Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 118



113 II 118

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. April 1987 i.S. Z.
gegen R. (Berufung) Regeste

    Haftungsbeschränkung des Erben für Nachlassschulden (Art. 590 ZGB).

    Die mit dem öffentlichen Inventar verbundene Haftungsbeschränkung
gilt nur für Erbschaftsschulden. Diese Gesetzesbestimmung zum Schutze
des Erben kann nicht gegen diesen angerufen werden, wenn er Zug um Zug
eine Forderung aus Kauf geltend macht.

Sachverhalt

    A.- W. Z. verkaufte A. R. mit öffentlich beurkundetem Vertrag zum
Preise von Fr. 3'650'000.-- ein Grundstück, auf dem sich ein Wohn-
und Geschäftshaus befindet. Neben der Übernahme von Grundpfandschulden
hatte der Käufer anlässlich der Vertragsbeurkundung eine Anzahlung
von Fr. 30'000.-- zu leisten. Den Restkaufpreis sollte er bei der
Eigentumsübertragung in bar bezahlen. Bevor diese stattfinden konnte,
starb der Käufer. Über seinen Nachlass wurde das öffentliche Inventar
aufgenommen. Dabei versäumte es der Verkäufer, seinen Anspruch auf
Bezahlung des Kaufpreises anzumelden, doch lag der Kaufvertrag dem mit
der Inventaraufnahme betrauten Notariat vor. Im Inventar wurde dennoch nur
die Anzahlung von Fr. 30'000.-- zuzüglich Zinsen zugunsten des Nachlasses
vermerkt. Die Witwe des Käufers, E. R., erklärte die Annahme der Erbschaft
unter öffentlichem Inventar. Sie verlangte in der Folge vom Verkäufer
die Eigentumsübertragung gemäss Kaufvertrag, was dieser jedoch ablehnte.

    B.- Daraufhin leitete E. R. gegen W. Z. Klage ein, mit welcher sie
in Erfüllung des Kaufvertrags die Übertragung des Eigentums am fraglichen
Grundstück verlangte. Das Bezirksgericht hiess die Klage mit Urteil vom 21.
November 1985 gut.

    Eine Berufung des Beklagten wies das Obergericht am 12. September
1986 ab.

    C.- Der Beklagte führt Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte wirft dem Obergericht vor, es habe die Bestimmungen
des ZGB über das öffentliche Inventar, insbesondere Art. 582, 583, 589 und
590 ZGB, missachtet und dadurch Bundesrecht verletzt. Er stellt sich auf
den Standpunkt, dass sein Anspruch auf Bezahlung der Kaufpreisforderung
untergegangen sei, nachdem er nicht in das Inventar aufgenommen worden
sei und die Klägerin die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angetreten
habe. Da es sich um ein synallagmatisches Vertragsverhältnis handle,
sei bei Fehlen einer austauschbaren Leistung gleichzeitig auch der
Eigentumsanspruch der Klägerin untergegangen.

    Auch die Vorinstanz vertrat die Auffassung, dass im Hinblick auf
Art. 583 Abs. 1 ZGB das Notariat, dem der Kaufvertrag bei Errichtung
des öffentlichen Inventars vorgelegen habe, unter den Aktiven nicht nur
die Anzahlung von Fr. 30'000.-- zuzüglich Zinsen, sondern auch den
Eigentumsübertragungsanspruch zugunsten des Nachlasses und unter den
Passiven die restliche Kaufpreisforderung des Beklagten hätte von Amtes
wegen in das Inventar aufnehmen müssen. Dieses Versehen der Inventarbehörde
führe indessen nicht zum Untergang der Kaufpreisschuld und damit auch nicht
des Kaufvertrags insgesamt. Vielmehr trete nach Art. 590 Abs. 2 ZGB die
Bereicherungshaftung des Erben ein, der die Erbschaft unter öffentlichem
Inventar angenommen habe.

    Die Klage auf Eigentumsübertragung wäre aber auch dann gutzuheissen,
wenn die restliche Kaufpreisforderung zufolge der Nichtaufnahme ins
Inventar hinfällig geworden wäre. Dieser Forderungsuntergang bewirke
nämlich nicht, dass der Kaufvertrag insgesamt erlösche. Der Anspruch
auf Eigentumsübertragung zähle zu den Nachlassaktiven des Käufers,
welche vom öffentlichen Inventar nicht berührt würden. Seine Existenz
hange allein von der definitiven Annahme der Erbschaft ab. Daran
ändere sich auch nichts, wenn sich das öffentliche Inventar auf die
Kaufpreisforderung haftungsbeschränkend auswirken sollte. Die mit dem
öffentlichen Inventar verbundene Verwirkung könne nicht so weit gehen,
dass im Rahmen eines synallagmatischen Vertragsverhältnisses selbst die
einredeweise Geltendmachung der Gegenforderung ausgeschlossen wäre. Da
der Kaufvertrag von beiden Parteien noch nicht erfüllt worden sei, müsse
es zugelassen werden, dass der Beklagte die Einrede des nichterfüllten
Vertrags nach Art. 82 OR erhebe und die Eigentumsübertragung verweigere,
solange der Kaufpreis nicht bezahlt werde. Dem Schutz des Erben sei
damit genügend Rechnung getragen.

Erwägung 3

    3.- Dieser Betrachtungsweise der Vorinstanz ist beizupflichten. Würde
nämlich der Argumentation des Beklagten gefolgt, so wäre entgegen
dem klaren Wortlaut von Art. 589 Abs. 1 ZGB, wonach mit der Annahme
der Erbschaft unter öffentlichem Inventar die Nachlassaktiven ohne
weiteres auf den Erben übergehen, mit diesem Inventar nicht nur
eine Haftungsbeschränkung verbunden, sondern auch der Untergang von
Erblasseransprüchen. Dieses Ergebnis missachtet jedoch die Absichten
des Gesetzgebers. Dementsprechend wird auch in der Lehre festgehalten,
dass der mit dem öffentlichen Inventar verbundenen Haftungsbeschränkung
für die Nachlassaktiven keine Wirkung zukommt (TUOR/PICENONI, N. 1-3 zu
Art. 589/90 ZGB; ESCHER, N. 1 und 4 zu Art. 582 und N. 1 f. zu Art. 589/90
ZGB). Sie bezieht sich lediglich auf die Erbschaftsschulden und dient
nur dem Schutze des Erben. Macht der Erbe ein Nachlassaktivum geltend,
kann er sich auf diesen Schutz nicht berufen.

    Bei einem noch nicht oder nur teilweise erfüllten zweiseitigen
Vertrag kann der Gläubiger, dessen Forderung nicht ins öffentliche Inventar
aufgenommen wurde, nicht zu seinen Gunsten den dem Erben zustehenden Schutz
der Haftungsbeschränkung für sich in Anspruch nehmen. Soweit ein Erbe
seinen Anspruch - im vorliegenden Fall den Eigentumsübertragungsanspruch -
und damit ein Nachlassaktivum geltend macht, versteht es sich von selbst,
dass er diesen Anspruch nur bei Erbringung der Gegenleistung durchsetzen
kann; denn es geht hier gar nicht um einen Fall der Haftungsbeschränkung,
sondern um einen dem Nachlass zustehenden Anspruch, der nur Zug um Zug
gegen eine entsprechende Gegenleistung verwirklicht werden kann. Eine
andere Auffassung wird auch von der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des
Käufers nicht vertreten. Sie erklärt sich vielmehr bereit, gegen die
Eigentumsübertragung den Restkaufpreis zu bezahlen. Sie bedarf daher des
Schutzes nicht, den ihr die Art. 580 ff. ZGB zusprechen. Umso weniger kann
aber der Vertragspartner diese gesetzlichen Schutzvorschriften anrufen,
um den Untergang eines Nachlassaktivums darzutun. Anders entscheiden
hiesse, die vom Gesetzgeber zugunsten des Erben erlassene Schutzvorschrift
in ihr Gegenteil zu verkehren, ohne dass sich die andere Vertragspartei als
schutzwürdig erwiese. Aus der Sicht des Kaufpreisgläubigers genügt es, wenn
er seine Forderung dem Eigentumsübertragungsanspruch gegenüber einredeweise
geltend machen kann. Dass dies aber im Zusammenhang mit Art. 580 ff. ZGB
nicht möglich sein sollte, ist nicht ersichtlich. Wenn überhaupt von
einer Verwirkung der Kaufpreisforderung angesichts von Art. 589 und
590 ZGB auszugehen wäre, so könnte dies nicht ausschliessen, dass der
Beklagte seine Forderung wenigstens noch einredeweise gegenüber dem
Eigentumsanspruch der Klägerin erheben könnte (vgl. SPIRO, Die Begrenzung
privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen,
S. 1129 f.).