Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 165



113 Ia 165

26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4.
Februar 1987 i.S. X. und Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Graubünden, Kreisgerichtsausschuss Oberengadin und Kantonsgericht
(Beschwerdekammer) Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 58 Abs. 1 BV; Strafverfahren, innerkantonale örtliche
Zuständigkeit.

    Die Gerichtsstandsregeln der Art. 346 ff. StGB gelten für die in
die kantonale Gerichtsbarkeit fallenden bundesrechtlichen Delikte nicht
nur interkantonal, sondern auch innerkantonal. Wo der Gerichtsstand
innerkantonal nach Art. 346 ff. StGB zu bestimmen ist, wird das
eidgenössische Recht als subsidiäres kantonales Recht angewendet.

Sachverhalt

    A.- Wegen des Verdachts, die G. SA habe mit dem Erwerb von Grundstücken
in Celerina und mit deren Überbauung 1967/1968 gegen die Bestimmungen des
damals geltenden Bundesbeschlusses über die Bewilligungspflicht für den
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 (BewB;
AS 1961 S. 203 ff.) verstossen, verpflichtete das Grundbuchinspektorat
Graubünden diese Firma mit Verfügung vom 27. Juli 1984, über die
Beteiligungen an ihrer Gesellschaft bzw. über die Finanzierung des
Grundstückerwerbs sowie andere Umstände umfassend Auskunft zu erteilen.
Überdies verfügte es die Edition aller für die beabsichtigte Untersuchung
relevanten Urkunden der Gesellschaft. Die Verfügung enthielt einen Hinweis
auf die strafrechtlichen Folgen der unrichtigen oder unvollständigen
Angaben sowie der Verweigerung von Auskunft und Edition gemäss Art. 24
und 26 BewB (in der Fassung vom 21. März 1973; AS 1974 S. 91).

    Laut der Sachverhaltsdarstellung in der Anklageschrift liess
X. als Direktor der Firma Z. das Grundbuchinspektorat innert
erstreckter Frist wissen, es sei ihm leider nicht möglich, alle
verlangten Auskünfte zu erteilen. Die G. SA sei bereits im Jahre 1965
gegründet worden, während die Firma Z. als Nachfolgerin der F. SA
die Verwaltung erst vor einigen Jahren übernommen habe; sie könne
jedoch dem Grundbuchinspektorat die Jahresabschlüsse der letzten zehn
Jahre zukommen lassen. In der Folge unterliess es die Firma Z. aber,
dem Grundbuchinspektorat diese Unterlagen zu senden. Als die G. SA,
deren Verwaltungsratspräsident Y. ist, aufgefordert wurde, sich zur
angekündigten Verfügung betreffend die Bewilligungspflicht für die in
Frage stehenden Grundstückkäufe und Überbauungen zu äussern, stellte
ihr Rechtsvertreter dem Grundbuchinspektorat die zuvor von seiten der
Firma Z. versprochenen Abschlüsse der letzten zehn Jahre zu und wies
darauf hin, weitere sachdienliche Unterlagen seien nicht vorhanden. Eine
später durchgeführte Hausdurchsuchung ergab indessen - immer gemäss der
Darstellung in der Anklageschrift -, dass sich sämtliche Akten der G. SA
in mehreren Bundesordnern am Sitz der Firma Z. in Lugano befanden.

    Mit Verfügung vom 4. Januar 1985 bejahte das Grundbuchinspektorat
Graubünden die Bewilligungspflicht für den Kauf und die Überbauung der
Grundstücke der G. SA in Celerina und verweigerte gleichzeitig die
entsprechenden Bewilligungen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies
das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 9. April
1985 ab.

    Am 9. Juli 1985 eröffnete die Staatsanwaltschaft Graubünden aufgrund
einer Strafanzeige des Grundbuchinspektorates gegen ein Gründungsmitglied
der G. SA, welche ihren Sitz ursprünglich in Zuoz hatte, gegen Y. und
andere spätere Verwaltungsräte dieser Gesellschaft sowie gegen die
verantwortlichen Organe der F. SA und der Firma Z. eine Strafuntersuchung
wegen Widerhandlungen gegen Art. 23 BewB etc. Am 19. November 1985 wurde
X. als Direktor der Firma Z. in dieses Verfahren einbezogen.

    Gegenüber X. und Y. stellte die Staatsanwaltschaft Graubünden die
Strafuntersuchung mit Verfügung vom 29. April 1986 teilweise ein, nämlich
soweit sie sich auf die Umgehung der Bewilligungspflicht gemäss Art. 23
BewB bezog. Das Strafverfahren gegen die übrigen Angeschuldigten wurde mit
derselben Verfügung aus verschiedenen Gründen vollumfänglich eingestellt.

    Mit Verfügung vom 1. Mai 1986 wurden X. und Y. gestützt auf den
vorstehend wiedergegebenen Sachverhalt wegen vorsätzlicher Widerhandlung
gegen Art. 24 und 26 BewB (in der Fassung vom 21. März 1973) in
Anklagezustand versetzt. Die Staatsanwaltschaft Graubünden überwies
den Fall gestützt auf Art. 350 StGB und Art. 48 des Gesetzes über die
Strafrechtspflege des Kantons Graubünden vom 8. Juni 1958/7. April 1974
(StPO) dem Kreisgerichtsausschuss Oberengadin zur Beurteilung.

    Eine von den Angeklagten gegen diese Anklageverfügung geführte
Beschwerde wies die Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Graubünden
mit Entscheid vom 11. Juni 1986 ab, soweit darauf eingetreten werden
konnte. Auf die Rüge, die Gegenstand der Anklage bildenden Widerhandlungen
gegen Art. 24 und 26 BewB seien allenfalls in Lugano begangen worden,
womit die Zuständigkeit der Tessiner Behörden gegeben sei, trat die
Beschwerdekammer nicht ein mit der Begründung, die Anklagekammer des
Bundesgerichts sei die zur Entscheidung interkantonaler Kompetenzkonflikte
zuständige Instanz. Im weiteren hielt die Beschwerdekammer dafür,
die angefochtene Anklageverfügung sei weder in bezug auf die Frage der
innerkantonalen und der sachlichen Zuständigkeit noch in materieller
Hinsicht rechtswidrig oder unangemessen.

    Hiergegen führen X. und Y. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 und 58 BV sowie Art. 6 EMRK; sie beantragen, der Entscheid
der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Graubünden vom 11. Juni 1986
sei aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach herrschender Auffassung gelten die Gerichtsstandsregeln der
Art. 346 ff. StGB für die in die kantonale Gerichtsbarkeit fallenden
bundesrechtlichen Delikte nicht nur interkantonal, sondern auch
innerkantonal (ERHARD SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmungen
in Strafsachen, Bern 1987, S. 31, N. 40). In den Fällen, in denen der
Gerichtsstand innerkantonal (hinsichtlich bundesrechtlicher Delikte oder
hinsichtlich kantonalrechtlicher Tatbestände) nach Art. 346 ff. StGB
zu bestimmen ist, wird das eidgenössische Recht als rezipiertes oder
subsidiäres kantonales Recht angewendet (SCHWERI, aaO, S. 31, N. 41).

    Soll der Verstoss gegen die Garantie des verfassungsmässigen
Richters lediglich in der unrichtigen Auslegung bzw. Anwendung kantonaler
Vorschriften über die Organisation und Besetzung des Gerichts liegen,
so prüft das Bundesgericht diese Auslegung bzw. Anwendung des kantonalen
Rechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 112 Ia 292 E. 2a;
BGE vom 4. Juni 1986 i.S. A., in EuGRZ 1986 S. 670 E. 2b, mit weiteren
Hinweisen). Dabei liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere
Auslegung der betreffenden Gesetzesnormen ebenfalls vertretbar oder gar
zutreffender erschiene; das Bundesgericht greift erst dann ein, wenn die
gerügte Auslegung offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGE 112 Ia 27 E. 1c
mit Hinweisen). Sodann prüft das Bundesgericht mit freier Kognition,
ob die als vertretbar erkannte Auslegung des kantonalen Rechts mit dem
Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter vereinbar ist (s. die
soeben erwähnten Urteile; vgl. auch WALTER KÄLIN, Das Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 197).

    Nicht überprüft werden kann, ob die Bestimmungen gemäss Art. 346
ff. StGB als Bundesrecht verfassungsmässig sind oder nicht, denn Art. 113
Abs. 3 BV schliesst die Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen
aus.

