Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 329



114 II 329

60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. November 1988 i.S. Frau C. gegen
Frau A. und Frau B. (Berufung) Regeste

    Art. 20 Abs. 1 und 98 Abs. 3 OR. Kollision von Verträgen.

    1. Klage auf Feststellung, dass ein Kaufvertrag nichtig sei, weil er
gegen einen Erbteilungsvertrag verstosse; Auslegung des Rechtsbegehrens
(E. 1).

    2. Ein Grundstückkauf unter zwei Erben, die sich damit über das im
Erbteilungsvertrag vereinbarte Veräusserungsverbot hinwegsetzen, ist unter
allen Beteiligten als ungültig zu betrachten, wenn das Verbot nach Art. 2
und 27 ZGB nicht zu beanstanden ist und der Käufer sich insbesondere
nicht auf guten Glauben berufen kann (E. 2).

Sachverhalt

    A.- A., der 1957 starb, hinterliess seine Ehefrau und die Töchter
B. und C. als Erben. Entgegen seiner letztwilligen Verfügung, dass
die Nutzniessung an seiner Liegenschaft Nr. 6554 in Schaffhausen der
überlebenden Ehefrau eingeräumt werden sollte, schlossen die Erben am
22./30. Juli 1958 einen Erbteilungsvertrag, mit dem die Liegenschaft
auf die Witwe übertragen wurde. Um die Rechte der Miterben zu wahren,
vereinbarten die Parteien im Vertrag, dass die Witwe die Liegenschaft ohne
Zustimmung der Töchter weder ganz noch teilweise verkaufen, zu Lebzeiten
oder durch Testament vermachen, weiter belasten oder baulich verändern
durfte. Die Verfügungsbeschränkungen konnten angeblich im Grundbuch nicht
vorgemerkt werden.

    Mit Vertrag vom 10. September 1985 verkaufte Frau A. die Liegenschaft
an ihre Tochter B., die bei ihr wohnt.

    B.- Am 6. Oktober 1986 klagte Frau C. gegen ihre Mutter und ihre
Schwester auf Feststellung, dass die Abtretung der Liegenschaft Nr. 6554
gemäss Vertrag vom 10. September 1985 von der Erst- an die Zweitbeklagte
nichtig sei; das Grundbuchamt sei deshalb zu veranlassen, den Eintrag zu
berichtigen. Die Beklagten widersetzten sich diesen Begehren.

    Das Kantonsgericht und auf Appellation hin am 6. Mai 1988 auch
das Obergericht wiesen die Klage ab. Sie fanden, die Erstbeklagte habe
zwar nicht die Verfügungserlaubnis, aber die Verfügungsmacht gehabt, die
Liegenschaft an die Zweitbeklagte zu verkaufen. Der Teilungsvertrag habe
sie wegen seines rein obligatorischen Charakters daran nicht gehindert. Die
Erstbeklagte sei allerdings schadenersatzpflichtig, worüber im vorliegenden
Prozess mangels eines entsprechenden Begehrens aber nicht zu entscheiden
sei. Der Verkauf verstosse auch nicht gegen Treu und Glauben oder gegen
die guten Sitten, zumal es nicht um eine familienrechtliche Verpflichtung
gehe und die Parteien seit langem zerstritten seien.

    C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung
eingereicht, mit der sie an ihren Rechtsbegehren sinngemäss festhält;
eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Die Beklagten beantragen, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im kantonalen Verfahren wollte die Klägerin festgestellt wissen,
dass die Abtretung der Liegenschaft an die Zweitbeklagte nichtig sei.
Beide Vorinstanzen haben deshalb den Kaufvertrag der Beklagten vom 10.
September 1985 darauf hin geprüft, ob er wegen eines widerrechtlichen
Inhalts oder wegen Verstosses gegen die guten Sitten im Sinne von Art. 20
Abs. 1 OR nichtig sei, was sie verneinten.

