Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 V 74



113 V 74

13. Auszug aus dem Urteil vom 9. März 1987 i.S. Bundesamt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit gegen M. Bau AG und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 31 Abs. 3 und 42 Abs. 3 AVIG. Die von Art. 31 Abs. 3 AVIG
erfassten Personen sind vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung
und in Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 AVIG vom Anspruch auf
Schlechtwetterentschädigung ausgeschlossen. Im Gegensatz zur Praxis zum
altrechtlichen Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV ist der Ausschluss der in
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch
absolut zu verstehen.

Sachverhalt

    A.- Die Brüder Edwin und Hans-Rudolf M. sowie Wilfried N.  sind zu
je einem Drittel am Aktienkapital der Firma M. Bau AG beteiligt. Wilfried
N. verfügt über 540 Aktien zu Fr. 500.-- Nennwert, Hans-Rudolf und Edwin
M. besitzen je 270 Aktien zu einem Nennwert von Fr. 1'000.--. Die drei
Aktionäre bilden den Verwaltungsrat der Gesellschaft. Wilfried N. ist als
Präsident einzelzeichnungsberechtigt, die Brüder M. zeichnen kollektiv
zu zweien. Das Stimmrecht der Gesellschaft bestimmt sich nach der Anzahl
Aktien ohne Berücksichtigung des Nennwertes.

    Wegen der am 8. Januar 1985 einsetzenden Schlechtwetterperiode
mussten die Arbeiten für insgesamt 13 Arbeiter auf zwei Baustellen
eingestellt werden. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Bern anerkannte den
grundsätzlichen Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung, lehnte aber
mit Verfügung vom 10. Juli 1985 den Anspruch von Edwin und Hans-Rudolf
M. für die Zeit vom 8. Januar bis 26. Februar 1985 ab. Zur Begründung
führte sie an, dass die Brüder M. als Aktionäre die Entscheidungen der
Baufirma bestimmen oder massgeblich beeinflussen könnten, weshalb sie
gemäss Art. 42 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG nicht
anspruchsberechtigt seien.

    B.- In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde bejahte das
Versicherungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 4. März 1986 den
Anspruch von Edwin und Hans-Rudolf M. auf Schlechtwetterentschädigung in
den Abrechnungsperioden Januar und Februar 1985. Es gelangte zum Schluss,
dass die Rechtsprechung zum altrechtlichen Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV auch
bei der Anwendung der neuen Bestimmung des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG in
Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 AVIG zu beachten sei. Darnach hätten Personen
mit bestimmendem Einfluss auf die Entscheidungen des Betriebes Anspruch
auf Entschädigung, wenn der ausgewiesene Arbeitsausfall überprüfbar und
die Leistungsansprecher während der witterungsbedingten Arbeitslosigkeit
vermittlungsfähig und -bereit seien. Diese Voraussetzungen seien im
vorliegenden Fall erfüllt. Aufgrund der konkreten Umstände sei im übrigen
zu schliessen, dass Edwin und Hans-Rudolf M. als Verwaltungsräte mit je
25%igem Stimmrecht keinen massgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen
der Firma ausübten.

    C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides.

