Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 212



113 Ib 212

36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
8. Juli 1987 i.S. Gemeinde Küsnacht gegen X. und Mitbeteiligte und
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 5 Abs. 2 RPG; Begriff der "bundesrechtlichen
Entschädigungsansprüche".

    - Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 2).

    - Gewährt das kantonale Recht unabhängig davon, ob eine materielle
Enteignung gemäss Art. 5 Abs. 2 RPG vorliegt, ein Heimschlagsrecht, so
handelt es sich beim Entscheid darüber, ob dieses zu Recht gewährt und
ob die Entschädigung dafür richtig bemessen worden sei, um einen rein
kantonalen Hoheitsakt, gegen den auf Bundesebene nur die staatsrechtliche
Beschwerde offensteht, sofern nicht geltend gemacht wird, Art. 5 Abs. 2
RPG hätte angewendet werden müssen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Gemeindeversammlung von Küsnacht beschloss am 1.  April
1974 eine Änderung der kommunalen Bauordnung, durch welche im Gebiet
Rotenstein/Holletsmoos auf der Küsnachter Allmend eine Freihaltezone
geschaffen wurde. Der Regierungsrat des Kantons Zürich genehmigte die
neue Zonenordnung am 30. Juni 1976/21. September 1977.

    Die Eigentümer von vier in der Freihaltezone gelegenen Parzellen
meldeten am 25. September 1980 Entschädigungsansprüche aus materieller
Enteignung an. Im Verfahren vor der kantonalen Schätzungskommission
beantragte die Gemeinde Küsnacht, es sei ihr das Eigentum an den erwähnten
Grundstücken zuzusprechen.

    Mit Entscheid vom 26. Mai 1983 wies die kantonale Schätzungskommission
II die Begehren auf Entschädigung aus materieller Enteignung ab
(Disp. Ziff. 1), sprach dagegen der Gemeinde Küsnacht das Eigentum an
den vier genannten Grundstücken zu (Disp. Ziff. 3) und verpflichtete die
Gemeinde Küsnacht, dafür eine Entschädigung von Fr. 70.-- pro Quadratmeter
zu bezahlen (Disp. Ziff. 4).

    Hierauf führte die Gemeinde Küsnacht Klage beim Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich und beantragte, es sei der Übernahmepreis für die
Grundstücke herabzusetzen; im übrigen sei der Schätzungsentscheid
vollumfänglich zu bestätigen. Das Verwaltungsgericht beschloss am
4. Februar 1986 unter anderem, es werde vorgemerkt, dass der Entscheid
der Schätzungskommission II vom 26. Mai 1983 bezüglich Disp. Ziff. 1 und
3 rechtskräftig geworden sei, und entschied, in Abweisung der Klage werde
die Gemeinde Küsnacht verpflichtet, für die heimgeschlagenen Grundstücke
Fr. 70.-- pro Quadratmeter zu bezahlen.

    Gestützt auf eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich führt die Gemeinde Küsnacht
gegen dessen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag
auf Herabsetzung der für die heimgeschlagenen Grundstücke festgesetzten
Entschädigungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Verwaltungsgericht hat in der Rechtsmittelbelehrung des
angefochtenen Entscheides auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht verwiesen. Ob diese Beschwerdemöglichkeit offensteht,
bestimmt sich allein nach den Voraussetzungen des Bundesrechts. Sind
diese nicht gegeben, kann auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten werden;
die Rechtsmittelbelehrung ändert hieran nichts (BGE 111 Ib 153 E. 1). Es
ist deshalb zu prüfen, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach den
massgebenden bundesrechtlichen Vorschriften im vorliegenden Fall zulässig
ist.

    a) Nach Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des
Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG),
die von einer der in Art. 98 OG erwähnten Behörden ausgehen und gegen
welche die Beschwerdemöglichkeit durch keine der Ausnahmebestimmungen
nach Art. 99 bis 102 OG ausgeschlossen wird.

