Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 457



113 Ia 457

67. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16.
Dezember 1987 i.S. Adolf Odermatt-Schilter gegen Einwohnergemeinde
Engelberg und Regierungsrat des Kantons Obwalden (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV; Zonenplanänderung (Art. 15 RPG).

    Beurteilung einer ausserhalb des Hauptsiedlungsgebietes liegenden
Parzelle als "weitgehend überbaut" im Sinne von Art. 15 lit. a RPG
(E. 4dd-df); Überprüfung des Ergebnisses anhand des planerischen
Konzepts der Gemeinde (E. 4dg); Bedeutung der Bauzonierung für das
Redimensionierungsziel (E. 4e); Würdigung des Ergebnisses im Lichte einer
umfassenden Interessenabwägung (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Adolf Odermatt-Schilter ist Eigentümer einer im "Unter Chilchbüel"
in der Gemeinde Engelberg liegenden Parzelle. Dieses Grundstück war gemäss
Zonenplan der Gemeinde Engelberg vom 19. Mai 1974 (aZP) mit Baureglement
vom 5. November 1974 (aBauR) der Hangzone H zugewiesen, in der Wohn- und
Geschäftshäuser, Hotels, Gast- und Unterhaltungsstätten sowie öffentliche
Bauten und Anlagen erlaubt waren (Art. 14 in Verbindung mit Art. 13 aBauR).

    Die Einwohnergemeinde Engelberg ist seit 1981 mit einer Revision
der Ortsplanung befasst. Am 29. Mai 1981 erliess der Gemeinderat eine
Bausperre von 18 Monaten; nachdem diese abgelaufen war, verfügte der
Regierungsrat des Kantons Obwalden am 19. Oktober 1982 eine Planungszone
gemäss Art. 27 des BG über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG), deren
Dauer bis Mitte Mai 1986 beschränkt war. Vom 22. März bis zum 10. April
1984 legte der Gemeinderat den am 8. Februar 1984 beschlossenen und vom
Kanton vorgeprüften Entwurf einer neuen Ortsplanung öffentlich auf. Danach
sollte die Parzelle von Adolf Odermatt neu dem Übrigen Gemeindegebiet
zugeteilt werden. Die gegen diese Umzonung eingereichte Einsprache wies
der Gemeinderat ab. Ebenso befand der Regierungsrat im Beschwerdeverfahren
mit Entscheid vom 1. April 1986.

    Adolf Odermatt reichte eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Er macht
eine Verletzung von Art. 4 BV (Willkürverbot) sowie von Art. 22ter BV
geltend und beantragt im wesentlichen, der Entscheid des Regierungsrates
vom 1. April 1986 sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

    (Erwägungen 2, 3 und 4a, b, ca, da-dc siehe BGE 113 Ia 447 E. 4 ...;
die Parzelle des Beschwerdeführers ist offensichtlich zur Überbauung
geeignet.)

Erwägung 4

    4.- ...

    dd) Die Parzelle des Beschwerdeführers (Nr. 587) umfasst ca. 500
m2. Sie ist überbaut und erschlossen. Die ganze Häusergruppe "Unter
Chilchbüel" besteht aus acht Wohnhäusern. Dazu gehören zwei grosse Bauten,
in denen früher das Armenheim untergebracht war. Die eine dient heute
als Garnihotel. Daneben kommen vereinzelte kleine landwirtschaftliche
Hilfsbauten vor. Vier dieser Häuser sind ungefähr 25 Jahre alt, die
anderen älter. Die Häusergruppe ist gesamthaft erschlossen. Ob die
Parzellenverhältnisse ungünstig seien, kann dahingestellt bleiben, denn
dieses Hindernis könnte durch eine Landumlegung im Nachgang zur Planung
behoben werden (Art. 20 RPG).

    de) Der Regierungsrat befand, die Parzelle Nr. 587 gehöre bezogen
auf das ganze Gebiet nicht zu einer weitgehenden Überbauung. Einerseits
bilde sie zusammen mit den wenigen anderen überbauten Parzellen Teil
einer isolierten, von nicht überbauten Grundstücken umgebenen klassischen
Streusiedlung. Die wenigen bestehenden Bauten seien rundum von praktisch
unüberbautem, teilweise grossflächigem Gebiet umgeben. Es gehe nicht
lediglich um die Schliessung einer Baulücke. Trotz der vorhandenen
einzelnen Bauten, der Lage, des Zusammenhangs mit der Umgebung sowie
des Besiedlungsgrades könne das Gebiet nicht als weitgehend überbaut
betrachtet werden.