Erwägung 4

    4.- a) Soweit die Kantone für die Beurteilung der in die kantonale
Gerichtsbarkeit fallenden bundesrechtlichen Delikte eine räumliche
Aufteilung der Kompetenzen (Bezirksgerichte, Kreisgericht usw.) vornehmen,
gelten also - wie dargelegt - für die innerkantonale Zuständigkeit die
Art. 346 ff. StGB. Nur im Bereich des kantonalen Strafrechts (Art. 355
StGB) ist eine andere Regelung der örtlichen Zuständigkeit bundesrechtlich
zulässig, wenn auch aus praktischen Gründen kaum empfehlenswert (BGE 106
IV 93/94; SCHWERI, aaO, S. 31, N. 40). So beschränkt sich auch der Kanton
Graubünden auf eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit für die Verfolgung
der nach kantonalem Recht strafbaren Handlungen (Art. 54 Abs. 1 StPO),
während eine ausdrückliche Regelung für die nach eidgenössischem Recht
strafbaren Taten in der bündnerischen Strafprozessordnung nicht enthalten
ist, weil für diese Straftaten eben die Art. 346 ff. StGB zum Tragen kommen
(s. Staatsanwaltschaft Graubünden, W. PADRUTT, Kommentar zur StPO/GR mit
Dienstanweisungen, N. 1 zu Art. 54, mit Hinweisen).

    b) Die Beschwerdekammer ging also zu Recht von der Anwendbarkeit
der Art. 346 ff. StGB aus. Sie gelangte bei der Prüfung der Frage,
welcher Gerichtsstand innerkantonal der richtige sei, zum Schluss, die
Eröffnung der vorliegenden Strafuntersuchung habe ursprünglich auf dem
Verdacht gegründet, dass mit dem Erwerb von zwei Baulandparzellen in
Schlarigna/Celerina und mit deren anschliessenden Überbauung gegen die
Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 23. März 1961 über den Erwerb
von Grundstücken durch Personen im Ausland verstossen worden sei; damit
sei der Gerichtsstand Oberengadin begründet worden. Dieser erfahre nach
herrschender Lehre und Rechtsprechung keine nachträgliche Änderung, wenn
- wie im zu beurteilenden Fall - ein Teil der untersuchten Handlungen
aus der Strafverfolgung ausscheide und nur noch Handlungen übrigblieben,
die in einem andern Kanton ausgeführt worden seien. Auch sei die Frage des
Gerichtsstandes nicht davon abhängig, was den Angeschuldigten schliesslich
nachgewiesen werden könne. Vielmehr habe sich der Gerichtsstand nach
denjenigen Handlungen auszurichten, die durch die Strafuntersuchung
abzuklären seien.

    Demgegenüber vertreten die Beschwerdeführer die Auffassung, nach
Art. 7 StGB seien entweder die Behörden in Lugano oder diejenigen in Chur,
nicht aber diejenigen im Oberengadin örtlich zuständig, weil ihnen mit
der von der Staatsanwaltschaft erlassenen Anklageverfügung nur noch die
Widerhandlung gegen Art. 24 und 26 BewB angelastet werde.

    c) aa) Zunächst ist - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer -
festzustellen, dass Art. 7 StGB zur Auslegung der Regeln gemäss Art. 346
ff. StGB nicht anwendbar ist. Die Vorschriften gemäss Art. 3-7 StGB regeln
den räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches. Deren Voraussetzungen
müssen erfüllt sein, damit die Bestimmungen des Strafgesetzbuches
überhaupt Anwendung finden. Ist dieses anwendbar, so entscheiden sich
dann die Gerichtsstandsfragen nach den Regeln gemäss Art. 346 ff. StGB
(BGE 108 IV 146 E. 2; 86 IV 224; 68 IV 55 ff.; vgl. SCHWERI, aaO, S. 32,
N. 45, und S. 41, N. 66).

    bb) Es trifft zu, dass der Gerichtsstand nach der Rechtsprechung der
Anklagekammer des Bundesgerichts nicht davon abhängt, was dem Beschuldigten
schliesslich nachgewiesen werden kann, sondern dass er sich nach den
Handlungen richtet, die durch die Strafverfolgung abgeklärt werden sollen
(s. BGE 98 IV 63 E. 2; 97 IV 149; 71 IV 167; vgl. SCHWERI, aaO, S. 42,
N. 68). Mit dieser Praxis trägt die Anklagekammer aber bloss dem Umstand
Rechnung, dass sie in aller Regel zu einem Zeitpunkt über die Zuständigkeit
befinden muss, in dem die Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist
und sie deshalb notwendigerweise nur von den Vorwürfen ausgehen kann,
die dem Täter in diesem Zeitpunkt des Verfahrens vor der Anklagekammer
gemacht werden können; massgebend ist dabei stets die Verdachtslage, wie
sie sich zur Zeit des bundesgerichtlichen Entscheides darstellt (BGE 112
IV 63 E. 2). Auf diese Rechtsprechung kann daher nicht verwiesen werden,
wenn es darum geht, den innerkantonalen Gerichtsstand im Anschluss an
die Einstellung eines Teils der Untersuchung und nach erhobener Anklage
festzulegen.

    cc) Wie die Gerichtsstandsregeln gemäss Art. 346 ff. StGB ganz
allgemein innerkantonal anzuwenden sind, so ist es nicht schlechthin
unhaltbar, ebenfalls die interkantonal geltende Regel, wonach eine
nachträgliche Gerichtsstandsänderung von triftigen Gründen abhängt (BGE 107
IV 159; 98 IV 208 E. 2 mit Hinweisen; vgl. auch SCHWERI, aaO, S. 63, N.
160 f., und S. 153 f., N. 480 f.), innerkantonal sinngemäss anzuwenden;
dies selbst dann, wenn sich die Frage der innerkantonalen Zuständigkeit
erst bei der Anklageerhebung stellt, wie dies im Strafverfahren des
Kantons Graubünden der Fall ist (Art. 42 ff. und 66 ff. StPO). Zwar liesse
sich auch der Standpunkt einnehmen, nach der Einstellung des Verfahrens
hinsichtlich eines Teils der untersuchten Handlungen rechtfertige es
sich innerkantonal nur, den örtlich zuständigen Sachrichter aufgrund
der im Zeitpunkt der Anklageerhebung noch Gegenstand der Anklage
bildenden und nicht aufgrund der ursprünglich untersuchten strafbaren
Handlungen, die für die Feststellung der interkantonalen Zuständigkeit
zur Eröffnung der Untersuchung massgeblich waren, zu bestimmen. Doch
lässt sich dem auch entgegenhalten, innerkantonal seien die Unterschiede
der Strafgerichtspraxis in der Regel geringer als interkantonal, zudem
entscheide in letzter Instanz dasselbe Gericht, so dass es sich bei
der Festlegung der innerkantonalen Zuständigkeit allein beim Vorliegen
triftiger Gründe rechtfertige, nicht auf die bei der Eröffnung der
Untersuchung gegebene Verdachtslage, die die interkantonale Zuständigkeit
bestimmte, abzustellen, sondern auf den der Anklage zugrunde liegenden
Sachverhalt. Wichtige Gründe für eine "Änderung" des innerkantonalen
Gerichtsstandes in diesem Sinne sind im vorliegenden Fall nun aber
nicht ersichtlich; der Sitz des kantonalen Grundbuchinspektorates in
Chur, wo gemäss der Auffassung der Beschwerdeführer der Erfolg der zur
Beurteilung überwiesenen Handlung eingetreten sein soll, stellt eher
ein zufälliges Moment und keine Veränderung der Verhältnisse im Sinne
der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts zu interkantonalen
Gerichtsstandskonflikten dar. Jedenfalls verfiel die Beschwerdekammer
des Kantonsgerichts Graubünden nicht in Willkür, wenn sie den in der
Anklageverfügung vom 1. Mai 1986 vorgesehenen innerkantonalen Gerichtsstand
Oberengadin bestätigte.

    dd) Die Beschwerdeführer hätten übrigens mit ihrer Bestreitung des
Gerichtsstandes Oberengadin auch bei Anrufung der im interkantonalen
Verhältnis zuständigen Anklagekammer des Bundesgerichts keine Aussicht
auf Erfolg. Denn das Ausscheiden eines Teils der untersuchten Handlungen
aus der Strafverfolgung kann - wie erwähnt - für sich allein den
nachträglichen Wechsel des Gerichtsstandes nicht rechtfertigen, wie aus der
die interkantonalen Gerichtsstandsfragen betreffenden bundesgerichtlichen
Rechtsprechung, auf welche die Beschwerdekammer den angefochtenen Entscheid
abgestützt hat, klar hervorgeht. Vielmehr sind zusätzlich triftige Gründe
im aufgezeigten Sinne erforderlich (oben E. cc mit Hinweisen auf die
Rechtsprechung), welche indes im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind.