Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 230



114 II 230

40. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Mai 1988 i.S.
Alexandre SA gegen Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt
(Berufung) Regeste

    Verantwortlichkeit des Grundeigentümers (Art. 679 ZGB).

    Hat der bauende Grundeigentümer alle ihm zumutbaren Massnahmen
ergriffen und lässt es sich trotzdem nicht vermeiden, dass mit den
Bauarbeiten die Schranken des Eigentumsrechtes überschritten werden
und der Nachbar eine Schädigung erleidet, so hat dieser Anspruch auf
Schadenersatz unter der Voraussetzung, dass die Einwirkungen übermässig
sind und die Schädigung beträchtlich ist. Ob dies in einem konkreten Fall
zutrifft, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und beruht
im wesentlichen auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der
Beteiligten unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs sowie der Lage und
der Beschaffenheit der Grundstücke (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt ist
Eigentümerin der Liegenschaft an der Ecke Bahnhofstrasse 104 und
Schützengasse 10/12 in Zürich. Von Februar 1982 bis Ende Oktober 1983
liess sie an dieser Liegenschaft einen Umbau und eine Fassadenrenovation
ausführen; dabei wurden, um das Gebäude herum und weitgehend auf
öffentlichem Boden, Bauinstallationen aufgestellt. Die Benützung des
öffentlichen Grundes war im Juni 1981 durch die Gewerbepolizei der Stadt
Zürich und am 22. Juli 1981 durch den Stadtrat von Zürich bewilligt worden.

    Die Alexandre SA führte an der Schützengasse 7 zwei
Detailverkaufsgeschäfte für Mode, die sie im August 1980 eröffnet
hatte. Sie verlangte im März 1983 von der Schweiz. Lebensversicherungs-
und Rentenanstalt Ersatz des durch die Bauarbeiten verursachten Schadens,
was diese indessen verweigerte.

    B.- Am 23. April 1985 klagte die Alexandre SA beim Handelsgericht des
Kantons Zürich gegen die Schweiz. Lebensversicherungs- und Rentenanstalt
auf Zahlung eines nach richterlichem Ermessen festzusetzenden Betrages,
mindestens aber von Fr. 750'000.-- nebst Zins zu 7,5% seit 1. Dezember
1982. Die Klage wurde am 6. Mai 1987 abgewiesen.

    Gegen dieses Urteil des Handelsgerichts erhob die Alexandre SA Berufung
an das Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat in BGE 83 II 375 ff. Stellung bezogen zur
Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für den Schaden, den Bauarbeiten
auf seinem Grundstück dem Eigentümer eines Nachbargrundstückes oder dem
Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechtes oder eines persönlichen
Rechtes, namentlich einem Mieter oder Pächter, zufügen. Es hat in diesem
Urteil ausgeführt, dass der für die Bauarbeiten mitbenützte öffentliche
Grund als Teil des Baugrundstückes zu betrachten sei. Die Haftung des
Grundeigentümers gemäss Art. 679/684 ZGB hat das Bundesgericht für den
Fall bejaht, dass die aus baulichen Vorrichtungen für den Nachbarn sich
ergebenden Unzukömmlichkeiten gewisse Grenzen überschreiten, die der
Richter unter Berücksichtigung der gesamten Umstände und Abwägung der
beidseitigen Interessen zu bestimmen hat. Das Bundesgericht hat in diesem
Entscheid auch erkannt, dass technisch notwendige Werkplatzanlagen Ursache
einer Schädigung des Nachbarn sein können und dass ihre Errichtung sich
als Überschreitung des Eigentumsrechtes erweisen kann.

    PETER LIVER hat BGE 83 II 375 ff. als ein "erstaunliches Urteil"
bezeichnet, weil danach auch Massnahmen, ohne welche die unerlässlichen
Bauarbeiten auf einem Grundstück überhaupt nicht durchgeführt werden
können, widerrechtlich seien und zu Schadenersatz verpflichteten, wenn
die Beeinträchtigung eines Nachbarn während der Bauzeit ein gewisses
Mass überschreite. Er hat auch darauf hingewiesen, dass die Frage,
ob und wie auf einem Grundstück gebaut werden dürfe, überhaupt nicht
nach Art. 684 ZGB (der den speziellen Tatbestand der Überschreitung des
Grundeigentums nach Art. 679 ZGB regle, welche in mittelbaren Einwirkungen
auf Nachbargrundstücke bestehen) zu beurteilen sei, da diese Bestimmung
nur Anwendung finde auf die Art und Weise der Benutzung eines Grundstücks
oder Gebäudes im Sinne der Bewirtschaftung (ZBJV 95/1959, S. 20 ff.).

