Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 1



114 Ib 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 11. März 1988 i.S. J. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Fremdenpolizeiliche Ausweisung.

    1. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1b).

    2. Verhältnis zwischen strafrechtlicher Landesverweisung und
fremdenpolizeilicher Ausweisung (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der tunesische Staatsangehörige J., geb. 1955, ist seit dem
15. Oktober 1983 mit einer italienischen Staatsangehörigen verheiratet,
die eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz besitzt. Das
Ehepaar hat einen gemeinsamen Sohn, der am 18. Juli 1984 geboren
wurde. Die Fremdenpolizeibehörden erteilten J. am 29. August 1984 eine
Aufenthaltsbewilligung.

    Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte J. am 26. Juni 1986,
in Bestätigung eines Urteils des Bezirksgerichts Lenzburg vom 14. November
1985, wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz,
Freiheitsberaubung und Entführung sowie versuchter Erpressung zu drei
Jahren Zuchthaus, Fr. 500.-- Busse und zehn Jahren Landesverweisung. Eine
Nichtigkeitsbeschwerde wies das Bundesgericht ab.

    Mit Entscheid vom 6. Juli 1987 hat das Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau in Gutheissung einer Beschwerde die bedingte Entlassung
aus dem Strafvollzug sowie den probeweisen Aufschub des Vollzugs der
Landesverweisung angeordnet.

    Am 2. September 1987 beschloss der Regierungsrat des Kantons Zürich,
J. werde für die Dauer von zehn Jahren aus der Schweiz ausgewiesen. Die
gegen diesen Beschluss erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das
Bundesgericht ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gegen Ausweisungsverfügungen steht gemäss Art. 97 Abs.  1 OG
in Verbindung mit Art. 98 lit. g OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
offen. Ein Ausschlussgrund im Sinne der Art. 99 bis 102 OG liegt nicht
vor; insbesondere fällt die Ausweisung nicht unter die in Art. 100 lit. b
OG aufgeführten Verfügungen, sofern sie - wie hier - gestützt auf Art. 10
Abs. 1 ANAG und nicht gestützt auf Art. 70 BV (vgl. Art. 100 lit. b Ziff. 4
OG) angeordnet wurde. Da die übrigen Voraussetzungen (Art. 103, 106,
108 OG) offensichtlich erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

    b) Das Bundesgericht überprüft die Anwendung von Bundesrecht
einschliesslich der Frage, ob die kantonale Behörde ihr Ermessen
überschritten oder missbraucht hat (Art. 104 lit. a OG), sowie die
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts grundsätzlich frei, da
die Einschränkung gemäss Art. 105 Abs. 2 OG nicht Platz greift (Art. 104
lit. b OG).

    Nicht überprüfen kann es zwar im allgemeinen, ob die angefochtene
Verfügung angemessen sei (Art. 104 lit. c OG). Zu berücksichtigen
ist aber, dass gemäss Art. 11 Abs. 3 ANAG die Ausweisung nur verfügt
werden kann, wenn sie nach den gesamten Umständen als angemessen
erscheint. Art. 16 Abs. 3 der Verordnung zum ANAG (ANAV) nennt die
verschiedenen Gesichtspunkte, auf die bei der Prüfung der Angemessenheit
der Ausweisung abzustellen ist. Ob diese Kriterien berücksichtigt und
richtig angewandt worden sind, bzw. ob sich in ihrem Lichte die Ausweisung
als verhältnismässig erweist, ist eine Frage der richtigen Anwendung von
Bundesrecht und insofern frei zu prüfen. Dem Bundesgericht ist es jedoch
verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der zuständigen
kantonalen Behörde zu setzen.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann ein Ausländer aus
der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder
Vergehens gerichtlich bestraft worden ist. Diese Voraussetzung ist im
vorliegenden Fall erfüllt, nachdem der Beschwerdeführer zu drei Jahren
Zuchthaus verurteilt worden ist. Weiter ist zu prüfen, ob die Ausweisung
nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG),
wobei namentlich folgende Kriterien zu beachten sind: die Schwere des
Verschuldens; die Dauer der Anwesenheit des Ausländers in der Schweiz;
die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile (Art. 16 Abs. 3 ANAV).

    b) Der Regierungsrat hat unter Hinweis auf das Strafurteil des
Obergerichts des Kantons Aargau zutreffend festgestellt, dass das
Verschulden des Beschwerdeführers schwer wiegt. Dieser ist wegen
qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz,
Freiheitsberaubung und Entführung sowie wegen versuchter Erpressung zu
drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden, wobei erschwerend das brutale
und skrupellose Vorgehen gegenüber dem Empfänger des Heroins bei der
Eintreibung des Kaufpreises in Betracht fällt.

    Mit Recht wird im angefochtenen Entscheid sodann darauf hingewiesen,
dass sich der Beschwerdeführer erst seit kurzer Zeit für dauernd in
der Schweiz aufhält und insoweit von einer Integration nicht gesprochen
werden kann.

    Der Regierungsrat hat demgegenüber zugunsten des Beschwerdeführers
berücksichtigt, dass dieser mit einer in der Schweiz niedergelassenen
Italienerin verheiratet ist. Für die Ehefrau sei eine Ausreise nach
Italien oder Tunesien mit erheblichen persönlichen und wirtschaftlichen
Schwierigkeiten verbunden; ob sie zumutbar sei, könne allerdings
offengelassen werden, weil das private Interesse von Frau und Kind dem
öffentlichen Interesse an der Ausweisung unterzuordnen sei.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer rügt, der Regierungsrat des Kantons Zürich
habe bei seinem Ausweisungsentscheid unbeachtet gelassen, dass das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau den Vollzug der im Strafurteil
angeordneten Landesverweisung probeweise aufgeschoben hat.

    a) Landesverweisung und fremdenpolizeiliche Ausweisung haben einen
unterschiedlichen Zweck. Bei der Verhängung der Landesverweisung stehen
strafrechtliche Gesichtspunkte im Vordergrund, während dem Entscheid
der Verwaltungsbehörde über die Ausweisung fremdenpolizeiliche Kriterien
zugrunde liegen (BGE 105 Ib 168 mit Hinweisen).

