Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 102



113 II 102

19. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. März 1987 i.S. X.
gegen Y. (Berufung) Regeste

    Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteiles (Zuweisung der
elterlichen Gewalt); Gerichtsstand.

    Für die Ergänzung eines Scheidungsurteils ist grundsätzlich der
Scheidungsrichter zuständig; eine Ausnahme ist jedoch dann gegeben, wenn
der ausländische Scheidungsstaat für die Regelung der Nebenfolgen bzw. für
eine diesbezügliche Ergänzung des Scheidungsurteils keinen Gerichtsstand
gewährt (E. 2). Wohnen in einem solchen Fall beide geschiedenen Ehegatten
in der Schweiz, so ist die Ergänzungsklage am Wohnsitz der beklagten
Partei anzuheben (E. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach schweizerischer Rechtsauffassung ist zur Regelung
der Nebenfolgen einer Ehescheidung der mit der Scheidungsklage
befasste Richter ausschliesslich zuständig (Grundsatz der Einheit des
Scheidungsurteils). Weist ein Scheidungsurteil eine Lücke auf, so ist
es deshalb grundsätzlich von demjenigen Richter zu ergänzen, der die
Scheidung ausgesprochen hat. Bei einem ausländischen Scheidungsurteil ist
eine Ausnahme dann gegeben, wenn der betreffende Staat für die Regelung der
Nebenfolgen (bzw. für eine diesbezügliche Ergänzung) keinen Gerichtsstand
gewährt (vgl. BGE 107 II 15 f. E. 2 mit Hinweisen).

    b) Unter Hinweis darauf, dass beide Parteien heute in der Schweiz
wohnten sowie dass die Klägerin (durch Heirat) Schweizerbürgerin geworden
und der Beklagte seit dem 5. September 1979 hier anerkannter Flüchtling
sei, geht das Kantonsgericht mit der Klägerin davon aus, dass in Ungarn,
wo die Ehescheidung ausgesprochen wurde, für die Urteilsergänzung kein
Gerichtsstand gegeben sei. Ob der ungarische (Scheidungs-) Richter
für die Beurteilung der Ergänzungsklage zuständig sei, bestimmt sich
nach dem dortigen Recht und kann deshalb durch das Bundesgericht im
Berufungsverfahren nicht überprüft werden (vgl. Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG), zumal der hier gegebene Fall sich nicht etwa mit dem in Art. 7h
NAG geregelten Sachverhalt vergleichen lässt (zur Frage der Überprüfung
der Anwendung des ausländischen Rechts im Zusammenhang mit Art. 7h NAG
vgl. BGE 110 II 104 E. 1; 108 II 170 ff.). Was der Beklagte zu diesem
Punkt vorbringt, erschöpft sich im wesentlichen ohnehin in der blossen
Vermutung, er wisse nicht, ob die Klägerin durch ihre Heirat mit einem
Schweizer die ungarische Staatsbürgerschaft verloren habe und daher den
ungarischen Richter tatsächlich nicht mehr anrufen könne. Da die Klägerin
(auch) Schweizerin ist, würde sich übrigens fragen, ob eine allfällige
Zuständigkeit des ungarischen Richters als Heimatrichter überhaupt zum
Tragen kommen könnte.

Erwägung 3

    3.- a) Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass für die
Beurteilung der vorliegenden Klage der schweizerische Richter zuständig
ist. Für diesen Fall vertritt der Beklagte die Ansicht, dass es
sich um den Richter an seinem Wohnsitz handeln müsse. Demgegenüber
hält das Kantonsgericht in Übereinstimmung mit dem Zivilgericht
von Basel-Stadt (Urteil vom 23. Oktober 1973, veröffentlicht in BJM
1973, S. 288 ff.) dafür, dass die für die Scheidungsklage geltende
Zuständigkeitsordnung des Art. 144 ZGB heranzuziehen und dass somit der
Wohnsitz der klagenden Partei massgebend sei. Zur Begründung führt die
Vorinstanz an, die Zuständigkeit des schweizerischen Richters zur Ergänzung
eines ausländischen Scheidungsurteils sei regelmässig nur bei Fehlen eines
ausländischen Gerichtsstandes gegeben. In diesem Ausnahmefall erscheine es
aber als sachgerecht, denjenigen schweizerischen Richter als zuständig zu
bezeichnen, der auch über die Scheidung hätte befinden müssen. Die Gründe,
die den Gesetzgeber zur Schaffung der singulären Vorschrift des Art. 144
ZGB bewogen hätten, würden bei der Ergänzung des Scheidungsurteils in
gleichem Masse gelten.

