Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 472



113 II 472

83. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1987 i.S. X. gegen X.
(Berufung) Regeste

    Nichtigerklärung einer Ehe (Art. 120 Ziff. 4 ZGB).

    Einem Ehemann, der die Ehe einzig in der Absicht eingegangen ist, der
Ehefrau das Schweizer Bürgerrecht zu vermitteln, kann die Legitimation zur
Klage auf Nichtigerklärung der Ehe gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB nicht mit
der Begründung abgesprochen werden, er berufe sich auf eigenes Unrecht,
was rechtsmissbräuchlich sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen,
dass Art. 120 Ziff. 4 ZGB aufgrund der Revision des Bürgerrechtsgesetzes
im Jahre 1952 in das ZGB aufgenommen worden sei. Vorher sei eine
sog. Bürgerrechtsehe wegen Rechtsmissbrauchs als nichtig betrachtet
worden. Das Bundesgericht habe seine Rechtsprechung auf Art. 2 ZGB
abgestützt und dem bösgläubigen Ehemann, der eine Bürgerrechtsehe
eingegangen sei, das Klagerecht abgesprochen (BGE 66 II 226 und 70
II 5). Da Art. 120 Ziff. 4 ZGB im wesentlichen aus dieser früheren
Bundesgerichtspraxis entstanden sei, müsse die neue Bestimmung im Lichte
dieser Rechtsprechung ausgelegt werden.

    Auch nach Auffassung des Obergerichts ist es heute zwar nicht mehr
zulässig, die Nichtigkeit einer Bürgerrechtsehe aufgrund von Art. 2 ZGB
zu beurteilen, nachdem der Gesetzgeber eine klare Regelung getroffen
hat. Damit sei aber noch nicht gesagt, dass der bösgläubige Ehemann
zur Klage berechtigt sei. Die Frage, ob eine Klage gegen Art. 2 ZGB
verstosse, könne sich immer stellen. Es sei kein Grund ersichtlich,
weshalb die Bestimmung, wonach der offenbare Missbrauch eines Rechts
keinen Rechtsschutz findet, bei der Nichtigkeitsklage nach Art.
120 Ziff. 4 ZGB nicht anzuwenden wäre. In diesem Rahmen habe die frühere
Bundesgerichtspraxis nach wie vor ihre Gültigkeit.

    Wie das Obergericht festhält, hat der Kläger im vorliegenden Fall
zugegeben, zum Abschluss einer reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten zu
haben. ... Ein Liebesverhältnis sei ... nie entstanden. Sodann habe die
Beklagte den Kläger noch vor dem Eheabschluss schriftlich von jeglicher
Verpflichtung aus der Ehe entbunden. Es sei weder je ein Zusammenleben
aufgenommen worden, noch sei es je zu sexuellen Beziehungen gekommen. Die
Heirat habe einzig und allein dazu gedient, der Beklagten das Schweizer
Bürgerrecht zu verschaffen, um ihr das Verbleiben in der Schweiz zu
ermöglichen. Wenn der Kläger heute verlange, dass seine Ehe gestützt auf
Art. 120 Ziff. 4 ZGB für ungültig erklärt werde, berufe er sich auf sein
eigenes Unrecht, was rechtsmissbräuchlich sei. Sein Interesse an der
Nichtigkeit der Ehe verdiene keinen Rechtsschutz.

Erwägung 2

    2.- Zur Begründung ihres Urteils stützt sich die Vorinstanz u.a. auf
MERZ, N. 295 zu Art. 2 ZGB, und auf HINDERLING, Das schweizerische
Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 7 Anm. 5. Der letztgenannte Autor
nimmt indessen nicht Stellung zu der Frage, ob dem Ehegatten, der zum
Abschluss einer Bürgerrechtsehe Hand geboten hat, die Nichtigkeitsklage
verwehrt bleiben müsse, weil er sich auf das eigene Unrecht beruft. Er
bemerkt vielmehr nur unter Hinweis auf BGE 87 II 277 und MERZ, N. 296
zu Art. 2 ZGB, dass bei einer Bürgerrechtsehe die Ehegatten nicht
unter allen Umständen mit der Berufung darauf, ihr Scheidungsbegehren
sei rechtsmissbräuchlich, in ihrer inhaltlosen Ehe gegen ihren Willen
festgehalten werden sollten. Die Scheidung sollte ihnen offenstehen, wenn
die Möglichkeit einer sinnvollen Weiterführung der ehelichen Gemeinschaft
zu verneinen sei.

    Auch bei MERZ, N. 292 ff. zu Art. 2 ZGB, vermag das Obergericht für
seine Betrachtungsweise keine Stütze zu finden. Dieser Autor äussert sich
nicht zur gesetzlichen Regelung von Art. 120 Ziff. 4 ZGB als solcher.
Er beschränkt sich darauf, die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts
zur Bürgerrechtsehe, die sich auf Art. 2 ZGB stützte, zu kritisieren, und
zwar weil er glaubt, dass diese Rechtsprechung in anderem Zusammenhang
weiterhin von Bedeutung sein könne. MERZ bezeichnet es in N. 295 zu
Art. 2 ZGB als bedenklich, dass der dem Schutz von privaten Interessen
dienende Art. 2 ZGB hier zur Wahrung ausschliesslich öffentlicher
Interessen eingesetzt werde. Nach seiner Vorstellung (N. 296) sollte
nur die Erschleichung des Bürgerrechts für rechtsmissbräuchlich erklärt
werden, während die Ehe aufrechtzuerhalten wäre. Diese könnte dann aus
andern Gründen nichtig erklärt oder geschieden werden. Die Verweigerung
der Scheidung einer Bürgerrechtsehe unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 ZGB
erscheint MERZ dann selber wieder als rechtsmissbräuchlich (N. 296 zu
Art. 2 ZGB). Dass dieser Autor nicht der Auffassung ist, dem bösgläubigen
Ehegatten sollte die Nichtigkeitsklage aus Art. 120 Ziff. 4 ZGB nicht
zustehen, ergibt sich auch aus seiner Äusserung in N. 551 zu Art. 2
ZGB. An dieser Stelle kritisiert MERZ die Meinung von PIOTET, die
tatsächlich getrennt lebende Ehefrau könne sich nicht darauf berufen,
dass sie mangels Berechtigung zum Getrenntleben keinen eigenen Wohnsitz
begründet habe. Er bemerkt dazu, dieser Vorschlag von PIOTET sei nicht
unbedenklich, weil auch die Interessen des Ehemannes und der öffentlichen
Ordnung zu berücksichtigen seien. Das Verbot der Berufung auf eigenes
Unrecht hat demnach gemäss der Auffassung von MERZ vor den Interessen
der öffentlichen Ordnung zu weichen. Um diese Frage geht es aber auch im
Zusammenhang mit der Klage auf Nichtigerklärung der Bürgerrechtsehe.

    Das Obergericht beruft sich somit zu Unrecht auf die beiden
Autoren MERZ und HINDERLING zur Stützung seiner Auffassung, dass das
Rechtsmissbrauchsverbot nicht nur beim Schutz privater, sondern auch bei
der Berücksichtigung öffentlicher Interessen gelten müsse.

Erwägung 3

    3.- Man kann sich fragen, ob Art. 120 Ziff. 4 ZGB dadurch, dass
er die Ehe als solche als nichtig erklärt, obwohl an sich nur der
Bürgerrechtserwerb der Ausländerin, die einen Schweizer heiratet, wegen
Rechtsmissbrauchs dahinfallen sollte, nicht zu weit geht. Auch MERZ,
N. 296 zu Art. 2 ZGB, äussert Zweifel an dieser Verknüpfung von Ehe und
Bürgerrecht in Art. 120 Ziff. 4 ZGB. Solche Zweifel legen die gesonderte
Behandlung dieser beiden Gesichtspunkte nahe. Nach der dargelegten
Auffassung von MERZ sollte die Ehe, die allein zum Erwerb des Schweizer
Bürgerrechts durch die Ehefrau eingegangen wurde, bestehen bleiben, bis
sie rechtsgültig geschieden wird, während das durch die Ehe erworbene
Bürgerrecht der ausländischen Ehefrau dieser schon vorher wieder entzogen
werden sollte.

    Indessen kann auch diese Betrachtungsweise nichts daran ändern,
dass in einer ausschliesslich zum Erwerb des Bürgerrechts eingegangenen
Ehe von Anfang an kein Ehewille vorhanden war. Dieser ist nicht erst im
Laufe der Ehe erloschen, wie dies normalerweise im Scheidungsverfahren
mit Rücksicht auf mindestens eine Partei geltend zu machen ist. Müsste
nun die Scheidung der Bürgerrechtsehe zugelassen werden, wie die beiden
Autoren es nahelegen, so stellte sich die Frage des Rechtsmissbrauchs
erst recht. Das Verbot, sich auf eigenes Unrecht zu berufen, würde
dem bösgläubigen Ehegatten verunmöglichen, den von Anfang an fehlenden
Ehewillen zum Scheidungsgrund zu erheben, was zur Folge hätte, dass eine
Bürgerrechtsehe auch nicht geschieden werden könnte. Diese Schlussfolgerung
wird aber sowohl von MERZ als auch von HINDERLING als formalistisch und
damit selber wieder als rechtsmissbräuchlich abgelehnt. Im Zusammenhang
mit der Bürgerrechtsehe steht somit doch nicht allein der Bestand des
Bürgerrechts der bis zur Heirat ausländischen Ehefrau, sondern auch der
Bestand der Ehe selber in Frage.

    Unter diesem Gesichtspunkt erscheint aber die Absicht des Gesetzgebers,
in Art. 120 Ziff. 4 ZGB im öffentlichen Interesse eine Nichtigkeitsklage
zuzulassen, die von den Behörden von Amtes wegen zu erheben ist und
die nicht nur auf den Bestand des erschlichenen Bürgerrechts, sondern
auch der allein zu diesem Zweck eingegangenen Ehe gerichtet ist, nicht
mehr so befremdlich, wie es auf den ersten Blick der Fall sein mag. Den
Meinungsäusserungen der beiden Autoren, auf die sich die Vorinstanz beruft,
lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass das grundsätzlich als begründet
erscheinende Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht dazu dienen soll,
das unbestreitbare öffentliche Interesse am Verlust eines durch die
Ausländerin erschlichenen Schweizer Bürgerrechts zu durchkreuzen. Darauf
läuft aber die vom Obergericht im angefochtenen Entscheid vertretene
Auffassung im Ergebnis hinaus, wonach die Berufung auf eigenes Unrecht
auch dann ausgeschlossen bleiben müsse, wenn nicht nur private, sondern
auch öffentliche Interessen auf dem Spiele stehen. Der Ehegatte, der
bewusst zur reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten hat, sollte ja bei seinem
Unrecht behaftet werden, so dass mit der Ehe mindestens vorerst auch das
erschlichene Bürgerrecht weiterbesteht.

    Ein solches Ergebnis ist um so weniger sinnvoll, als der Richter,
der die Berufung des Ehemannes auf eigenes Unrecht nicht zulassen will,
dann doch gestützt auf Art. 121 ZGB dafür zu sorgen hat, dass die
Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB von Amtes wegen erhoben
wird. Aber auch dem Ehemann, dem das Obergericht die Legitimation zur
Nichtigkeitsklage abgesprochen hat, müsste es unbenommen bleiben, die
zuständige Behörde zu dieser Klage zu veranlassen. In diesem Fall würde
aber eine Berufung auf Rechtsmissbrauch zum vornherein entfallen, weil
die zuständige Behörde immer im öffentlichen Interesse tätig werden muss,
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage gegeben sind
(vgl. BGE 113 II 64 E. 4d im Zusammenhang mit Art. 218 ff. OR). Es
ist deshalb auch nicht einzusehen, weshalb der Ehemann nur auf die
Scheidungsklage verwiesen werden sollte, die übrigens gutzuheissen wäre,
wenn eine echte eheliche Gemeinschaft von allem Anfang an nie gewollt war
und ihre Aufnahme auch für die Zukunft nicht als zumutbar erschiene. Dass
schliesslich die das Schweizer Bürgerrecht erschleichende Ehefrau eines
besondern Schutzes bedürfte, will nicht einleuchten, muss doch auch ihr
ein vom Gesetzgeber verpöntes Verhalten zur Last gelegt werden, wovon
auch Art. 120 Ziff. 4 ZGB ausgeht.

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht hat somit Bundesrecht verletzt, indem es dem
Kläger die Legitimation zur Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4
ZGB abgesprochen hat. Die Berufung ist demzufolge gutzuheissen und die
Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen,
nachdem diese die Klage nicht materiell geprüft und sich über deren
Nebenwirkungen überhaupt nicht ausgesprochen hat.