    Die strafrechtliche Landesverweisung ist Nebenstrafe und
Sicherungsmassnahme zugleich (BGE 104 IV 223 E. 1b). Dem Sicherungszweck
kommt neben dem Strafzweck im Rahmen der Verhängung der Nebenstrafe
Bedeutung zu; indessen bleibt er unberücksichtigt, wenn über den
probeweisen Aufschub der Landesverweisung entschieden wird. Für diese
Frage ist allein Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB massgebend (BGE 104 IV 225
E. 2c), wobei zu prüfen ist, ob Vorleben und Charakter des Verurteilten
erwarten lassen, er werde durch den Aufschub der Landesverweisung von
weiteren Verbrechen und Vergehen abgehalten. Strafrechtlich entscheidend
ist der Resozialisierungsgedanke, nämlich die Frage, ob die Schweiz oder
das Heimatland die günstigere Voraussetzung für eine Wiedereingliederung
in die Gesellschaft biete (BGE 104 Ib 331 E. 2).

    Demgegenüber steht für die Fremdenpolizeibehörden das Interesse
der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund. Dabei ist
beachtlich, dass eine Ausweisung nicht nur gegen den straffälligen
Ausländer angeordnet werden kann. Vielmehr sieht das ANAG die Ausweisung
schon vor, wenn der Ausländer "nicht gewillt oder nicht fähig ist, sich
in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen", unter Umständen gar,
wenn er geisteskrank oder bedürftig ist (Art. 10 Abs. 1 lit. b,
c und d ANAG). Aus dieser gesetzlichen Ordnung ergibt sich ein
im Vergleich zu den Straf- und Strafvollzugsbehörden strengerer
Beurteilungsmassstab der Fremdenpolizei. Den im Ausland allenfalls
fehlenden Resozialisierungschancen muss zwar auch bei der Ausweisung unter
dem Gesichtspunkt der dem Beschwerdeführer drohenden Nachteile (Art. 16
Abs. 3 ANAV) Rechnung getragen werden. Eine Bindung an den Entscheid
über die Landesverweisung folgt daraus allerdings nicht. Obgleich das
Bundesgericht in den unveröffentlichten Urteilen M. und G. vom 8. Mai 1987
die Notwendigkeit einer Koordination bejahte, hat es auch in diesen Fällen
die Fremdenpolizeibehörden nicht an den Entscheid über die Landesverweisung
gebunden. Der vom aargauischen Verwaltungsgericht gewährte Aufschub der
Nebenstrafe steht einer fremdenpolizeilichen Ausweisung nicht entgegen.

    b) Für die Frage, ob die Ausweisung anzuordnen ist, ist auf den
Zeitpunkt des letztinstanzlichen Ausweisungsentscheides abzustellen. Zu
berücksichtigen sind auch Umstände, die erst nach dem Erlass des
strafrichterlichen Urteils eingetreten sind (vgl. BGE 105 Ib 169 E. 6b).

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat unter Hinweis auf das
Strafurteil des aargauischen Obergerichts vom 26. Juni 1986 ausgeführt,
der Beschwerdeführer biete keine Gewähr für künftiges Wohlverhalten. In der
Zwischenzeit hat er sich zwar im Strafvollzug bewährt, was die bedingte
Entlassung ermöglichte. Die Berücksichtigung dieses Umstandes musste den
Regierungsrat aber nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Die günstige
Prognose der Strafvollzugsbehörden stellt zu einem wesentlichen Teil auf
das Verhalten im Strafvollzug ab (so ausdrücklich Art. 38 Ziff. 1 Abs.
1 StGB) und nimmt im Hinblick auf die angestrebte Resozialisierung gewisse
Unsicherheiten in Kauf. Aus fremdenpolizeilicher Sicht können strengere
Massstäbe angesetzt und einem Wohlverhalten in Unfreiheit geringere
Bedeutung zugemessen werden.

    Auch das aargauische Verwaltungsgericht hat in seinem Entscheid vom
6. Juli 1987 festgehalten, der Beschwerdeführer habe bisher in der Schweiz
den Beweis noch nicht erbracht, dass er über längere Zeit einer geregelten
Arbeit nachgehen könne. Gerade deshalb hat es die Probezeit auf drei
Jahre verlängert und den Beschwerdeführer unter Schutzaufsicht gestellt.

Erwägung 4

    4.- Der Regierungsrat hat die massgeblichen Kriterien berücksichtigt
und zutreffend gewürdigt. Angesichts der Schwere des Verschuldens
und der nur kurzen Dauer der Anwesenheit in der Schweiz, konnte der
Regierungsrat namentlich auch zum Schluss kommen, die dem Beschwerdeführer
und insbesondere seiner Familie drohenden Nachteile würden das Interesse an
der Ausweisung des zu drei Jahren Zuchthaus verurteilten Beschwerdeführers
nicht überwiegen. Die Ausweisung lag in seinem Ermessen. Deren Dauer
hat der Regierungsrat auf zehn Jahre festgesetzt. Sollte sich in Zukunft
erweisen, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit die Ausweisung des
Beschwerdeführers nicht mehr erfordert, könnte der Regierungsrat darauf
zurückkommen.