Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 291



114 Ia 291

47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1.
Oktober 1988 i.S. Erbengemeinschaft Fritz Bütikofer und Hans Rubin gegen
Regierungsrat des Kantons Bern Regeste

    Gemeindeautonomie; Zuständigkeit des Regierungsrats des Kantons Bern
zum Erlass von Planungszonen zum Schutz des Kulturlandes.

    1. Die Erhaltung von genügend Kulturland zur Sicherung einer
ausreichenden Versorgungsbasis des Landes stellt ein gesamtkantonales
Anliegen dar. Als oberste und damit für die Kantonsplanung verantwortliche
Exekutivbehörde ist der Regierungsrat des Kantons Bern zuständig,
die Baudirektion in Verfolgung dieses Anliegens mit dem Erlass von
Planungszonen zu beauftragen (E. 3b/aa).

    2. Die mit dem Erlass von Planungszonen zur Kulturlandsicherung
beauftragte Baudirektion verletzt hingegen die den bernischen Gemeinden
bei der Ortsplanung zustehende Autonomie, wenn sie solche Planungszonen
in Verfolgung typisch ortsplanerischer Ziele erlässt (E. 3b/bb).

Sachverhalt

    A.- Am 11. Juni 1986 legte die Baudirektion des Kantons Bern in der
Einwohnergemeinde Zollikofen verschiedene Planungszonen zum Schutze des
Kulturlandes auf, darunter auch die Planungszone Nr. 1166.22/6. Gegen
diese reichten die Erbengemeinschaft Fritz Bütikofer als Eigentümerin
der mit der Planungszone belegten Parzelle GB Nr. 350 und Hans Rubin
als Kaufrechtsberechtigter an einem Teil dieser Parzelle am 8. Juli 1986
Einsprache ein, mit der sie die Aufhebung der Planungszone verlangten. Die
Einwohnergemeinde Zollikofen verlangte mit Einsprache vom 9. Juli 1986
ebenfalls die Aufhebung dieser Planungszone. Mit Beschluss vom 23. Juli
1987 wies die Baudirektion des Kantons Bern die Einsprachen ab. Den
Einspracheentscheid fochten die Erbengemeinschaft Fritz Bütikofer und
Hans Rubin mit Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Bern an. Mit
Entscheid vom 24. Februar 1988 wies der Regierungsrat die Beschwerde ab.

    Eine von der Erbengemeinschaft Fritz Bütikofer und Hans Rubin
gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde heisst das
Bundesgericht gut, soweit es auf sie eintreten kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer machen geltend, die Baudirektion des Kantons
Bern habe durch den Erlass der angefochtenen Planungszone in den der
Gemeinde Zollikofen durch das kantonale Recht vorbehaltenen Sachbereich
der Ortsplanung eingegriffen und damit die Gemeindeautonomie verletzt.

    a) Die Beschwerdeführer erheben diese Rüge hilfsweise neben
verschiedenen anderen Rügen. Zu einer solchen hilfsweisen Anrufung der
Gemeindeautonomie sind die Beschwerdeführer nach ständiger Rechtsprechung
(BGE 108 Ia 269 E. 8 mit Hinweisen) legitimiert. Auf ihre Rüge ist daher
einzutreten.

    b) Den bernischen Gemeinden steht beim Erlass ihrer Bau- und
Zonenordnung ein weiter Ermessensspielraum zu. Sie sind insoweit, wie
sich aus Art. 65 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 (BauG)
ergibt, grundsätzlich autonom (unveröffentlichtes Bundesgerichtsurteil
vom 17. Dezember 1986 i.S. S. E. 2a). Neben dieser planerischen
Zuständigkeit der Gemeinden steht jene des Regierungsrats. Er ist als
oberste Exekutivbehörde für die Kantonsplanung verantwortlich. Er hat
demgemäss die Abstimmung der raumwirksamen Tätigkeiten im Kanton zu
beaufsichtigen und im Konfliktfall zu entscheiden (Art. 99 Abs. 1 BauG).

    aa) Bei der Prüfung der Frage, ob sich der Erlass der angefochtenen
Planungszone in vertretbarer Weise auf die geschilderte Zuständigkeit
des Regierungsrats als oberste kantonale Planungsbehörde stützt, ist
zunächst zu klären, ob sich aus der Zuständigkeit des Regierungsrats
für gesamtkantonale Planungsanliegen auch die Zuständigkeit ergibt, die
Baudirektion mit dem Erlass von Planungszonen zur Kulturlandsicherung
zu beauftragen.