    Für den Bereich des Raumplanungsrechts enthält Art. 34 des
Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) eine
besondere Normierung. Danach ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht ausdrücklich zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler
Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen
(Art. 5 RPG), wobei auch Kantone und Gemeinden zur Beschwerde berechtigt
sind.

    b) Die kantonalen, regionalen und kommunalen Freihaltezonen nach
zürcherischem Recht dienen der Erholung der Bevölkerung, dem Natur-
und Heimatschutz oder der Gliederung des Siedlungsgebietes (§ 39 und
61 des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom
7. September 1975, PBG).

    Für die kantonalen und regionalen Freihaltezonen bestimmt das Gesetz
unter der Marginalie "Heimschlagsrecht":

    "§ 41. Jeder Grundeigentümer hat neben einem allfälligen

    Entschädigungsanspruch aus materieller Enteignung das Recht, seine
in der

    Freihaltezone gelegenen Grundstücke und Grundstückteile dem Staat
   heimzuschlagen.

    ..."

    Anschliessend wird das Ausdehnungsrecht (§ 41 Abs. 2), die
Entschädigung (§ 42), das Verfahren (§ 43) und ein Rückgriffsrecht des
Staates auf Gemeinden, welche aus solchen Freihaltezonen besonderen Nutzen
ziehen (§ 44), geregelt.

    Nach § 62 PBG gelten in kommunalen Freihaltezonen für die Rechte
der Grundeigentümer hinsichtlich Inhalt und Verfahren die gleichen
Bestimmungen wie bei übergeordneten Freihaltezonen. Daraus schliesst das
Verwaltungsgericht zu Recht, die Vorschriften von § 41 ff. PBG fänden
auch Anwendung auf Grundstücke, die nach Gemeinderecht einer Freihaltezone
zugeordnet sind.

    c) Die Frage der materiellen Enteignung ist rechtskräftig
entschieden. Im vorliegenden Verfahren ist allein streitig,
welchen Preis die Gemeinde Küsnacht für die von der Freihaltezone
erfassten und heimgeschlagenen Grundstücke schuldet. Zu prüfen ist,
ob das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil insoweit über
Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen gemäss Art. 5 RPG
entschieden hat, was Voraussetzung für die Zulässigkeit der eidgenössischen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist (Art. 34 Abs. 1 RPG).

Erwägung 2

    2.- a) Die nach Massgabe der bundesrechtlichen Rahmenbestimmungen
anzuordnenden Planungsmassnahmen des kantonalen und kommunalen
Rechts sind geeignet, den Wert der davon betroffenen Grundstücke zu
beeinflussen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Nutzungspläne
gemäss Art. 14 ff. RPG. Es schien daher geboten, die vermögensrechtlichen
Auswirkungen dieser Planungen ebenfalls zum Gegenstand des Bundesrechts
zu erheben. Dementsprechend bestimmt Art. 5 RPG, das kantonale Recht
regle einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile,
die durch Planungen nach diesem Gesetz entstehen (Abs. 1), und normiert
zudem den Grundsatz der vollen Entschädigungspflicht bei materieller
Enteignung (Abs. 2). Während der Tatbestand der materiellen Enteignung
bundesrechtlich abschliessend umschrieben ist (BGE 110 Ib 31 E. 3 mit
Hinweis), belässt das Bundesrecht den Kantonen für die Regelung der
übrigen Ausgleichsmöglichkeiten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 RPG eine
weite Gestaltungsfreiheit (vgl. dazu Erläuterungen zum Bundesgesetz über
die Raumplanung, hrsg. vom EJPD, Bern 1981, N. 1 ff. zu Art. 5; HEINZ
AEMISEGGER, Leitfaden zum Raumplanungsgesetz, Bern 1980, S. 35 ff., S. 39;
ULRICH ZIMMERLI, Raumplanungsgesetz und Enteignung, in: Das Bundesgesetz
über die Raumplanung, Berner Tage für die juristische Praxis, Bern 1980,
S. 51 ff., 61). Ob auch Ansprüche aufgrund solcher kantonaler Regelungen
Gegenstand einer eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde sein können,
ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, da kein Ausgleich im
Sinne von Art. 5 Abs. 1 RPG in Frage steht (vgl. immerhin FRITZ GYGI, Der
Rechtsschutz, in: Das Bundesgesetz über die Raumplanung, Berner Tage für
die juristische Praxis, Bern 1980, S. 67 ff., 76). Zu prüfen ist indessen,
ob die Heimfallsentschädigung gemäss § 42 PBG unter Art. 5 Abs. 2 RPG
fällt, somit bundesrechtlich bestimmt ist, und ob entsprechende Entscheide
demnach aufgrund von Art. 34 Abs. 1 RPG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nach Art. 97 ff. OG angefochten werden können.

