Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 146



113 Ia 146

23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
18. März 1987 i.S. Heinz Aebi und Mitb. gegen den Grossen Rat des Kantons
Bern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, Art. 85 lit. a OG; Wiedererwägungsgesuch betreffend
Erwahrungsbeschluss über Abstimmungen und Wahlen.

    Die Möglichkeit der Wiedererwägung muss auch in bezug auf einen
Erwahrungsbeschluss über Abstimmungen und Wahlen gegeben sein. Fehlt
eine dahingehende Regelung im kantonalen Recht, so hat der aus Art. 4
BV abgeleitete Grundsatz zu gelten, dass eine Behörde dann auf ein
Wiedererwägungsgesuch einzutreten hat, wenn der Gesuchsteller erhebliche
Tatsachen und Beweismittel geltend macht, die ihm während des Wahl-
bzw. Abstimmungsverfahrens und der darauf bezogenen Beschwerdefrist
nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn
unmöglich war.

Sachverhalt

    A.- Am 11. September 1983 fand im Amtsbezirk Laufen gestützt auf
das Gesetz vom 19. November 1975 über die Einleitung und Durchführung
des Anschlussverfahrens des Amtsbezirkes Laufen an einen benachbarten
Kanton die Volksabstimmung über den Anschluss des Laufentals an den Kanton
Basel-Landschaft statt. Das Resultat über die Abstimmungsfrage "Wollt Ihr
Euch aufgrund des vereinbarten Vertrages dem Kanton Basel-Landschaft
anschliessen?" ergab 3575 Ja-Stimmen und 4675 Nein-Stimmen. Der
Regierungsrat des Kantons Bern erwahrte das Abstimmungsergebnis am
21. September 1983 und teilte es am 12. Oktober 1983 dem Grossen Rat
mit. Dieser nahm an seiner Sitzung vom 7. November 1983 davon Kenntnis. Die
Erwahrung wurde im Amtsblatt des Kantons Bern veröffentlicht.

    Am 3. September 1985 erhoben Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker,
Ernst Mani und Walter Schmidlin, welche im Laufental stimmberechtigt
sind, Abstimmungsbeschwerde "an die Staatskanzlei z.H. des zuständigen
Entscheidungsorgans". Sie beantragten: "Es sei die Laufentalabstimmung
null und nichtig zu erklären, eventuell aufzuheben, und es sei über die
gleiche Abstimmungsvorlage eine neue Abstimmung durchzuführen." Zur
Begründung wiesen sie darauf hin, dass sich aus dem am 2. September
1985 dem Grossen Rat eröffneten Untersuchungsbericht der Besonderen
Untersuchungskommission (BUK) zum Bericht Hafner ergebe, dass dem
Propaganda-Komitee "Aktion Bernisches Laufental" nebst einem im Jahre
1980 entrichteten Betrag von Fr. 60'000.-- weitere Fr. 273'281.-- aus den
SEVA-Lotteriegeldern für Abstimmungspropaganda bezahlt worden seien. Durch
diese massive pro-bernische Propaganda sei das Abstimmungsergebnis
wesentlich verfälscht worden. Die Beschwerdefrist von drei Tagen seit
der Entdeckung des Beschwerdegrundes gemäss Art. 89 Abs. 2 des Gesetzes
über die politischen Rechte vom 5. Mai 1980 sei eingehalten; die weitere
Bestimmung, wonach spätestens nach drei Tagen nach Veröffentlichung einer
Abstimmung die Beschwerde erhoben werden müsse, könne nicht zur Anwendung
gelangen, da die Mängel ja erst jetzt entdeckt worden seien.

    Am 18. November 1985 entschied der Grosse Rat, auf die Beschwerde nicht
einzutreten. Zur Begründung führte er aus, die klare gesetzliche Regelung,
wonach die Beschwerde spätestens drei Tage nach der Veröffentlichung
der Ergebnisse der Abstimmung einzureichen sei, sei nicht eingehalten
worden. Es könne auch nicht auf den Erwahrungsbeschluss des Grossen Rates
vom 7. November 1983 zurückgekommen werden, denn hiezu fehle es an einer
positiven Rechtsgrundlage; und aus Gründen der Rechtssicherheit erscheine
dies auch als unhaltbar.

