Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 421



114 II 421

81. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. August 1988 i.S.
Durscher-Senn gegen Senn (Berufung) Regeste

    Gewinnanteilsrecht der Miterben (Art. 619 ff. ZGB).

    Gewinnanteilsrecht in einem Fall, da neben einem Baurecht ein
Kaufsrecht eingeräumt wurde, das erst nach Ablauf der vertraglich
vereinbarten Gewinnbeteiligungsdauer geltend gemacht werden kann:
Voraussetzungen der Begründung des Anspruchs und Berechnung des als
Gewinnanteil zu entrichtenden Betrags.

Sachverhalt

    A.- Aus dem Nachlass ihres Vaters übernahmen Urs Senn und Susanne
Durscher-Senn mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 21. Dezember 1981
die Liegenschaften Nrn. 238, 239 und 240 bzw. Nr. 244 in Uttigen je
zu Alleineigentum. Gemäss Ziffer 9 des erwähnten Vertrags räumte Urs
Senn seinen beiden Geschwistern ein Gewinnbeteiligungsrecht im Sinne
der Art. 619 ff. ZGB ein. Das Recht wurde auf eine Dauer von 15 Jahren
begrenzt und im Grundbuch vorgemerkt. In Ziffer 12 des Übernahmevertrags
wurde ferner ein auf ebenfalls 15 Jahre befristetes Vorkaufsrecht zu
Gunsten sämtlicher Geschwister und ihrer Mutter vereinbart.

    Am 27. Juni 1986 meldete Urs Senn dem Grundbuchamt verschiedene
Abparzellierungen an. Unter anderem sollten zwei Teilflächen des
Grundstücks Nr. 239 als selbständige Grundstücke Nrn. 537 und 538
ins Grundbuch aufgenommen werden. Urs Senn hatte bereits am 6. Juni
1986 mit zwei Ehepaaren bezüglich dieser beiden neuen Parzellen einen
Baurechtsvertrag abgeschlossen. In beiden Fällen wurde das Baurecht -
rückwirkend ab 1. Mai 1986 - für eine Dauer von 30 Jahren vereinbart und
bei der Berechnung des Baurechtszinses ein Quadratmeterpreis von Fr. 170.--
eingesetzt; für die Parzelle Nr. 537 ergab sich so ein Gesamtbetrag von
Fr. 76'160.-- und für die Parzelle Nr. 538 ein solcher von Fr. 84'660.--;
diese Beträge sollen je zu 3% verzinst werden. Die Baurechtsberechtigten
erhielten ferner ein auf ebenfalls 30 Jahre beschränktes Kaufsrecht
eingeräumt, das aber nicht vor dem 1. Mai 1997 ausgeübt werden kann.
Als Kaufpreis wurde dabei ein fester, d.h. nicht indexierter,
Quadratmeterpreis von wiederum Fr. 170.-- vereinbart.

    Durch Eingabe vom 15. Januar 1987 erhob Susanne Durscher-Senn beim
Appellationshof des Kantons Bern gegen Urs Senn Klage. Sie beantragte,
es sei ihr das unbeschwerte Eigentum an den Parzellen Nrn. 537 und
538 zuzusprechen; allenfalls sei festzustellen, dass ein Vorkaufsfall
eingetreten und dass sie im Verhältnis zum Beklagten Eigentümerin der
genannten Grundstücke sei; subeventuell sei der Beklagte zu verpflichten,
ihr einen Gewinnanteil gemäss richterlichem Ermessen nebst Zins zu 5%
seit 5. September 1986 zu bezahlen.

    Mit Urteil vom 25. Januar 1988 hiess der Appellationshof
(III. Zivilkammer) des Kantons Bern die Klage teilweise gut. Der Beklagte
wurde verpflichtet, der Klägerin den Betrag von Fr. 46'053.90 nebst Zins
zu 5% seit 5. September 1986 zu zahlen.

    Gegen den Entscheid des Appellationshofes haben beide Parteien beim
Bundesgericht Berufung erhoben. Während die Klägerin auf der Übertragung
des Eigentums an den Grundstücken Nrn. 537 und 538 beharrt, schliesst
der Beklagte auf vollumfängliche Abweisung der Klage; eventuell sei der
der Klägerin zugesprochene Betrag auf Fr. 10'942.90, subeventuell auf
Fr. 28'600.80 oder Fr. 40'251.75 herabzusetzen.

    In ihren Berufungsantworten stellen sowohl die Klägerin als auch der
Beklagte den Antrag, die Berufung der Gegenpartei sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (...) (Ausführungen zur klägerischen Berufung, die unbegründet
sei, weil, sollte der Vorkaufsfall tatsächlich eingetreten sein, das
Vorkaufsrecht jedenfalls zu spät ausgeübt worden wäre.)

Erwägung 2

    2.- a) Den der Klägerin zugesprochenen Gewinnanteil bestimmte der
Appellationshof aufgrund des Kaufpreises, den die beiden Ehepaare im
Falle der Ausübung des neben dem Baurecht vereinbarten Kaufsrechts gemäss
Vertrag vom 6. Juni 1986 frühestens am 1. Mai 1997 - zu bezahlen haben
würden (d.h. Fr. 170.-- je Quadratmeter). Für die Parzellen Nrn. 537 und
538 errechnete die Vorinstanz so einen Gesamtbetrag von Fr. 160'820.--,
wovon sie den ursprünglichen Anrechnungspreis für die Stammparzelle
Nr. 239 (gemäss Übernahmevertrag vom 21. Dezember 1981) von Fr. 680.--
in Abzug brachte, um auf einen Bruttogesamtgewinn von Fr. 160'140.-- und
einen Anteil der Klägerin (1/3) von Fr. 53'380.-- zu gelangen. Von dieser
Summe zog die Vorinstanz alsdann unter dem Titel "Besitzesdauerabzug 8%
für 4 Jahre (Art. 619bis Abs. 2 ZGB)" den Betrag von Fr. 4'270.40 und
ferner die unter dem Titel Gewinnanteil bereits geleisteten Zahlungen
von insgesamt Fr. 3'055.70 ab. Die Klägerin erhielt schliesslich einen
Gewinnanspruch von Fr. 46'053.90 zugesprochen.

    b) Der Beklagte hält der vorinstanzlichen Betrachtungsweise
entgegen, sie verstosse gegen Art. 619 ZGB; sie trage der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 105 II 177) nicht Rechnung,
wonach eine Gewinnbeteiligung ohne tatsächlich realisierten Gewinn
nicht denkbar sei. Im Falle der Begründung eines Baurechts könne eine
Gewinnbeteiligung nur an den jährlichen Baurechtszinsen beansprucht
werden. Das Gewinnanteilsrecht der Klägerin bestehe hier noch bis zum 21.
Dezember 1996. Für die Jahre 1986 und 1987 habe er der Klägerin die
entsprechenden Beträge schon entrichtet. Was die noch ausstehenden
Baurechtszinsen betreffe, so sei eine Diskontierung (im Ausmasse von
jährlich 5%) vorzunehmen. Der Beklagte gelangt auf diesem Weg zu einem
Anspruch der Klägerin von insgesamt Fr. 10'942.90.

