Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 418



114 II 418

80. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1988 i.S. X.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Teilung der Erbschaft; Mitwirkung der Behörde (Art. 609 Abs.  2 ZGB).

    Der Art. 86 des appenzell-ausserrhodischen Gesetzes vom 27. April 1969
über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches ist insofern
mit dem im Zivilgesetzbuch verankerten Grundsatz der freien vertraglichen
Erbteilung, insbesondere mit Art. 634 Abs. 1 ZGB, nicht vereinbar, als
er bestimmt, dass jede Erbteilung unter der Aufsicht und Mitwirkung der
Erbteilungskommission stattfinde.

Sachverhalt

    A.- Der am 14. Juni 1986 verstorbene A. hatte Rechtsanwalt X.
zu seinem Willensvollstrecker eingesetzt. Dieser hat den Auftrag
angenommen. Mit Schreiben vom 17. Juli 1986 forderte die Gemeindekanzlei
Z. Rechtsanwalt X. unter anderem auf, nach erfolgter Erbteilung zwei
Exemplare des Teilungsvertrages "zur Genehmigung und Berechnung der
Erbschaftssteuern" einzureichen. Rechtsanwalt X. stellte sich auf den
Standpunkt, die Einsetzung eines Willensvollstreckers schliesse die
Mitwirkung der Teilungsbehörde aus. In einer formellen Verfügung vom
6. November 1987 bestätigte hierauf die Erbteilungskommission Z. die
Aufforderung vom 17. Juli 1986. Den von Rechtsanwalt X. hiergegen erhobenen
Rekurs wies der Regierungsrat von Appenzell A.Rh. durch Beschluss vom
9. August 1988 ab.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht stellt Rechtsanwalt
X. das Begehren, er sei in Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheids
von der Verpflichtung zur Einreichung des Teilungsvertrages zu befreien.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Seinen Entscheid stützt der Regierungsrat auf Art. 86 des
appenzell-ausserrhodischen Gesetzes vom 27. April 1969 über die Einführung
des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, wonach jede Erbteilung unter
der Aufsicht und Mitwirkung der Erbteilungskommission stattfindet. Er
ist der Ansicht, dass der Erbteilungsvertrag auch bei Einsetzung eines
Willensvollstreckers zur Genehmigung einzureichen sei. Bei Erlass des
Einführungsgesetzes sei der mögliche Konflikt mit dem im Schweizerischen
Zivilgesetzbuch niedergelegten Grundsatz der freien vertraglichen
Erbteilung erkannt worden; dennoch habe man aber am Obligatorium der
amtlichen Teilung festgehalten. Der Regierungsrat weist auf die guten
Erfahrungen hin, die mit dem alten Recht, das Erbschaftsprozesse zur
Seltenheit habe werden lassen, gemacht worden seien. Im übrigen ist die
kantonale Instanz der Auffassung, aus Lehre und Rechtsprechung ergebe
sich nicht eindeutig, dass Art. 86 EGzZGB bundesrechtswidrig sei. Der
Umstand, dass das Einführungsgesetz von 1969 vom Bundesrat genehmigt
worden sei, spreche gegen eine Bundesrechtswidrigkeit. Unter den gegebenen
Umständen sei der klare Wortlaut des kantonalen Rechts vorzuziehen und
die klare, seit Jahrzehnten unangefochtene Praxis der ausserrhodischen
Erbteilungskommissionen zu schützen.

Erwägung 2

    2.- a) Das Zivilgesetzbuch wird vom Grundsatz der freien vertraglichen
Erbteilung beherrscht (vgl. Art. 607 Abs. 2 und Art. 634 Abs. 1
ZGB). Im Sinne einer Ausnahme sieht Art. 609 Abs. 1 ZGB die Mitwirkung
der Behörde vor, wenn ein Gläubiger, der den Anspruch eines Erben auf
eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat oder der gegen
diesen Erben Verlustscheine besitzt, es verlangt. Daneben bleibt es dem
kantonalen Recht vorbehalten, für weitere Fälle eine amtliche Mitwirkung
bei der Teilung vorzusehen (Art. 609 Abs. 2 ZGB).

    b) Die amtliche Mitwirkung nach kantonalem Recht besteht im
wesentlichen darin, das Teilungsverfahren zu leiten und den Entwurf eines
Teilungsvertrages vorzulegen. Anlass für das behördliche Eingreifen
kann etwa sein, dass ein Erbe einen entsprechenden Antrag stellt oder
handlungsunfähig oder unbekannten Aufenthalts ist (wobei in den beiden
letzten Fällen vormundschaftliche Massnahmen zu treffen sind).

    Die kantonalen Vorschriften betreffend die amtliche Mitwirkung bei der
Erbteilung dürfen das das Zivilgesetzbuch beherrschende Prinzip der freien
privaten Teilung nicht beeinträchtigen. Namentlich ist es unzulässig,
die Verbindlichkeit eines von allen Erben angenommenen und unterzeichneten
Teilungsvertrages von der Genehmigung durch die Teilungsbehörde abhängig
zu machen (vgl. BGE 62 II 130 E. 1; 60 II 22; 51 II 488 ff., insbesondere
492; ESCHER, N. 1 ff. und 22 f. zu Art. 609 ZGB; TUOR/PICENONI, N. 21
f. zu Art. 609 ZGB; PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht,
Band IV/2, S. 852).

Erwägung 3

    3.- a) Die allgemeine Genehmigungspflicht, wie sie das
Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch von Appenzell A.Rh.
vorsieht, ist mit Art. 634 Abs. 1 ZGB, wonach die Teilung mit dem Abschluss
des Teilungsvertrages für die Erben verbindlich wird, nicht vereinbar. Dass
der Bundesrat das kantonale Gesetz genehmigt hat, vermag daran nichts
zu ändern. Ob die erwähnte Unvereinbarkeit dort erst recht gegeben ist,
wo der Erblasser einen Willensvollstrecker eingesetzt hat, dem nach Gesetz
(Art. 518 Abs. 2 ZGB) unter anderem die Durchführung der Teilung "nach den
vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes"
übertragen ist, mag dahingestellt bleiben (zu dieser Frage vgl. ESCHER,
N. 23 zu Art. 609 ZGB; TUOR/PICENONI, N. 23 zu Art. 609 ZGB; PIOTET, aaO,
S. 852).

    b) Umstände, die im Interesse eines oder mehrerer Erben die Mitwirkung
der Behörde nötig gemacht hätten, sind im vorliegenden Fall nicht dargetan.
Insbesondere wurden keine Zweifel an einer ordnungsgemässen Durchführung
der Teilung geäussert. Nach dem Gesagten sind deshalb in Gutheissung der
Nichtigkeitsbeschwerde der regierungsrätliche Beschluss vom 9. August
1988 und die durch diesen bestätigte Verpflichtung des Beschwerdeführers,
der Erbteilungskommission den Teilungsakt zur Genehmigung einzureichen,
aufzuheben.