Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 270



113 II 270

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. August 1987
i.S. Frau A. gegen B. und C. (Berufung) Regeste

    Einfache Gesellschaft. Rechtsnatur einer Abfindungsklausel.
Formmangel.

    1. Art. 245 Abs. 2 OR. Gegenseitig bedingte Zuwendungen sind
unbekümmert um ihren aleatorischen Charakter auch in der einfachen
Gesellschaft als letztwillige Verfügungen zu betrachten, wenn sie nur für
den Fall vereinbart werden, dass ein Gesellschafter durch Tod ausscheidet
(E. 2).

    2. Art. 520 Abs. 1 und 521 Abs. 1 ZGB. Folgen des Formmangels. Klage
auf Ungültigerklärung der Abfindungsklausel. Umstände, unter denen eine
Verjährung zu verneinen ist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Durch Vertrag vom 12. Januar 1956 schlossen sich A., B.  und die
Firma R. & Co. zu einer einfachen Gesellschaft zusammen, die eine im
Eigentum des A. stehende Parzelle von 63 389 m2 erwerben, erschliessen,
verwalten und veräussern sollte. Der Vertrag wurde für 25 Jahre,
d.h. bis Ende 1980 fest abgeschlossen; alsdann konnte er auf Ende eines
Kalenderjahres gekündigt werden. Für eine allfällige Auseinandersetzung
sollte der Marktwert des Landes massgebend sein (Ziffer 15 des Vertrages).

    Gemäss Nachtrag vom 25. Mai 1959 vereinbarten die Gesellschafter in
einer neuen Ziffer 16 des Vertrages, dass die Gesellschaft unter den
verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt werde, falls die Firma R. &
Co. aufgelöst oder liquidiert werden oder einer der beiden anderen
während der Dauer des Vertrages sterben sollte. "Das Beteiligungskonto
des ausscheidenden Gesellschafters" war diesfalls auf den nächstfolgenden
31. Dezember abzuschliessen und das Saldoguthaben des Kontos, das den
Erben des Verstorbenen zustand, bis zur Liquidation der Gesellschaft zu
stunden und entsprechend den Einlagen der verbleibenden Gesellschafter
jährlich mit 4 1/2% zu verzinsen.

    Im August 1971 schied die Firma R. & Co. aus der Gesellschaft aus;
an ihre Stelle trat C. Die Abfindungsklausel fand keine Anwendung. Am
10. Dezember 1978 starb A. und hinterliess einzig seine Frau als Erbin.

    B.- Am 30. Januar 1981 klagte Frau A. gegen B. und C. auf Zahlung einer
Abfindungssumme, die sie nach dem Marktwert des Gesellschaftsvermögens
berechnet wissen wollte und einstweilen auf zwei Millionen Franken
festsetzte; sie verlangte ferner Zinsen. Die Beklagten widersetzten sich
diesen Begehren.

    Das Bezirksgericht Wil verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Fr.
216'383.15 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1982. Auf Appellation der Klägerin
erhöhte das Kantonsgericht St. Gallen diesen Betrag am 23. Oktober 1986
auf Fr. 1'924'253.40. Es fand, dass die Klägerin nach Ziffer 16 des
Vertrages einen Anspruch auf das buchmässige Beteiligungskonto ihres
Mannes habe; es erachtete diese Klausel jedoch als eine Verfügung von
Todes wegen, die zu Recht wegen Formwidrigkeit angefochten werde.

    C.- Gegen das Urteil des Kantonsgerichts haben beide Parteien Berufung
eingelegt. Das Bundesgericht weist diese ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    (1.- Ausführungen darüber, dass mit dem "Beteiligungskonto des
ausscheidenden Gesellschafters" im Sinne von Ziffer 16 des Vertrages der
Kapitalanteil des Verstorbenen am Gesellschaftsvermögen gemeint war.)