    Während die M. Bau AG beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
sei abzuweisen, schliesst die Arbeitslosenkasse auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss dem bis 31. Dezember 1983 geltenden Art. 31 Abs. 1
lit. c AlVV, vom Bundesrat gestützt auf Art. 36 Abs. 2 AlVG erlassen,
waren u.a. Personen nicht anspruchsberechtigt, die im Betrieb einer
juristischen Person tätig sind, deren Beschlüsse sie in ihrer Eigenschaft
als Gesellschafter, Mitglieder oder Aktionäre, insbesondere infolge
ihrer Kapitalbeteiligung, bestimmen oder massgeblich zu beeinflussen
vermögen. Das Eidg. Versicherungsgericht erachtete diese Bestimmung als
gesetzmässig und gelangte bei deren Auslegung zu folgenden Schlüssen: Die
in Frage stehenden Personen sind vom Recht auf Leistungen nicht gänzlich
ausgeschlossen; sie können darauf Anspruch erheben, wenn ihre Stellung
ihre Vermittlungsfähigkeit und -bereitschaft nicht erheblich vermindert
und die Überprüfbarkeit ihrer Arbeitslosigkeit nicht übermässig erschwert
oder verunmöglicht (BGE 105 V 101). Diese Rechtsprechung bezieht sich
nicht nur auf Ganzarbeitslosigkeit; der Leistungsanspruch besteht auch bei
Teilarbeitslosigkeit, wenn die erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind (ARV
1980 Nr. 41 S. 100). Insofern der Leistungsansprecher zu den in Art. 31
Abs. 1 lit. c AlVV erwähnten Personen gehört, hat die gründliche Abklärung
des Umstandes, ob er gemäss der erwähnten Rechtsprechung nicht doch einen
Anspruch besitzt, nur dann zu erfolgen, wenn hinreichende Anhaltspunkte
für die Entschädigungspflicht der Arbeitslosenversicherung vorliegen
(BGE 106 V 120).

Erwägung 3

    3.- Nach dem neuen, seit 1. Januar 1984 geltenden Recht (Art.
31 Abs. 3 lit. c AVIG) haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung
u.a. Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell
am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen
Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder
massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Die
gleichen Personen haben gemäss Art. 42 Abs. 3 AVIG auch keinen Anspruch
auf Schlechtwetterentschädigung. Zu prüfen ist vorab, ob Art. 31 Abs. 3
lit. c AVIG gleich wie der frühere Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV auszulegen
ist, dem erwähnten Personenkreis somit unter Umständen ein Anspruch auf
Leistungen zusteht, oder ob die in Frage stehenden Personen in jedem Fall
vom Recht auf Kurzarbeitsentschädigung bzw. (in Verbindung mit Art. 42
Abs. 3 AVIG) auf Schlechtwetterentschädigung ausgeschlossen sind.

    a) Während Vorinstanz und Beschwerdegegnerin der Auffassung sind,
dass an der zu Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV ergangenen Rechtsprechung
auch unter der Herrschaft des neuen Rechts festzuhalten sei, macht das
BIGA geltend, die bisherige Praxis könne im Rahmen des Art. 31 Abs. 3
lit. c AVIG nicht ohne weiteres beibehalten werden. In Ermangelung einer
ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage habe der altrechtliche Art. 31
Abs. 1 lit. c AlVV nur in der Weise mit dem Gesetz in Einklang gebracht
werden können, dass er als widerlegbare Tatsachenvermutung im Sinne der
fehlenden Vermittlungsfähigkeit oder Überprüfbarkeit der Arbeitslosigkeit
interpretiert wurde. Nachdem sich die entsprechende neurechtliche Regelung
im Gesetz selbst finde, erscheine eine derart einschränkende Interpretation
nicht von vornherein zwingend.

    b) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist
der Text nicht ganz klar bzw. sind verschiedene Auslegungen möglich, so
muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung
aller Auslegungselemente, namentlich der Auslegung nach dem Zweck, nach
dem Sinn und nach den dem Text zugrunde liegenden Wertungen. Wichtig
ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt (BGE 112 V 171
Erw. 3a mit Hinweisen).

    Das Gericht ist zwar an das Gesetz gebunden, doch weicht es
ausnahmsweise von der wörtlichen Interpretation ab, wenn diese zu
offensichtlich unhaltbaren Ergebnissen führt, die dem wahren Willen des
Gesetzgebers zuwiderlaufen (BGE 112 V 172 oben, 109 V 62 Erw. 4, 107 V
216 Erw. 3b; RKUV 1984 Nr. K 593 S. 226 Erw. 2b; vgl. auch BGE 105 V 47).

    c) Der Wortlaut von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG, der den vom Anspruch
auf Kurzarbeitsentschädigung ausgeschlossenen Personenkreis genau
umschreibt, ist völlig klar und lässt keinen Raum für verschiedene
Auslegungen. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz finden sich auch
in den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für eine Auslegung,
die vom Wortlaut abweicht. Laut Botschaft des Bundesrates zu einem
neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung
und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 sollte sowohl bei der
Kurzarbeitsentschädigung als auch bei der Schlechtwetterentschädigung dem
Missbrauch bewusst ein Riegel geschoben werden (BBl 1980 III 531 ff.),
was gerade für den vollständigen Ausschluss der durch Art. 31 Abs. 3 AVIG
erfassten Personen spricht. In der Botschaft wird zudem noch ausdrücklich
festgehalten, dass dieser Ausschluss sich nur auf Kurzarbeits- und
Schlechtwetterentschädigung, nicht aber auf Ganzarbeitslosigkeit bezieht
(BBl 1980 III 591 f.). Dass der Ausschluss tatsächlich als absolut -
und nicht als relativ im Sinne der bisherigen Praxis - verstanden wurde,
zeigen die Verhandlungen in der ständerätlichen Kommission (Protokoll der
Sitzung vom 11./12. November 1981 S. 1 f.) und die Beratung des Ständerates
(Amtl.Bull. 1982 S 137) klar. Die gegenteilige, vom kantonalen Gericht
vertretene Lösung würde im übrigen zu erheblichen Schwierigkeiten bei der
Anwendung führen. Denn es müsste im Einzelfall nicht nur untersucht werden,
ob ein Leistungsansprecher zum Personenkreis zählt, der die Entscheidungen
des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann; vielmehr
wären darüber hinaus die Vermittlungsfähigkeit und -bereitschaft sowie
der tatsächliche Arbeitsausfall zu überprüfen. Noch aufwendiger würde das
Vorgehen, wenn - wie von der Vorinstanz befürwortet - für die Aufhebung
des Ausschlusses bei der Schlechtwetterentschädigung andere Kriterien zu
berücksichtigen wären als bei der Kurzarbeitsentschädigung.

    d) Zusammenfassend ist festzustellen, dass kein Grund besteht, vom
klaren Gesetzeswortlaut abzuweichen. Die von Art. 31 Abs. 3 AVIG erfassten
Personen sind vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung und in Verbindung
mit Art. 42 Abs. 3 AVIG vom Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung
ausgeschlossen, ohne dass die Möglichkeit besteht, ihnen im Sinne der
Rechtsprechung zum alten Recht (BGE 105 V 101, 106 V 120) unter bestimmten
Voraussetzungen Leistungen zu gewähren.

Erwägung 4

    4.- Edwin und Hans-Rudolf M. sind zu je einem Drittel am voll
liberierten Aktienkapital der M. Bau AG von Fr. 810'000.-- beteiligt. Jeder
der beiden verfügt über 25% der Stimmrechte. Sie bilden zusammen mit dem
Präsidenten Wilfried N. den Verwaltungsrat; dabei zeichnen sie kollektiv
zu zweien, während Wilfried N. die Einzelunterschrift führt.

    Mit diesen Beteiligungsverhältnissen sowie der gesellschaftsinternen
Stellung der genannten Personen und der besondern Struktur der Gesellschaft
ist hinreichend erstellt, dass Edwin und Hans-Rudolf M. den Geschäftsgang
der Baufirma wesentlich mitbestimmen oder massgeblich beeinflussen
können. Dass sie, einerseits als Verantwortlicher für den Maschinen- und
Fahrzeugpark und anderseits als Maurerpolier, einen fest umschriebenen
Wirkungskreis haben, ändert an der hier entscheidenden Tatsache,
dass ihnen hinsichtlich der Willensbildung der Aktiengesellschaft eine
entscheidende Stellung zukommt, nichts (nicht publiziertes Urteil D. AG
vom 29. Januar 1986). Sie gehören daher zu den Personen, die gemäss
Art. 42 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG keinen
Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung haben; da nach den vorstehenden
Erwägungen der Ausschluss der erwähnten Personen als absolut betrachtet
werden muss, ist der vorinstanzliche Entscheid in Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben.