
allein das Interesse des ursprünglich berechtigten Grundstückes
massgeblich. Besteht für dieses Grundstück kein Interesse mehr, so kann
die Dienstbarkeit gelöscht werden (E. 2a-2c).

    Mehrbelastung infolge der Vereinigung von zwei Grundstücken (Art. 739
ZGB).

    Durch die Vereinigung des berechtigten mit einem nichtberechtigten
Grundstück darf sich aus der Dienstbarkeit keine Mehrbelastung
ergeben. Kann die Mehrbelastung im vorliegenden Fall dadurch vermieden
werden, dass der Kreis der Berechtigten eingeschränkt wird? Frage
offengelassen (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- M. ist Eigentümer der aneinandergrenzenden Grundstücke Nr. 5977
und Nr. 8605 in Winterthur-Altstadt. Diese Grundstücke sind mit einem
alten Fuss- und Fahrwegrecht belastet, das zugunsten eines ehemaligen
Grundstückes Nr. 2081 besteht. Dieses Grundstück ist zusammen mit dem
ehemaligen Grundstück Nr. 5846 zur Liegenschaft Nr. 8104 vereinigt worden,
die im Eigentum von S. steht.

    Anlässlich der Einführung des Eidgenössischen Grundbuches kam es
zwischen den Parteien zu Differenzen über Bestand und Umfang dieser
Grunddienstbarkeit.

    B.- Am 1. September 1986 reichte M. beim Einzelrichter des
Bezirksgerichts Winterthur Klage ein. Er beantragte die ersatzlose Löschung
des Fuss- und Fahrwegrechts. Eventuell verlangte er die Feststellung, dass
er berechtigt sei, gemäss Art. 736 Abs. 2 ZGB die vollständige Ablösung
der Dienstbarkeit zu verlangen, wobei die entsprechende Entschädigung
festzusetzen sei.

    S. beantragte widerklageweise die Feststellung, dass die
Grunddienstbarkeit, datiert vom Jahre 1865, zugunsten der ganzen heutigen,
mit einem Mehrfamilienhaus überbauten Liegenschaft Nr. 8104 bestehe und
im Grundbuch entsprechend einzutragen sei.

    Mit Urteil vom 30. Juni 1987 wies der Einzelrichter Klage und
Widerklage ab. Er wies das Grundbuchamt Winterthur-Altstadt an, zugunsten
des jeweiligen Eigentümers der Liegenschaft alt Kataster Nr. 2081 von und
zur Rosentalstrasse ein Fusswegrecht zu Lasten der Liegenschaften Nr. 5977
und Nr. 8605 einzutragen. Entsprechend dem Begehren des Beklagten legte
er fest, dieses Fusswegrecht stehe nur den im Grundbuch eingetragenen
Eigentümern und deren Familienangehörigen, nicht aber den Mietern der
berechtigten Liegenschaft zu.

    C.- Gegen dieses Urteil erklärten beide Parteien Berufung an das
Obergericht des Kantons Zürich.

    Mit Urteil vom 3. Mai 1988 wies die II. Zivilkammer des Obergerichts
des Kantons Zürich die Klage ab, hiess die Widerklage gut und wies das
Grundbuchamt Winterthur-Altstadt an, im Grundbuch ein Fusswegrecht von und
zur Rosentalstrasse zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Liegenschaft
Nr. 8104 einzutragen. Im übrigen wurde das bezirksgerichtliche Urteil
bestätigt.

    E.- M. hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung an das
Bundesgericht erhoben. Er beantragt dessen Aufhebung und wiederholt die
im kantonalen Verfahren gestellten Anträge auf Löschung der Dienstbarkeit,
eventuell gegen Entschädigung.

    S. schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Vor Bundesgericht ist nach wie vor umstritten, ob das Fusswegrecht
zugunsten der alten Parzelle Nr. 2081 zu löschen oder zugunsten der neuen
Parzelle Nr. 8104 einzutragen sei.

    a) Nach Art. 736 Abs. 1 ZGB kann der Belastete die Löschung einer
Dienstbarkeit verlangen, wenn diese für das berechtigte Grundstück alles
Interesse verloren hat.

    Unter dem Interesse für das berechtigte Grundstück versteht die
Rechtsprechung das Interesse des Eigentümers des Grundstückes an der
Ausübung der Dienstbarkeit gemäss deren Inhalt und Umfang. Dabei ist vom
Grundsatz der Identität auszugehen, der besagt, dass eine Dienstbarkeit
nicht zu einem anderen Zweck aufrechterhalten werden darf als jenem,
zu dem sie errichtet worden ist (BGE 107 II 334 f. mit Hinweisen). Zu
prüfen ist somit in erster Linie, ob der Eigentümer des berechtigten
Grundstückes noch ein Interesse an der Ausübung der Dienstbarkeit hat
und ob sich dieses Interesse mit dem ursprünglichen Zweck deckt, zu dem
die Dienstbarkeit begründet worden ist.

    b) Gemäss dem ursprünglichen Eintrag aus dem Jahre 1865 besass
der jeweilige Besitzer des Wohnhauses Nr. 560 und des dazugehörigen
Grundstückes Nr. 339 jederzeit ein ungehindertes und unentgeltliches
Fuss- und Fahrwegrecht über die Grundstücke des Klägers. Das Fuss-
und Fahrwegrecht diente einem Landwirtschaftsbetrieb, der ca. 1952
eingestellt wurde. Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf welche
die Vorinstanz verwiesen hat, stand das Interesse an der Ausübung des
Fahrwegrechts in einem engen Zusammenhang mit den Bedürfnissen dieses
Landwirtschaftsbetriebs.