    Hiergegen erhoben Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker, Ernst Mani
und Walter Schmidlin am 28. Dezember 1985 staatsrechtliche Beschwerde
beim Bundesgericht wegen Verletzung des Stimmrechts (Art. 85 lit. a OG)
und wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie beantragen, der Entscheid des
Grossen Rates des Kantons Bern vom 18. November 1985 sei aufzuheben;
dieser sei anzuweisen, auf die Abstimmungsbeschwerde vom 3. September
1985 einzutreten und diese materiell zu entscheiden.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich bloss
kassatorischer Natur (BGE 112 Ia 211 f. E. 1c, 225 E. 1c, mit Hinweisen).
Dies gilt auch für die Stimmrechtsbeschwerde (BGE 107 Ia 219 E. 1b mit
Hinweisen). Der Erlass positiver Anordnungen kann daher in der Regel nicht
verlangt werden. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der verfassungsmässige
Zustand nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides
hergestellt wird. Eine solche Ausnahme besteht im vorliegenden Fall
nicht. Deshalb ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, soweit damit mehr
als die Aufhebung des Entscheides des Grossen Rates des Kantons Bern vom
18. November 1985 verlangt wird.

    b) Die Beschwerdeführer rügen zur Hauptsache eine Verletzung
ihres politischen Stimmrechts. Sie sind unbestrittenermassen
stimmberechtigte Einwohner des Amtsbezirkes Laufen. Als solche sind sie
zur Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG legitimiert (BGE 112 Ia
211 E. 1a, 224 E. 1a; 111 Ia 116 E. 1a mit Hinweisen).

    Mit der Verletzung ihres Stimmrechts rügen die Beschwerdeführer auch
eine solche von Art. 4 BV. Soweit im Rahmen dieser Verfassungsbestimmung
zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführer sich auf den von Lehre
und Rechtsprechung unmittelbar daraus abgeleiteten Anspruch auf
Wiedererwägung eines Entscheides - hier also des die Abstimmung
vom 11. September 1983 betreffenden Erwahrungsentscheides - berufen
können und ob dieser Anspruch verletzt worden ist, betrifft dies der
Sache nach eine Frage ihres Stimmrechts; es würde auf eine Verletzung
ihres Stimmrechts hinauslaufen, wenn der Grosse Rat des Kantons Bern
mit seinem Entscheid vom 18. November 1985 zu Unrecht nicht auf ihre
als Wiedererwägungsgesuch zu verstehende Beschwerde vom 3. September
1985 eingetreten wäre. Insofern sie dies in ihrer Beschwerde geltend
machen, sind sie daher auch hinsichtlich der Rüge der Verletzung von
Art. 4 BV zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert. Nebstdem kommt der
von den Beschwerdeführern zusätzlich erhobenen Rüge der Verletzung des
Rechtsgleichheitsgebotes eine nur untergeordnete Bedeutung zu. Ob sie -
was nicht nach Art. 85 lit. a, sondern nach Art. 88 OG zu prüfen wäre -
auch zu dieser Rüge legitimiert sind (vgl. hiezu BGE 111 Ia 117 E. 1b
mit Hinweisen), kann unter den gegebenen Umständen offenbleiben.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 89 Abs. 2 des bernischen Gesetzes über die politischen
Rechte vom 5. Mai 1980 (GPR) ist eine Beschwerde innert drei Tagen seit
der Entdeckung der Beschwerdegründe, spätestens aber drei Tage nach
der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Abstimmung oder Wahl, beim
Regierungsrat einzureichen. Es steht unbestrittenermassen fest, dass die
Beschwerdeführer die letztere Frist nicht eingehalten haben. Entgegen
ihrer Meinung kann jedoch auf dieses zweite Erfordernis nicht verzichtet
werden. Wie der Grosse Rat zu Recht ausführte, kann es aus Gründen der
Rechtssicherheit nicht in Frage kommen, den Beginn der Beschwerdefrist
wegen der Entdeckung irgendwelcher Beschwerdegründe zu verschieben. Daran
vermögen auch Gründe wie der von den Beschwerdeführern geltend gemachte
Grundsatz von Recht und Billigkeit nichts zu ändern. Insofern entschied der
Grosse Rat daher zutreffend, auf ihr Gesuch vom 3. September 1985 nicht im
Sinne einer förmlichen Beschwerde einzutreten. Dies besagt jedoch nicht,
dass sie keine Möglichkeit mehr hätten, eine Überprüfung ihrer Vorbringen
erreichen zu können.

