Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 49



113 Ib 49

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1987
i.S. G. gegen Rekurskommission für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern
des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 17 Abs. 3 SVG.

    Die in Art. 17 Abs. 3 SVG umschriebene Möglichkeit, den für
längere Zeit entzogenen Führerausweis unter gewissen Voraussetzungen
und Bedingungen nach sechs Monaten wiederzuerlangen, gilt auch bei
Warnungsentzügen, für die das Gesetz einen Führerausweisentzug von
mindestens einem Jahr vorsieht, sowie dann, wenn die Behörde in der
Entzugsverfügung die vorzeitige Wiederaushändigung des Ausweises von der
Bewährung während einer längeren Frist abhängig macht.

Sachverhalt

    A.- G. überholte am 21. Mai 1986 in Bonstetten mit seinem Personenwagen
ein Auto, obwohl der dazu notwendige Raum wegen Gegenverkehrs nicht
frei war; ein Unfall wurde nur durch die vorausschauende Fahrweise der
überholten Autolenkerin vermieden. Am 27. Juni 1986 führte er in der
Stadt Bern einen Personenwagen in angetrunkenem Zustand (1,42 Gew. o/oo),
nachdem ihm wegen gleicher Verfehlungen der Ausweis in der Vergangenheit
schon zweimal entzogen worden war.

    Am 21. August 1986 entzog das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt
des Kantons Bern G. den Führerausweis für 23 Monate; es verfügte weiter:

    "4.- Auf Gesuch hin wird Ihnen der Führerausweis bereits nach 16

    Monaten im Sinne von Art. 17 Abs. 3 SVG vorzeitig wieder zurückgegeben,
   sofern ..." (Es folgt die Aufforderung, eine Alkoholabstinenzerklärung
   für

    23 Monate abzugeben sowie einen Informationskurs zu besuchen.)

    B.- Die von G. gegen die Verfügung vom 21. August 1986 erhobene
Beschwerde wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen
gegenüber Fahrzeugführern am 19. November 1986 ab.

    C.- G. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er
beantragt, der Entscheid der Rekurskommission sei aufzuheben; der
Führerausweis sei für eine Dauer von höchstens 18 Monaten zu entziehen
und von der Anordnung einer Mindestentzugsdauer sei abzusehen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt Art. 17 Abs. 3 SVG als verletzt. Er macht
geltend, für die Ansetzung einer Frist von 16 Monaten, nach deren Ablauf
ein Gesuch um vorzeitige Wiedererteilung des Führerausweises frühestens
eingereicht werden könne, fehle es an der gesetzlichen Grundlage; gemäss
der genannten Bestimmung betrage die Mindestentzugsdauer nur sechs Monate;
nach Ablauf dieser Frist müssten die Behörden grundsätzlich auf ein Gesuch
um bedingte Wiedererteilung eintreten.

    Die Vorinstanz beruft sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung,
wonach die vorzeitige Rückgabe an strenge Voraussetzungen zu knüpfen sei;
da bei Führerausweisentzügen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
eine nachgewiesene Alkoholabstinenz während der in Art. 17 Abs. 3
SVG festgesetzten Minimaldauer von sechs Monaten oftmals nicht die
Annahme zulasse, der Zweck der Massnahme sei erreicht, erscheine die
Anordnung einer längeren, in Relation zur Gesamtentzugsdauer stehenden
"Mindestentzugsdauer" im Einzelfall gerechtfertigt.