    Dieser Kritik hat sich das Bundesgericht nicht verschlossen und
deshalb die Verantwortlichkeit des Grundeigentümers in BGE 91 II 100
ff. einer neuen Prüfung unterzogen. Es hat in diesem Entscheid ausgeführt,
die Haftung des bauenden Grundeigentümers für unvermeidliche Immissionen
lasse sich nicht einfach auf Art. 679 ZGB stützen. Diese Norm mache den
Grundeigentümer bloss für Überschreitungen seines Eigentumsrechtes, nicht
aber für die Folgen einer in allen Teilen rechtmässigen Eigentumsausübung
verantwortlich. Es könne jedoch bei Ausführung einer Baute zu Immissionen
kommen, die zwar unvermeidlich seien und daher hingenommen werden müssten,
aber das ordentlicherweise bei der Benutzung und Bewirtschaftung eines
Grundstückes Zulässige nach Art, Stärke und Dauer weit überstiegen. Es
stehe einem Grundeigentümer inmitten eines städtischen Quartiers nicht zu,
bei der gewöhnlichen Benutzung und Bewirtschaftung seines Grundstückes die
Nachbarschaft mehr als zwei Jahre lang mit Lärm- und Staubeinwirkungen
zu belästigen und zu schädigen und darüber hinaus die Zugangswege
zum nachbarlichen Ladengeschäft durch Belegung und Abschrankung des
öffentlichen Strassenbodens (wenn auch mit behördlicher Bewilligung)
zu verschlechtern. Das Privileg, in den Rechtsbereich des Nachbarn
einzugreifen, sei dem bauenden Grundeigentümer nur zuzuerkennen, soweit
der Eingriff sich bei der Bauausführung nicht vermeiden lasse. Da Art. 679
ZGB mit dieser Rechtslage nicht rechne, bestehe eine Gesetzeslücke, welche
der Richter in dem Sinne auszufüllen habe, dass die Schadenersatzpflicht
auch dann zu bejahen sei, wenn die Überschreitung der Schranken des
Nachbarrechtes mit Rücksicht auf das besondere Interesse des bauenden
Grundeigentümers und auf die Erfordernisse der Bauausführung ausnahmsweise
zu dulden sei.

    LIVER, der diesem Urteil grundsätzlich zugestimmt hat, hat darin die
Schaffung eines neuen Tatbestandes der Kausalhaftung des Grundeigentümers
gesehen. Dieser haftet unter der Voraussetzung, dass er die Grenzen
seiner Liegenschaft überschreitet und die Zulässigkeit der Überschreitung
auf einer Sonderbewilligung der zuständigen Verwaltungsbehörde beruht
(ZBJV 103/1967, S. 1 ff.). MEIER-HAYOZ vermisst bei diesem Urteil eine
Stellungnahme des Bundesgerichts zur Frage, ob eine echte oder eine unechte
Lücke vorliege. Er hält dafür, dass es sich um eine Gesetzesberichtigung,
also um die Ausfüllung einer unechten Lücke handle, legt dem Richter aber
nahe, solche unechten Lücken im Nachbarrecht nur mit grosser Zurückhaltung
anzunehmen und besonders sorgfältig zu prüfen, ob dem Interesse des
betroffenen Nachbarn ein ernsthaftes und objektiv vertretbares Interesse
des Immittenten gegenüberstehe (Kommentar, N. 222/224 zu Art. 684 ZGB).

    Das Bundesgericht hat die mit BGE 91 II 100 ff. begründete
Rechtsprechung in zwei Urteilen vom 14. November 1986 bestätigt. Das
eine Urteil (Société Parking de la Place de Cornavin S.A. gegen Devillon
& Cie und Dame Jacqueline Devillon) ist von PIERRE TERCIER zustimmend
besprochen worden (La protection contre les nuisances liées à des travaux
de construction, in: Baurecht 1987, S. 82 ff.).

Erwägung 3

    3.- Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht besteht
im vorliegenden Fall kein Anlass, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben.

    a) Übertrieben erscheint jedenfalls die verallgemeinernde Feststellung
im Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich, es gelte der Tendenz
entgegenzuwirken, für jedwelchen erlittenen Schaden Deckung durch
das Haftpflichtrecht zu suchen, und es dürfe nicht "einer uferlosen
Schadenersatzbegehrlichkeit nach amerikanischem Vorbild" willfahren werden.
Schaden, der im Zusammenhang mit Bauarbeiten entsteht, ist in den wenigsten
Fällen eine Bagatelle, die sorgfältige Prüfung durch den Richter nicht
verdiente.

    b) Fragwürdig ist auch die Meinung des Handelsgerichts, das
Immissionsverbot des schweizerischen Rechtes habe Ausnahmecharakter. Nach
Art. 684 ZGB ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums
sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum des Nachbarn zu
enthalten. Sobald Einwirkungen die Schwelle überschreiten, die durch Lage
und Beschaffenheit der Grundstücke und durch den Ortsgebrauch bestimmt
wird, sind sie grundsätzlich verboten.

    c) Unerheblich ist die Bemerkung im angefochtenen Urteil, die
Einwirkungen auf Nachbargrundstücke würden sich in aller Regel im Laufe
der Zeit ausgleichen, weil an jeder Liegenschaft Unterhaltsarbeiten
ausgeführt werden müssten; denn im vorliegenden Fall stehen sich nicht
zwei Grundeigentümer gegenüber, sondern ein Grundeigentümer und ein Mieter
einer benachbarten Liegenschaft.

    d) In diesem Zusammenhang ist auch die Feststellung des Handelsgerichts
zu präzisieren, die Beklagte sei Grundeigentümerin "inmitten eines
städtischen Wohnquartiers". In Tat und Wahrheit geht es im vorliegenden
Fall nämlich um Bauarbeiten, die an der Zürcher Bahnhofstrasse ausgeführt
wurden. Zusammen mit den benachbarten Strassen und Gassen ist die Zürcher
Bahnhofstrasse weltbekannt wegen der dort niedergelassenen Banken und
Ladengeschäfte; sie ist gewiss nicht das, was man sich unter einem
städtischen Wohnquartier üblicherweise vorstellt.

    Diese Präzisierung erfolgt allerdings nicht im Sinne der Berichtigung
eines offensichtlichen Versehens (Art. 63 Abs. 2 OG), sondern unter
Berücksichtigung einer gerichtsnotorischen Tatsache. Wie die Klägerin
zutreffend vorbringt, würde derselbe Sachverhalt, wie er der vorliegenden
Streitsache zugrunde liegt, in einem eigentlichen Wohnquartier kaum zu
einer Schadenersatzpflicht führen, weil dort die Quartierbewohner in den
Geschäften zu einem grossen Teil Artikel des täglichen Bedarfs einkaufen
und die Läden in ihrer Nähe auch dann aufsuchen, wenn der Zugang zu ihnen
durch Bauinstallationen erschwert ist. Demgegenüber kommt die Kundschaft,
welche die Geschäfte an der Zürcher Bahnhofstrasse und in deren nächster
Nähe aufsucht, in grosser Zahl auch aus den übrigen Gebieten der Schweiz
und aus dem Ausland. Diese Kundschaft wird, ganz besonders wenn es um
Modeartikel geht, von den Wünsche weckenden Auslagen in Schaufenstern
und Verkaufsräumen zum Betreten eines Ladengeschäftes veranlasst. Die
Ladeninhaber rund um die Bahnhofstrasse haben daher ein ganz besonderes
Interesse daran, dass der Zugang zu ihrem Geschäft ohne Schwierigkeiten
gefunden wird.

    e) Zuzugeben ist hingegen, dass die Begründung des in BGE 91 II 100 ff.
veröffentlichten Urteils nicht in allen Teilen zu befriedigen vermag. Es
erscheint wenig überzeugend, wenn das Bundesgericht dort eine Gesetzeslücke
mit dem Argument bejaht hat, diese sei beim Erlass des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches noch kaum erkennbar gewesen, jedoch im Laufe der
Jahrzehnte infolge der Entwicklung der maschinellen Baumethoden und der
häufigen Inanspruchnahme öffentlichen Bodens immer mehr erkennbar geworden.

Erwägung 4

    4.- a) Es steht auch im vorliegenden Fall fest, dass die von
der Liegenschaft der Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf die
Detailverkaufsgeschäfte der Klägerin - in erster Linie die Erschwerung
des Zuganges durch Belegung und Abschrankung des öffentlichen Grundes -
den Tatbestand der übermässigen und folglich unzulässigen Eigentumsausübung
erfüllen und damit einen Anspruch auf Beseitigung der Schädigung oder auf
Schadenersatz begründen würden, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den von
der Beklagten veranlassten Umbau- und Renovationsarbeiten ständen. Nur weil
diese Bauarbeiten notwendig und zweckmässig sind, die Einwirkungen selbst
bei Anwendung aller Sorgfalt unvermeidlich sind und die Beanspruchung des
öffentlichen Grundes von den zuständigen Behörden bewilligt wurde, kann
der Beklagten keine Rechtswidrigkeit vorgeworfen werden. Objektiv bleiben
jedoch die Immissionen übermässig und mit dem Gebot nachbarrechtlicher
Rücksichtnahme unvereinbar.

    Dem Nachbarn, der einem solchen Eingriff in seinen Rechtsbereich
ausgesetzt ist, steht ausnahmsweise kein Abwehranspruch zu; es ist
ihm aber, im System der privatrechtlichen Eigentumsordnung, ein
Anspruch auf Entschädigung zuzugestehen. Dabei sind die Analogien
zum öffentlichrechtlichen Institut der Enteignung augenfällig. Eine
"privatrechtliche Enteignung" ist im übrigen, wenn man sich der mittelbaren
gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen (Überbau: Art. 674 Abs. 3 ZGB,
Durchleitung: Art. 691 ZGB, Notweg: Art. 694 ZGB, Notbrunnen: Art. 710 ZGB)
erinnert, der schweizerischen Rechtsordnung nicht fremd.

    Nachteilige Einwirkungen, die der bestimmungsgemässe Gebrauch
einer öffentlichen Sache nach sich zieht und die sich nicht oder
nur durch unverhältnismässige Aufwendungen vermeiden lassen, sind
ebenfalls vom Nachbarn hinzunehmen und durch eine Entschädigung nach
Enteignungsgrundsätzen abzugelten (BGE 91 II 483 E. 5, 96 II 348 f. E. 6a,
107 Ib 388 f. E. 2a).

    b) Nur mit Bedacht kann auf den auch vom Handelsgericht des Kantons
Zürich angerufenen § 906 BGB verwiesen werden, der die Abwehr von
Einwirkungen und die Erlaubnis zur Einwirkung zum Gegenstand hat. Diese
Bestimmung des deutschen Rechtes gesteht zwar dem Eigentümer, der eine
Einwirkung zu dulden hat, einen angemessenen Ausgleich in Geld zu, versagt
aber in der Regel die Entschädigung bei sogenannten negativen Immissionen
(MÜNCHENER Kommentar, 2. Auflage, § 906 Rz. 20; Kommentar STAUDINGER-ROTH,
§ 906 Rz. 114 ff.) - dies im Gegensatz zum schweizerischen Recht (Kommentar
MEIER-HAYOZ, N. 55 und 78 zu Art. 684 ZGB). Eine Ausnahme hat die deutsche
Rechtsprechung indessen seit jeher gemacht - d.h. § 906 BGB entsprechend
angewendet -, wenn die negativen Immissionen darin bestanden, dass ein
Grundstück von seiner Zugangsmöglichkeit abgeschnitten wurde oder dass
ein Nachbar durch nachhaltige Behinderung des Kontakts nach aussen
beeinträchtigt wurde (Kommentar STAUDINGER-ROTH, § 906 Rz. 123).

    c) Nicht leicht zu entscheiden ist die Frage, ob die durch BGE 91
II 100 ff. eingeleitete und in der Folge bestätigte Rechtsprechung auf
dem Schliessen einer echten oder einer unechten Lücke beruhe. Sollte
mit MEIER-HAYOZ (Kommentar, N. 222 zu Art. 684 ZGB) eine unechte Lücke
angenommen werden - in dem Sinne, dass die vorhandene Regelung in
einem bestimmten Anwendungsbereich zu einem sachlich unbefriedigenden
Resultat führt und deshalb nur scheinbar eine Antwort gibt (HÄFELIN, Zur
Lückenfüllung im öffentlichen Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag
von Hans Nef, Zürich 1981, S. 92; Kommentar MEIER-HAYOZ, N. 271 und
275 ff. zu Art. 1 ZGB) -, so rechtfertigt sich deren Schliessen trotz
aller bei der Lückenfüllung gebotenen Zurückhaltung; denn soweit die
Einwirkungen sich tatsächlich als übermässig erweisen, geht es darum,
einen gerechten und vernünftigen Ausgleich zwischen den widerstreitenden
Interessen eines Grundstückeigentümers und dessen Nachbarn herzustellen.

