Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 26



114 II 26

5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Juni 1988 i.S. X.
gegen X. und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 163 und 176 ZGB.

    Die vom einen Ehegatten in der Form der Haushaltführung und der
Kinderbetreuung erbrachte Unterhaltsleistung hat sowohl nach altem
wie nach neuem Eherecht als gleichwertig mit dem Geldbeitrag des
andern Gatten zu gelten. Die Ehegatten haben auch nach Anordnung des
Getrenntlebens den gleichen Anspruch auf Weiterführung einer angemessenen
Lebenshaltung. Bleibt nach Abzug des Zwangsbedarfs der beiden Ehegatten
von ihrem Gesamteinkommen ein Überschuss, so soll an diesem in der Regel
jeder Gatte zur Hälfte beteiligt sein. Eine Aufteilung dieses Überschusses
im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel zugunsten des Ehemannes
ist ohne besondere Begründung willkürlich.

Sachverhalt

    A.- Am 3. Juni 1987 stellte V. X. ein Begehren um Eheschutzmassnahmen
und verlangte die Regelung des Getrenntlebens für die Dauer von zwei
Jahren. Mit Befehlsurteil vom 6. Juli 1987 erkannte der Präsident des
Bezirksgerichts Aarau, die Parteien seien zum Getrenntleben berechtigt,
die Ehefrau habe die eheliche Wohnung bis spätestens am 30. September
1987 zu verlassen und der Ehemann habe der Ehefrau einen persönlichen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'000.-- im Monat zu bezahlen.

    B.- Gegen das Befehlsurteil erhob H. X. Beschwerde an das Obergericht
des Kantons Aargau. Er beantragte, der Unterhaltsbeitrag für seine Ehefrau
sei auf monatlich Fr. 2'280.-- herabzusetzen. Das Obergericht hiess die
Beschwerde am 21. März 1988 teilweise gut und setzte den Unterhaltsbeitrag,
den der Ehemann der Ehefrau zu leisten hat, auf Fr. 2'670.-- für die
Zeit ab dem Wegzug der Ehefrau aus der ehelichen Liegenschaft bis zum
31. Dezember 1987 und für jene ab 1. Januar 1988 auf Fr. 2'430.-- im
Monat fest.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht beantragt
V. X. die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts.

    Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- a) Unter Hinweis auf seine neuere, in den Aargauischen Gerichts-
und Verwaltungsentscheiden (AGVE) 1986 S. 15 ff. publizierte Rechtsprechung
hat das Obergericht bei der Festsetzung des Unterhaltsbeitrags für
die Beschwerdeführerin zunächst den Grundbedarf beider Ehegatten bei
getrennter Haushaltführung berechnet. Dabei ist es von den Existenzminima
des Betreibungs- und Konkursrechts ausgegangen. Für den Ehemann
beträgt der Zwangsbedarf Fr. 2'338.-- (Grundbetrag Fr. 805.--, Wohnung
Fr. 1'240.--, Krankenkasse Fr. 153.--, Auslagen für berufsbedingte Kleider
Fr. 40.--, Fahrtkosten zum Arbeitsplatz Fr. 100.--) und für die Ehefrau
Fr. 1'837.-- (Grundbetrag Fr. 805.--, Wohnung Fr. 900.--, Krankenkasse
Fr. 132.--). Diesen Existenzminima von zusammen Fr. 4'175.-- stehen nach
den Feststellungen des Obergerichts ein monatliches Nettoeinkommen des
Ehemannes von Fr. 8'857.-- und der Ehefrau von Fr. 354.50 gegenüber. Wird
nur das Erwerbseinkommen des Ehemannes berücksichtigt, so ergibt sich
ein Bruttoüberschuss von Fr. 4'682.-- und nach Abzug des monatlichen
Steuerbetrags von Fr. 1'833.-- ein Nettoüberschuss von Fr. 2'849.--
pro Monat.

    b) Dieser Nettoüberschuss, der grundsätzlich der Aufstockung der
Existenzminima beider Ehegatten dienen soll, ist nach Auffassung
des Obergerichts nicht schematisch nach Hälften zu teilen, auch
wenn damit beiden Ehegatten die bisherige Lebenshaltung ermöglicht
werden könnte. Es sei vielmehr darauf zu achten, ob das Einkommen
des unterhaltsverpflichteten Ehegatten bereits dazu verwendet werden
musste, um das Existenzminimum des unterhaltsberechtigten zu mehr als
einem Drittel zu decken. Trifft dies wie hier zu, so sind nach Ansicht
des Obergerichts dem unterhaltsverpflichteten Gatten zwei Drittel des
Nettoüberschusses zuzusprechen, während dem unterhaltsberechtigten nur
noch der restliche Drittel zukommen soll. Im vorliegenden Fall wären
somit der Beschwerdegegner mit Fr. 1'899.-- und die Beschwerdeführerin
mit Fr. 950.-- am Nettoüberschuss beteiligt.

