Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 452



114 Ia 452

71. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 26. Oktober 1988 i.S. Schweiz. Vereinigung für Straflosigkeit
des Schwangerschaftsabbruches und Ursula Meier gegen Regierungsrat und
Sanitätsdirektion des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 2 ÜbBest. BV; Straflose Unterbrechung der Schwangerschaft;
kantonale Ausführungsvorschriften zu Art. 120 StGB.

    1. Anfechtbarkeit von Weisungen einer kantonalen Sanitätsdirektion
an die im Kanton zugelassenen Ärzte betreffend die straflose
Schwangerschaftsunterbrechung (Art. 84 OG) (E. 1a).

    2. Fristwahrung (Art. 89 Abs. 1 OG) bei der Anfechtung eines nicht
amtlich publizierten und den Beschwerdeführern nicht zugestellten
kantonalen Erlasses (E. 1b).

    3. Legitimation (Art. 88 OG) einer gesamtschweizerischen
Vereinigung zur Anfechtung kantonaler Weisungen betreffend die straflose
Schwangerschaftsunterbrechung (E. 1d).

    4. Mit Art. 120 StGB nicht vereinbar ist eine kantonale Regelung,

    - wonach straflose Schwangerschaftsunterbrechungen nur von Fachärzten
FMH für Gynäkologie/Geburtshilfe in den gynäkologisch-geburtshilflichen
Abteilungen kantonaler Spitäler vorgenommen werden dürfen (E. 2b aa);

    - die ein Gutachtergremium für die Erfüllung der Aufgaben des für
den Zustand der Schwangeren sachverständigen Facharztes (Art. 120 Ziff. 1
Abs. 2 StGB) vorsieht (E. 2b bb);

    - welche die Gutachtertätigkeit auf schwangere Frauen mit Wohnsitz
im Kanton des begutachtenden Arztes beschränkt (E. 2b cc).

Sachverhalt

    A.- Der Regierungsrat des Kantons Zug erliess am 5. Januar 1988 eine
"Vollziehungsverordnung zu Art. 120 StGB über die straflose Unterbrechung
der Schwangerschaft" (Vollziehungsverordnung), die u.a. folgende
Bestimmungen enthält:

    "Der Regierungsrat wühlt ein aus patentierten Ärzten zusammengesetztes

    Gutachtergremium, das Gutachten im Sinne von Art. 120 Ziff. 1 StGB
für die
   straflose Unterbrechung der Schwangerschaft zu erstatten hat." (§ 1 Abs.

    1)

    "Die Sanitätsdirektion erlässt Ausführungsbestimmungen für die
   straflose Unterbrechung der Schwangerschaft." (§ 3)

    Die gestützt darauf am 12. Januar 1988 erlassenen Weisungen der
Sanitätsdirektion lauten, soweit hier wesentlich, folgendermassen:

    "1. Begriffsbestimmung

    (...)

    1.3 Nach § 1 der Vollziehungsverordnung zu Art. 120 StGB betreffend

    Unterbrechung der Schwangerschaft wühlt der Regierungsrat das

    Gutachtergremium, das beauftragt ist, Gutachten im Sinne von

    Art. 120 StGB für den straflosen Abbruch der Schwangerschaft zu
   erstatten. Der Kantonsarzt nimmt die in Art. 120 Ziff. 2 StGB
   vorgeschriebene Anzeige des Arztes entgegen, der in einer Notsituation
   zur sofortigen Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches gezwungen
   war.

    2. Ermächtigung zur Gutachtertätigkeit

    Zur Gutachtertätigkeit hat der Regierungsrat ein Gutachtergremium
   gewühlt, das sich aus nachstehenden Ärzten zusammensetzt:

    Herrn Dr. med. A. Schmid, Kantonsarzt, Vorsitz (von Amtes wegen)

    - Frau Dr. med. J. Hegglin, Zug

    - Herrn Dr. med. J. Henggeler, Oberägeri

    - Herrn Dr. med. H. Henner, Kantonsspital Zug (mit beratender

    Stimme)

    Das Gutachtergremium ist administrativ dem kantonsärztlichen Dienst
   angegliedert. (...)

    3. Gutachtenverfahren

    (...)

    3.2 Die Ermächtigung zur Gutachtertätigkeit ist auf das
Gutachtergremium
   gemäss Ziff. 2 beschränkt. Im Kanton Zug darf eine straflose

    Schwangerschaftsunterbrechung nur durchgeführt werden, wenn
   ein positiver Befund des Gutachtergremiums vorliegt.