    Der Beschwerdeführer dagegen sieht seine Parzelle als Teil der am
Fusse des Chilchbüelhügels bestehenden Siedlungseinheit, für die eine
Kleinbauzone auszuscheiden sei. Zudem liege die Parzelle am Ende einer
Zeile von ebenfalls überbauten Grundstücken und werde nur durch Bach und
Strasse vom Gebiet Meiland abgetrennt, das ebenfalls zeilenförmig entlang
der Strasse besiedelt sei.

    Die Gemeinde schliesslich betrachtet die Parzelle des Beschwerdeführers
als Kleinparzelle, welche zusammen mit der Nachbarliegenschaft von der
weitgehend unüberbauten, bis weit hangaufwärts reichenden Parzelle Nr. 588
umschlossen sei. Bei den vorhandenen Bauten handle es sich um wenige,
zufällig angeordnete Einzelgebäude; teilweise seien es ausgesprochene
Kleinbauten. Die Umgebung hangaufwärts und Richtung Ochsenmatt sowie das
Areal zwischen Strasse und Dürrbach sei noch gänzlich unüberbaut. Die
Streusiedlung stosse denn auch wie ein gestreckter Zeigefinger in
das unbesiedelte Gebiet der Ochsenmatt und des unteren Chilchbüel
vor. Insgesamt könne nicht von einer kompakten, organisch mit dem baulichen
Entwicklungsgebiet der Gemeinde verbundenen Siedlungseinheit gesprochen
werden. Der Wohnwert der vorbestandenen Bauten leide in der Regel nicht,
wenn in der Umgebung nicht mehr gebaut werden könne. Die Schaffung einer
zweckmässigen Gebietseinheit würde den Zusammenschluss mit der Bauzone
jenseits des Dürrbaches und den Einbezug weiter Teile des Chilchbüelhügels
erfordern. Innerhalb der Parzelle Nr. 588 lasse sich die Grenze nicht
sachgerecht ziehen; die Einzonung dieses Grundstücks zöge auch diejenige
der unmittelbar daneben liegenden Parzelle nach sich. Es ginge in diesem
Fall nicht nur um die Schliessung von Baulücken, sondern um die Ausdehnung
der Bauzone auf grössere Flächen. Vorhanden sei eine isolierte Neusiedlung,
kein selbständig lebensfähiger Ortsteil. Eine eigene Kleinbauzone sei
nicht möglich.

    df) Die Häusergruppe "Unter Chilchbüel" hat praktisch durchgehend
nichtlandwirtschaftlichen Charakter. Nutzungsmässig stehen im Vordergrund
das ehemalige Altersheim und heutige Garnihotel sowie kaum 30 Jahre alte
Wohnhäuser in gutem Zustand; daneben bestehen noch ältere, vielleicht
einmal von Landwirten bewohnte Gebäude, deren Bausubstanz aber durchaus
noch als erhaltenswert erscheint. Ein Zusammenhang zur Bewirtschaftung
des Umlandes besteht nicht. Die Gebäude heben sich davon vielmehr als
einigermassen geschlossene Einheit ab. Sie stehen denn auch so nahe
beieinander, wie dies in der Bauzone üblich ist, und sind untereinander
durch die Chilchbüelstrasse sowie auch sonst erschliessungsmässig
verbunden. Daran ändern die wenigen dazwischen liegenden unüberbauten
Flächen nichts. Diese sind von ganz untergeordneter Bedeutung, weitgehend
von Bauten umgrenzt und gehören zum Siedlungszusammenhang; es sind also
im erwähnten Sinne Baulücken (vgl. E. 4da bis dc). Gesamthaft spricht
somit viel dafür, der Häusergruppe "Unter Chilchbüel" Siedlungscharakter
zuzusprechen.

    dg) Damit ist zu untersuchen, ob diese Qualifikation auch dem
planerischen Konzept der Gemeinde entspricht.

