Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 31



113 II 31

7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. April 1987 i.S.
Rinderknecht Administrations AG und Rinderknecht & Co. AG gegen Galerie
Lopes AG (Berufung) Regeste

    Kündigung einer Untermiete mit Optionsrecht; treuwidrige Verhinderung
des Bedingungseintritts; Durchgriff (Art. 2 ZGB, Art. 156 OR).

    1. Begriff des Optionsvertrags; Abgrenzung zum Vorvertrag (E. 2a).

    2. Anwendung von Art. 156 OR im Fall eines Mieterwechsels zum Zweck,
den Bedingungseintritt für die Ausübung eines durch die Erstmieterin der
Untermieterin eingeräumten Optionsrechts auf Verlängerung der Untermiete
zu vereiteln (E. 2b).

    3. Voraussetzungen und Folgen des Durchgriffs auf die mit der
Erstmieterin konzernmässig verbundene Zweitmieterin (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Zum Zweck des Betriebs einer Kunstgalerie schloss die Galerie
Lopes AG am 30. September 1976 mit der Rinderknecht Administrations
AG einen Untermietvertrag über Räumlichkeiten in Zürich, welche die
Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (Eigentümerin) der
Rinderknecht Administrations AG vermietet hatte. Der Untermietvertrag war
erstmals auf den 30. September 1986 kündbar. Am 7. November 1976 räumte
die Rinderknecht Administrations AG der Untermieterin in Ergänzung
des Vertrags eine "Option" ein, die es dieser gestattete, über den
30. September 1986 hinaus eine Fortsetzung des Mietverhältnisses um
weitere fünf Jahre zu verlangen, sofern die Rinderknecht Administrations
AG dannzumal die ihrerseits gegenüber der Eigentümerin zustehende Option
auf eine Verlängerung der Mietdauer ausüben sollte.

    Mit Schreiben vom 24. September 1985 kündigte die Rinderknecht
Administrations AG das Untermietverhältnis auf den 30. September 1986,
worauf ihr die Galerie Lopes AG am 26. September 1985 mitteilen liess,
sie übe die Option auf Weiterführung der Untermiete bis zum 30. September
1991 aus. Am 8. Oktober 1985 antwortete die Rinderknecht Administrations
AG, das Obermietverhältnis sei ebenfalls auf den 30. September 1986
aufgelöst worden; sie habe das ihr gegenüber der Eigentümerin zustehende
Vormietrecht nicht ausgeübt und könne es infolge Ablaufs der Frist
auch nicht mehr ausüben. Die Eigentümerin bestätigte diesen Sachverhalt
und erklärte ausserdem, sie habe auf den 1. Oktober 1986 bereits einen
Mietvertrag mit der Rinderknecht & Co. AG abgeschlossen. Mit Schreiben
vom 4. November 1985 teilte die Eigentümerin der Untermieterin mit, die
Rinderknecht & Co. AG habe sie im September 1985 um eine einverständliche
Auflösung des Mietvertrags mit der Rinderknecht Administrations AG auf den
30. September 1986 und für die Zeit ab 1. Oktober 1986 um die Übertragung
des Mietvertrags auf sie ersucht; sie sei damit einverstanden gewesen
und habe den neuen Mietvertrag zu den gleichen Konditionen abgeschlossen.

    B.- Am 21. Oktober 1985 klagte die Galerie Lopes AG beim Mietgericht
des Bezirkes Zürich gegen die Rinderknecht Administrations AG
(Erstbeklagte) sowie die Rinderknecht & Co. AG (Zweitbeklagte) mit den
Begehren, die Kündigung der Erstbeklagten sei für ungültig oder nichtig
zu erklären und es sei festzustellen, dass die Klägerin ihre Option
gültig ausgeübt habe und der Untermietvertrag ab 1. Oktober 1986 mit
der Zweitbeklagten als Schwestergesellschaft der Erstbeklagten bis zum
30. September 1991 weiterlaufe; eventuell sei der Untermietvertrag bis
zum 30. September 1988 zu erstrecken. Das Mietgericht wies die Klage am
19. Dezember 1985 ab. Den Rekurs der Klägerin und deren Hauptbegehren
hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. August
1986 gut und wies den für diesen Fall gestellten Antrag der Beklagten
auf Vertragsänderung insbesondere durch Erhöhung des Mietzinses ab.
Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten blieb erfolglos.