    c) Schliesslich hat das Obergericht auch noch das Erwerbseinkommen
der Ehefrau von Fr. 354.50 monatlich berücksichtigt. Und zwar hat
es für die Zeit bis zum 31. Dezember 1987 nach der bisherigen Praxis
der aargauischen Gerichte dieses Einkommen zu einem Drittel, nämlich
Fr. 118.--, angerechnet. Für die Zeit nach dem 1. Januar 1988, d.h. nach
Inkrafttreten des neuen Eherechts, hat es den ganzen Betrag von Fr. 354.50
in Rechnung gestellt, so dass der Ehemann in seiner Verpflichtung, der
Ehefrau einen Drittel des Nettoüberschusses zu überlassen, in diesem
Umfange entlastet wurde. Der auf die Ehefrau entfallende Betrag von
Fr. 2'787.--, der sich aus ihrem Existenzminimum von Fr. 1'837.-- und
ihrem Drittelsanteil am Nettoüberschuss von Fr. 950.-- zusammensetzt,
wurde dementsprechend reduziert, so dass ihr der Ehemann einen monatlichen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'670.-- bis zum 31. Dezember 1987 und von Fr.
2'430.-- ab dem 1. Januar 1988 schuldete.

Erwägung 4

    4.- Als willkürlich rügt die Beschwerdeführerin vor allem die vom
Obergericht vorgenommene ungleiche Teilung des Nettoüberschusses des
ehemännlichen Erwerbseinkommens. Sie macht geltend, das Obergericht
missachte im angefochtenen Entscheid nicht nur die bundesgerichtliche
Rechtsprechung in BGE 111 II 103 ff., sondern es halte sich ohne
hinreichenden Grund auch nicht an seine eigene in AGVE 1986 S. 15
ff. eingehend begründete Praxis. Im Ergebnis führe die ungleiche Teilung
des Nettoüberschusses dazu, dass die getrennt lebende Ehefrau nicht
mehr die gleiche Lebenshaltung wie früher geniesse, obwohl der Ehemann
in der Lage wäre, ihr diese zu bieten. Es dürfe bei der Bewilligung des
Getrenntlebens auch nicht ausser Betracht bleiben, dass der Ehe während
über 30 Jahren die traditionelle Rollenverteilung zugrunde gelegen
habe. Dem Obergericht sei daher willkürliche Ermessensausübung vorzuwerfen.

Erwägung 5

    5.- a) Nach der Auffassung des Obergerichts, wie sie im
angefochtenen Entscheid zum Ausdruck kommt, ist sowohl unter altem wie
nach neuem Eherecht zunächst abzuklären, in welchem Umfang die Ehefrau
die erforderlichen finanziellen Mittel für ihren Grundbedarf selber
aufzubringen vermag bzw. inwiefern sie auf Geldleistungen des Ehemannes
angewiesen ist. Gelingt es der Ehefrau nicht, ihren Grundbedarf zu zwei
Dritteln zu decken, so soll der Nettoüberschuss des Erwerbseinkommens des
Ehemannes nicht mehr hälftig unter die Ehegatten aufgeteilt werden. Diese
Betrachtungsweise beruht mindestens im Ergebnis auf der Vorstellung, dass
sowohl die bisherige wie auch die neue Ordnung der Ehe in dieser Hinsicht
vom Grundsatz der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Ehegatten ausgehe.