Erwägung 3

    3.- In Wirklichkeit erweist sich nämlich das von den Beschwerdeführern
am 3. September 1985 gestellte Begehren "an die Staatskanzlei z.H. des
zuständigen Entscheidungsorgans" als ein solches um Wiedererwägung oder
Revision, stützt es sich doch auf neue Tatsachen und Beweismittel, die
ihnen bis zum Ablauf der Beschwerdefrist noch nicht bekannt gewesen sein
sollen. Der Grosse Rat überprüfte die Eintretensfrage denn auch zusätzlich
unter diesem Gesichtspunkt, fand jedoch keine rechtliche Grundlage für ein
Zurückkommen auf den Abstimmungsentscheid bzw. den Erwahrungsbeschluss;
vielmehr nahm er ein qualifiziertes Schweigen des Verfassungsgebers
an, das keinen Raum für eine Interpretation lasse und ein Zurückkommen
verunmögliche. Dieser Auffassung kann jedoch aus folgenden Gründen nicht
beigepflichtet werden.

    a) Wiedererwägungs- und Revisionsersuchen im Verwaltungsverfahrensrecht
sind Gesuche an eine Behörde, eine rechtskräftige Verfügung aufzuheben
oder abzuändern (vgl. ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif,
Band II, S. 947; FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, S. 308 ff., 311 ff. und
316; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 220
und 260 ff.; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes,
S. 166). Die Terminologie in Gesetzgebung, Lehre und Praxis ist nicht
einheitlich, und oftmals wird zwischen Wiedererwägung und Revision
nicht unterschieden. Soweit ein Unterschied vorgenommen wird, ist das
Revisionsgesuch an Fristen und Formen gebunden, das Wiedererwägungsgesuch
jedoch nicht (so z.B. GRISEL, aaO, S. 947; BGE 109 Ib 252 E. 4a). Beiden
Rechtsbehelfen ist gemeinsam, dass unter bestimmten Voraussetzungen
von einer Behörde verlangt werden kann, auf ihren früher gefassten,
in Rechtskraft erwachsenen Entscheid zurückzukommen (s. die bereits
angeführten Zitate).