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob in der streitigen Klausel ein
Rechtsgeschäft unter Lebenden oder eine Verfügung von Todes wegen zu
erblicken ist.

    a) Als Verfügung von Todes wegen lässt sich die Klausel zum
vornherein nur bezeichnen, wenn sie eine unentgeltliche Zuwendung,
eine Schenkung auf den Todesfall (Art. 245 Abs. 2 OR) enthält, die
Zuweisung des Betrages sich also nicht als Gegenleistung, sondern als
reine Liberalität erweist. Der Unterschied zwischen dem Vermögens- und
dem Kapitalanteil der Gesellschafter steht einer solchen Annahme nicht
im Wege; Zweifel ergeben sich dagegen aus dem aleatorischen Charakter
der Klausel, weil die Zuweisung so oder anders vom Überleben abhing,
zur Zeit des Vertragsschlusses aber die Reihenfolge des Ausscheidens,
folglich auch ungewiss war, wer den Geldbetrag letztlich erhalten werde.

    In einer Steuersache hat das Bundesgericht 1972 gestützt auf
schweizerisches und deutsches Schrifttum entschieden, dass der aleatorische
Charakter einer Abfindungsklausel die Annahme einer Schenkung ausschliesse
(BGE 98 Ia 263 E. 3 mit Zitaten). In einer zivilrechtlichen Streitigkeit
hat es dagegen 1976 die vertragliche Zuweisung des gesamten Vorschlages an
den überlebenden Ehegatten gemäss Art. 214 Abs. 3 ZGB als reine Liberalität
bezeichnet (BGE 102 II 324 E. 3b). Diese Rechtsprechung ist in BGE 106
II 276 E. 2 ausdrücklich bestätigt und in der Lehre mit einem Vorbehalt,
der das Postulat der Rechtssicherheit betrifft, mehrheitlich gebilligt
worden (PIOTET, in JdT 125/1977 I 146 ff. und in ZBGR 59/1978 S. 1 ff.;
HAUSHEER, in ZBJV 114/1978 S. 178 ff.; kritisch dagegen HORST A. KAUFMANN,
Die Vorschlagszuweisung an den überlebenden Ehegatten, Heft 472 der
Abhandlungen zum schweiz. Recht, Bern 1981, S. 79 ff.). Es liegt indes
auf der Hand, dass auch solche Zuwendungen aleatorischen Charakter haben,
weil die Zuweisung an den einen oder andern Ehegatten jedenfalls dann,
wenn diese ungefähr gleich alt sind, vom Zufall abhängt.

    Gegenseitig bedingte Zuwendungen mit aleatorischem Charakter
nach Güterrecht und nach Gesellschaftsrecht verschieden zu behandeln,
rechtfertigt sich nicht, da nicht zu ersehen ist, warum ihr Charakter
die Annahme einer Liberalität im einen Bereich erlauben, im andern
dagegen verbieten sollte. Wenn es an einer Gegenleistung fehlt, müssen
sie nach der neuern Rechtsprechung zu Art. 214 Abs. 3 ZGB vielmehr
in einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung ebenfalls als
unentgeltlich angesehen werden. Dafür spricht hier auch, dass im
Mai 1959, als insbesondere Ziffer 16 des Vertrages abgeändert wurde,
einer der Gesellschafter selbst eine Personengesellschaft war und die
Abfindungsklausel ihr gegenüber nur anwendbar sein sollte, wenn sie selbst
aufgelöst und liquidiert wurde. Dadurch wurde die Gleichartigkeit der
Bedingung durchbrochen, dem Zufall folglich noch mehr Raum gewährt.

