Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 277



113 II 277

51. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. September 1987 i.S.
L. gegen E. (Berufung) Regeste

    Verantwortlichkeitsklage gegen die Mitglieder der Verwaltung einer
Gesellschaft. Wirkung der Abtretung bestrittener Ansprüche durch die
Konkursmasse.

    Der Abtretungsgläubiger kann gestützt auf die Abtretung gemäss Art. 260
SchKG den unmittelbaren Schaden der Gesellschaft und aufgrund von Art. 756
Abs. 2 OR den ihm mittelbar erwachsenen Schaden geltend machen. Die Klage
scheitert nur dann an der Einwilligung des Geschädigten, wenn sowohl die
Gesellschaft als auch der klagende Gläubiger in die schädigende Handlung
eingewilligt haben (E. 3).

    Hat sich der Gläubiger die Ansprüche gemäss Art. 260 SchKG abtreten
lassen, ist in der Regel davon auszugehen, dass diese Abtretung auch die
Ansprüche aus Art. 756 Abs. 2 OR umfasst. Dabei ist das Bundesrecht von
Amtes wegen anzuwenden (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach BGE 111 II 182 E. 3 handeln die Abtretungsgläubiger unter
einem doppelten Titel, indem sie einerseits aufgrund der Abtretung
gemäss Art. 260 SchKG den unmittelbaren Schaden der Gesellschaft und
anderseits aufgrund der Abtretung gemäss Art. 756 Abs. 2 OR den ihnen
selbst als Gläubiger mittelbar erwachsenen Schaden geltend machen. Diese
Ansprüche sind auseinanderzuhalten, wobei namentlich eine Einwilligung
der Gesellschaft in die schädigende Handlung zwar dem Anspruch aus dem
Recht der Gesellschaft, nicht aber dem Anspruch des Gläubigers aus eigenem
Recht entgegengehalten werden kann (ebenso BGE 111 II 374). Dagegen ist
dem Gläubiger auch insoweit, als er seinen mittelbaren Schaden geltend
macht, grundsätzlich der volle, vom Verantwortlichen verschuldete
Gesellschaftsschaden zugesprochen worden, nicht nur Ersatz seines
persönlich erlittenen Verlustes (BGE 111 II 184 E. c, ebenso 111 II 375
E. 5; dazu kritisch FORSTMOSER in Schweizerische Aktiengesellschaft 1986
S. 69 ff. und BÄR in ZBJV 123/1987 S. 257).

    Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass die Klage des
Abtretungsgläubigers, die auf Art. 260 Abs. 1 SchKG und auf Art. 756
Abs. 2 OR gestützt wird, nur dann an der Einwilligung des Geschädigten
scheitert, wenn eine solche sowohl seitens der Gesellschaft als auch
seitens des klagenden Gläubigers gegeben ist.

Erwägung 4

    4.- a) Für die Mehrheit des Obergerichts ist entscheidend, dass der
Kläger seinen Anspruch ausschliesslich auf Art. 260 SchKG gestützt habe
und sich deshalb die Einwilligung der Gesellschaft entgegenhalten lassen
müsse. Er habe sich in der Klageschrift auf die Abtretungsverfügung des
Konkursamtes berufen, welche mit "Abtretung von Rechtsansprüchen der
Masse gemäss Art. 260 SchKG" überschrieben sei. In der Replik habe er
sich als Vertreter der Masse bezeichnet und im Anschluss an die Duplik
explizit anerkannt, dass er den Schaden der Gesellschaft, der Masse,
geltend mache. Das ist nach Auffassung der Minderheit des Obergerichts eine
formalistische Betrachtungsweise; die Abtretung nach Art. 260 SchKG stehe
der Geltendmachung eigener Ansprüche aus Art. 756 Abs. 2 OR nicht entgegen;
die Klage entspreche inhaltlich einem Vorgehen nach Art. 756 Abs. 2 OR.

    Der Kläger macht geltend, Art. 756 Abs. 2 OR sei zu Unrecht nicht
angewandt worden. Er habe inhaltlich und sinngemäss auch seinen Anspruch
aus mittelbarer Schädigung geltend gemacht. Die gegenteilige Annahme
lasse sich nicht auf die Abtretungsurkunde stützen und gehe an den
Realitäten vorbei.

    b) Der Beklagte hält diese Rüge für unzulässig, weil sie die Auslegung
einer Prozesserklärung und damit kantonales Recht betreffe. Das gilt indes
nur insoweit, als die Erklärung sich ausschliesslich oder vorwiegend auf
dem Gebiet des Prozessrechts auswirkt (BGE 95 II 295 E. 4 mit Hinweis). Der
kantonale Richter verletzt Bundesrecht, wenn er sich im Prozess über
einen bundesrechtlichen Anspruch mit ordnungsgemäss aufgestellten
Rechtsbehauptungen nicht materiell auseinandersetzt (BGE 95 II 266 E. 8,
405 E. b). Selbst wenn das Obergericht in guten Treuen einen Verzicht des
Klägers auf Ansprüche aus Art. 756 Abs. 2 OR annehmen dürfte, bleibt es
zur Rechtsanwendung von Amtes wegen verpflichtet (BGE 107 II 418 E. 4,
104 II 114).

    In diesem Sinn ist es durchaus eine Frage des Bundesrechtes, ob
die Klage nur nach Art. 260 SchKG oder auch nach Art. 756 Abs. 2 OR
zu beurteilen ist. Dass sich die Abtretungsurkunde auf Art. 260 SchKG
bezieht und der Kläger sich im Prozess darauf berufen hat, ist dabei
nicht entscheidend; auch das Bundesgericht geht in einer gebräuchlichen
Formulierung davon aus, dass der Anspruch des Gläubigers auf Ersatz
seines mittelbaren Schadens eine Abtretung nach den Bestimmungen des SchKG
voraussetze (BGE 110 II 393 E. 1). Die Abtretungserklärung ist denn auch
nicht nach ihrem Wortlaut, sondern nach ihrem wahren Sinn auszulegen (BGE
107 III 92 E. 1 mit Hinweis); werden einfach "Verantwortlichkeitsansprüche"
abgetreten, so umfasst das auch solche aus Art. 752 ff. OR. In der
Regel ist deshalb davon auszugehen, dass die Abtretung Ansprüche aus
Art. 260 SchKG sowie aus Art. 756 Abs. 2 OR umfasst (FORSTMOSER in SAG
1986 S. 75). Entsprechend ist anzunehmen, dass der Abtretungsgläubiger im
Prozess ebenfalls beide Ansprüche geltend macht (BGE 111 II 183 E. a). Das
muss auch vorliegend gelten. Dabei kann offenbleiben, wie weit auch bei
klarem Verzicht auf die Anrufung von Art. 756 Abs. 2 OR diese Bestimmung
gleichwohl von Amtes wegen anzuwenden wäre; was das angefochtene Urteil
dafür anführt, beinhaltet klarerweise keinen solchen Verzicht. Wenn der
Kläger etwa erklärt hat, er mache den Schaden der Gesellschaft geltend,
ist das auch Grundlage des mittelbaren Gläubigerschadens und schliesst
einen solchen nicht aus.

    Die Mehrheitsentscheidung des angefochtenen Urteils verstösst deshalb
gegen Bundesrecht, indem eine Überprüfung der Klage im Hinblick auf eine
mittelbare Schädigung des Klägers (Art. 756 Abs. 2 OR) abgelehnt worden
ist. Das muss in teilweiser Gutheissung der Berufung zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz führen;
um die Klage gutzuheissen, fehlen die tatsächlichen Grundlagen, da die
Feststellungen der Minderheit nicht berücksichtigt werden dürfen.