    Wiedererwägung und Revision sind zunächst immer dort zulässig,
wo sie gesetzlich vorgesehen sind. In der Bundesrechtspflege ist die
Revision in Art. 66 VwVG und Art. 136 f. OG geregelt. Nach Art. 66 VwVG
zieht die Beschwerdeinstanz ihren Beschwerdeentscheid von Amtes wegen
oder auf Begehren einer Partei in Revision, wenn ihn ein Verbrechen
oder Vergehen beeinflusst hat (Abs. 1), wenn eine Partei neue erhebliche
Tatsachen oder Beweismittel vorbringt (Abs. 2 lit. a) oder nachweist, dass
die Beschwerdeinstanz aktenkundige erhebliche Tatsachen oder bestimmte
Begehren übersehen hat (Abs. 2 lit. b), oder wenn sie nachweist, dass die
Beschwerdeinstanz die Bestimmungen über den Ausstand, die Akteneinsicht
oder das rechtliche Gehör verletzt hat (Abs. 2 lit. c). Bei Vorliegen eines
Irrtums von seiten der Behörden können die Parteien also über Art. 66
VwVG ein Revisionsbegehren stellen. A fortiori sind sie berechtigt, bei
Entdeckung eines Revisionsgrundes erst nach Ablauf der Beschwerdefrist
bei der verfügenden Behörde ein Wiedererwägungsgesuch einzureichen, wie
dies die Lehre aus Art. 66 VwVG zu Recht ableitet (vgl. BGE 109 Ib 250
E. 4a mit Hinweis auf THOMAS FLEINER-GERSTER, Grundzüge des allgemeinen
und schweizerischen Verwaltungsrechts, 2. Auflage, S. 277 N. 56;
ebenso GRISEL, aaO, S. 948 Ziff. 3a; s. auch SALADIN, aaO, S. 98 ff.).
Lehre und bundesgerichtliche Rechtsprechung haben seit längerer Zeit
eine Praxis entwickelt, wonach die Steuerbehörden eine Steuerveranlagung
unter bestimmten Voraussetzungen in Revision zu ziehen haben, auch wenn
diese gesetzlich nicht vorgesehen ist (BGE 111 Ib 210; 105 Ib 251 ff.;
103 Ib 88; 98 Ia 572 f. E. 5b, je mit Hinweisen; MAX IMBODEN/RENÉ
A. RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage,
Nr. 43 B Ziff. I S. 262 f.; GRISEL, aaO, S. 949 Ziff. 3c). Ebenfalls
im Sozialversicherungsrecht anerkennt das Bundesgericht in ständiger
Rechtsprechung, dass die Verwaltungsbehörden Entscheidungen, die sich
aufgrund von neu entdeckten Tatsachen und Beweismaterialien als fehlerhaft
erweisen, selbst bei Fehlen gesetzlicher Bestimmungen in Wiedererwägung
zu ziehen haben (BGE 102 V 17; vgl. SALADIN, aaO, S. 99).

    Wo eine solche Verpflichtung weder gesetzlich vorgesehen noch von
einer ständigen Verwaltungspraxis anerkannt ist, sind die aus Art. 4 BV
abgeleiteten Grundsätze massgebend. Sie gehen dem kantonalen Recht vor,
wenn dieses eine Verpflichtung überhaupt verneint oder einer solchen nur
eine hinter den Anforderungen von Art. 4 BV zurückbleibende Tragweite
verleiht (BGE 100 Ib 371 E. 3a). Gemäss den von Rechtsprechung und Lehre
aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätzen ist eine Behörde dann verpflichtet,
sich mit einem Wiedererwägungsgesuch zu befassen, wenn die Umstände
sich seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben, oder wenn
der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel namhaft macht,
die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals
geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder
keine Veranlassung bestand (BGE 109 Ib 251 f. E. 4a; 100 Ib 371 f. E. 3a,
mit Hinweisen).

    b) Das bernische Recht sieht eine Wiedererwägung oder Revision im
kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 22. Oktober 1961 (VRPG)
vor. Es handelt sich um das "neue Recht", welches in Art. 75 ff. VRPG
geregelt ist. Danach können Parteien und Beigeladene um Abänderung oder
Aufhebung eines in Rechtskraft erwachsenen Entscheides ersuchen (Art. 75
Abs. 1 VRPG), wenn

    1. sie Beweismittel, die zur Erwahrung erheblicher Tatsachen dienen,
erst seit der Beurteilung der Sache entdeckt oder zur Hand gebracht haben;

    2. ihnen seit der Beurteilung der Sache neue, für die Entscheidung
erhebliche Tatsachen bekannt geworden sind;

    3. durch eine strafbare Handlung auf den Entscheid in erheblicher
Weise eingewirkt wurde.

