Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 339



114 II 339

62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1988
i.S. D. gegen W. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 267 OR i.V.m. Art. 12 BMM. Unterschiedliche Kündigungsfristen.

    Es ist zulässig, für Mieter und Vermieter unterschiedliche
Kündigungsfristen zu vereinbaren, sofern Art. 267 OR nicht verletzt
wird. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Vertragspartei eine kürzere
Frist eingeräumt wird.

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 5. Januar 1986 vermietete D. Frau W. eine
3-Zimmer-Wohnung. Hinsichtlich der Mietdauer vereinbarten sie:

    "Kündigung: vier Monate (mindestens vier Monate) zum voraus jeweils
   auf 15.3. resp. 15.9. Der Vertrag ist frühestens kündbar auf 15.9.1990,
   ausgenommen wenn der Vermieter die Wohnung selbst beziehen möchte."

    Am 29. Januar 1987 kündigte W. den Vertrag auf den 15. Juni 1987.

    B.- D. anerkannte die Kündigung nicht, setzte in der Folge den
vertraglichen Mietpreis für den Monat Oktober 1987 von Fr. 2'300.--
in Betreibung und ersuchte auf Rechtsvorschlag der Mieterin hin um
provisorische Rechtsöffnung, welche ihm der Amtsgerichtspräsident III
von Luzern-Land am 17. Dezember 1987 gewährte.

    Das Obergericht des Kantons Luzern hob den angefochtenen Entscheid
am 21. April 1988 auf und verweigerte die Rechtsöffnung. Es erwog,
die für Vermieter und Mieter unterschiedlich vereinbarte zeitliche
Vertragsbindung verstosse gegen Art. 12 BMM und sei unbeachtlich. Die
Kündigung der Mieterin sei auf den 15. September 1987 gültig, ein Mietpreis
für den Monat Oktober 1987 damit nicht mehr geschuldet.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt D. dem Bundesgericht,
diesen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell die nachgesuchte provisorische
Rechtsöffnung zu gewähren.

    W. und das Obergericht des Kantons Luzern tragen auf Abweisung der
Beschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Die Parteien haben für ihren Mietvertrag eine Mindestdauer bis
zum 15. September 1990 vereinbart, welche für den Vermieter nicht bindend
sein sollte, sofern er das Mietobjekt zum Eigengebrauch beanspruche. Eine
Kündigung sollte nachher unter Beobachtung einer Frist von vier Monaten
auf den 15. März oder 15. September eines jeden Jahres zulässig sein.

    Das schweizerische Obligationenrecht kennt zum Mietvertrag keine
dem Arbeitsvertragsrecht (Art. 336 Abs. 2 OR) entsprechende Bestimmung,
welche für die Parteien unterschiedliche Kündigungsfristen oder -termine
nicht zulassen würde. Daraus schliessen Lehre und Rechtsprechung, es
sei gesetzlich zulässig, die Kündigungsformalitäten für Mieter und
Vermieter unterschiedlich zu regeln (Urteil des Bundesgerichts vom
1. Dezember 1982 i.S. Garage Cornavin S.A. c. CFF, E. 2c am Ende,
in BGE 108 II 416 ff. nicht publiziert; vgl. auch BGE 112 II 69 ff.;
OSER/SCHÖNENBERGER, N. 8 zu Art. 267 OR; SCHMID, N. 24 zu Art. 267
OR). Dieselbe Auffassung vertritt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 27.
März 1985 zur Volksinitiative "für Mieterschutz", zur Revision des Miet-
und Pachtrechts im Obligationenrecht und zum Bundesgesetz über Massnahmen
gegen Missbräuche im Mietwesen (BBl 1985 I 1389 ff., 1448). Daran ist nach
den Grundsätzen der Vertragsfreiheit unverändert festzuhalten. Schranken
der Parteiautonomie, welche sich im Einzelfall aus Art. 2 ZGB oder Art. 20
OR ergeben können, stehen vorliegend ausser Frage.

    Nach Art. 12 Abs. 1 BMM sind bei Mieten auf unbestimmte Dauer die
gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des Art. 267 Abs. 2 Ziff. 1
und 2 OR relativ zwingend, indem sie zwar vertraglich verlängert,
nicht aber verkürzt werden dürfen. In der Literatur werden dazu im
wesentlichen bloss unterschiedliche Auffassungen zur Frage vertreten, ob
der zwingende Charakter der Norm beidseitig sei, d.h. für Vermieter und
Mieter gleichermassen gelte (so z.B. BARBEY, L'arrêté fédéral instituant
des mesures contre les abus dans le secteur locatif, S. 129; SCHMID, N. 39
zu Art. 267 OR), oder nur den Mieter schütze, weshalb dieser vertraglich
zu einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ermächtigt werden
könne (so z.B. GUIDE DU LOCATAIRE, Herausgeber: Fédération romande
des locataires, S. 188; GMÜR/CAVIEZEL, Mietrecht-Mieterschutz, S. 124;
MIETRECHT FÜR DIE PRAXIS, Herausgeber: Schweiz. Mieterverband S. 162;
BEAT MEYER, Mietrecht im Alltag, S. 34). Zur Frage, ob in Berücksichtigung
der als zwingend erklärten Bestimmungen des Obligationenrechtes weiterhin
unterschiedliche Kündigungsfristen vereinbart werden können oder ob
solche Vereinbarungen durch Art. 12 Abs. 1 BMM ebenfalls ausgeschlossen
sind, hält einzig BARBEY unter Hinweis auf BGE 108 II 416 ausdrücklich
auch nach Massgabe von Art. 12 Abs. 1 BMM unterschiedliche Fristen
für zulässig (aaO, S. 129 Fn. 410). Demgegenüber vertritt RENE MÜLLER
(Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen
vom 30. Juni 1972, Diss. Zürich 1976, S. 152) die Auffassung, der
Zweck des Erlasses verbiete auch in dieser Hinsicht eine Bevorzugung
des Vermieters, so dass zwar Art. 267 OR beachtende, jedoch für die
Parteien unterschiedlich vereinbarte Kündigungsfristen nur zulässig
seien, wenn sie den Mieter privilegierten. Diese Auffassung findet im
Erlass selbst keine Stütze. Auch die teleologische Auslegung führt
nicht zu einem solchen Ergebnis. Zweck des Bundesbeschlusses ist es,
den Mieter vor missbräuchlichen Mietzinsen und andern missbräuchlichen
Forderungen des Vermieters zu schützen (Art. 1 BMM; BGE 112 II 71
E. 3). Kündigungsrechtlich wird dieser Schutz auf die Ausgestaltung
bisher dispositiver Normen (Art. 267 OR) zu zwingendem Recht beschränkt.
Ausserhalb der Minimalfristen aber sind die Parteien im Rahmen ihrer
Parteiautonomie weiterhin frei, ihre Vertragsbeziehungen selbst
zu gestalten und dabei auch unterschiedliche Fristen und Termine
zu vereinbaren. Insoweit hat der BMM die bisherige Rechtslage nicht
verändert. So geht denn auch der Bundesrat in der erwähnten Botschaft vom
27. März 1985, nach welcher die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine
ebenfalls relativ zwingend ausgestaltet werden sollen (BBl 1985 I 1508,
Vorschlag zu Art. 267 Abs. 1 OR), weiterhin davon aus, unterschiedliche
Regelungen für Vermieter und Mieter seien zulässig (aaO, S. 1448). Eine
andere Auslegung von Art. 12 Abs. 1 BMM ist schlechterdings unhaltbar und
damit willkürlich. Entsprechend ist der angefochtene Entscheid aufzuheben.