    b) Art. 5 Abs. 2 RPG regelt den Begriff und die Folgen der materiellen
Enteignung. Materiell brachte die Vorschrift nichts Neues; sie gibt
nur den in der Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV enthaltenen und
in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung konkretisierten Rechtszustand
wieder. Formell begründet sie jedoch einen direkten bundesgesetzlichen
Entschädigungsanspruch des Betroffenen. Das Raumplanungsgesetz des Bundes
beschränkt sich aber nicht darauf, diesen Rechtsanspruch zu verankern,
sondern normiert auch zu Gunsten des verpflichteten Gemeinwesens eine
Schranke gegen die Festsetzung übermässiger Entschädigungsbeträge (BGE 107
Ib 222 E. 2). Dieser doppelte Zweck ergibt sich auch aus Art. 34 RPG,
der nicht bloss eine Rechtsweggarantie des Privaten enthält (Abs. 1),
sondern für diesen Bereich ausserdem die Beschwerdeberechtigung des
Gemeinwesens einführt (Abs. 2). Zu beachten ist allerdings, dass auch mit
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 34 RPG nur eine Überprüfung
des Bundesrechts, nicht dagegen eine solche kantonaler Vorschriften
erfolgen kann (Art. 104 lit. a OG). Zu bestimmen ist daher, wann ein
bundesrechtlicher Entschädigungsanspruch vorliegt.

    c) Als bundesrechtliche können nur solche Entschädigungsansprüche
gelten, die auf dem bundesrechtlichen Begriff der materiellen Enteignung
gründen (BGE 107 Ib 230 E. 1). Unerheblich ist dabei, ob die als
enteignungsgleich erachtete Eigentumsbeschränkung vor oder nach
Inkrafttreten des eidgenössischen Raumplanungsrechts erlassen oder
angeordnet wurde (BGE 110 Ib 257 E. 1; 107 Ib 382 E. 1).

    Folgt der materiellen Enteignung eines Baugrundstückes durch
Zuweisung zur Zone für öffentliche Anlagen eine formelle Enteignung
für die Überbauung der Liegenschaft, so kann die Gesamtentschädigung
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, selbst wenn
sie ausschliesslich im formellen - kantonalen - Enteignungsverfahren
festgesetzt wird (BGE 109 Ib 261 E. 1). Gleiches gilt, wenn das kantonale
Recht dem betroffenen Eigentümer die Möglichkeit gibt, vom Gemeinwesen
anstelle der Minderwertsentschädigung für die materielle Enteignung die
Übernahme der Liegenschaft zu verlangen (Heimschlagsrecht; vgl. BGE 110
Ib 258 E. 1 mit Hinweisen).

    Schliesslich hat das Bundesgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
selbst dann zugelassen, wenn die letzte kantonale Instanz zwar
das Vorliegen einer materiellen Enteignung verneinte, indessen
wegen eines teilweise rechtskräftigen Urteils einer Vorinstanz einen
Entschädigungsanspruch anerkannte, welcher seinerseits auf den Begriff
der materiellen Enteignung abgestützt wurde (nicht veröffentlichtes Urteil
des Bundesgerichts vom 3. Juli 1985 i.S. Stadt Opfikon, E. 1b).

    d) Nicht unter den Begriff des Bundesrechts fallen und damit von
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 97 ff. OG ausgeschlossen
sind demgegenüber Ansprüche, welche ihren Rechtsgrund ausschliesslich im
kantonalen Recht haben (FRITZ GYGI, aaO, S. 76).