    Aufgrund dieser Feststellungen hat das Bezirksgericht befunden,
dass das ursprüngliche Interesse am Fahrwegrecht mit der Aufgabe des
landwirtschaftlichen Betriebs weggefallen und das Fahrwegrecht zu löschen
sei. Dies ist heute nicht mehr umstritten. Bestritten ist hingegen der
Bestand des Fusswegrechts.

    c) Die Vorinstanz hat angenommen, das Fusswegrecht könne
aufrechterhalten werden, weil es heute demselben Zweck diene wie früher.

    Diese Beurteilung kann nicht geteilt werden. Es mag zwar zutreffen,
dass nach wie vor ein allgemeines Interesse daran besteht, die
Rosentalstrasse und das Erholungsgebiet nördlich und östlich davon auf
direktem Weg zu erreichen, ohne einen Umweg über den Lindspitz und die
Rosenbergstrasse in Kauf nehmen zu müssen. Massgeblich ist jedoch allein
das Interesse für den Eigentümer des Restgrundstückes Nr. 2081. Denn
nur für diesen Parzellenteil, der durch den Bau der Rychenbergstrasse
vom übrigen Grundstück abgetrennt worden ist, ist die ursprüngliche
Dienstbarkeit im Kaufvertrag vom 22. November 1950 aufrechterhalten
worden. Im Zusammenhang mit dem Eigentum an diesem Restgrundstück ist
nun aber kein Interesse an der Beibehaltung des strittigen Fussweges
ersichtlich. Das Restgrundstück umfasst lediglich 98,5 m2 und kann
aufgrund seiner Grösse nicht überbaut werden. Ein Interesse allfälliger
Bewohner, die Rosentalstrasse oder das nördlich und östlich davon gelegene
Erholungsgebiet zu erreichen, fällt daher ausser Betracht. Aber auch als
Zugang zum Grundstück besteht kein Interesse am Fussweg. Das Restgrundstück
Nr. 2081 liegt unmittelbar an der Rychenbergstrasse. Es ist daher nicht
einzusehen, inwiefern es von Vorteil wäre, wenn diese nur sehr beschränkt
verwendbare Restparzelle zusätzlich über einen besonderen Fussweg von
der doch recht weit entfernten Rosentalstrasse her erreicht werden könnte.

    Der Beklagte verlangt denn auch, das Fusswegrecht sei neu zugunsten
der Eigentümer des Grundstückes Nr. 8104 einzutragen, zu welchem die
aneinanderliegenden Grundstücke Nr. 2081 und Nr. 5846 vereinigt worden
sind. Dies ändert an der Ausgangslage jedoch nichts. Durch die Vereinigung
zweier Grundstücke kann eine Dienstbarkeit, an der jedes Interesse
verlorengegangen ist, nicht zu neuem Leben erweckt werden. Dies gilt
jedenfalls insoweit, als auch nach der Vereinigung für den ursprünglich
berechtigten Grundstücksteil kein Interesse an der Dienstbarkeit
ersichtlich ist, sondern die Bedürfnisse der mit dem berechtigten
Grundstück vereinigten Liegenschaft herangezogen werden müssen. Mit dem
Ersatz des Interesses des ursprünglich berechtigten Grundstücksteils an der
Dienstbarkeit durch das Interesse des neu hinzugekommenen Grundstücksteils
würde die Zweckbestimmung der Dienstbarkeit geändert. Dies muss vom Kläger
nicht hingenommen werden (BGE 107 II 334 f.; 94 II 150).

    d) Zum gleichen Ergebnis führt eine weitere Überlegung. Werden zwei
Grundstücke vereinigt, so beurteilt sich die Frage, ob eine Dienstbarkeit
auch zugunsten des zum berechtigten Grundstück hinzugeschlagenen
Grundstückes ausgeübt werden dürfe, nach Art. 739 ZGB, der bestimmt:
"Ändern sich die Bedürfnisse des berechtigten Grundstückes, so darf
dem Verpflichteten eine Mehrbelastung nicht zugemutet werden." Der
gleiche Gedanke liegt auch Art. 91 Abs. 3 GBV zugrunde. Danach kann
die Vereinigung, falls Grunddienstbarkeiten zugunsten der betreffenden
Grundstücke eingetragen sind, ohne Einwilligung der Eigentümer der
belasteten Grundstücke nur stattfinden, wenn dadurch keine Vergrösserung
der Belastung eintritt. Eine Mehrbelastung infolge Zukaufs von Land braucht
vom Eigentümer des belasteten Grundstückes grundsätzlich nicht geduldet zu
werden (BGE 94 II 148 f.; LIVER, Zürcher Kommentar, N 22 zu Art. 737 ZGB).