    b) Fragen kann sich daher bloss, ob die unentgeltliche Zuwendung
gemäss Ziffer 16 des Vertrages als Rechtsgeschäft unter Lebenden oder als
Verfügung von Todes wegen zu bezeichnen ist. Bei der Abgrenzung solcher
Rechtsgeschäfte pflegt das Bundesgericht in Anlehnung an TUOR (N. 3a der
Einleitung zum 14. Titel) vor allem auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem
das streitige Geschäft seine Wirkungen entfalten soll (BGE 110 II 157, 99
II 268, 93 II 226 E. 1). Rechtsgeschäfte unter Lebenden begründen schon
vor dem Tod des Verpflichteten rechtliche Bindungen; bei letztwilligen
Verfügungen entstehen die Verpflichtungen grundsätzlich aber erst
mit dem Tod des Erblassers. Es lässt sich deshalb auch einfach sagen,
dass Rechtsgeschäfte unter Lebenden das Vermögen des Verpflichteten,
Verfügungen von Todes wegen hingegen dessen Nachlass betreffen. Ob beim
zweiseitigen Rechtsgeschäft die Wirkungen sich auf das Vermögen oder den
Nachlass beziehen, hängt vom Willen der Parteien ab.

    Im Urteil 102 II 313 ff. hat das Bundesgericht die Zuweisung des
gesamten Vorschlags an den überlebenden Ehegatten gemäss Art. 214 Abs. 3
ZGB als Schenkung auf den Todesfall gewertet und deshalb dem materiellen
Erbrecht unterstellt. Das gleiche muss für die Abfindungsklausel in einem
Gesellschaftsvertrag gelten, wenn sie wie hier mit einer Überlebensklausel
gekoppelt, d.h. auf den Fall beschränkt ist, dass ein Gesellschafter
zufolge Todes ausscheidet. Dies ist auch die Auffassung der herrschenden
Lehre (VON GREYERZ, aaO S. 87/88; HAUSHEER, Erbrechtliche Probleme des
Unternehmers, S. 118/19; HAUSHEER in ZBGR 52/1971 S. 269 ff. und in
ZBJV 114/1978 S. 181; PIOTET, in Schweiz. Privatrecht (SPR) IV/1 S. 179
ff.). Entscheidend dafür ist vorliegend, dass die Abfindungsklausel nur
für das Ausscheiden eines Gesellschafters durch Tod vereinbart und die
Liquidation der R. & Co. dieser Möglichkeit gleichgestellt wurde, das
Ausscheiden eines Gesellschafters zu dessen Lebzeiten dagegen andern
Regeln unterstand, da diesfalls jeder Gesellschafter gemäss Ziffer 15
des Vertrages Anspruch auf den vollen Vermögensanteil hatte.

Erwägung 3

    3.- Als letztwillige Verfügung bedurfte die streitige Klausel zu
ihrer Gültigkeit der vorgeschriebenen Form (Art. 498 ff. ZGB), die
mit der einfachen Schriftlichkeit des Vertrages, was unbestritten ist,
nicht eingehalten wurde. Nach Auffassung der Klägerin liegt deshalb eine
formungültige Verfügung vor, die zum vornherein unbeachtlich sei.

    a) Dem kann nicht gefolgt werden. Gewiss werden formgebundene
Rechtsgeschäfte nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts schon
dadurch nichtig, dass die für sie vorgesehenen Formvorschriften nicht
eingehalten werden (BGE 112 II 332 E. 1 mit Hinweisen). Bei letztwilligen
Verfügungen geht das Gesetz indes von der Vermutung aus, dass sie an sich
gültig und wegen eines Formmangels nur dann unwirksam sind, wenn ihre
Ungültigkeit auf Klage hin festgestellt wird (Art. 520 Abs. 1 ZGB). Auf
den Nachlass bezogene Willenserklärungen sind wegen Formwidrigkeit
daher bloss anfechtbar, aber nicht zum vornherein nichtig, sofern der
Verpflichtungswille des Erblassers wie hier zu bejahen ist. In der Lehre
ist denn auch nur bei fehlenden Willenserklärungen oder qualifizierten
inhaltlichen Rechtswidrigkeiten von nichtigen Verfügungen die Rede,
nicht aber wenn ein blosser Formmangel vorliegt (TUOR N. 3 und ESCHER
N. 1 zu Art. 520 ZGB; PIOTET, SPR IV/1 S. 268/69).

