Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 27



114 Ib 27

5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 26. Februar 1988 i.S. X. gegen Kantonale Verwaltung für die
direkte Bundessteuer Schwyz und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 131 Abs. 2 BdBSt.

    - Hinterziehungsversuch, Vorsatz (E. 1, 3).

    - Strafzumessungsregeln bei Hinterziehung (E. 4a); Anwendbarkeit des
von der Eidgenössischen Steuerverwaltung herausgegebenen Bussentarifs
(E. 4b).

    - Verfahren: Berücksichtigung neuer Vorbringen bei der Rüge wegen
Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK (Art. 105 Abs. 2 OG)? (E. 8).

Sachverhalt

    A.- X. führt ein Gebäudereinigungsinstitut. Seinen Wohnsitz hatte er
in den Jahren 1981 und 1982 in W.

    Anlässlich einer von der Hauptabteilung Warenumsatzsteuer der
Eidgenössischen Steuerverwaltung im Juli und August 1982 durchgeführten
Revision der Buchhaltung des Betriebes wurde festgestellt, dass in den
Jahren 1979 und 1980 Geschäftseinnahmen nicht verbucht worden waren. Diese
wurden mangels beweiskräftiger Unterlagen geschätzt, und zwar für das
Jahr 1979 auf Fr. ... und für das Jahr 1980 auf Fr. ... .

    Aufgrund von Meldungen eröffnete die Kantonale Verwaltung für die
direkte Bundessteuer Schwyz gegen den Steuerpflichtigen für die 21. Periode
der Wehrsteuer ein Strafverfahren wegen versuchter Steuerhinterziehung. Mit
Veranlagungsverfügung vom 29. Juli 1983 setzte sie sodann das steuerbare
Einkommen auf Fr. ... fest (Selbstdeklaration Fr. ... . Diese Veranlagung
erwuchs in Rechtskraft. Mit Verfügung vom 25. Juli 1986 auferlegte sie
ihm schliesslich wegen versuchter Steuerhinterziehung eine Busse von
Fr. 20'000.--.

    Die gegen diese Bussenverfügung erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Urteil vom 27. März 1987 ab.

    Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit welcher
der Steuerpflichtige beantragt, es sei der angefochtene Entscheid
aufzuheben und das Verfahren zu neuer Beurteilung an die kantonalen
Behörden zurückzuweisen; eventuell sei eine Busse von Fr. 2'000.--
auszufällen. Zur Begründung wird im wesentlichen vorgebracht:

    Fiskalstrafen seien echte Strafen und wie diese nach dem Verschulden,
unter Berücksichtigung der Beweggründe, des Vorlebens und der persönlichen
Verhältnisse, zu bemessen. Mit der Auflistung der Strafzumessungsgründe
im angefochtenen Entscheid sei der Begründungspflicht nicht Genüge getan;
vielmehr hätten die entsprechenden Tatsachen abgeklärt werden müssen. Die
Befragung vom 24. Oktober 1985 sei auf das absolute Minimum beschränkt
gewesen, und die persönlichen Verhältnisse seien dabei nicht zur Sprache
gekommen.

    Die Vorinstanz lege der Bussenbemessung das Kreisschreiben der
Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 28. März 1958 zugrunde. Mit Art. 6
Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf ein unabhängiges Gericht) sei es aber nicht
vereinbar, dass bei der Bussenbemessung einfach auf eine verwaltungsinterne
Weisung abgestellt werde, wie sie das Kreisschreiben darstelle.

    Die Höchstbusse für versuchte Steuerhinterziehung betrage
Fr. 20'000.--. Wenn nach der Praxis der Steuerbehörden die Busse mindestens
dem zu hinterziehen versuchten Steuerbetrag gleichgesetzt werde, so
käme bei hinterzogenen Beträgen ab Fr. 20'000.-- von vornherein nur die
Maximalbusse zur Anwendung.

