Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 314



114 II 314

57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Juni 1988 i.S.
Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Kuhn (Berufung)
Regeste

    Grunddienstbarkeit; Inhalt (Art. 730 ZGB).

    1. Es ist grundsätzlich zulässig, das Verbot, auf einem Grundstück
ein bestimmtes Gewerbe zu betreiben, als Grunddienstbarkeit auszugestalten
(Erw. 2 und 3).

    2. Die Dienstbarkeit, wonach es untersagt ist, auf dem belasteten
Grundstück eine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wird durch
den blossen Verkauf von Brot und anderen Backwaren in einem
Discount-Ladengeschäft nicht verletzt (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Albrik Kuhn ist Eigentümer der Liegenschaft GB Wohlen Nr.  3378,
Plan 30, Parzelle 3708, auf der er eine Bäckerei und Konditorei betreibt.
Zugunsten seines Grundstücks und zu Lasten der Nachbarliegenschaft GB
Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, wurde mit Vertrag vom 5. Januar
1982 unter anderem folgende Dienstbarkeit vereinbart, die im Grundbuch
eingetragen wurde:

    "VI. Begründung einer Gewerbebeschränkung

    Josef Stocker als Eigentümer der belasteten Parzelle 3344 räumt Albrik

    Kuhn als Eigentümer der berechtigten Parzelle 3708 eine

    Gewerbebeschränkung ein. Danach darf auf dem belasteten Grundstück

    Parzelle 3344 zugunsten des berechtigten Grundstückes 3708 keine
Bäckerei
   und Konditorei betrieben werden."

    Das Grundstück Nr. 431 wurde in der Folge überbaut und alsdann durch
die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt erworben. Diese
vermietet im Neubau Ladenräumlichkeiten an den Lebensmittelverein Zürich,
der unter der Geschäftsbezeichnung "Billi-Top-Discount" auch Brot und
andere Backwaren feilhält.

    Mit Eingabe vom 2. Juli 1986 reichte Albrik Kuhn beim Bezirksgericht
Bremgarten gegen die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt
Klage ein mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verpflichten, auf dem
Grundstück GB Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, jeglichen Verkauf von
Bäckerei- und Konditoreiprodukten einzustellen bzw. einstellen zu lassen.

    Die Beklagte beantragte hierauf widerklageweise, es sei festzustellen,
dass die vom Kläger angerufene Gewerbebeschränkung nicht Inhalt einer
Dienstbarkeit sein könne.

    Mit Urteil vom 30. Oktober 1986 entschied das Bezirksgericht, dass
die Klage gutgeheissen und die Widerklage abgewiesen werde.

    Eine von der Beklagten hiergegen eingereichte Beschwerde wies das
Obergericht (1. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 23. März 1987 ab.

    Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung an das
Bundesgericht erhoben. Sie erneuert ihr Widerklagebegehren und verlangt
demzufolge, der Eintrag der strittigen Gewerbebeschränkung im Grundbuch
sei zu löschen; eventuell sei festzustellen, dass durch den Verkauf von
Brot- und Backwaren im "Billi-Top-Discount" die Gewerbebeschränkung nicht
verletzt werde.

    Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hält die Ausgestaltung einer Gewerbebeschränkung
als Dienstbarkeit selbst dort für zulässig, wo es um ein reines
Konkurrenzverbot geht. Nach Ansicht der Vorinstanz wären die
Grundbuchämter überfordert, wenn sie zu unterscheiden hätten zwischen
Gewerbebeschränkungen, die sich auf die Nutzung des Grundstücks auswirkten,
und solchen, die ausschliesslich der Durchsetzung eines Konkurrenzverbots
dienten. Ob eine Gewerbebeschränkung der Abwehr unerwünschter Immissionen
diene oder sonstwie die Nutzung des belasteten Grundstücks betreffe, hange
im Einzelfall stark von den örtlichen Gegebenheiten wie etwa der bisherigen
Nutzung sowie den im fraglichen Gebiet geltenden Bau-, Immissions- und
Nutzungsvorschriften ab; zudem könnte im Dienstbarkeitsvertrag die Abwehr
von Immissionen als Zweck lediglich vorgespiegelt werden. Die Vorinstanz
gelangte ferner zum Schluss, dass die strittige Gewerbebeschränkung nicht
nur den Betrieb eines herkömmlichen Bäckerei- und Konditoreigeschäfts
erfasse, sondern als generelles Verbot, Backwaren zu verkaufen, zu
verstehen sei.

Erwägung 3

    3.- a) In BGE 86 II 243 ff. hatte das Bundesgericht über eine
Grunddienstbarkeit zu befinden, wonach auf der belasteten Liegenschaft
"weder ein Kolonial-, Mercerie- und Schuhwarengeschäft, noch ein Warenhaus
betrieben werden" durfte. Es hielt fest, dass Dienstbarkeiten, die
dem Eigentümer des belasteten Grundstücks eine Betätigung untersagten,
zu der er nicht bloss kraft seines Grundeigentums, sondern kraft der
jedermann zustehenden persönlichen Freiheit befugt wäre, einschränkend
auszulegen seien; es frage sich sogar, ob eine solche einzig im Sinne
eines Konkurrenzverbots vereinbarte Gewerbebeschränkung sich überhaupt
als Grunddienstbarkeit verdinglichen lasse. Unter Hinweis auf die
herrschende Lehre und auf den Umstand, dass Dienstbarkeiten der fraglichen
Art in der Schweiz eine geradezu gewohnheitsrechtliche Bedeutung erlangt
hätten, erklärte das Bundesgericht, die Schranken von Art. 730 Abs. 1
ZGB betreffend den Inhalt einer Grunddienstbarkeit seien jedenfalls dann
gewahrt, wenn die Last zum Schutz eines auf dem berechtigten Grundstück
dauernd betriebenen Gewerbes begründet werde, das seinerseits diesem
Grundstück seinen wirtschaftlichen Charakter aufpräge (BGE 86 II 252
f. E. 6).

    b) Der Entscheid des Bundesgerichts stiess namentlich bei LIVER
auf heftige Kritik (vgl. ZBJV 97/1961, S. 380 ff.; dazu auch Kommentar,
N. 135 f. zu Art. 730 ZGB). Dieser Autor wendet insbesondere ein, die
"Verdinglichung" eines Konkurrenzverbots im Sinne der bundesgerichtlichen
Praxis führe dazu, dass die Schranken, die das Obligationenrecht
hinsichtlich Zeit, Ort und Gegenstand für ein Konkurrenzverbot vorsehe,
umgangen würden, und lasse ein solches Verbot zu einer absolut und
voraussetzungslos wirkenden Bindung von ewiger Dauer werden; Beschränkungen
der persönlichen Handlungsfreiheit fielen im übrigen gar nicht unter
den Begriff der Dienstbarkeit; Dienstbarkeiten seien Beschränkungen des
Eigentums, vor allem des Grundeigentums; durch sie werde dem Belasteten
eine Eigentümerbefugnis entzogen. Mit einer einschränkenden Auslegung
der Gewerbebeschränkungen, wie sie das Bundesgericht empfehle, sei sehr
wenig zu erreichen; ebensowenig helfe der bundesgerichtliche Hinweis auf
die Utilität als Rechtfertigungsgrund; in erster Linie komme es unter
diesem Gesichtspunkt nicht auf das berechtigte, sondern auf das belastete
Grundstück an.

    Die Auffassung LIVERS wird in der übrigen Literatur insofern
geteilt, als dem Grundsatze nach einhellig davon ausgegangen wird,
dass die als Grunddienstbarkeit ausgestaltete Gewerbebeschränkung
einer Beschränkung der Eigentümerbefugnisse auf seiten des belasteten
Grundstücks gleichkommen müsse (vgl. HUBER, in: ZBGR 33/1952, S. 150 f.,
und ZBGR 41/1960, S. 380 f.; EGGEN, in: ZBGR 39/1958, S. 136; PIOTET,
Dienstbarkeiten und Grundlasten, in: Schweizerisches Privatrecht, Band
V/1, S. 551; REY, N. 85 ff. zu Art. 730 ZGB; RIEMER, Die beschränkten
dinglichen Rechte, Grundriss des schweizerischen Sachenrechts, II. Band,
S. 64; ZOBL, Der zulässige Inhalt von Dienstbarkeiten, Diss. Zürich 1976,
S. 132 ff.). Unterschiedliche Meinungen herrschen allerdings darüber, wann
gesagt werden kann, eine Betätigung bestimme den körperlichen Zustand,
die äussere Erscheinungsform sowie den wirtschaftlichen oder sozialen
Charakter des dienenden Grundstücks und mit deren Unterlassung solle eine
nach aussen schädigende, belästigende oder störende Eigentumsnutzung
verhindert werden (vgl. LIVER, N. 110 zu Art. 730 ZGB; PIOTET, aaO
S. 551). Immerhin fällt auf, dass sowohl PIOTET (aaO) wie auch REY (N. 91
zu Art. 730 ZGB) und ZOBL (aaO) die bundesgerichtliche Rechtsprechung in
BGE 86 II 243 ff. (wie auch in BGE 85 II 177 ff.) im Ergebnis billigen.

    c) Die Nutzung eines Grundstücks zu gewerblichen Zwecken und
demzufolge auch das Unterlassen einer gewerblichen Tätigkeit prägen
die äussere Erscheinungsform und den wirtschaftlichen sowie sozialen
Charakter des betroffenen Grundstücks in jedem Fall. Ob und in welcher
Art eine Liegenschaft gewerblich genutzt werden darf, ist somit nicht
nur eine Frage der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, sondern
regelmässig auch eine solche des Rechts des Eigentümers zur Nutzung
seines Grundstücks. Es geht deshalb nicht an, die Ausgestaltung eines
Gewerbeverbots - sei es umfassend, sei es beschränkt - als Dienstbarkeit
von vornherein auszuschliessen mit der Begründung, ein solches habe
mit der Grundstücksnutzung nichts zu tun. Soweit aber die Nutzung
des Grundeigentums in Frage steht, bleibt ohne Belang, dass mit einer
Gewerbebeschränkung unter Umständen ein Konkurrenzverbot erreicht werden
soll, weil sich auf dem herrschenden Grundstück bereits ein entsprechender
Gewerbebetrieb befindet; die Zulässigkeit einer Dienstbarkeit beurteilt
sich nicht nach dem Motiv, sondern einzig nach dem Inhalt.

    d) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Verpflichtung, auf einem
bestimmten Grundstück keine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wie sie
hier strittig ist, grundsätzlich ebensogut Gegenstand einer Dienstbarkeit
sein kann wie etwa das Verbot, eine Gastwirtschaft zu führen (das auch von
LIVER, N. 131 zu Art. 730 ZGB, für zulässig gehalten wird). Dass hier
der Kläger auf seinem Grundstück selbst ein Geschäft der fraglichen Art
betreibt, vermag daran nichts zu ändern. Soweit die Beklagte verlangt,
es sei festzustellen, dass die strittige Gewerbebeschränkung nicht
Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein könne, und das Grundbuchamt sei
anzuweisen, die entsprechenden Einträge zu löschen, ist die Berufung
mithin unbegründet.

Erwägung 4

    4.- Die zugunsten des klägerischen Grundstücks eingetragene
Dienstbarkeit steht indessen einem Ladengeschäft, wie es vom Mieter
der Beklagten betrieben wird, auch nach Ansicht des Klägers nicht
entgegen. Ob in einem solchen Geschäft Esswaren, Tranksame oder etwa
Papeterieartikel oder Kleider verkauft werden, hat in aller Regel keinen
wesentlichen Einfluss auf den Charakter des betreffenden Grundstücks. Mit
einer als Dienstbarkeit ausgestalteten Gewerbebeschränkung kann deshalb
grundsätzlich nicht bestimmt werden, was im Ladengeschäft soll feilgeboten
werden dürfen. Gründe, die zu einem andern Schluss führen würden, sind
hier nicht ersichtlich. Zur Einschränkung des Warensortiments bedürfte es
einer schuldrechtlichen Verpflichtung, wobei mit einem Konkurrenzverbot
dieser Art freilich den Schranken von Art. 27 ZGB Rechnung zu tragen wäre.

    Die Berufung ist somit insofern gutzuheissen, als festzustellen ist,
dass der blosse Verkauf von Brot und anderen Backwaren auf dem Grundstück
der Beklagten die zugunsten der klägerischen Liegenschaft eingetragene
Grunddienstbarkeit (Gewerbebeschränkung) nicht verletzt.