    Die Form der Klage auf Ungültigerklärung einer letztwilligen Verfügung,
die an einem Formmangel leidet, richtet sich nach kantonalem Recht (TUOR,
N. 7 zu Art. 519 ZGB). Bundesrechtlich genügt, dass der Kläger sich in
prozessualer Weise auf die Ungültigkeit beruft, die Anfechtung sich
wenigstens aus dem Inhalt der Klage oder einer andern Rechtsschrift
ergibt, der kantonale Richter sich mit dem Einwand der Ungültigkeit
materiell auseinandersetzt und, falls er ihn bejaht, auf Ungültigkeit der
Verfügung erkennt. Das heisst nicht, dass dies in einem Gestaltungs- oder
Feststellungsurteil geschehen müsse. Der Einwand kann selbst im Rahmen
eines Forderungsprozesses beurteilt werden; das leuchtet namentlich
dann ein, wenn erbrechtliche und gesellschaftsrechtliche Fragen, die
miteinander zusammenhängen, sich gleichzeitig stellen (vgl. BGE 73 II 10
ff. E. 4 und 6).

    Die Klage verjährt in einem Jahr gerechnet von dem Tage an, an dem
der Kläger vom Ungültigkeitsgrund Kenntnis erhält, jedenfalls aber mit
dem Ablauf von zehn Jahren seit Eröffnung der letztwilligen Verfügung
(Art. 521 Abs. 1 ZGB). Blosse Vermutungen oder ein Verdacht reichen für
den Beginn der einjährigen Anfechtungsfrist sowenig aus wie der Umstand,
dass der Kläger den Ungültigkeitsgrund früher hätte erkennen müssen;
er muss vielmehr sichere Kenntnis davon haben, dass eine Verfügung von
Todes wegen vorliegt und die Verfügung mangels der vorgeschriebenen Form
ungültig ist (BGE 91 II 333; TUOR N. 4 und ESCHER N. 2 zu Art. 521 ZGB;
PIOTET, SPR IV/1 S. 277; RASCHEIN, Die Ungültigkeit der Verfügungen von
Todes wegen, S. 73; W. MÜLLER-HELLBACH, Die Verjährung der erbrechtlichen
Klagen, S. 80 f.).

    b) Diese Gewissheit erlangte die Klägerin erst, als die im kantonalen
Appellationsverfahren eingeholte Expertise vom 28. Juni 1985 vorlag
und feststand, dass der wirkliche Wert des Gesellschaftsanteils des
A. erheblich über dem Buchwert seines Beteiligungskontos lag. Entgegen
der Annahme des Bezirksgerichts liess sich deshalb nicht sagen, die
Klägerin habe die streitige Klausel jedenfalls nicht innert Jahresfrist ab
Kenntnis des Formmangels mit der Ungültigkeitsklage angefochten, weshalb
offenbleiben könne, ob eine formungültige Verfügung auf den Todesfall
vorliege, wie die Klägerin vorbringen lasse. Ebensowenig trifft zu,
dass sie sich wegen Verkennung der Rechtslage erst nachträglich und
nur einredeweise auf Ungültigkeit der Verfügung berufen habe, wie das
Kantonsgericht anzunehmen scheint. Richtig ist vielmehr, dass die Klägerin
sich schon im erstinstanzlichen Verfahren auf den Standpunkt gestellt hat,
es liege eine formungültige Verfügung von Todes wegen vor, dass sie aber
einen Betrag eingeklagt hat, der erst noch durch das Beweisverfahren
zu ermitteln war. Sie hat somit auf Ungültigkeit der Klausel wegen
Formwidrigkeit geklagt, bevor die Anfechtungsfrist des Art. 521 Abs. 1
ZGB überhaupt zu laufen begann.