    Das Bundesrecht findet einmal keine Anwendung auf Sachverhalte, welche
vor Inkrafttreten des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes abgeschlossen
waren, beispielsweise vorübergehende Eigentumsbeschränkungen, welche vor
dem 1. Januar 1980 wegfielen und zu keinen "Planungen nach diesem Gesetz"
gemäss Art. 5 RPG führten (Urteil des Bundesgerichts vom 20. Juni 1984
i.S. EG Köniz, E. 1b, veröffentlicht in BVR 1984, S. 461 ff., 462). Keine
bundesrechtlichen Entschädigungsansprüche sind weiter solche, welche das
kantonale Recht ausserhalb des bundesrechtlichen Entschädigungssystems
vor Inkrafttreten des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes für
Planungsmassnahmen vorsah, die sich vor dem 1. Januar 1980 verwirklichten
(Urteil des Bundesgerichts vom 16. Februar 1983, veröffentlicht im ZBl
85/1984, S. 324 ff.). Und schliesslich erfasst das Bundesrecht nicht
Heimschlagsrechte, welche das kantonale Recht auch dann gewährt, wenn
keine materielle Enteignung vorliegt (Urteil des Bundesgerichts vom
17. Februar 1982, E. 1, veröffentlicht im ZBl 83/1982, S. 207 ff., 208).

Erwägung 3

    3.- § 41 PBG gewährt unabhängig davon, ob eine materielle Enteignung
gemäss Art. 5 RPG vorliegt, ein Heimschlagsrecht gestützt auf kantonales
Recht.

    a) Ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, der in Anwendung
dieser Bestimmung erging, kann sowohl vom Grundeigentümer wie auch vom
Gemeinwesen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, wenn
sie geltend machen, Art. 5 Abs. 2 RPG sei zu Unrecht nicht oder sei
nicht richtig angewendet worden (vgl. BGE 112 Ib 165 E. 1, 237 E. 2a; je
mit Hinweisen). Bedingung ist, dass die übrigen Prozessvoraussetzungen
zur Einlegung dieses Rechtsmittels gegeben sind; insbesondere muss die
beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Entscheid beschwert sein.

    b) Steht indessen vor Bundesgericht nur die Frage zum Entscheid, ob das
neben dem Anspruch auf Entschädigung aus materieller Enteignung und somit
gestützt allein auf kantonales Recht normierte Heimschlagsrecht zu Recht
oder zu Unrecht gewährt und ob die Entschädigung dafür richtig bemessen
worden sei, so steht dazu nur die staatsrechtliche Beschwerde offen.

    Es handelt sich in diesem Fall um einen rein kantonalen Hoheitsakt, der
vom Bundesgericht nur auf seine Verfassungsmässigkeit hin überprüft werden
kann (Art. 84 Abs. 1 OG; vgl. auch BGE 112 Ib 237 E. 2 mit Hinweisen).

    c) Gegenüber den hier beteiligten Grundeigentümern ist die Frage der
materiellen Enteignung im Sinne des Bundesrechts rechtskräftig entschieden
(vgl. den Sachverhalt).

    Streitig ist allein die Höhe der Entschädigung für das selbständige,
allein auf kantonalem Recht beruhende Heimschlagsrecht. Da die
Gemeinde auch sinngemäss nicht geltend macht, Art. 5 Abs. 2 RPG sei
zu Unrecht nicht oder sei nicht richtig angewendet worden, steht zur
Überprüfung dieser Frage nach dem Gesagten nicht die eidgenössische
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern nur die staatsrechtliche Beschwerde
zur Verfügung.

    Die vorliegende Rechtsvorkehr kann auch nicht als staatsrechtliche
Beschwerde behandelt werden. Der angefochtene Entscheid verletzt die
Gemeinde Küsnacht nicht in ihrer Autonomie, was im übrigen von ihr
auch nicht geltend gemacht wird. Er betrifft sie auch nicht wie eine
Privatperson (vgl. dazu BGE 107 Ia 179 E. 1b; 99 Ia 111 E. 2; je mit
Hinweisen); Gegenstand des Urteils ist vielmehr die öffentlichrechtliche
Entschädigungsfolge eines kantonalen Heimschlagsrechts.

Erwägung 4

    4.- Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auf die
Beschwerde nicht einzutreten ist.