    b) In Anbetracht der Tatsache, dass die Scheidung der Ehe der Parteien
in Ungarn ausgesprochen worden ist, kann es von vornherein nicht darum
gehen, die Einheit des Scheidungsurteils zu verwirklichen. Welcher
schweizerische Richter für die Ehescheidung zuständig gewesen wäre,
ist von daher gesehen ohne Belang.

    Unter den Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, ist die Klage
auf Ergänzung des Scheidungsurteils als neue, selbständige Klage zu
behandeln. Welcher Richter zu ihrer Beurteilung zuständig ist, bestimmt
sich daher nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt der Klageeinleitung
(vgl. BGE 107 II 17 E. 3; GULDENER, Das internationale und interkantonale
Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 67). Im erwähnten Zeitpunkt leben die
am Ergänzungsverfahren beteiligten Parteien naturgemäss getrennt, und sie
haben meist auch nicht mehr den gleichen Wohnsitz, was auch im vorliegenden
Fall zugetroffen hat. Anders als bei der Scheidung selbst kommt bei der
Ergänzung des Scheidungsurteils deshalb der Gedanke nicht zum Tragen, es
sei zu verhindern, dass der Ehegatte, gegen den geklagt werden soll, durch
eine Verlegung des Wohnsitzes die Rechtsverfolgung erschweren könne (vgl.
BÜHLER/SPÜHLER, N. 61 zu Art. 144 ZGB; HINDERLING, Das schweizerische
Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 189). Im übrigen vermag Art. 144 ZGB
eine missbräuchliche Beeinflussung der örtlichen Zuständigkeit durch eine
Wohnsitzverlegung des Ehemannes als Haupt der Familie, aber auch der zum
Getrenntleben befugten Ehefrau, ohnehin nicht zu verhindern, weshalb
denn auch verschiedentlich Zweifel an der Wirksamkeit der erwähnten
Sonderbestimmung geäussert worden sind (vgl. HINDERLING, aaO, S. 189;
BÜHLER/SPÜHLER, N. 62 zu Art. 144 ZGB). LALIVE (in: Schweizerisches
Jahrbuch für internationales Recht 1974, S. 232) führt unter Hinweis
auf den von der Vorinstanz erwähnten Entscheid des Zivilgerichts von
Basel-Stadt aus, dass die analoge Anwendung des Art. 144 ZGB in einem
Fall der vorliegenden Art wenn auch vertretbar, so doch umstritten
sei. Schliesslich ist zu beachten, dass Art. 144 ZGB für die Ergänzung
des Scheidungsurteils ohnehin nicht in allen Fällen herangezogen werden
könnte; wohnt nämlich nur die beklagte Partei in der Schweiz, ist ein
schweizerischer Wohnsitz-Gerichtsstand nur auf deren Seite gegeben.

    c) Es rechtfertigt sich nach dem Gesagten nicht, von der allgemeinen
Gerichtsstandsordnung abzuweichen und die Sonderregelung des Art. 144 ZGB
auch für die Klage auf Ergänzung des Scheidungsurteils anzuwenden. Dies
entspricht auch der in der Lehre allgemein vertretenen Auffassung
(vgl. HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, Zusatzband zur
3. Auflage, S. 152; SCHNITZER, Internationales Privatrecht, I. Band,
4. Aufl., S. 419 f.; BÜHLER/SPÜHLER, Vorbemerkungen zu den Art. 149-157
ZGB, N. 100, und N. 190 zur Einleitung). In Gutheissung der Berufung
ist das angefochtene Urteil demnach aufzuheben und auf die Klage nicht
einzutreten.