    c) Bei seinen Überlegungen verkennt der Beklagte, dass im Rahmen
von Art. 619 Abs. 2 ZGB das Entgelt für ein Nutzungsrecht, das auf
einem veräusserungsähnlichen Rechtsgeschäft beruht, nicht in jedem
Fall als Veräusserungsgewinn zu gelten hat. Die im Jahre 1965 in Kraft
getretene Gesetzesbestimmung hat Klarheit darüber herbeigeführt, dass die
rechtsgeschäftliche Umsetzung des Werts eines Grundstücks auch beim Fehlen
einer Handänderung der Veräusserung der Liegenschaft gleichzusetzen
ist (vgl. ESCHER, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch,
Ergänzungslieferung zum landwirtschaftlichen Erbrecht, N. 14 zu Art. 619
ZGB). Bei einem veräusserungsähnlichen Tatbestand dieser Art ist deshalb
von einem Gewinn auszugehen, der dem Element der Veräusserung in einem
gewissen Masse Rechnung trägt. Freilich sind stets die Besonderheiten des
konkreten Rechtsgeschäfts zu berücksichtigen, kommt doch die Wertumsetzung
nicht in jedem Fall einer umfassenden Veräusserung gleich (vgl. BGE 105
II 172 ff. betreffend die materielle Enteignung; 97 II 309 ff. betreffend
die Ausbeutung von Bodenbestandteilen).

    Hinsichtlich eines für längere Zeit eingeräumten Baurechts vertritt
die Lehre die Ansicht, dass der kapitalisierte Baurechtszins dem
massgeblichen Verkehrswert des Grundstücks entspreche (vgl. GASSER, Le
droit des cohéritiers à une part de gain, Diss. Lausanne 1967, S. 121;
PIOTET, in: Schweizerisches Privatrecht, Band IV/2, S. 965 f.). Dem
mag entgegengehalten werden, dass dem Heimfallrecht zuwenig Beachtung
geschenkt werde. Die grundsätzliche Gleichsetzung des Baurechts mit einer
umfassenden Veräusserung ist indessen jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn
- wie vorliegend - insofern von einer eigentlichen Veräusserungsumgehung
gesprochen werden muss, als das Baurecht mit einem Kaufsrecht verbunden
ist, das erst nach Ablauf der Gewinnbeteiligungsdauer geltend gemacht
werden kann. Auch bei dieser Verbindung von Rechten steht zwar nicht von
vornherein fest, dass tatsächlich einmal ein Eigentümerwechsel eintreten
wird. Wo aber - wie hier - von allem Anfang an und unabänderlich ein
nicht der Teuerung anzupassender Kaufpreis und daneben ein bescheidener
Baurechtszins (von 3%) vereinbart wird, darf füglich von einer sehr
grossen Wahrscheinlichkeit der Ausübung des Kaufsrechts und damit von einer
aufgeschobenen umfassenden Veräusserung ausgegangen werden. Es ist unter
den gegebenen Umständen nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz bei der
Ermittlung des klägerischen Gewinnanteils auf den Kaufpreis abgestellt
hat, wie er dereinst von den Baurechts- und Kaufsrechtsberechtigten zu
zahlen sein würde.

    d) Der Appellationshof hat unter Berufung auf Art. 619bis Abs. 2
ZGB vom ermittelten Bruttogewinn zu Recht 8%, d.h. 2% je Jahr abgezogen,
das bis zum Eintritt des veräusserungsähnlichen Tatbestands verflossen
ist. Keineswegs ist dagegen eine weitere Diskontierung vorzunehmen,
wie es der Beklagte hilfsweise beantragt. Der Tatsache, dass das
Veräusserungsentgelt aufgeschoben worden ist, wird mit dem Baurechtszins
Rechnung getragen, der inskünftig vollumfänglich dem Beklagten als
Eigentümer der baurechtsbelasteten Grundstücke zukommen wird. Nach dem
Gesagten fällt auch eine Reduktion des Kaufpreises von Fr. 170.-- auf
Fr. 150.-- je Quadratmeter nicht in Betracht. Rechtfertigt der konkrete
veräusserungsähnliche Tatbestand eine grundsätzliche Gleichstellung des
abgeschlossenen Rechtsgeschäfts mit dem Verkauf, kann Art. 619bis Abs. 2
ZGB nur bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Beachtung finden. Auch
dem subeventualiter gestellten Antrag kann daher nicht entsprochen
werden. Mithin ist die Berufung des Beklagten ebenfalls vollumfänglich
abzuweisen.