    Nach der Idee, welche der Ortsplanungsrevision zugrunde liegt, soll in
erster Priorität das überbaute Gebiet einschliesslich einzelner Baulücken
in die Bauzone aufgenommen werden. Ein Vergleich der Anwendung dieses
Grundsatzes auf die "grösseren, nicht überbauten, eingezonten Gebiete"
mit der Häusergruppe "Unter Chilchbüel" ergibt folgendes Resultat:

    - Die Gemeinde hat eine Reihe von Flächen, die ganz unüberbaut sind,
wegen ihrer Randlage zur Hauptbauzone in der Bauzone belassen (...). Dazu
kommen relativ erhebliche Flächen in Bauzonen, welche von der Hauptbauzone
abgesetzt sind (...). Keines dieser Gebiete ist so weitgehend mit Bauten
bedeckt wie "Unter Chilchbüel".

    - Von diesen in der Bauzone belassenen Landstücken sind zudem nur
wenige so weit erschlossen wie "Unter Chilchbüel". Als vollerschlossen
werden im Planungsbericht bezeichnet: ... .

    - Überhaupt fällt auf, dass Engelberg eine Reihe von isolierten
Kleinbauzonen kennt, namentlich am westlichen Dorfeingang, in
"Vorderörtigen", "Grüss", "Fellenrüti", "Züg", "Ober Chilchbüel", "Meiland"
und "Festi" mit "Barmettlen", zwischen "Tellenstein" und "Städeli",
im Gebiet "Eyen" und "Eyenwäldli". Zu einem guten Teil weisen diese
vor allem neuere Wohnbauten auf ("Vorderörtigen", "Züg", "Fellenrüti",
"Ober Chilchbüel" und "Barmettlen"). In solchen Zonen stehen aber auch
ältere Gebäude (so am westlichen Dorfeingang). Es ist nicht einzusehen,
warum eine Häusergruppe älteren Datums wie "Unter Chilchbüel", dessen
wesentliche Teile aber nicht älter als 25 Jahre sind, nicht ebenfalls in
die Bauzone gehören soll.

    Im übrigen ist eine Bauzone "Unter Chilchbüel" nicht ganz isoliert. Sie
bildet vielmehr eine Fortsetzung der Bauzone "Festi"-"Meiland". Der
Zonenplan kennt kleinere oder doch in der Grösse vergleichbare, aber eher
mehr isolierte Lücken (in den Gebieten "Winkel" im Osten oder im Bereich
der Garage am nord-westlichen Dorfeingang); ebenso sind ihm kleinere
Zonierungen entlang einem Strassenstück nicht fremd ("Vorderste Eyen",
"Boden"/"Rütimattweid" oder südlich "Stirnenrüti").

    e) ea) Geeignetes, nicht weitgehend überbautes Land darf nur eingezont
werden, wenn es voraussichtlich in 15 Jahren benötigt wird (Art. 15 lit. b
RPG). Da unbestrittenermassen das Hauptziel der Ortsplanungsrevision in
der Verkleinerung des Bauzonenareals besteht, ist der Verzicht auf die
Umzonung vom Baugebiet in das Übrige Gemeindegebiet nur zulässig, wenn die
fragliche Parzelle samt dem zusätzlichen Land, das um einer sachgerechten
und rechtlich haltbaren Abgrenzung willen gleich behandelt werden müsste,
flächenmässig unbedeutend wäre.

    eb) Der Regierungsrat sieht in einer allfälligen Einzonung, da sie
den gesamten Chilchbüelhügel mitumfassen müsste, einen Widerspruch zum
Gebot der Bauzonenverkleinerung. Dasselbe Resultat entstünde bei der
Schaffung eines planerischen Zusammenhangs mit der bestehenden Bauzone
"Festi"-"Meiland", weil das unüberbaute Land der östlichen Ochsenmatte
und dasjenige zwischen den Strassen einbezogen werden müsste. Die Gemeinde
teilt im wesentlichen die Auffassung des Regierungsrates.

    ec) Die Bedenken sind auf den ersten Blick verständlich. Freilich
besteht diese Gefahr für das Reduktionsziel nicht oder jedenfalls nicht
mehr als andernorts. Nach Süd-Osten grenzt der Bereich "Unter Chilchbüel"
an die erwähnte Bauzone "Festi"-"Meiland" an, nach Süden und Westen an
die "Zone zur Sicherung von Anlagen des Wintersports", die durch den
unmittelbar westlich vom Chilchbüelhügel verlaufenden Skilift bedingt
ist. Im Norden ergibt sich eine topographische Grenze im Bereich der
Parzelle Nr. 585, und weiter nördlich folgt die Grünzone zum Schutz der
Aussicht vom "Chilchbüel". Gegenüber der Parzelle Nr. 588 lässt sich
eine Bauzone "Unter Chilchbüel" noch besser abgrenzen, als dies etwa im
"Grundli" oder am Ostrand des "Tellensteins" der Fall ist. Dort kann
die Bauzonengrenze nicht wie im Gebiet "Unter Chilchbüel" grundsätzlich
einfach den nördlichen Grenzen der überbauten Parzellen und den eine
Baulücke bildenden Grundstücksteilen folgen.

    Bei einer so engen Abgrenzung kann ernstlich nicht von einer Gefährdung
des Reduktionszieles gesprochen werden.

Erwägung 5

    5.- a) Die Bauzonenvorschrift von Art. 15 RPG ist letztlich nicht
allein massgebend. Planungsmassnahmen sind nur dann verfassungskonform,
wenn neben den Kriterien der Eignung, der Überbauung und des Bedarfs
auch die anderen, für den konkreten Fall massgebenden Gesichtspunkte
berücksichtigt werden. Die Raumplanung bezweckt nicht nur die geordnete
Besiedlung des Landes sowie die Erhaltung genügender Kulturflächen, sondern
sie steht auch im Dienste anderer öffentlicher Interessen (Art. 1, Art.
2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 RPG).

    ab) Die Gemeinde wendet ein, weder die Eignung zum Wohnen noch die
Nichteignung für die landwirtschaftliche Nutzung mache das Land zu Bauland.
Dasselbe gelte für die Erschliessung. Gegen die Einzonung sprächen auch
Gründe des Landschaftsschutzes und die vom Dorfkern entfernte Lage. Der
Chilchbüelhang sei von landschaftlicher Bedeutung, auch wenn nur der
am meisten exponierte Teil einer Grünzone zugewiesen sei. Dem entgegnet
der Beschwerdeführer, der Landschaftsschutz spiele keine Rolle, da man
bereits vor vollendeten Tatsachen stehe.

    ac) Die landschaftlichen Bedenken der Gemeinde wiegen nicht so
schwer. Die Bauten sind ja in ihrem Bestand geschützt, so dass zumindest
auf absehbare Zeit die dadurch bewirkte Belastung der Landschaft ohnehin
fortdauert. Sie wiegen um so weniger, als auf der Parzelle Nr. 585
mit der bestehenden Kiesgrube noch auf längere Zeit eine schwere Wunde
klafft. Wird die Bauzone wirklich auf die bereits überbauten Parzellen
samt den Baulücken beschränkt, so verlieren auch die landwirtschaftlichen
Interessen an Bedeutung; dies auch deshalb, weil die meisten Gebäude
im fraglichen Gebiet nicht oder nicht mehr der Landwirtschaft
dienen (vgl. E. 4dd). Schliesslich ändert sich auch in bezug auf die
Immissionsverträglichkeit nichts, verlangt doch die bereits bestehende
Häusergruppe auch ohne Bauzonierung ein gewisses Mass an Rücksichtnahme.

    Auch die Berücksichtigung weiterer öffentlicher Interessen vermag
am Ergebnis, welches sich in Anwendung von Art. 15 RPG ergibt, nichts
zu ändern.

    (Das Gebiet der Häusergruppe "Unter Chilchbüel" ist in Anwendung von
Art. 15 lit. a RPG als "weitgehend überbaut" zu beurteilen und daher in
die Bauzone aufzunehmen. Die staatsrechtliche Beschwerde wird deshalb
gutgeheissen, und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Obwalden
vom 1. April 1986 wird aufgehoben. Es wird Sache der Gemeinde sein,
die Bauzone im Gebiet "Unter Chilchbüel" sachgerecht und rechtmässig
zu umgrenzen.)