    Die Vorinstanz habe nicht strafmildernd berücksichtigt, dass er sich
seit der Entdeckung der Hinterziehung im Jahre 1982 wohl verhalten habe
(Verletzung von Art. 64 StGB); die Steuerbehörden hätten zudem Art. 22
StGB (Strafmilderung bei Versuch) nicht angewendet sowie gegen das Gebot
der Unschuldsvermutung (Art. 6 Ziff. 2 EMRK) verstossen, weil sie nicht
mit der erforderlichen Unbefangenheit die Untersuchungen geführt hätten,
und das in Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerte Beschleunigungsgebot verletzt.

    In ihrer Vernehmlassung stellt die Kantonale Verwaltung für die
direkte Bundessteuer Schwyz den Antrag, die Beschwerde abzuweisen. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, soweit auf sie einzutreten sei. Die Eidgenössische
Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde in dem Sinne teilweise
gutzuheissen, dass die Steuerbusse auf Fr. 18'000.-- festgesetzt werde.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 131 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung
einer direkten Bundessteuer (BdBSt; bis Ende 1982 Bundesratsbeschluss
über die Erhebung einer Wehrsteuer; WStB) wird wegen versuchter
Steuerhinterziehung mit einer Busse von Fr. 20.-- bis Fr. 20'000.--
bestraft, wer als Steuerpflichtiger während des Veranlagungs-,
Inventarisations-, Einsprache- oder Beschwerdeverfahrens zum Zweck einer
zu niedrigen Veranlagung oder einer ungenügenden Inventarisation unwahre
oder unvollständige Angaben gemacht oder die mit der Festsetzung der
Steuer betrauten Behörden über die für den Bestand oder Umfang seiner
Steuerpflicht wesentlichen Tatsachen durch den Gebrauch falscher,
verfälschter oder inhaltlich unwahrer Urkunden zu täuschen versucht
hat. Strafbar ist nach dieser Bestimmung nur, wer vorsätzlich handelt,
d.h. mit Wissen und Willen die dort bezeichneten Vorkehren trifft (BGE
100 Ib 480; ASA 55, 565 E. 2; 54, 463 E. 2, je mit weiteren Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Es ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer auch vorsätzlich
handelte.

    a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt der Nachweis des
Vorsatzes als erbracht, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht,
dass sich der Beschuldigte der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit
der gemachten Angaben bewusst war. Ist dieses Wissen erwiesen, so muss
angenommen werden, dass er auch mit Willen handelte, d.h. eine Täuschung
der Steuerbehörden beabsichtigt und eine zu niedrige Veranlagung
bezweckt (direkter Vorsatz) oder zumindest in Kauf genommen hat
(Eventualvorsatz). Diese Vermutung lässt sich nicht leicht entkräften,
weil in der Regel ein anderer Beweggrund für die Unrichtigkeit oder
Unvollständigkeit der gemachten Angaben nur schwer vorstellbar ist (ASA
55, 419 f. E. 2a; 54, 463 E. 3a, je mit Hinweisen).

    b) Das Verwaltungsgericht hat aus den gesamten Tatumständen,
insbesondere auch aus der erheblichen Differenz zwischen der
Selbstdeklaration und der in Rechtskraft erwachsenen Einschätzung, auf
die Hinterziehungsabsicht geschlossen.

    Reicht ein Steuerpflichtiger eine aufgrund einer unvollständigen
Buchhaltung erstellte Steuererklärung ein, so hatte er nicht nur
davon Kenntnis; vielmehr muss aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
angenommen werden, dass er auch willentlich zum Zweck der Steuerersparnis
unvollständig deklarierte. Der von der Vorinstanz aus den objektiven
Umständen gezogene Schluss, das Verhalten des Beschwerdeführers könne
nur mit der Absicht, Steuern hinterziehen zu wollen, erklärt werden,
ist deshalb nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer, der auch in
früheren Jahren unrichtig deklariert hatte und deswegen gebüsst bzw.
strafsteuerpflichtig wurde, hat denn auch im gesamten Verfahren nie
bestritten, dass er wissentlich und willentlich versucht habe, Steuern zu
hinterziehen. Er hat somit vorsätzlich einen Steuerhinterziehungsversuch
begangen.

Erwägung 4

    4.- Art. 129 Abs. 1 BdBSt sieht für die vollendete Steuerhinterziehung
eine Busse bis zum Vierfachen des entzogenen Steuerbetrages vor. Für den
Hinterziehungsversuch droht Art. 131 Abs. 2 BdBSt eine Busse von Fr. 20.--
bis Fr. 20'000.-- an. Innerhalb dieses Rahmens ist die Busse nach den
Umständen des Einzelfalles festzusetzen.

    a) Nach Art. 333 StGB sind die allgemeinen Regeln des Strafgesetzbuches
über die Strafzumessung grundsätzlich auch auf die Steuerwiderhandlungen
nach Art. 129 ff. BdBSt anzuwenden. Gemäss Art. 63 StGB ist die Strafe
nach dem Verschulden des Täters zu bemessen, wobei dessen Beweggründe,
Vorleben und persönliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Diese
Umstände stellen keine selbständigen Strafzumessungsgründe dar, sondern
dienen dazu, das Verschulden genauer zu bemessen, wie sich klarer aus
den romanischen Texten des Art. 63 StGB ("tenant compte des", "tenendo
conto dei") ergibt (vgl. SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil
des Strafrechts, Bd. 2, 4. Aufl. 1982, S. 76). Zu beachten sind sodann
Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe.

    Gemäss Art. 48 Ziff. 2 StGB ist der Betrag der Busse je nach
den Verhältnissen des Täters so zu bestimmen, dass dieser durch
die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen
ist. Von Bedeutung sind namentlich Einkommen und Vermögen, Familienstand
und Familienpflichten, Beruf und Erwerb, Alter und Gesundheit des
Täters. Damit wird nicht von der allgemeinen Strafzumessungsregel des
Art. 63 StGB abgewichen, sondern diese im Hinblick auf die Besonderheit
der Busse verdeutlicht. Es soll vermieden werden, dass die auszufällende
Busse den wirtschaftlich Schwachen härter trifft als den wirtschaftlich
Starken. Es ist somit auch hier vorerst das Verschulden zu ermitteln und
sodann die Busse anhand der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des
Schuldigen sowie der weiteren in Art. 48 Ziff. 2 Abs. 2 StGB genannten
Umstände festzusetzen (BGE 101 IV 16 f.; 92 IV 5 E. 1).

    Im Rahmen dieser Grundsätze steht den kantonalen Steuer- und
Steuerjustizbehörden bei der Strafzumessung ein weiter Spielraum des
Ermessens zu (ASA 54, 534 E. 4a), dessen Ausübung das Bundesgericht
nur unter dem beschränkten Aspekt des Ermessensmissbrauchs oder der
Ermessensüberschreitung überprüfen kann (Art. 104 lit. a OG). Anlass zum
Einschreiten bei der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung besteht für
das Bundesgericht - gleich wie bei der Überprüfung von Strafentscheiden
durch den Kassationshof (BGE 107 IV 62) - demnach nur, wenn die Vorinstanz

    1) den Strafrahmen, so wie er im Bundesbeschluss abgesteckt ist,
über- oder unterschritten hat,

    2) nicht von den rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen
ist oder

    3) die Strafe willkürlich hart oder milde angesetzt hat.

    b) Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat Richtlinien herausgegeben,
welche die Bemessung der Bussen erleichtern und die Praxis in den Kantonen
vereinheitlichen sollen. Danach ist im "Normalfall", d.h. wenn Umstände
fehlen, die eine strengere oder mildere Bestrafung rechtfertigen, das
Verhältnis zwischen hinterzogener und geschuldeter Steuer massgebend und
sodann die "Normalbusse" nach Massgabe dieses Verhältnisses nach einem
abgestuften Tarif in Prozenten der hinterzogenen Steuer festzusetzen; die
Richtlinien enthalten einen entsprechend abgestuften Bussentarif (damals
Kreisschreiben vom 28. März 1958, ASA 26, 424; heute ersetzt durch den
Bussentarif gemäss Kreisschreiben vom 9. Dezember 1987, ASA 56, 334 f.).
Hinsichtlich des Hinterziehungsversuchs sehen die Richtlinien vor, dass
im "Normalfall" die Busse auf die Hälfte der beim vollendeten Delikt
auszusprechenden Busse festzusetzen sei (vgl. Kreisschreiben vom 2. Mai
1955, ASA 23, 420, bzw. vom 9. Dezember 1987, ASA 56, 342). Massgebend ist
somit beim Hinterziehungsversuch - gleich wie beim vollendeten Delikt -
das Verhältnis zwischen vorenthaltenem und geschuldetem Steuerbetrag.

