Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 225



114 II 225

39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Mai 1988 i.S. S.
gegen F. (Berufung) Regeste

    Art. 620 Abs. 1 ZGB; bäuerliches Erbrecht.

    Dem Begehren einer 76jährigen Frau um Zuweisung eines
landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art. 620 ZGB kann nicht entsprochen
werden, wenn die Bewerberin seit mehr als 20 Jahren keinen bäuerlichen
Betrieb mehr geführt hat und ihr die Fähigkeit abgesprochen werden muss,
die betriebliche Einheit der an mehrere Landwirte verpachteten Parzellen
wiederherzustellen und den seit Jahren stillgelegten Betrieb wieder seiner
eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen.

Sachverhalt

    A.- Im Nachlass des am 21. Dezember 1984 verstorbenen W. F.  befindet
sich eine landwirtschaftliche Liegenschaft, bestehend aus Wohnhaus und
Scheune sowie landwirtschaftlichen Grundstücken und Wald im Halte von
insgesamt 597,98 Aren. Der Erblasser, der keine Nachkommen hat, hatte
das Land sukzessive verpachtet, bis er im Jahre 1975 den Betrieb ganz
aufgab. Gesetzliche Erbinnen sind allein K. S., geb. 1911, und A. F.,
geb. 1915, die beiden überlebenden Schwestern des Erblassers.

    B.- Mit Klage vom 7. April 1986 verlangte K. S. die ungeteilte
Zuweisung des landwirtschaftlichen Heimwesens zum Ertragswert. Ihre
Miterbin und Schwester beantragte mit Klageantwort und Widerklage vom
11. August 1986, das Klagebegehren abzuweisen und den landwirtschaftlichen
Betrieb zum Ertragswert ihr zuzuweisen.

    Das Bezirksgericht Lenzburg hiess die Klage mit Urteil vom 29. Januar
1987 gut, wies das Heimwesen der Klägerin zum landwirtschaftlichen
Ertragswert ungeteilt zu und wies die Widerklage ab.

    Eine Beschwerde der Beklagten wurde vom Obergericht des Kantons Aargau
mit Urteil vom 27. Oktober 1987 teilweise gutgeheissen. Es hob das Urteil
des Bezirksgerichts auf und wies Klage und Widerklage ab.

    C.- Die Klägerin reichte beim Bundesgericht Berufung ein mit
den Anträgen, in Gutheissung der Berufung sei der Entscheid des
Obergerichts vom 27. Oktober 1987 aufzuheben und das Urteil des
Bezirksgerichts Lenzburg vom 29. Januar 1987 zu bestätigen. Demgemäss
sei der landwirtschaftliche Betrieb nebst den dazugehörigen Parzellen
ihr ungeteilt zum landwirtschaftlichen Ertragswert zuzuweisen.

    Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht hat die Eignung der Klägerin zur
Selbstbewirtschaftung des Heimwesens des Erblassers vor allem aufgrund
ihres Alters verneint. Auch dem Sohn der Klägerin hat es die Eigenschaften
eines modernen landwirtschaftlichen Betriebsführers abgesprochen. Die
Klägerin beanstandet dies nicht und findet sich demnach damit ab, dass
eine Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs zur Selbstbewirtschaftung
für sie nicht in Frage kommt. Das hindert sie jedoch nicht, die Zuweisung
unter den weniger strengen Voraussetzungen der Übernahme zur Verpachtung zu
verlangen. Aber auch diese Voraussetzungen hat die Vorinstanz als nicht
erfüllt betrachtet. Sie wies darauf hin, dass die 76jährige Klägerin
durch die Übernahme insbesondere vor eine physische Herausforderung
gestellt würde, in welcher sie bei ihrem nicht fachkundigen Sohn keine
Unterstützung finden würde. Die Zusammenführung der an verschiedene
Landwirte verpachteten Grundstücke zu einer betrieblichen Einheit und
die Reaktivierung des seit vielen Jahren stillstehenden Betriebs auf der
Grundlage moderner Produktionsformen erfordere auch einen organisatorischen
Aufwand des Verpächters, welchem die betagte Klägerin nicht gewachsen
wäre, zumal sie seit über 20 Jahren keinen Betrieb mehr geführt habe und
sich zunächst in die komplexe Organisation eines modernen Bauernbetriebs
einarbeiten müsste.

    a) Soweit die Klägerin aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine
Bundesrechtsverletzung durch das Obergericht ableiten will, übersieht sie,
dass die von ihr angeführten neuesten Entscheide des Bundesgerichts zum
Teil wesentlich vom hier gegebenen Sachverhalt abweichen. Zutreffend ist,
dass in BGE 110 II 330 ff. anders als im vorliegenden Fall zwei geeignete
Bewerberinnen zur Übernahme des elterlichen Hofs zur Verpachtung bereit
waren und dass es dort auf die engere Verbundenheit der einen Bewerberin
mit dem elterlichen Hof ankam, nachdem keine der beiden Anwärterinnen
Nachkommen mit Interesse für die Landwirtschaft hatte. Dass die Klägerin
Kinder hat, die in der Landwirtschaft tätig sind, hat die Vorinstanz nicht
festgestellt. Es ging vielmehr im erst- wie im zweitinstanzlichen Verfahren
stets nur um den einen Sohn, der nach den verbindlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil seit seiner Jugend nicht mehr in der Landwirtschaft
gearbeitet, sondern eine kaufmännische Lehre absolviert hat und nunmehr
als Geschäftsführer in einer Buchhandlung tätig ist.

    Die Vorinstanz hat in Frage gestellt, ob eine Übernahme durch die
Klägerin Gewähr dafür biete, dass der Betrieb auch in Zukunft nicht
zerstückelt oder der Landwirtschaft entzogen werde, worauf es in BGE 107
II 35 letztlich entscheidend ankam. Nachdem die Vorinstanz der Klägerin
die Fähigkeit angesichts ihres fortgeschrittenen Alters abgesprochen hat,
die verschiedenen verpachteten Grundstücke zusammenzuführen, um sie wieder
zu einer betrieblichen Einheit zu vereinigen, ist es wohl berechtigt,
Zweifel an dieser Gewähr zu haben, um so mehr, als kaum wahrscheinlich ist,
dass der Sohn sich bereit finden wird, in absehbarer Zeit voll auf dem
kleinen Bauernhof zu arbeiten und seine gute Anstellung hiefür aufzugeben.

    Richtig ist, dass in BGE 110 II 331 festgestellt worden ist, ein
Verkauf eines landwirtschaftlichen Betriebes komme nur als ultima ratio in
Betracht. In jenem Fall aber hatte die kantonale Instanz diesen Verkauf
vorgesehen trotz Vorhandenseins geeigneter Anwärterinnen, die beide
zudem sowohl angesichts ihrer Persönlichkeit und beruflichen Kenntnisse
und Fähigkeiten als auch altersmässig Gewähr für die Weiterführung des
insgesamt verpachteten Betriebs geboten hatten. Im vorliegenden Fall
geht es demgegenüber um eine Vielzahl von Pächtern, die es jedenfalls
nicht als abwegig erscheinen lässt, wenn das Obergericht die Kräfte der
Klägerin zur Wiederherstellung einer betrieblichen Einheit als nicht
ausreichend betrachtet hat. Das meint die Vorinstanz offensichtlich,
wenn sie feststellt, der gesetzgeberische Zweck der Bewahrung eines
existenzfähigen Betriebs vor der Zersplitterung sei nur gegeben, wenn die
Klägerin den organisatorischen Aufwand zur Reaktivierung des seit vielen
Jahren stillstehenden Betriebs auf der Grundlage moderner Produktionsformen
zu bewältigen vermöchte.

    In BGE 111 II 326 ff. schliesslich stand ein ebenfalls bereits
75jähriger Bewerber zur Diskussion, dessen Sohn allerdings seit jeher als
Landwirt tätig war und immer auch auf dem erblasserischen Heimwesen selbst
gearbeitet hatte. Im Gegensatz zum vorliegenden Sachverhalt konnte daher
ohne jedes Bedenken angenommen werden, es liefe dem Zweck des bäuerlichen
Erbrechts zuwider, wenn unverhältnismässige Anforderungen an die Eignung
des unmittelbaren Übernehmers gestellt würden und gleichzeitig die reale
Möglichkeit, dass dessen bereits auf dem landwirtschaftlichen Gut tätiger
Sohn dieses in absehbarer Zeit zur Bewirtschaftung auf eigene Rechnung
übernehme, ausser Betracht bliebe (BGE 111 II 329). Das Bundesgericht fügte
bei, es komme deshalb in diesem besonderen Fall mehr auf die persönliche
Eignung des Sohnes zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Gewerbes
als auf jene des Beklagten an. Ein solcher Sonderfall liegt hier nun
aber gerade nicht vor. Auch wenn zutreffen würde, dass die Klägerin -
wie sie neu behauptet - drei Söhne habe, von denen einer aktiv einen
Landwirtschaftsbetrieb bewirtschafte, hat sie sich stets nur auf den einen
Sohn und darauf berufen, dass dieser in die Landwirtschaft zurückkehren
möchte. Dass dieser Sohn landwirtschaftlich ausgebildet sei, stellt die
Vorinstanz ebenfalls nicht fest.

    Soweit sich die Klägerin zur Begründung ihres Vorwurfs, das Obergericht
habe Art. 620 ZGB verletzt, auf die zitierten Bundesgerichtsurteile beruft,
erweist sich die Berufung daher als offensichtlich unbegründet.

    b) Es bleibt die Frage zu prüfen, ob die Vorinstanz dadurch
Bundesrecht verletzt hat, dass sie davon ausgegangen ist, die Klägerin
müsste bei Zuweisung des Heimwesens an sie die betriebliche Einheit
wieder herstellen und den Betrieb reaktivieren, wozu sie angesichts
ihres vorgerückten Alters nicht mehr in der Lage wäre. Die Klägerin
bringt dazu vor, gemäss Literatur und Rechtsprechung spiele es für die
grundsätzliche Anwendung des bäuerlichen Erbrechts keine Rolle, ob die
Grundstücke zu Lebzeiten des Erblassers parzellenweise an verschiedene
Landwirte verpachtet worden seien, wenn die Gesamtheit der Parzellen
erlaube, in vollem Umfang den Beruf eines Landwirts auszuüben. Sie
verweist dazu auf ESCHER, Ergänzungslieferung zum landwirtschaftlichen
Erbrecht, 3. Aufl., N. 3 zu Art. 620 ZGB. Es dürfe ihr nicht zum Nachteil
gereichen, dass der Erblasser die Grundstücke zu seinen Lebzeiten an
mehrere Landwirte verpachtet habe. Mit der Argumentation der Vorinstanz
würde der Anwendungsbereich des bäuerlichen Erbrechts in vielen Fällen
eingeschränkt, wenn nicht dessen Anwendung gar verunmöglicht.

    Diese Rüge ist unbegründet, hat doch das Obergericht den Umstand, dass
die Parzellen seit Jahren an verschiedene Landwirte verpachtet waren, bei
der Prüfung der grundsätzlichen Anwendung des bäuerlichen Erbrechts gar
nicht berücksichtigt. Eine der objektiven Voraussetzungen des Art. 620
ZGB bildet ja gerade die wirtschaftliche Einheit des Betriebs. Diese
Voraussetzung hat das Obergericht im vorliegenden Fall in Wahrung der
Grundsätze, wie sie in BGE 89 II 19 f. aufgestellt worden sind, bejaht.

    c) Indessen ist die Berufung damit noch nicht abzuweisen. Es stellt
sich vielmehr die Frage, ob es sich mit dem Grundgedanken des bäuerlichen
Bodenrechts und insbesondere mit der Zwecksetzung des bäuerlichen Erbrechts
vereinbaren lässt, wenn für die Übernahme eines landwirtschaftlichen
Heimwesens eine zusätzliche subjektive Voraussetzung aufgestellt wird,
indem verlangt wird, dass der Bewerber geeignet und in der Lage sein
müsse, eine Vielzahl verpachteter Parzellen wieder zu vereinen und den
seit Jahren stillgelegten bäuerlichen Betrieb wieder seiner eigentlichen
Zweckbestimmung zuzuführen.

    Hiezu ist zu sagen, dass das bäuerliche Erbrecht ein Sonderrecht
ist, dessen Anwendung sich nur rechtfertigt, wenn die Zuweisung eines
landwirtschaftlichen Heimwesens auf lange Sicht der Erhaltung eines
gesunden und existenzfähigen Bauernstandes dient. Es liegt ihm der
Zweckgedanke zugrunde, dass leistungsfähige Familienbetriebe durch die
bevorzugte Behandlung der Übernehmer am Leben bleiben sollen und eine
gerade im Erbfall drohende Zersplitterung des landwirtschaftlichen Bodens
verhindert werde, wozu auch die Zusammenführung einer Vielzahl verpachteter
Parzellen gehört. Die agrarpolitische Zielsetzung des bäuerlichen Erbrechts
ist nun aber nicht nur bei der Prüfung der objektiven Voraussetzungen,
sondern auch der persönlichen Eignung des Übernehmers zu beachten. Wenn
der Bewerber blosse Sonderinteressen verfolgt, wie etwa das elterliche
Bauernhaus bewohnen zu können, so würde dies für die Zusprechung
des Heimwesens auch bei grundsätzlicher Eignung zur Übernahme ohne
Selbstbewirtschaftung nicht genügen (BGE 95 II 395).

    Im vorliegenden Fall geht es um einen kleinen Bauernbetrieb,
der aber seit vielen Jahren nicht mehr als solcher geführt, sondern
auf mehrere Pächter aufgeteilt worden ist. An sich stellt ein Betrieb
dieser Grössenordnung - wie die Klägerin mit Recht geltend macht -
bei der Übernahme keine besondern Probleme, dies jedoch nur, wenn er
einfach weitergeführt werden könnte. Das trifft hier aber gerade nicht
zu, müsste die Klägerin doch dafür besorgt sein, dass das Heimwesen
wieder als bäuerlicher Betrieb funktionieren würde. Eine solche Aufgabe
würde aber einen namhaften organisatorischen Aufwand benötigen, wie er
der nunmehr über 76 Jahre alten Klägerin nicht zugemutet werden kann. Es
ginge auch nicht mehr an, den Betrieb in der Weise weiterzuführen, wie es
der Erblasser getan hatte. Angesichts der heutigen Anforderungen an die
Landwirtschaft müssten für die Wiederherstellung eines existenzfähigen
Kleinbauernbetriebs erhebliche Anstrengungen unternommen werden (BGE
110 II 491; BENNO STUDER, Die Integralzuweisung landwirtschaftlicher
Gewerbe nach der Revision des bäuerlichen Zivilrechts von 1972, 2. Aufl.,
S. 209/210). Wenn die Vorinstanz unter diesen besondern Umständen der
Klägerin die Eignung zur Übernahme des landwirtschaftlichen Heimwesens
des Erblassers abgesprochen hat, so hat sie kein Bundesrecht verletzt.