    C.- Die Beklagten haben gegen den Beschluss des Obergerichts auch
Berufung eingereicht und beantragen, den Beschluss aufzuheben und die Klage
abzuweisen, eventuell die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens
und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin
schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht weist ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht geht davon aus, der Klägerin sei nach Abschluss des
Untermietvertrags von der Erstbeklagten ein Optionsrecht auf Verlängerung
der Untermiete um weitere fünf Jahre unter der Bedingung eingeräumt
worden, dass die Erstbeklagte ihr Vormietrecht gegenüber der Eigentümerin
ausübe. Grundsätzlich habe es der Erstbeklagten freigestanden, auf diese
Ausübung zu verzichten und damit durch Auflösung des Mietverhältnisses den
Eintritt der Bedingung für die Ausübung des Optionsrechts zu vereiteln.
Indessen erweise sich der Abschluss des neuen Mietvertrags mit der
Zweitbeklagten als rechtsmissbräuchlich, weshalb die Bedingung für das
rechtzeitig ausgeübte Optionsrecht trotzdem eingetreten sei und der
Untermietvertrag demzufolge bis zum 30. September 1991 weiterlaufe. Der
von der Klägerin zu Recht geforderte Durchgriff durch die Erst- auf die
Zweitbeklagte führe dazu, dass sich diese das Optionsrecht und damit
die Verlängerung der Untermiete entgegenhalten lassen müsse und auch sie
passivlegitimiert sei.

    a) Die Beklagten machen geltend, weder die Erstbeklagte noch
Rinderknecht habe sich gegenüber der Klägerin vertraglich verpflichtet,
den Hauptmietvertrag als Bedingung für das ohne Gegenleistung eingeräumte
Optionsrecht auf Verlängerung des Untermietvertrags weiterzuführen.

    Dieser Einwand verkennt, dass die Vorinstanz keineswegs eine derartige
Vertragspflicht annimmt. Sie geht vielmehr vom freien Ermessen der
Erstbeklagten aus, hält die Bedingung jedoch für eingetreten, weil deren
Eintritt durch die Übertragung der Miete an die Zweitbeklagte wider Treu
und Glauben verhindert worden sei. Wenn die Beklagten mit ihrem Hinweis
auf die fehlende Gegenleistung die Verbindlichkeit des Optionsrechts
bestreiten wollen, so ist das unbehelflich. Das im November 1976 der
Klägerin eingeräumte Recht, eine Verlängerung der Untermiete um weitere
fünf Jahre zu verlangen, wird zwar von keiner Gegenleistung abhängig
gemacht. Eine solche ist aber auch nicht Gültigkeitsvoraussetzung für das
Entstehen und den Bestand eines Optionsvertrags, der dem Berechtigten die
Befugnis verleiht, durch einseitige Willenserklärung nicht nur wie beim
Vorvertrag den Partner zum Abschluss eines Hauptvertrags zu verpflichten,
sondern unmittelbar ein inhaltlich bereits fixiertes Vertragsverhältnis
herbeizuführen oder zu verlängern (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil OR,
S. 277 Fussnote 20; KRAMER, Münchener Kommentar, N. 40 vor § 145 BGB;
STAUDINGER/DILCHER, N. 47 vor §§ 145 ff. BGB; SOERGEL/LANGE/HEFERMEHL,
N. 50 vor § 145 BGB; LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, 13. Auflage
1982, S. 82).

    Damit erweisen sich die Ausführungen der Beklagten darüber, wie sich
die Klägerin 1976 hätte vertraglich absichern müssen, und die in diesem
Zusammenhang angeführte Rechtsprechung (BGE 92 II 116 und 108 II 215)
als belanglos.

    b) Entgegen der Auffassung der Beklagten genügen die tatsächlichen
Feststellungen des Obergerichts für die rechtliche Beurteilung des
Sachverhalts. Danach sei es den Beklagten mit dem Abschluss des zweiten
Mietvertrags darum gegangen, den ersten Mietvertrag ohne jede Änderung
der bisher praktizierten Benützung des Mietobjekts zu ersetzen. Zwischen
den Beklagten hätten enge wirtschaftliche Beziehungen bestanden; beide
Gesellschaften seien vollständig durch Rinderknecht, dem einzigen
Verwaltungsrat der Erstbeklagten und Verwaltungsratspräsidenten der
Zweitbeklagten, beherrscht. Die von Rinderknecht geltend gemachten
wirtschaftlichen Hintergründe für den zu gleichen Bedingungen mit der
Schwestergesellschaft abgeschlossenen neuen Mietvertrag vermöchten nicht
zu überzeugen. Mit dem Mieterwechsel sei in Wirklichkeit gar keine
Beendigung des ursprünglichen Mietvertrags, sondern im Gegenteil die
Fortsetzung des Mietverhältnisses angestrebt worden. Das Vorgehen habe
einzig den Zweck gehabt, die Rechte des Untermieters hinfällig werden zu
lassen, was gegen Treu und Glauben verstosse. Für den Durchgriff auf die
Zweitbeklagte spreche auch das eindeutige Überwiegen des Interesses der
Klägerin am Verbleiben im Mietobjekt.