    b) Eine solche Vorstellung verträgt sich indessen weder mit dem alten
noch mit dem neuen Eherecht. Was das Zivilgesetzbuch von 1907 anbetrifft,
so übersieht das Obergericht, dass der Gesetzgeber eine ganz bestimmte
Aufgabenteilung unter den Ehegatten vorgenommen hat. Der Ehefrau sollte in
erster Linie der innerhäusliche Bereich, insbesondere die Haushaltführung,
anvertraut bleiben (Art. 161 aZGB), während der Ehemann vor allem für
den Geldbedarf der ehelichen Gemeinschaft, einschliesslich der in ihr
lebenden Kinder, aufzukommen hatte (Art. 160 Abs. 2 aZGB). Sowohl die
Haushaltführung des einen als auch der Geldbeitrag des andern haben zum
Unterhalt beider Ehegatten und ihrer unmündigen Kinder beigetragen, so
dass ungeachtet der Ausdrucksweise des Gesetzgebers in Art. 160 Abs. 2
aZGB der Ehemann nicht allein für den ehelichen Unterhalt aufzukommen
hatte. Der gesetzlichen Ordnung, die bis zum 31. Dezember 1987 in Kraft
stand, war sodann zu entnehmen, dass der von der Ehefrau in natura zu
leistende Beitrag grundsätzlich als gleichwertig mit jenem des Ehemannes
in der Form von Geldmitteln zu gelten hatte.

    An dieser Rechtslage hat sich unter dem Zivilgesetzbuch von 1984 nur
insofern etwas geändert, als das neue Eherecht keine Aufgabenteilung mehr
vorschreibt, sondern die Ehegatten im Rahmen von Art. 163 ZGB vielmehr
selber über den beidseitigen Unterhaltsbeitrag zu befinden haben. Auch
unter neuem Eherecht können die Ehegatten daher vereinbaren, dass sich ein
Ehegatte vorab der Haushaltführung zuwendet, während der andere in erster
Linie für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel besorgt ist. So
erwähnt Art. 163 Abs. 2 ZGB ausdrücklich, dass der Unterhaltsbeitrag eines
Ehegatten insbesondere in der Besorgung des Haushalts und der Betreuung
der Kinder bestehen kann. Auch der Reformgesetzgeber geht offensichtlich
davon aus, dass diese bisher regelmässig und wohl auch weiterhin vor allem
von der Ehefrau erbrachte Unterhaltsleistung in natura als gleichwertig
mit dem Geldbeitrag des andern Ehegatten zu gelten hat (Botschaft des
Bundesrates über die Änderung des schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom
11. Juli 1979, Ziffer 214.122, BBl 1979 II S. 1251).

    c) Von einem Grundsatz der wirtschaftlichen Selbständigkeit der
Ehegatten kann daher sowohl nach dem bisherigen als auch nach dem neuen
Eherecht nicht die Rede sein, ebensowenig wie von einer gleichförmigen
und hälftigen Aufteilung sämtlicher Aufgaben, die den ehelichen Unterhalt
sicherzustellen haben. Dagegen sind sowohl unter altem wie auch unter
neuem Recht die Haushaltführung und Kinderbetreuung in aller Regel als
vollwertiger Unterhaltsbeitrag eines Ehegatten anzuerkennen.

Erwägung 6

    6.- Die Arbeitsteilung unter den Ehegatten im Sinne des bisherigen
Zivilgesetzbuches von 1907 führt auch unter neuem Recht ohne weiteres
dazu, dass der nicht haushaltführende Ehegatte - wenn nicht immer
ausschliesslich, so doch in erster Linie - die erforderlichen Geldmittel
beizusteuern hat. Die Mehrleistung eines Ehegatten an Geldbeiträgen
findet ihre Rechtfertigung in der Naturalleistung des andern Gatten. Sie
kann daher grundsätzlich nicht dazu Anlass geben, den einen Ehegatten
bei der Regelung des Getrenntlebens im Sinne von Art. 176 ZGB anders zu
behandeln als den andern. Auch bei vorübergehendem Getrenntleben haben
vielmehr beide Ehegatten weiterhin Anspruch darauf, dass die angemessene
Lebenshaltung für beide in gleicher Weise sichergestellt wird (vgl. BGE
111 II 106 E. 3c im Rahmen von Art. 145 aZGB).

    Es mag zwar sein, dass die getrennte Haushaltführung wegen zusätzlicher
Kosten gewisse Anpassungen in der Lebenshaltung bedingt. Zudem lässt sich
auch nicht vermeiden, dass die bisherige Haushaltführung, die von einem
Ehegatten allein übernommen worden ist, nicht mehr in gleicher Weise beiden
Ehegatten zugute kommen kann. Das ändert aber nichts daran, dass beide
Ehegatten Anspruch auf den gleichen Lebensstandard haben, solange die Ehe
nicht aufgelöst ist. Das gilt selbst dann, wenn der bei langer Ehedauer
besonders bedeutsame Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. HAUSHEER in
ZBJV 122/1986 S. 68 ff.; HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, 1987, S. 158
Rz. 16.25 ff. sowie BGE 113 II 16 E. 4) einer sofortigen Änderung der
Aufgabenteilung entgegensteht und die zusätzlichen Kosten der getrennten
Haushaltführung nicht auf beide Ehegatten aufgeteilt werden können. Unter
diesen Umständen haben Mann und Frau entweder in gleicher Weise Abstriche
an der bisherigen Lebenshaltung hinzunehmen, weil die Leistungsfähigkeit
beider Ehegatten nichts anderes zulässt, oder aber die erhöhten Kosten
für die Weiterführung des bisherigen Lebensstandards bei getrennter
Haushaltführung sind ausschliesslich von jenem Ehegatten zu tragen,
der eine zusätzliche Anstrengung zu verkraften vermag.

