Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 259



114 Ia 259

40. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. November
1988 i.S. B. und R. gegen Meliorationsgenossenschaft Masein und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Güterzusammenlegung; Entschädigung für Minderzuteilung.

    Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung der Bemessungsgrundsätze für
den sog. Geldausgleich (E. 1). Auf welchen Stichtag ist bei der Bestimmung
der Verkehrswert-Entschädigung für Minderzuteilungen abzustellen? Frage
offengelassen (E. 2).

Sachverhalt

    A.- In der Gesamtmelioration von Masein, die im Jahre 1960 beschlossen
worden war, lagen die Neuzuteilungspläne im Sommer 1971 öffentlich
auf. Nach diesen wurden unter anderem dem Grundeigentümer B. drei Parzellen
mit einer Gesamtfläche von 7731 m2 und A. die Parzelle Nr. 18 (später
Nr. 38) mit einer Fläche von 1824 m2 zugewiesen. Auf den Güterzetteln des
neuen Besitzstandes war allerdings vermerkt, dass die Flächen erst durch
die eidgenössische Grundbuchvermessung genau ermittelt würden. Im Juli
1975 verfügte die Regierung des Kantons Graubünden den Eigentumserwerb
an den neu zugeteilten Grundstücken. Drei Jahre später, im August 1978,
erfolgte die Auflage des Kostenverteilers, der einen Abzug für allgemeine
Anlagen von 3% vorsah und den bei Differenzen auszugleichenden Verkehrswert
auf das Dreifache des Bonitierungswertes festlegte. Dieser Kostenverteiler
wies für B. eine Minderzuteilung von Fr. 7.90 und für A. eine Mehrzuteilung
von Fr. 0.05 aus. Der neue Bestand wurde 1979 vermarkt.

    Anlässlich der Auflage der Ergebnisse der Grundbuchvermessung im
Jahre 1982 stellten B. und A. fest, dass ihre Parzellen kleiner waren
als bei der Neuzuteilung angegeben. Beide Eigentümer gelangten hierauf
an das kantonale Departement des Innern und der Volkswirtschaft, das die
Einsprecher - unterdessen hatte A. das Grundstück Nr. 38 an R. verkauft -
jedoch auf den ordentlichen Güterzusammenlegungsweg verwies.

    In der Folge liess die Meliorationsgenossenschaft durch das
kantonale Meliorationsamt die wertmässigen Zuteilungen auf der Basis
der vermessenen Flächen neu berechnen und erhöhte in Absprache mit der
Amtsstelle den allgemeinen Abzug von 3% auf 4%. Die korrigierten Mehr-
und Minderzuteilungsberechnungen wurden vom 24. Mai bis 10. Juni 1986
öffentlich aufgelegt. Nach dem abgeänderten Kostenverteiler ergab
sich für B. eine Minderzuteilung von 101.59 Punkten bzw. Fr. 296.90
und für R. eine solche von 50.25 Punkten bzw. Fr. 150.75. Gegen diese
Wertausgleichsberechnung erhoben die Grundeigentümer Einsprache und hierauf
Rekurs beim kantonalen Verwaltungsgericht und verlangten, dass ihnen für
die Minderzuteilung eine Verkehrswert-Entschädigung ausgerichtet werde,
die für Bauland auf Fr. 95.--/m2 festzusetzen sei. Das Verwaltungsgericht
trat am 11. November 1986 auf die Rekurse nicht ein. Diesen Entscheid
hob das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin auf.

    Nach Durchführung eines weiteren Schriftenwechsels wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden die Rekurse im wesentlichen ab,
weil die Rekurrenten schon den Kostenverteiler von 1978 hätten anfechten
können und sollen, falls sie der Meinung waren, die Festsetzung des
auszugleichenden Verkehrswertes auf das Dreifache des Bonitätswertes sei
verfassungswidrig. Gegen diesen Entscheid haben B. und R. staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Verwaltungsgericht räumt im angefochtenen Entscheid ein,
dass die in ein Landumlegungsverfahren einbezogenen Grundeigentümer
Anspruch auf Realersatz haben und ihnen für Minderzuteilungen, die nicht
vermieden werden können, ein Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes
geschuldet ist. Es anerkennt auch mit Hinweis auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung (BGE 105 Ia 329), dass sich der Betroffene auch nach
Abschluss des Bonitierungs- oder Neuzuteilungsverfahrens unter Umständen
noch bei der Bemessung des Wertausgleiches auf die wahren Wertverhältnisse
berufen und eine volle Entschädigung im Sinne von Art. 22ter BV verlangen
kann. Hingegen schliesst das Gericht im vorliegenden Fall ein Zurückkommen
auf die Bewertungsmassstäbe aus, weil sich die Beschwerdeführer bzw. ihre
Rechtsvorgänger schon bei der Auflage des ersten Kostenverteilers im
Jahre 1978 dagegen hätten zur Wehr setzen können und müssen, dass der zu
ersetzende "Verkehrswert" bloss das Dreifache des Bonitätswertes betragen
solle. Dieser Meinung ist indessen nicht zu folgen. Die Beschwerdeführer
hatten im Jahre 1978 angesichts der damals als ausgeglichen erscheinenden
Neuzuteilung keinerlei Anlass, die Bewertungen anzufechten. Dies gilt
insbesondere für A., für welchen eine Mehrzuteilung von Fr. 0.05 berechnet
und der durch eine zu niedrige Ansetzung des Verkehrswertes nicht beschwert
wurde, aber auch für B., war doch die für ihn ermittelte Minderzuteilung
von Fr. 7.90 äusserst gering. Zwar trifft zu, dass die Eigentümer darauf
hingewiesen worden waren, dass die neu zugeteilten Flächen erst durch
die Grundbuchvermessung genau ermittelt würden, doch mussten sie deshalb
keine grossen Abweichungen erwarten; im übrigen ist ohnehin fraglich, ob
auf eine vorsorgliche Einsprache, die im Hinblick auf ein möglicherweise
ungünstiges Resultat der Grundbuchvermessung erhoben worden wäre,
überhaupt eingetreten worden wäre. Erst als sich herausstellte, dass die
den beiden Eigentümern zugewiesenen Flächen erheblich kleiner waren, als
es dem Anspruchswert entsprochen hätte, hatten sie objektiverweise Anlass
für die Bestreitung der Geldausgleichsberechnung. Die Beschwerdeführer
unternahmen denn auch in jenem Zeitpunkt sofort rechtliche Schritte
und verlangten für die Minderzuteilung eine Entschädigung in Höhe des
wahren Verkehrswertes. Das Verwaltungsgericht hat ihnen daher zu Unrecht
vorgeworfen, erst verspätet gehandelt zu haben, und ist in dieser Hinsicht
in eine allzu formalistische und damit willkürliche Betrachtungsweise
verfallen. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Sache zu neuer
Beurteilung bzw. zur Festsetzung der Verkehrswert-Entschädigung für die
Minderzuteilungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

Erwägung 2

    2.- Im Rahmen der nunmehr noch vorzunehmenden Festsetzung
des Geldausgleiches wird sich die im kantonalen Verfahren bereits
aufgeworfene Frage stellen, welcher Bewertungs-Stichtag der Bestimmung des
Verkehrswertes zugrunde zu legen sei. Diese Frage ist besonders heikel,
wenn wie hier der Zeitpunkt der Neuzuteilung und der Moment, in dem
der Betroffene seine Entschädigungsansprüche frühestens geltend machen
konnte, weit auseinanderliegen und in der Zwischenzeit die Verkehrswerte
angestiegen sind. In analoger Anwendung der für die formelle Enteignung
geltenden Grundsätze wäre auf ein dem Entschädigungsentscheid nahes
Datum abzustellen, da der Enteignete zumindest theoretisch in die
Lage versetzt werden sollte, sich ein Ersatzgrundstück zu verschaffen
(s. etwa BGE 92 I 247 f.). Werden dagegen die für die materielle
Enteignung geltenden Regeln beigezogen, so ist die Bewertung auf den
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung, das heisst hier
der Neuzuteilung, vorzunehmen, auch wenn die Entschädigungsforderung erst
später angemeldet werden konnte (vgl. BGE 111 Ib 81 ff.). Tatsächlich
fragt sich, ob das Güterzusammenlegungsunternehmen für die seit der
Neuzuteilung eingetretene Preisentwicklung voll einzustehen habe, selbst
wenn ihm die lange Dauer des Verfahrens nicht angelastet werden kann und
wenn es allenfalls nicht mehr die Möglichkeit hat, ein Korrekturverfahren
auch für Mehrzuteilungen durchzuführen und von den bereicherten Eigentümern
Beiträge zurückzuverlangen. In dieser Situation einen gerechten Ausgleich
zu finden, ist nicht einfach. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass
sich - wie jedenfalls die Beschwerdegegnerin geltend macht - Teile des
Altbestandes der Beschwerdeführer möglicherweise ausserhalb des nunmehr
eingezonten Gebietes befanden. Träfe dies zu, so wäre diesem Umstand
im Geldausgleichsverfahren ebenfalls Rechnung zu tragen, dient dieses
doch dazu, die Differenz zwischen dem wahren Wert des Altbestandes und
dem wahren Wert des neu zugeteilten Bodens zu beheben. Auch in dieser
Hinsicht wird das Verwaltungsgericht noch Abklärungen zu treffen haben.