    Die beiden Beklagten sind zwar rechtlich selbständige Unternehmen,
durch die beherrschende Stellung von Rinderknecht jedoch zu einer
Gesamtunternehmung mit wirtschaftlich einheitlicher Leitung, also zu
einem Konzern zusammengefasst (vgl. DENNLER, Durchgriff im Konzern,
Diss. Zürich 1984, S. 16). Indem die Zweitbeklagte als Mieterin an
die Stelle der Erstbeklagten trat, fand somit ein bloss konzerninterner
Mieterwechsel statt, der zudem die mietrechtlichen Benützungsverhältnisse
nicht veränderte. Weil es überdies an wirtschaftlichen Gründen für
den Abschluss des neuen Mietvertrags fehlte, konnte der Eintritt der
Zweitbeklagten in das Mietverhältnis einzig zum Zweck erfolgt sein, das
Optionsrecht der Klägerin zu vereiteln. Das im Brief der Eigentümerin vom
4. November 1985 geschilderte Vorgehen bestätigt diesen Schluss. Dass
dieses Vorgehen Treu und Glauben im Geschäftsverkehr widerspricht und
daher die Bedingung für die Ausübung des Optionsrechts als eingetreten zu
gelten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen, zumal Art. 156 OR keine
absichtliche Verhinderung des Bedingungseintritts voraussetzt (BGE 109
II 21 ff. E. 2b mit Hinweisen; vgl. BGE 99 II 288 f. E. 3 und 85 II 484
f. E. 4c).

    c) Was die Beklagten gegen den Durchgriff auf die Zweitbeklagte
vorbringen, ist unbehelflich. Die Vorinstanz geht zutreffend von der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus, nach der es die rechtliche
Selbständigkeit einer juristischen Person grundsätzlich zu beachten gilt,
es sei denn sie werde im Einzelfall rechtsmissbräuchlich, entgegen Treu
und Glauben geltend gemacht (zur Publikation bestimmtes Urteil vom
16. Dezember 1986 i.S. S. gegen Rentenanstalt, E. 3b, BGE 108 II 214
E. 6a mit Hinweisen; zusammenfassend ausserdem EBENROTH, Zum "Durchgriff"
im Gesellschaftsrecht, Schweizerische Aktiengesellschaft 57 (1985) S. 128
ff.). Gegen Treu und Glauben verstösst die Berufung auf die rechtliche
Selbständigkeit u.a. dann, wenn sie zur Vertragsumgehung missbraucht wird
(MERZ, Kommentar, N. 287 zu Art. 2 ZGB). Eine Vertragsumgehung kann
derart erfolgen, dass die vertraglich verpflichtete Person eine mit
ihr verbundene andere Person vorschiebt, damit der rechtsgeschäftlich
verpönte Erfolg erzielt wird (RIEMER, Vertragsumgehungen sowie Umgehungen
anderer rechtsgeschäftlicher Rechte und Pflichten, ZSR n. F. 101 (1982)
S. 365). Vorliegend hat die Erstbeklagte auf Veranlassung Rinderknechts
die Zweitbeklagte vorgeschoben, um den Eintritt der Bedingung für die
Ausübung des Optionsrechts auszuschliessen. Als Verletzung von Art. 2
ZGB führt das zum Durchgriff mit der Folge, dass die vorgeschobene Person
gleich behandelt wird wie die Erstbeklagte (vgl. RIEMER, aaO S. 373 mit
Hinweisen). Auch der Zweitbeklagten gegenüber ist demnach das Optionsrecht
rechtswirksam ausgeübt worden.

    Selbst wenn die behauptete Feindschaft zwischen Frau Lopes und
Rinderknecht beachtlich wäre, müsste der Rechtsmissbrauch bejaht
werden. Bei der Anwendung von Art. 2 ZGB treten subjektive Kriterien,
die das gewählte Vorgehen als verständlich erscheinen lassen, hinter
den objektiven Gesichtspunkten zurück (MERZ, aaO N. 105 zu Art. 2
ZGB). Persönliche Differenzen der Parteien eines Mietvertrags vermögen
allenfalls einen wichtigen Grund zu dessen vorzeitiger Auflösung abzugeben
(Art. 269 OR), nicht aber eine Vertragsumgehung zu rechtfertigen.

    Unverständlich sind die Einwände gegen die Zulässigkeit des
sogenannten "Querdurchgriffs". Bei zweckwidriger Verwendung einer
Schwestergesellschaft eines Konzerns drängt sich wie hier die Notwendigkeit
auf, einen solchen Durchgriff vorzunehmen (EBENROTH, aaO S. 124; DENNLER,
aaO S. 54 und 93 ff.). Es macht keinen Unterschied aus, ob ein Aktionär
die von ihm beherrschte Aktiengesellschaft vorschiebt oder ob ein zwei
Aktiengesellschaften beherrschender Aktionär die eine Gesellschaft
veranlasst, die andere Gesellschaft vorzuschieben, damit vertragliche
Pflichten umgangen werden.