Erwägung 7

    7.- Im vorliegenden Fall hätte das Obergericht angesichts des
überdurchschnittlichen Erwerbseinkommens des Ehemannes von Fr. 8'857.--
im Monat vorab prüfen müssen, ob nicht der Beschwerdegegner die
erhöhten Kosten der getrennten Haushaltführung zu tragen habe, da der
Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihr fortgeschrittenes Alter und
nach mehr als dreissigjähriger ausschliesslicher Haushaltführung keine
zusätzliche Leistung zuzumuten war. Soweit die vom Obergericht angestrebte
Aufteilung des errechneten Nettoüberschusses des ehemännlichen Einkommens
dazu dienen soll, jedem Ehegatten über den durch das Getrenntleben
bestimmten Grundbedarf hinaus eine bessere Lebensführung zu ermöglichen,
bestand auf jeden Fall kein Anlass, vom Grundsatz der Gleichbehandlung
der Ehegatten auch während des Getrenntlebens abzuweichen. In diesem Sinne
hat sich auch das Bundesgericht in BGE 111 II 106 E. 3c (im Zusammenhang
mit Art. 145 aZGB) geäussert, indem es darauf hingewiesen hat, dass
eine andere als die hälftige Teilung des Betrages, der nach Befriedigung
des Zwangsbedarfs beider Ehegatten vom für den ehelichen Unterhalt zur
Verfügung stehenden Einkommen übrigbleibt, einer besondern Begründung
bedarf. Eine solche Begründung hat das Obergericht im vorliegenden
Fall nicht zu geben vermocht. Der von ihm angeführte Umstand, dass die
Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, ihren Grundbedarf bis zu zwei
Dritteln selber zu decken, vermag - wie dargelegt - ein Abweichen vom
Grundsatz der Gleichbehandlung keinesfalls zu rechtfertigen.

Erwägung 8

    8.- Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Ehegatten bei der
Regelung des Getrenntlebens darf allerdings nicht dazu führen, dass
über den Umweg der hälftigen Teilung des den Ehegatten insgesamt
zustehenden Einkommens eine Vermögensverschiebung eintritt, welche
die güterrechtliche Auseinandersetzung im Rahmen der altrechtlichen
Vorschlagsteilung bzw. der neurechtlichen Errungenschaftsbeteiligung
vorwegnehmen würde. Die hälftige Teilung muss vielmehr dort ihre Grenze
finden, wo das vorhandene Einkommen aus Arbeit und Vermögensertrag -
und zwar nach neuem Recht von beiden Ehegatten - mehr ausmacht, als
es die Wahrung der von den Gatten gewählten angemessenen Lebenshaltung
erfordert. Ob dies auch für die Ehegatten X. zutrifft, so dass sich eine
ungleiche Verteilung des vom Obergericht errechneten Nettoüberschusses
unter den Ehegatten wenigstens teilweise im Ergebnis begründen liesse,
kann aufgrund der Aktenlage nicht beurteilt werden.

    Da es demnach im angefochtenen Entscheid an einer rechtlich
vertretbaren Begründung für die ungleiche Aufteilung des Nettoüberschusses
des Einkommens auf die Ehegatten fehlt, vermag er vor dem Willkürverbot
des Art. 4 BV nicht standzuhalten, weshalb er aufzuheben ist.

Erwägung 9

    9.- Bei der neuen Berechnung des Unterhaltsbeitrages, den der
Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin zu leisten hat, wird das
Obergericht auch dem Umstand Rechnung zu tragen haben, dass die getrennt
lebende Ehefrau ihren Anteil an den kantonalen Steuern selber zu bezahlen
hat, so dass diese im Unterschied zur direkten Bundessteuer nicht mehr
ausschliesslich den Ehemann belasten.