    Es stellt sich die Frage, ob das "neue Recht" gemäss Art. 75 ff. VRPG
auch für Wahl- und Abstimmungsverfahren zur Anwendung gelangen kann. Dem
steht vorerst entgegen, dass das Gesetz über die politischen Rechte vom
5. Mai 1980 die Abstimmungs- und Wahlverfahren abschliessend regelt. Zwar
sieht Art. 95 Abs. 1 GPR vor, dass in den Beschwerdeverfahren, in denen
der Regierungsrat endgültig entscheidet, im übrigen die Vorschriften
des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege gelten. Ob damit auch
die Bestimmungen über das "neue Recht" zur Anwendung gelangen können,
kann hier jedoch offengelassen werden, da für die Anfechtung der
Ergebnisse einer kantonalen Abstimmung oder Wahl der Grosse Rat auf
Antrag des Regierungsrates zu entscheiden hat (Art. 93 Abs. 2 GPR)
und Art. 95 Abs. 1 GPR somit keine Anwendung findet; der Grosse Rat ist
keine Verwaltungsjustizbehörde im Sinne von Art. 1 VRPG, so dass dieses
Gesetz für ein vor ihm hängiges Verfahren nicht unmittelbar anwendbar
ist. Letztlich liesse sich allerdings noch fragen, ob die Bestimmungen des
"neuen Rechts" gemäss Art. 75 ff. VRPG in einem Fall wie dem vorliegenden
analog anwendbar sein könnten. Der Grosse Rat schloss eine solche analoge
Anwendbarkeit aber sinngemäss aus, indem er im angefochtenen Entscheid
ausführte, dafür, auf seinen Erwahrungsbeschluss vom 7. November 1983
zurückzukommen, fehle es an einer positiven Rechtsgrundlage, und aus
Gründen der Rechtssicherheit erscheine ein Zurückkommen ohnehin als
unhaltbar. Auch die Beschwerdeführer berufen sich nicht auf eine derartige
analoge Anwendbarkeit der Bestimmungen gemäss Art. 75 ff. VRPG. Die Frage
kann jedoch offenbleiben, denn es liegt in der Natur der Sache, dass
ebenfalls in bezug auf einen Erwahrungsbeschluss über Abstimmungen und
Wahlen die Möglichkeit einer Wiedererwägung gegeben sein muss, dies selbst
dann, wenn entsprechende gesetzliche Vorschriften fehlen. Wenn nachträglich
eine massive Beeinflussung einer Wahl oder Abstimmung zutage tritt, dann
muss Art. 4 BV den Betroffenen unmittelbar ein Recht auf Überprüfung
der Regularität der betreffenden Wahl oder Abstimmung geben. Auch im
vorliegenden Fall haben also die oben (lit. a) dargelegten, aus Art. 4
BV abgeleiteten Grundsätze zu gelten, wonach sich eine Behörde dann
mit einem Wiedererwägungsgesuch zu befassen hat, wenn der Gesuchsteller
erhebliche Tatsachen oder Beweismittel geltend macht, die ihm während
des Wahl- bzw. Abstimmungsverfahrens und der im Anschluss daran laufenden
Beschwerdefrist nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen
für ihn unmöglich war oder keine Veranlassung bestand. Es wäre stossend
und schlechterdings nicht vertretbar, wenn Unregelmässigkeiten oder
gar massive Wahlfälschungen, welche das Wahl- oder Abstimmungsresultat
beeinflusst haben, nur deshalb nicht mehr zu einer Überprüfung des
Validierungsbeschlusses führen könnten, weil die entsprechenden Tatsachen
oder Beweismittel erst nach Ablauf der Beschwerdefrist entdeckt wurden.

    c) Die Behörde hat auf ein Wiedererwägungsgesuch hin zunächst
zu prüfen, ob die Voraussetzungen, unter denen sie zur Wiedererwägung
verpflichtet ist, erfüllt sind. Ist dies der Fall, so hat sie, nötigenfalls
nach Ergänzung der Akten, einen neuen Sachentscheid zu treffen, gegen
den normalerweise die gewöhnlichen Rechtsmittel offenstehen. Findet
sie jedoch, dass die verlangten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so
darf sie die materielle Prüfung des Gesuches ablehnen, ohne dass ihr
Entscheid eine neue Frist zur Beschwerde in der Sache selbst in Gang
setzt; der Gesuchsteller kann dann mit Beschwerde bloss geltend machen,
die Behörde habe zu Unrecht das Bestehen der Eintretensvoraussetzungen
verneint (BGE 109 Ib 251 E. 4a mit Hinweis). Eine Behörde, die es ablehnt,
auf ein Begehren um Wiedererwägung eines Entscheides einzutreten, obwohl
die Voraussetzungen dafür erfüllt wären, verletzt Art. 4 BV.