    Das Bundesgericht hat in konstanter Rechtsprechung dieses Bussenschema
als brauchbar bestätigt, dabei jedoch immer betont, dass dessen Regeln
nicht starr angewendet werden dürfen; vielmehr müssen nach allgemeinen
Strafzumessungsregeln die weiteren Faktoren berücksichtigt werden,
insbesondere die Umstände, welche die Schwere des Verschuldens zu
bestimmen erlauben, sowie Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe. Die
Richtlinien können deshalb nur einen ersten Anhaltspunkt für die Schwere
der Verfehlung bieten, wie sie im Prozentverhältnis zwischen hinterzogener
(bzw. zu hinterziehen versuchter) und geschuldeter Steuer zum Ausdruck
kommt (vgl. etwa ASA 38, 435 ff.).

Erwägung 8

    8.- Was der Beschwerdeführer weiter vorbringt, dringt nicht durch.

    a) Bei Art. 131 Abs. 2 BdBSt handelt es sich bereits um eine besondere
Strafnorm für den Hinterziehungsversuch, so dass für die Anwendung
von Art. 22 StGB (fakultative Strafmilderung beim Versuch) kein Raum
verbleibt. Das anerkennt zwar auch der Beschwerdeführer, doch macht er
geltend, das Verwaltungsgericht sei bei der Festsetzung der Busse im
Rahmen des Art. 131 Abs. 2 BdBSt so vorgegangen, wie wenn der Strafrahmen
der vollendeten Steuerhinterziehung nach Art. 129 Abs. 1 BdBSt gegeben
wäre; es sei deshalb auch methodisch richtig, bei der Bemessung der
Busse zusätzlich nach Art. 22 Abs. 1 StGB zu verfahren. Wie indessen aus
Erwägung 6 erhellt, kann dem Verwaltungsgericht nicht vorgeworfen werden,
bei der Bussenbemessung vom falschen Strafrahmen ausgegangen zu sein.

    b) Der Beschwerdeführer rügt in verschiedener Hinsicht eine Verletzung
von Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK. Ob diese Bestimmung auf Fiskalstrafverfahren
Anwendung findet (vgl. dazu MISCHLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur
Europäischen Menschenrechtskonvention, N 229 zu Art. 6), kann hier offen
gelassen werden. Jedenfalls ist der Sachverhalt für das Bundesgericht
grundsätzlich bindend festgelegt und sind tatsächliche Noven weitgehend
ausgeschlossen, wenn - wie hier - ein Verwaltungsgericht als Vorinstanz
entschieden hat (Art. 105 Abs. 2 OG, vgl. BGE 107 Ib 169 E. 1b). Nicht zu
hören sind deshalb die neuen tatsächlichen Behauptungen, mit denen der
Beschwerdeführer eine Verletzung des Prinzips der Unschuldsvermutung
(Art. 6 Ziff. 2 EMRK) durch die kantonale Steuerverwaltung bzw. den
die Untersuchung führenden Steuerbeamten dartun will. Sofern zulässig,
könnte sich die Rüge nur gegen das Verwaltungsgericht richten, welches
jedoch einen solchen Vorwurf offensichtlich nicht trifft. Was sodann
die Rüge der Befangenheit betrifft (die hier ebenfalls nur gegenüber
dem Verwaltungsgericht hätte erhoben werden können), so kann sie
nicht mit einer Verletzung von Art. 6 Ziff. 2 EMRK begründet werden,
sondern müsste gegebenenfalls auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf ein
unabhängiges und unparteiisches Gericht) gestützt werden. Im übrigen
kann von einer mangelnden Unabhängigkeit oder von Parteilichkeit des
Verwaltungsgerichts nicht gesprochen werden. Auf die weitere Rüge wegen
Verletzung des Beschleunigungsverbotes (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) ist nicht
weiter einzutreten. Sie ist nicht geeignet, eine Herabsetzung der Busse
zu begründen.