Erwägung 5

    5.- a) Hat der bauende Grundeigentümer alle ihm zumutbaren Massnahmen
ergriffen und lässt es sich trotzdem nicht vermeiden, dass mit den
Bauarbeiten die Schranken des Eigentumsrechtes überschritten werden und
der Nachbar eine Schädigung erleidet, so ist die Ersatzpflicht unter den
Voraussetzungen zu bejahen, dass die Einwirkungen übermässig sind und
die Schädigung beträchtlich ist (BGE 91 II 107 E. 3). Ob dies in einem
konkreten Fall zutrifft, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen
und beruht im wesentlichen auf einer Abwägung der widerstreitenden
Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs sowie
der Lage und der Beschaffenheit der Grundstücke. Dem kantonalen Richter,
der diese Wertung vorzunehmen hat, steht ein weites Ermessen zu. Das
Bundesgericht greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von einem falschen
Begriff der übermässigen Einwirkung (oder der beträchtlichen Schädigung)
ausgegangen ist oder von ihrem Ermessen einen offensichtlich unrichtigen
Gebrauch gemacht hat (BGE 88 II 14 f. E. 2, 101 II 250 E. 3, 109 II 309).

    b) Die Berufungsbeklagte bestreitet, dass das Nachbargrundstück
übermässigen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei. Sie bestreitet auch,
dass sich der vorliegende Sachverhalt mit den Sachverhalten vergleichen
lasse, welche in BGE 83 II 375 ff., 91 II 100 ff., 109 II 304 ff. und
in den beiden unveröffentlichten Entscheiden vom 14. November 1986 zu
beurteilen waren.

    Bezüglich des Sachverhalts führt die Berufungsbeklagte sodann aus,
durch die Schützengasse eine Querstrasse zur Bahnhofstrasse - fliesse
kein Passantenstrom. Von der Bahnhofstrasse her seien erst aus einigen
Metern Entfernung und bei genauerem Hinsehen die Ladengeschäfte der
Klägerin mit zwei kleinen Firmenschildern zu erblicken, und zwar mit
oder ohne Baustellenwand. Die einzige Behinderung durch die Bauarbeiten
habe darin bestanden, dass für Passanten an der Bahnhofstrasse nur noch
ein 3 Meter breiter Durchgang (in der späteren Bauphase ein Durchgang
von 4,5 Metern) offen gewesen sei, wobei auf der Höhe des Durchgangs
von der Bahnhofstrasse her stets die beiden Läden der Klägerin hätten
gesehen werden können. Die Klägerin - meint die Berufungsbeklagte weiter -
hätte auf der Baustellenwand geeignete Hinweisschilder anbringen können,
wodurch ihre Geschäfte noch besser zu erkennen gewesen wären, als wenn
überhaupt keine Baugerüste aufgestellt gewesen wären. Im übrigen hätten
die im öffentlichen Interesse liegenden Umbau- und Renovationsarbeiten
die Geschäftslage für alle Anlieger aufgewertet.

    c) Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat den Sachverhalt, soweit
er zur Beurteilung der Frage, ob eine übermässige Einwirkung und eine
beträchtliche Schädigung vorliege, nicht vollständig festgestellt. Es
hat sich insbesondere auch mit den oben wiedergegebenen, durchaus ernst
zu nehmenden Einwänden der Berufungsbeklagten nicht auseinandergesetzt.

Erwägung 6

    6.- Da das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage der
Alexandre SA mit der Begründung abgewiesen hat, es gebe keine Haftung
des rechtmässig auf den Nachbarn einwirkenden Grundeigentümers, ist die
Berufung entsprechend dem Antrag der Berufungsklägerin gutzuheissen und
das angefochtene Urteil aufzuheben.

    Dabei bedarf der Sachverhalt der Vervollständigung. Das Handelsgericht
hat sich konkret darüber zu äussern, ob in Würdigung aller Umstände -
wozu u.a. auch das öffentliche Interesse an der Renovation der unter
Denkmalschutz gestellten Fassade gehört - die durch die Bauarbeiten
verursachten Einwirkungen als übermässig zu bezeichnen sind und zu einer
beträchtlichen Schädigung der Klägerin geführt haben. Prüfenswert ist
gewiss die im Minderheitsantrag der Vorinstanz geäusserte Anregung, die
Voraussetzung der beträchtlichen Schädigung noch genauer zu definieren
("als aussergewöhnlich grosse und auch im Rahmen gegenseitiger Toleranz
und Abhängigkeit unzumutbare Schädigung"). In diesem Sinne ist die Sache
zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 OG).