    Mit dem Feststellungsbegehren ging es der Klägerin indes nicht
bloss um die Nichtigkeit des Kaufvertrages. Sie führte dazu bereits
vor den kantonalen Instanzen teils ausdrücklich, teils sinngemäss
aus, dass die Abtretung der Liegenschaft an die Zweitbeklagte gegen
den Erbteilungsvertrag der Parteien, insbesondere gegen das darin
vereinbarte Veräusserungsverbot verstosse und ungültig sei, weshalb die
Eigentumsverhältnisse gemäss Teilungsvertrag wiederhergestellt werden
müssten. Das erhellt ferner aus ihrem Berichtigungsbegehren, womit sie
verlangte, dass der Eintrag des Kaufvertrages im Grundbuch rückgängig
gemacht werde. In der Berufung hat sie die beiden Rechtsbegehren denn auch
dahin zusammengefasst, dass die Abtretung als ungültig zu erklären und die
Beklagten zur Rückübertragung der Liegenschaft auf die Erstbeklagte zu
verpflichten seien. Sie scheint dabei freilich anzunehmen, der Verstoss
gegen den Erbteilungsvertrag genüge für sich allein nicht; die Nichtigkeit
der Abtretung ergebe sich aber aus dem sittenwidrigen Vorgehen der
Beklagten. Das schadet ihr indes nicht, denn das Bundesgericht hat das
Bundesrecht auf den festgestellten Sachverhalt so oder anders von Amtes
wegen anzuwenden (BGE 109 II 262 und 108 II 217 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin macht geltend, sie habe Anspruch darauf, dass die
im Erbteilungsvertrag vorgesehene Verpflichtung, die Liegenschaft nicht
zu veräussern, eingehalten werde. Sie könne folglich verlangen, dass die
Abtretung ungültig erklärt, der rechtswidrige Zustand beseitigt und die
Liegenschaft wieder auf die Mutter übertragen werde. Das Obergericht habe
diese Tatsachen verkannt und dadurch ihren Anspruch auf Realerfüllung der
Verpflichtung verletzt. Die Beklagten halten dem insbesondere entgegen,
bei der Unterzeichnung des Teilungsvertrages sei allen Beteiligten klar
gewesen, dass sich die streitige Verfügungsbeschränkung nur gegen einen
Verkauf der Liegenschaft an einen Aussenstehenden richte; es habe jedoch
nie die Meinung bestanden, dass der Mutter auch ein Verkauf an eine der
beiden Töchter ohne Zustimmung der andern verboten werden sollte. Die
Klägerin habe daher weder der Mutter noch der Schwester gegenüber einen
Erfüllungsanspruch.

    a) Die streitige Verfügungsbeschränkung des Erbteilungsvertrages ist an
sich als zulässig zu betrachten, da von keiner Seite behauptet wird, dass
sie wegen übermässiger Bindungen nach Art. 2 oder 27 ZGB zu beanstanden
sei (LIVER, Schweizerisches Privatrecht (SPR) V/1 S. 202; PIOTET, SPR IV/1
S. 180 unten). Als Rechtsgeschäft unter Lebenden fällt die Beschränkung
auch nicht unter den Vorbehalt von Art. 494 Abs. 3 ZGB. Als obligatorisches
Rechtsgeschäft entfaltet sie dagegen nur relative Bindungen, verpflichtet
und berechtigt bloss die Parteien, nicht aber einen Dritten, der diese
Bindungen missachtet. Auf dessen guten oder bösen Glauben kommt jedenfalls
solange nichts an, als sein Verhalten nicht gegen die guten Sitten im
Sinne von Art. 41 Abs. 2 OR verstösst und eine Schadenersatzpflicht
deshalb als begründet erscheinen lässt (BGE 114 II 97/98; MEIER-HAYOZ,
N. 10 zu Art. 655 ZGB; KRAMER, OR Allg. Einleitung, N. 49).

    Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nun aber darin, dass
die Zweitbeklagte als Erwerberin der Liegenschaft nicht eine Dritte
in der relativen Beziehung, sondern ihrerseits Vertragspartnerin im
Dreiecksverhältnis der Parteien ist. Fragen kann sich somit bloss, ob
sie mit dem Abschluss des Kaufvertrages eine vertragliche Pflicht der
Klägerin gegenüber verletzt hat, ob diese also beiden Beklagten gegenüber
aus dem Teilungsvertrag einen Anspruch auf Unterlassung der Handänderung
hat und damit eine gemeinsame Vertragsverletzung vorliegt. Das eine wie
das andere ist dann zu bejahen, wenn die Auslegung des Teilungsvertrages
ergibt, dass das Veräusserungsverbot nicht nur im Verhältnis zu Dritten,
sondern auch im internen Verhältnis der Vertragsparteien begründet worden
ist, mit andern Worten, die Mutter und die Töchter sich je gegenseitig
verpflichtet haben, auch unter sich eine Veräusserung ohne Zustimmung
der zweiten Tochter zu unterlassen.

    Bei dieser Auslegung des Verbotes haben beide Beklagten sich über
die vertragliche Pflicht hinweggesetzt, auch der Klägerin gegenüber eine
Veräusserung der Liegenschaft zu unterlassen. Die Klägerin kann deshalb
entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht nur Schadenersatz beanspruchen;
sie ist gemäss Art. 98 Abs. 3 OR auch berechtigt, von den Beklagten die
Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes zu verlangen. Es liegt nach
der besondern Lage, die sich aus dem Zusammentreffen der beiden Verträge
ergibt, der eher seltene Fall vor, dass ein Anspruch auf Realerfüllung bei
untersagtem Vertragsschluss nicht nur nach dem Grundsatz der Prävention zu
bejahen ist (VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 88 Anm. 19a; KRASSER,
Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, S. 92 ff.),
sondern wegen der gemeinsamen und identischen Vertragsverletzung auch
gegenüber beiden Parteien, die den verpönten Vertrag abgeschlossen
haben, durchgesetzt werden kann. Diese Auffassung wird übrigens auch
bei Ausnützung fremden Vertragsbruchs, insbesondere beim Doppelverkauf
vertreten, indem dem geschädigten Erstkäufer ein Anspruch auf Herausgabe
der Sache gegenüber dem Zweitkäufer und Erwerber eingeräumt wird,
wenn dieser sittenwidrig gehandelt hat (OFTINGER, Haftpflichtrecht I,
4. Aufl. S. 68 Anm. 64; KRAMER, aaO N. 55). Auf ähnlichen Grundgedanken
beruht Art. 70 OR. Den vorliegenden Sachverhalt anders zu behandeln,
rechtfertigt sich umso weniger, als die Beklagten nicht nur eine sittliche,
sondern eine vertragliche Pflicht verletzt haben.

    b) Eine andere Frage ist, welche Rechtsfolge als angemessen
zu betrachten ist. Dies hängt insbesondere davon ab, ob das
Berichtigungsbegehren der Klägerin in ein Leistungsbegehren umgedeutet
werden darf und als solches zu schützen ist, oder ob es mangels eines
tauglichen Rechtsbegehrens bei der Abweisung der Klage bleibt.

    Eine absolute Nichtigkeit des Kaufvertrages im Sinne von Art. 20
Abs. 1 OR, die von Amtes wegen festzustellen und zu berücksichtigen wäre
(BGE 110 II 368, 108 II 409), liegt nicht vor. Gleichwohl ist davon
auszugehen, dass Verträge, deren Inhalt gegen irgendwelche Vorschriften
der Rechtsordnung verstösst, nicht gültig sein können und dürfen; wenn
ihr Inhalt widerrechtlich ist und der Vorhalt beide Vertragspartner
trifft, sind sie vielmehr als ungültig anzusehen (BUCHER, OR Allg. Teil
S. 218). Gewiss ist dabei vorweg an Verstösse gegen Gebote oder Verbote
der Rechtsordnung zu denken. Ein Vertrag ist indes auch dann als ungültig
zu betrachten, wenn er autonomes Recht verletzt, alle Beteiligten diesem
Recht unterstehen und dessen Verletzung zu verantworten haben. An die
Stelle einer absoluten Nichtigkeit tritt diesfalls die parteiinterne
Unwirksamkeit, die Ungültigkeit unter den Beteiligten. Alle aus dem
autonomen Recht Berechtigten können sich darauf berufen und damit
den Vertrag zu Fall bringen. Ist das Verpflichtungsgeschäft über
die Veräusserung aber als unwirksam anzusehen, so muss dies auch für
das kausale Verfügungsgeschäft gelten, das folglich zusammen mit dem
Eigentumsübergang dahinfällt, wenn der Erwerber nicht anderweitig geschützt
ist, sich insbesondere wie hier nicht auf guten Glauben stützen kann.
So besehen erweist sich das Berichtigungsbegehren der Klägerin ebenfalls
als zulässig.

    c) Die Entscheidungsgründe des Obergerichts, das bloss einen Verstoss
gegen die Verfügungserlaubnis angenommen und das Verfügungsgeschäft zu
Unrecht für wirksam gehalten hat, gehen daran vorbei. Das angefochtene
Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie die Tragweite der streitigen Vertragsklausel auch darauf hin
prüft, ob die Verfügungsbeschränkung sich angeblich nach Meinung der
Beteiligten nur gegen Dritte richtete, wie die Beklagten unbekümmert darum,
dass sie nicht als gutgläubig anzusehen sind, noch vor Bundesgericht
behaupten. Dem klaren Wortlaut der Klausel ist dafür allerdings nichts
zu entnehmen. Fragen kann sich bloss, ob die Beteiligten einen davon
abweichenden, übereinstimmenden innern Willen hatten, der gemäss Art. 18
Abs. 1 OR ihrer schriftlichen Willensäusserung vorginge und einer Auslegung
der Klausel nach dem Vertrauensgrundsatz entgegenstände, was als Tatfrage
aber vorweg zu klären ist (BGE 100 II 27, 99 II 285 E. 2, 98 II 6 E. 2,
95 II 146 mit weiteren Hinweisen).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts
aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.