    Eine Einwilligung des Klägers für eine Mehrbelastung liegt hier nicht
vor. Eine Mehrbelastung ist somit nicht statthaft. Das Widerklagebegehren,
die Dienstbarkeit sei zugunsten der (ganzen) Liegenschaft Nr. 8104
einzutragen, könnte jedoch eine Mehrbelastung nach sich ziehen,
soweit dadurch das Recht zur Ausübung der Dienstbarkeit auf die ganze
Liegenschaft ausgedehnt würde. Dies ist offensichtlich das eigentliche
Ziel der Grundstücksvereinigung, denn die Liegenschaft Nr. 2081 ist
zugestandenermassen dazugekauft worden, um auch zugunsten der ehemaligen
Liegenschaft Nr. 5046 ein Fusswegrecht "verbrieft" zu erhalten, wie sich
der Beklagte ausdrückt.

    Die Vorinstanz hat dies nicht übersehen. Sie hat eine Mehrbelastung
entsprechend dem Antrag des Beklagten durch die Bestimmung zu verhindern
versucht, dass das Fusswegrecht nur dem im Grundbuch eingetragenen
Eigentümer und dessen Familienangehörigen, nicht aber den Mietern der
berechtigten Liegenschaft zustehe. Ob eine solche Einschränkung zulässig
sei, ist jedoch fraglich. Mit der Formulierung, das Fusswegrecht stehe
dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Nr. 8104 zu, wird nämlich
klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Grunddienstbarkeit
handelt. Damit könnte die Berechtigung gegebenenfalls aber auch von
weiteren Personen ausgeübt werden, denen am herrschenden Grundstück ein
entsprechendes Nutzungsrecht, beispielsweise als Mieter oder Pächter,
zusteht (LIVER, Zürcher Kommentar, N 38 und 41 zu Art. 730 ZGB, N 25-30
zu Art. 739 ZGB). Soll eine Dienstbarkeit demgegenüber nur bestimmten
Personen zugute kommen, wie es dem Beklagten und der Vorinstanz offenbar
vorschwebt, so ist an sich eine irreguläre Personalservitut nach Art. 781
ZGB zu begründen. Die von der Vorinstanz vorgesehene Beschränkung
der Grunddienstbarkeit enthält mit anderen Worten Elemente beider
Dienstbarkeitsarten. Angesichts des numerus clausus der sachenrechtlichen
Institute erscheint eine solche Lösung kaum als zulässig. Davon abgesehen
lässt sich dem angefochtenen Entscheid auch nicht entnehmen, was gelten
solle, wenn auf der neuen Liegenschaft Stockwerkeigentum begründet würde,
wodurch die Berechtigung letztlich doch allen Bewohnern der Liegenschaft
zustehen würde.

    Die Lösung der Vorinstanz setzt zudem stillschweigend voraus, dass die
Vereinigung der Grundstücke an sich eine Ausdehnung der Berechtigung auf
das ganze neue Grundstück zur Folge habe. Dies erscheint jedoch ebenfalls
als zweifelhaft. Die Ausübung einer Dienstbarkeit ist nämlich nicht nur
auf dem belasteten, sondern auch auf dem berechtigten Grundstück räumlich
beschränkbar (BGE 94 II 150). Da der Eigentümer des belasteten Grundstückes
eine Mehrbelastung nicht hinzunehmen hat, müsste somit davon ausgegangen
werden, dass die Ausübung der Dienstbarkeit trotz der Vereinigung auf
den ursprünglichen Grundstücksteil beschränkt bleibt. Dem belasteten
Grundeigentümer kann es nicht zum Nachteil gereichen, wenn er entgegen
den Vorschriften des Grundbuchrechts bei der Vereinigung nicht begrüsst
worden ist. Eine solche Ausdehnung der Ausübungsberechtigung könnte
auch unter dem Gesichtspunkt des Gutglaubensschutzes nicht angenommen
werden. Aus den fraglichen Kaufverträgen geht klar hervor, auf welche
Grundfläche sich die Dienstbarkeit bezieht.

    Die Frage kann jedoch offenbleiben, nachdem der Kläger die Löschung
der Dienstbarkeit bereits deswegen verlangen kann, weil für das allein
berechtigte ehemalige Restgrundstück Nr. 2081 das Interesse an der Ausübung
der Dienstbarkeit entfallen ist (vgl. LIVER, N 20 zu Art. 743). Einer
Löschung der fraglichen Dienstbarkeit steht insoweit nichts entgegen.