    Als oberste Planungsbehörde hat der Regierungsrat zur Erhaltung des
Kulturlandes als Existenzgrundlage der Landwirtschaft - eines Anliegens,
zu dessen Verwirklichung der Kanton gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 3
Abs. 2 lit. a, Art. 6 Abs. 2 lit. a RPG und diesen entsprechend Art. 11
ff. der Verordnung über die Raumplanung vom 26. März 1986 (RPGV) auch von
Bundesrechts wegen verpflichtet ist - einen für alle weiteren Planungen
verbindlichen kantonalen Richtplan der Landwirtschaftsflächen auszuarbeiten
und dem Grossen Rat zur Beschlussfassung vorzulegen (Art. 101 BauG). Bei
dem mit dem kantonalen Richtplan der Landwirtschaftsflächen verfolgten
Ziel der Erhaltung des ackerfähigen Kulturlandes handelt es sich um ein
gesamtkantonales Anliegen.

    Die Verwirklichung dieses gesamtkantonalen Anliegens macht Änderungen
der kommunalen Nutzungsplanungen erforderlich. In einem gewissen Umfang
werden Umzonungen aus bisherigen Bauzonen in Landwirtschaftszonen
vorgenommen werden müssen. Zur Verhinderung von Präjudizierungen,
die solche Umzonungen erschweren oder verunmöglichen würden,
ist der Kanton gestützt auf Art. 62 und 99 BauG zur Bestimmung von
Planungszonen befugt. Diese Zuständigkeit ergibt sich bereits daraus,
dass der Kanton angesichts des gesamtkantonalen Charakters der Aufgabe
der Kulturlanderhaltung zur Sicherung dieses Anliegens gemäss Art. 102
Abs. 2 BauG mit einer kantonalen Überbauungsordnung alle Anordnungen
treffen könnte, die Gegenstand der Nutzungsplanung sein können (ALDO ZAUGG,
Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985, Bern 1987, N. 2
zu Art. 102 BauG, S. 498). Es ist nicht einzusehen, warum dem Kanton neben
dieser Möglichkeit der Anordnung einer kantonalen Überbauungsordnung nicht
auch die Befugnis zustehen sollte, zur Sicherung der Kulturlanderhaltung
die weit weniger in den planerischen Zuständigkeitsbereich der Gemeinde
eingreifende Massnahme einer Planungszone zu verhängen.

    Die Zuständigkeit des Kantons zum Erlass von Planungszonen zur
Kulturlandsicherung rechtfertigt sich überdies deshalb, weil das Ziel
der Kulturlandsicherung auf die von den Beschwerdeführern für einzig
zulässig gehaltene Weise, erst nach Untätigkeit der Gemeinden auf dem Weg
der Ersatzvornahme Planungszonen anzuordnen (Art. 62 i.V.m. Art. 65 Abs. 2
lit. c BauG), nicht erreicht werden könnte: Käme dem Kanton keine Befugnis
zum direkten Erlass von Planungszonen zur Kulturlandsicherung zu, wäre zu
befürchten, dass der vom Grossen Rat zu erlassende kantonale Richtplan
der Landwirtschaftsflächen weithin leerlaufen würde. Der Regierungsrat
könnte auf dem Weg der Ersatzvornahme die Festsetzung einer Planungszone
erst dann veranlassen, wenn die Gemeinde ihrer (erst mit dem Erlass des
behördenverbindlichen Richtplans der Landwirtschaftsflächen entstehenden!)
Pflicht zur Anpassung ihrer Nutzungsplanung an den Richtplan der
Landwirtschaftsflächen nicht nachkäme. Dies würde bedeuten, dass der Kanton
auch seiner dem Bund gegenüber auf Grund der Raumplanungsgesetzgebung
(Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 2, Art. 3 Abs. 2 lit. a, Art. 6 Abs. 2 lit. a,
Art. 14 und Art. 16 RPG) bestehenden Pflicht zur Sicherung des Kulturlandes
nur ungenügend nachkommen könnte. Dass das BauG mit der in Art. 65 Abs. 2
lit. c BauG getroffenen Lösung diese Konsequenz habe in Kauf nehmen
wollen, ist nicht anzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der
Regierungsrat als oberste kantonale Planungsbehörde gemäss Art. 99 BauG zur
Sicherung des Kulturlandes auch über die Befugnis verfügt, die Baudirektion
anzuweisen, Planungszonen zur Sicherung des Kulturlands festzusetzen.