    3.3 Die Gutachtertätigkeit bezieht sich auf die Unterbrechung der

    Schwangerschaft bei Frauen mit Wohnsitz im Kanton Zug.

    3.4 Das Gutachtergremium hat der zeitlichen Dringlichkeit Rechnung
   zu tragen. Das Gutachtergremium kann bei besonderen

    Krankheitskombinationen Experten zuziehen oder für die Abklärung
   einer unklaren Frage eine Universitätsklinik/Poliklinik konsultieren
   oder die Schwangere zur Begutachtung dorthin überweisen.

    (...)

    4. Vornahme des straflosen Schwangerschaftsabbruches

    (...)

    4.2 Der Schwangerschaftsabbruch darf nur vorgenommen werden,
   wenn das bejahende Gutachten des Gutachtergremiums vorliegt.

    Die medizinischen Eingriffe können im Kanton Zug bei Zustimmung
   der Trägerschaften in den gynäkologisch-geburtshilflichen

    Abteilungen der Zuger Akutspitäler, und zwar nur durch Fachärzte

    FMH für Gynäkologie/Geburtshilfe durchgeführt werden."

    Mit Eingabe vom 25. April 1988 reichte die Schweizerische Vereinigung
für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs zusammen mit Ursula Meier
beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde mit dem Begehren ein,
die Weisungen des Sanitätsdepartements des Kantons Zug vom 12. Januar 1988
betreffend die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft nach Art. 120
StGB seien aufzuheben. Die Beschwerdeführerinnen machen eine Verletzung des
Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV)
sowie eine Verletzung der persönlichen Freiheit geltend.

    Der Regierungsrat beantragt in seiner Vernehmlassung vom 5. Juli 1988,
die Beschwerde sei abzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Mit staatsrechtlicher Beschwerde können Hoheitsakte
angefochten werden, die in irgendeiner Weise die Rechtsstellung des
einzelnen Bürgers berühren, indem sie ihn verbindlich und erzwingbar
zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichten oder sonstwie seine
Rechtsbeziehung zum Staat autoritativ festlegen (Art. 84 OG; BGE 113 Ia 234
E. 1; siehe auch BGE 107 Ia 80 E. 1 je mit Hinweisen). Die Weisungen der
Sanitätsdirektion richten sich an die im Kanton Zug zugelassenen Ärzte. Als
sogenannte Verwaltungsverordnung sind sie anfechtbar, wenn sie über den
Verwaltungsbereich hinaus Aussenwirkungen auf die Rechtsstellung der Bürger
entfalten und wenn gestützt auf sie keine Verfügungen getroffen werden,
deren Anfechtung möglich ist und den Betroffenen zugemutet werden kann
(BGE 105 Ia 354 E. 2a). In den Weisungen wird unter anderem festgelegt,
wer Begutachtungen und straflose Schwangerschaftsunterbrechungen (Art. 120
Ziff. 1 StGB) vornehmen darf. Sie umschreiben auch den Kreis derjenigen
Frauen, die sich im Kanton Zug einem solchen Eingriff unterziehen können,
und sind daher für die Rechtsstellung der Betroffenen von erheblicher
Tragweite. Einer Schwangeren ist es im übrigen schon aus zeitlichen Gründen
nicht zuzumuten, ein Rechtsmittel zu ergreifen, wenn in Anwendung der
Weisungen eine Begutachtung oder ein Schwangerschaftsabbruch verweigert
wird.

    b) Die Weisungen der Sanitätsdirektion wurden weder amtlich publiziert
noch den Beschwerdeführerinnen zugestellt. Die Beschwerdefrist beginnt
deshalb im Zeitpunkt der Kenntnisnahme zu laufen (BGE 108 Ia 3 E. 2b).

    Das ist für die Beschwerdeführerin Ursula Meier unbestrittenermassen
frühestens der 6. April 1988, so dass sie mit der staatsrechtlichen
Beschwerde vom 25. April 1988 die dreissigtägige Frist (Art. 89 Abs. 1 OG)
eingehalten hat.

    Die Schweizerische Vereinigung für Straflosigkeit des
Schwangerschaftsabbruches (SVSS) hat zwar vom Inhalt der Weisungen in
groben Zügen aus dem "Tages-Anzeiger" vom 8. Februar 1988 erfahren. Dadurch
kam sie jedoch noch nicht in den Besitz aller für die erfolgreiche Wahrung
ihrer Rechte wesentlichen Elemente. Allerdings kann in einem solchen
Fall, entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben, der Beginn der
Beschwerdefrist nicht beliebig lange hinausgezögert werden. Vielmehr
ist im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Beschwerdeführer alle sich
aufdrängenden Schritte zur Erlangung weiterer Informationen unternommen
hat, nachdem er vom Bestand eines anfechtbaren Akts erfuhr (BGE 102
Ib 93/94 E. 3). Nach Erscheinen der erwähnten Zeitungsmeldung bemühte
sich die Beschwerdeführerin SVSS um den Wortlaut der angefochtenen
Weisungen und erhielt diesen unbestrittenermassen am 9. März 1988 von
der Sanitätsdirektion. Somit hat auch sie die Beschwerdefrist unter
Berücksichtigung des Friststillstandes wegen Ostern (Art. 34 Abs. 1 lit. a
OG) eingehalten.

    c) Die Beschwerdeführerinnen wenden sich auch gegen Bestimmungen der
regierungsrätlichen Vollziehungsverordnung. Die Frist für eine unmittelbare
Anfechtung dieses Erlasses ist allerdings unbenützt verstrichen. Auch
wenn sich die Rüge der Verfassungswidrigkeit von Teilen der angefochtenen
Weisungen, welche schon in der Vollziehungsverordnung festgelegt sind,
als begründet erweist, führt dies nicht zur Aufhebung dieser Verordnung,
sondern nur zur Kassation der gestützt darauf erlassenen Weisungen (BGE
111 Ia 271 E. 2; siehe auch BGE 107 Ia 220 E. 2b).

    d) aa) Zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses mit staatsrechtlicher
Beschwerde ist legitimiert, wer durch die als verfassungswidrig gerügten
Bestimmungen in seinen rechtlich geschützten Interessen (Art. 88 OG) direkt
oder zumindest virtuell betroffen ist, weil sie auf ihn angewandt werden
oder wenigstens einmal angewandt werden könnten (BGE 113 Ia 326 E. 2a;
siehe auch BGE 112 Ia 182 E. 1b je mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist
für die Beschwerdeführerin Ursula Meier als Einwohnerin des Kantons Zug,
die am 4. Mai 1949 geboren ist, ohne weiteres erfüllt.

    bb) Einem Verband wird die Beschwerdelegitimation zur Wahrung der
Interessen seiner Mitglieder zugestanden, wenn er eine juristische
Person ist, die einzelnen Mitglieder zur staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert wären, die Wahrung der durch ein verfassungsmässiges Recht
geschützten Interessen der Mitglieder zu seinen statutarischen Aufgaben
gehört und tatsächlich ein Interesse der Mehrheit oder mindestens einer
Grosszahl der Mitglieder geltend gemacht wird (BGE 113 Ia 429 E. 2a;
siehe auch BGE 112 Ia 33 E. 2a je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin
SVSS ist nach ihren Statuten vom 23. April 1988 (Statuten) ein Verein
(Art. 60 ff. ZGB). Die Mitgliedschaft steht jeder natürlichen oder
juristischen Person offen, welche die Ziele der SVSS anerkennt (Art. 6
Statuten). Sie ist eine gesamtschweizerische Vereinigung. Das hindert
sie allerdings noch nicht an der Anfechtung der kantonalen Weisungen,
wenn diese ohne weiteres auch für Nichtkantonseinwohner Rechtswirkungen
zu entfalten vermögen (BGE 102 Ia 206 E. 3). Die angefochtenen Weisungen
betreffen entsprechend der ihnen zu Grunde liegenden Strafrechtsbestimmung
(Art. 120 Ziff. 1 StGB) die straflose Schwangerschaftsunterbrechung
und die Begutachtung in Fällen, in denen die Schwangere ihren Wohnsitz
im Kanton Zug hat oder wenn der Eingriff in diesem Kanton vorgenommen
werden soll. Die Anwendung auf irgendeine in der Schweiz wohnhafte Frau im
gebärfähigen Alter kann also nicht von vornherein ausgeschlossen werden,
weswegen die entsprechenden Mitglieder der SVSS zur Beschwerdeführung
legitimiert wären. Da der Zweck der SVSS zudem unter anderem auch darin
besteht, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Missbräuche im Zusammenhang
mit dem Schwangerschaftsabbruch zu bekämpfen (Art. 2 Statuten), ist sie
als Beschwerdeführerin legitimiert.

    e) Die Beschwerdeführerinnen verlangen die gesamthafte Aufhebung der
Weisungen, beschränken sich in ihrer Begründung aber darauf, Mängel in den
Ziffern 1.3, 3.3 sowie 4.2 geltend zu machen. Das Bundesgericht darf nur
auf diese spezifisch gerügten Punkte eintreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Ziffern 1.3, 3.3 und
4.2 der Weisungen verstiessen gegen Art. 120 StGB und verletzten damit den
Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV).

    a) Dem kantonalen Gesetzgeber ist es verwehrt, strafrechtliche
Vorschriften über Rechtsgebiete aufzustellen, die eine abschliessende
Regelung im Bundesstrafrecht erfahren haben. Zudem gehen auch
verwaltungsrechtliche Vorschriften des Bundesstrafrechts jeder ihnen
widersprechenden Bestimmung des kantonalen öffentlichen Rechts vor. Im
übrigen bleibt es den Kantonen aber unbenommen, zum Schutz öffentlicher
Interessen verwaltungsrechtliche Normen zu erlassen, selbst wenn es
sich um Rechtsverhältnisse handelt, für welche der Bund strafrechtliche
Vorschriften aufgestellt hat. Das kantonale öffentliche Recht darf aber
die Anwendung des Bundesstrafrechts nicht verhindern. Es darf auch seinem
Sinn und Geist nicht zuwiderlaufen, sondern muss mit ihm in Einklang stehen
(BGE 101 Ia 580 E. 4a mit Hinweisen).

    Auszugehen ist davon, dass der Bundesgesetzgeber in Art. 120
Ziff. 1 StGB sowohl die materiellen Voraussetzungen der straflosen
Schwangerschaftsunterbrechung als auch die Massnahmen zur Abwehr von
Missbräuchen abschliessend geregelt hat (Sten.Bull. 1934 N 370/371). Diese
Voraussetzungen dürfen von den Kantonen somit weder erschwert noch
erleichtert werden, auch die Einführung zusätzlicher Vorkehren zur
Missbrauchsbekämpfung ist unzulässig (BGE 101 Ia 580 E. 4b mit Hinweisen).

    b) aa) Das Strafgesetzbuch behält die Ausführung strafloser
Schwangerschaftsunterbrechungen patentierten Ärzten vor, d.h. solchen,
denen im Kanton, in dem sie ihre ärztliche Tätigkeit ausüben, eine
entsprechende Bewilligung erteilt wurde. Die Beschränkung auf Fachärzte
FMH für Gynäkologie/Geburtshilfe und auf eine Durchführung der Eingriffe
in den gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilungen der Zuger Akutspitäler
(Ziff. 4.2 Weisungen) lässt sich nicht auf Bundesrecht stützen. Eine
einschränkende Auslegung des Begriffs "patentierter Arzt" lässt sich
namentlich mit Blick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete freie
Arztwahl und die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen der
Schwangeren und dem Arzt sowie die Wahrung der Geheim- und Intimsphäre
nicht rechtfertigen. Möglicherweise verfügen zur Zeit die privaten
Arztpraxen im Kanton Zug nicht über die für Schwangerschaftsunterbrechungen
notwendigen Einrichtungen oder deren Inhaber verzichten aus freien
Stücken auf eine entsprechende Tätigkeit. Dies allein erlaubt es
jedoch nicht, Ärzten, bei denen die kantonalen Gesundheitsbehörden
im übrigen grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Praxisausübung
als erfüllt erachten (§ 16 ff. Gesundheitsgesetz), die Vornahme von
Schwangerschaftsunterbrechungen gemäss Art. 120 Ziff. 1 StGB generell
zu untersagen.

    bb) Das Bundesgesetz verlangt eine Begutachtung durch einen zweiten für
den Zustand der Schwangeren sachverständigen Facharzt. Dieses Erfordernis
war die wohl umstrittenste Frage in den sich von 1918 (Botschaft) bis 1937
erstreckenden Verhandlungen in den Eidgenössischen Räten, die zu sieben
Differenzbereinigungen geführt haben. Die fachärztliche Begutachtung
soll angesichts der Unbestimmtheit der medizinischen Voraussetzungen der
Missbrauchsgefahr steuern (Sten.Bull. 1929 N 24). Der zweite Arzt muss, um
pflichtwidrige Absprachen zwischen Ärzten zu verhindern, amtlich bezeichnet
sein; er soll den ausführenden Arzt kontrollieren (Sten.Bull. 1929 N 55,
81; 1932 S 126; 1934 N 375; 1936 N 1091). Der begutachtende Arzt soll aber
nicht ein Amtsarzt sein. Vielmehr soll der jeweilige Facharzt amten, der
zur Beurteilung des Leidens, das die medizinische Indikation begründen
soll, fachlich kompetent ist (Sten.Bull. 1931 S 502; 1934 N 382; 1935 S
205; 1935 N 540/541, 545; 1936 N 1088, 1091, 1502). Im Vordergrund stehen
demnach die Fachkenntnisse des begutachtenden Arztes. Es ist deshalb auch
nicht erforderlich, dass er im Kanton praktiziert, in dem der Eingriff
ausgeführt werden soll.

    Das in den Weisungen vorgesehene Gutachtergremium kann die Funktion
des "für den Zustand der Schwangeren sachverständigen Facharztes" aus
verschiedenen Gründen nicht erfüllen. Die drei Ärzte, welche in diesem
Gremium die Entscheidungen treffen, können nicht alle Fachdisziplinen
vertreten, was im Einzelfall eine Begutachtung durch nicht fachspezifische
Ärzte zur Folge haben könnte. Auch die in den Weisungen (Ziff. 3.4)
vorgesehene Möglichkeit des Beizugs weiterer Experten behebt diesen Mangel
nicht; am Entscheid wirken trotzdem Nichtfachleute mit. Dazu kommt, dass
das Erfordernis fachärztlicher Begutachtung gerade deshalb an Stelle
einer Anzeigepflicht des ausführenden Arztes vorgeschrieben worden ist,
weil man eine Verletzung der Geheim- und Privatsphäre der Schwangeren
ausschliessen und diese von einer Flucht in die Illegalität abhalten wollte
(Sten.Bull. 1929 N 27; 1934 N 369-371). Neben den Bedenken hinsichtlich
des erforderlichen umfassenden Fachwissens waren solche Gründe auch
massgebend dafür, dass man davon absah, einen "Amtsarzt" als Gutachter
vorzusehen. Bei einer Begutachtung durch ein Ärztegremium ist aber in
der Regel naturgemäss die Privatsphäre erheblicher gefährdet und die
Persönlichkeit der Schwangeren stärkeren Beeinträchtigungen ausgesetzt, als
dies bei einer Begutachtung durch einen einzelnen Arzt der Fall wäre. Auch
das in medizinischen Behandlungsverhältnissen oder Beratungssituationen
erforderliche Vertrauensverhältnis wird im Kontakt zu einem einzelnen
Arzt einfacher aufzubauen sein. Eine Abweichung vom klaren Wortlaut des
Art. 120 Ziff. 1 Abs. 2 StGB und die Einsetzung eines Gutachtergremiums
lässt sich somit nicht rechtfertigen und verletzt Bundesrecht.

    cc) Schliesslich ist gemäss Strafgesetzbuch neben dem Wohnsitzkanton
der Schwangeren auch der Kanton, in dem der Eingriff erfolgen soll,
für die Bezeichnung eines Gutachters zuständig. Wie vom Bundesgericht
bereits entschieden wurde, darf ein Kanton die Gutachtertätigkeit nicht
auf schwangere Frauen beschränken, die in diesem Kanton ihren Wohnsitz
haben (BGE 101 Ia 581/582 E. 4b). Der historische Gesetzgeber hat eine
entsprechende Einschränkung klar verworfen und es der Schwangeren
ermöglichen wollen, an einem beliebigen Ort in der Schweiz um die
Vornahme eines Eingriffs und eine entsprechende Begutachtung nachzusuchen
(Sten.Bull. 1936 N 1092, 1502/1503). Damit sollte abgesehen von den
Geheimhaltungsinteressen der Schwangeren (Sten.Bull. 1934 N 382; 1936
N 1089, 1091) auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass nicht in
allen Kantonen die notwendigen Fachärzte vorhanden sind.