Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 185



113 Ia 185

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
10. August 1987 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft und Präsident der
Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Aargau (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Persönliche Freiheit, EMRK, § 67 Abs. 2 StPO/AG; Sicherheitshaft
bei Verwahrung.

    Es verstösst weder gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit
noch gegen die EMRK, einen Angeschuldigten in Sicherheitshaft zu belassen,
wenn die Verwahrung ernstlich in Frage kommt oder bereits durch ein Urteil,
das noch nicht rechtskräftig ist, angeordnet wurde.

Sachverhalt

    A.- Am 10. Dezember 1986 sprach das Bezirksgericht Aarau B.
des gewerbsmässigen Diebstahls, der wiederholten Sachbeschädigung,
des wiederholten Hausfriedensbruchs, der Zechprellerei sowie
der Sachentziehung schuldig und bestrafte ihn mit 24 Monaten
Gefängnis. Anstelle des Strafvollzuges wurde die Verwahrung gemäss Art. 42
StGB angeordnet. B. reichte gegen das Urteil Berufung beim Obergericht
des Kantons Aargau ein. In teilweiser Gutheissung der Berufung sprach ihn
das Obergericht mit Urteil vom 16. Juni 1987 in einem der Anklagepunkte
frei und setzte die Gefängnisstrafe auf 21 Monate herab. Soweit sich die
Berufung gegen die Verwahrung richtete, wurde sie abgewiesen. Das Urteil
des Obergerichts ist noch nicht rechtskräftig, da B. eine eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und - nach Auskunft der kantonalen
Instanz - die Beschwerdebegründung beim Obergericht eingereicht hat.

    B. wandte sich am 14. Juli 1987 mit einem Gesuch um Haftentlassung an
das Obergericht. Mit Verfügung vom 20. Juli 1987 wies der Präsident der
Strafabteilung des Obergerichts das Gesuch ab in der Erwägung, B. sei zur
Sicherung des Massnahmevollzuges gemäss § 67 Abs. 2 der Strafprozessordnung
des Kantons Aargau (StPO) in Haft zu behalten. Ausserdem hielt der
Präsident fest, dass der Angeklagte in der Schweiz keinen festen Aufenthalt
vorweisen könne, jedoch offenbar etliche Kontakte zum Ausland habe.

    Gegen die Verfügung des Präsidenten der Strafabteilung hat B.
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde
ab, soweit es auf sie eintreten kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts wies
das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vor allem gestützt
auf § 67 Abs. 1 StPO ab, nach welcher Vorschrift die Anordnung oder
Aufrechterhaltung der Haft zulässig ist unter anderem "zur Sicherung des
Strafvollzuges nach der Beurteilung". Ferner erachtete er offenbar auch
den in § 67 Abs. 1 Ziff. 1 StPO vorgesehenen Haftgrund der Fluchtgefahr
als gegeben, denn er führte aus, der Beschwerdeführer könne in der Schweiz
keinen festen Aufenthaltsort vorweisen, doch habe er etliche Kontakte
zum Ausland. Ob Fluchtgefahr besteht, kann dahingestellt bleiben, da -
wie sich im folgenden zeigen wird - jedenfalls die Hauptbegründung des
Präsidenten der Strafabteilung sowohl vor der Verfassung als auch vor
der EMRK standhält.

    Das Obergericht hat als Berufungsinstanz den Beschwerdeführer zu
21 Monaten Gefängnis verurteilt und die vom Bezirksgericht anstelle
des Strafvollzuges angeordnete Verwahrung bestätigt. Der Zweck der
Verwahrung im Sinne von Art. 42 StGB ist in erster Linie die Sicherung
der Öffentlichkeit vor Rückfallverbrechern. Die Massnahme kann angeordnet
werden, wenn ein Täter durch Strafen nicht gebessert werden kann, so
dass die Gesellschaft vor ihm gesichert werden muss (BGE 105 IV 85 E. 2b,
92 IV 80). Mit Rücksicht auf diesen Schutz der Öffentlichkeit hat es das
Bundesgericht als gerechtfertigt und mit der Verfassung vereinbar erklärt,
einen Angeschuldigten in Sicherheitshaft zu belassen, wenn die Verwahrung
ernstlich in Frage kommt oder bereits durch ein Urteil, das noch nicht
rechtskräftig ist, angeordnet wurde (unveröffentlichte Urteile vom 5. Juli
1982 i.S. J. und vom 30. Dezember 1971 i.S. N.). Demgemäss konnte der
Präsident der Strafabteilung mit sachlichen Gründen annehmen, es würde dem
Zweck der vom Bezirksgericht angeordneten und vom Obergericht bestätigten
Verwahrung widersprechen, den Beschwerdeführer aus der Sicherheitshaft
zu entlassen. Es bedeutete daher weder eine Verletzung der Verfassung
noch einen Verstoss gegen die EMRK, wenn er das Haftentlassungsgesuch
gestützt auf § 67 Abs. 2 StPO zur Sicherung des Massnahmevollzuges abwies.