    bb) Die erwähnte Zuständigkeit des Regierungsrats, die Baudirektion
mit dem Erlass von Planungszonen zu beauftragen, ist allerdings auf die
Verfolgung des im gesamtkantonalen Interesse stehenden Planungsziels der
Kulturlandsicherung beschränkt. Zur Sicherung typisch ortsplanerischer
Ziele kann der Kanton keine Planungszonen anordnen, würde er doch damit
in den planerischen Autonomiebereich der Gemeinden eingreifen.

    Der am 12. September 1988 durchgeführte Augenschein hat ergeben,
dass die mit der angefochtenen Planungszone belegte Parzelle sich
inmitten überbauten Gebiets befindet und weder von seiten des Kantons
noch von seiten der Gemeinde eine Umzonung in die Landwirtschaftszone
ins Auge gefasst wird. Die zu beurteilende Planungszone dient somit
nicht unmittelbar dem Zweck der Kulturlandsicherung, sondern soll
einzig Präjudizierungen während des bereits angelaufenen Verfahrens der
Ortsplanungsrevision der Einwohnergemeinde Zollikofen vermeiden, die eine
im neuen Zonenplan vorzusehende bessere bauliche Ausnutzung der Parzelle
verhindern würden. Auch wenn eine Verdichtung der Überbauung innerhalb
der Bauzonen der haushälterischen Nutzung des Bodens dient und damit
indirekt dazu beiträgt, landwirtschaftliches Kulturland zu erhalten, kann
hieraus keine Änderung der gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsordnung
hergeleitet werden. Der Entscheid über eine allfällige Erhöhung der
baulichen Ausnützung der mit der angefochtenen Planungszone belegten
Parzelle steht primär im Ermessen der für die Planung verantwortlichen
Gemeindebehörden. Erst im Genehmigungsverfahren gemäss Art. 61 BauG kann
die Baudirektion nach Anhörung des Gemeinderates und der betroffenen
Grundeigentümer gesetzwidrige oder unzweckmässige Vorschriften im
Genehmigungsbeschluss ändern.

    Nichts anderes kann für den Erlass von Planungszonen gelten, durch
welche Präjudizierungen im Hinblick auf eine Revision des Nutzungsplanes
und der Zonenvorschriften innerhalb der Bauzonen verhindert werden
sollen; insbesondere ergibt sich aus Art. 62 BauG für den Erlass von
Planungszonen (abgesehen vom Fall der Ersatzvornahme) keine Verschiebung
dieser Zuständigkeit von der Gemeinde an den Kanton. Der Kanton war somit
im Hinblick auf das mit der zu beurteilenden Planungszone verfolgte
Ziel nicht zu deren Erlass befugt. Indem er dennoch die angefochtene
Planungszone erlassen hat, hat er unter unhaltbarer Berufung auf Art. 62
und 99 BauG in den der Einwohnergemeinde Zollikofen durch das kantonale
Recht vorbehaltenen Zuständigkeitsbereich eingegriffen und damit deren
Autonomie verletzt (vgl. BGE 113 Ia 206 E. 2b; 112 Ia 270 E. 2a, je
mit Hinweisen).