    Das Bundesgericht entschied in BGE 107 Ib 32/33, dass die bedingte
Wiedererteilung gemäss Art. 17 Abs. 3 SVG auch bei Warnungsentzügen möglich
sei, für die das Gesetz eine Minimaldauer von einem Jahr vorsehe. Dem
Argument, die Wirksamkeit der Massnahmen gegen rückfällige angetrunkene
Motorfahrzeugführer werde durch die Möglichkeit der vorzeitigen
Rückgabe beeinträchtigt, hielt es u.a. entgegen, der Umstand, dass der
Vollzugsabbruch nur bedingt erfolge, bilde für den Betroffenen ein starkes
Bewährungsmoment; die bedingte Suspendierung des Entzugs könne unter
Umständen deshalb nicht weniger zweckmässig sein als der ungebrochene
Vollzug. Im Lichte dieser Rechtsprechung hält die von der Rekurskommission
vertretene Auffassung, die in Art. 17 Abs. 3 SVG angegebene Minimaldauer
von sechs Monaten könne von den Administrativbehörden im Einzelfall
heraufgesetzt werden, einer Überprüfung nicht stand. Auch wenn im Zeitpunkt
der Anordnung einer konkreten Administrativmassnahme nur der Nachweis der
Bewährung während einem länger als sechs Monate dauernden Massnahmevollzug
die bedingte Wiederaushändigung des Ausweises zu rechtfertigen scheint,
kann eine frühere Wiedererteilung nicht von vornherein ausgeschlossen
werden. Wie beim Sicherungsentzug so gilt auch beim Warnungsentzug, dass
die vorzeitige bedingte Aushändigung des Führerausweises insbesondere dann
möglich sein soll, wenn aus Gründen, welche im Zeitpunkt des Erlasses der
Entzugsverfügung nicht oder noch nicht bekannt waren, angenommen werden
kann, die Massnahme habe ihren Zweck vorher erreicht als ursprünglich
angenommen werden musste (vgl. BGE 112 Ib 182).

    Dass diese Auslegung von Art. 17 Abs. 3 SVG auch der vom Gesetzgeber
der Vorschrift beigemessenen Bedeutung entspricht, hat der Kassationshof in
einem kürzlich publizierten Entscheid festgehalten (BGE 112 Ib 182); danach
ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, dass die Mindestfrist für Fälle
aller Art auf sechs Monate festgesetzt und den Administrativbehörden kein
Raum für die Anordnung längerer Minimalfristen im Einzelfall gelassen
wurde.

    Auch wenn somit bundesrechtswidrig erscheint, die bedingte
Wiederaushändigung des Ausweises nach sechs Monaten schon im Zeitpunkt der
Anordnung des Führerausweisentzugs definitiv auszuschliessen, ist damit
noch nicht gesagt, dass es den kantonalen Behörden auch verwehrt sei,
dem Beschwerdeführer in der Entzugsverfügung mitzuteilen, ab welchem
Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen bei normalen Umständen der
Führerausweis vorzeitig wieder ausgehändigt werde; eine solche Angabe
erscheint gerade bei Führerausweisentzügen wegen - wiederholten - Fahrens
in angetrunkenem Zustand sinnvoll; in solchen Fällen kann der rückfällige
Betroffene seine Einsicht und seinen ernsten Willen, einer weiteren
Wiederholung vorzubeugen, kaum anders als durch eine kontrollierte
Alkoholabstinenz während einer u.a. nach dem bisherigen Verhalten zu
bestimmenden Entzugsdauer beweisen (vgl. BGE 107 Ib 33 E. 2). Einer
derart verstandenen "Mindestentzugsdauer" kommt nur die Bedeutung einer
Absichtserklärung seitens der Behörden hinsichtlich der in Zukunft unter
gewissen Voraussetzungen möglichen Wiederaushändigung des Ausweises zu;
einer früheren bedingten Wiedererteilung des Ausweises - bei Vorliegen
besonderer Umstände, welche den Schluss zulassen, der Zweck der Massnahme
sei vorzeitig erfüllt - steht sie nicht entgegen.

    Soweit die Vorinstanz mit der Ziffer 4 der Verfügung vom 21. August
1986 zum Ausdruck bringen wollte, dass vor Ablauf einer Frist von 16
Monaten eine bedingte Wiederaushändigung des Führerausweises nicht geprüft
werden könne, verletzt der angefochtene Entscheid Bundesrecht. Da heute
jedoch nicht über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine frühzeitige
bedingte Wiedererteilung des Führerausweises zu entscheiden ist, kann das
Bundesgericht von der Aufhebung des angefochtenen Entscheids absehen und
sich darauf beschränken, die Vorinstanz anzuweisen, Ziffer 4 der Verfügung
im Sinne der obigen Ausführungen anzuwenden. Die Beschwerde ist deshalb
im Sinne der Erwägungen abzuweisen.