    d) Hinsichtlich der Frist, innert der ein Wiedererwägungsgesuch
gestellt werden kann, ist der vom Regierungsrat in seiner Vernehmlassung
vom 5. März 1986 bekundeten Auffassung insoweit beizupflichten, als nicht
jede noch so weit zurückliegende Abstimmung bei Entdeckung von eventuell
wesentlichen Formfehlern noch angefochten werden kann; auch der Möglichkeit
der Wiedererwägung müssen aus Gründen der Rechtssicherheit zeitliche
Grenzen gesetzt sein. Wenn es um schwerwiegende, verborgen gehaltene Mängel
geht, kann es sich dabei aber nur um langfristige Grenzen handeln und nicht
um eine blosse Dreitagesfrist, wie sie in Art. 89 Abs. 2 GPR vorgesehen
ist. Im öffentlichen Recht sind Verjährungs- oder Verwirkungsfristen oft
nicht geregelt, so dass sie durch Richterrecht geschaffen werden müssen
(s. BGE 112 Ia 262 ff. E. 5 mit Hinweisen). Erwähnt seien in diesem
Zusammenhang etwa die fünfjährige Verjährungsfrist bei Ansprüchen aus
dem Nationalstrassenbau (BGE 105 Ib 14), die zehnjährige Verjährungsfrist
bei Ansprüchen aus materieller Enteignung bei Fehlen kantonalrechtlicher
Bestimmungen (BGE 111 Ib 272 und 108 Ib 340) und die dreissigjährige
Verwirkungsfrist für den Abbruch rechtswidrig erstellter Bauten (BGE
107 Ia 124). In einem Stimmrechtsfall der vorliegenden Art könnte unter
Umständen auch eine analoge Anwendung von Art. 60 OR in Frage kommen,
was eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren seit der Abstimmung
und eine relative Verjährungsfrist von einem Jahr ab Kenntnisnahme der
beanstandeten Intervention bedeuten würde. Welche derartige absolute und
relative Verjährungs- bzw. welche Verwirkungsfrist in der vorliegenden
Sache tatsächlich gelten soll, kann allerdings offenbleiben. Nachdem
das Wiedererwägungsgesuch bereits knapp zwei Jahre nach der fraglichen
Abstimmung und an dem der Bekanntgabe der beanstandeten Intervention
folgenden Tag eingereicht wurde, ist hier eine solche Frist noch
keinesfalls abgelaufen.

    e) Die Beschwerdeführer haben unter Hinweis auf die Veröffentlichung
des Untersuchungsberichts der BUK substantiiert dargetan, erst aufgrund
dieser Veröffentlichung erfahren zu haben, dass von seiten der Regierung
Fr. 333'281.-- an das Propagandakomitee "Aktion bernisches Laufental"
bezahlt worden seien. Sie halten dafür, dass die Abstimmung dadurch
massiv beeinflusst und gefälscht worden sei und dass ohne diesen Zufluss
von Geldern ein gegenteiliges Resultat hätte erzielt werden können. Über
diese - wie ausgeführt jedenfalls noch rechtzeitig geltend gemachten -
neuen Vorbringen kann nicht hinweggesehen werden.

    Von dem im kantonalen Verfahren mehrfach erwähnten Bundesgerichtsurteil
i.S. L. Theiler gegen den Grossen Rat des Kantons Bern vom 21. Juni 1985
unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall einmal darin, dass es
damals nicht um eine Wiedererwägung, sondern um die Beschwerdefrist als
solche ging. Zum andern erfordern Entscheide der vorliegenden Art immer
eine Gewichtung. Im Rahmen der aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätze, wie
sie oben (lit. a) dargelegt worden sind, kann selbstverständlich keine Rede
davon sein, dass jede geringfügige neue Erkenntnis über einen Formfehler
bei der Abstimmung einen Wiedererwägungsanspruch verleiht. Vielmehr muss
es sich um gravierende Mängel handeln, die ihrer Bedeutung nach mit den
eigentlichen Revisionsgründen des Verwaltungsverfahrens- und auch des
Zivil- oder Strafprozessrechtes auf eine Ebene zu stellen sind. Eine
Gewichtung vorzunehmen, ist in Fällen dieser Art nicht zu umgehen;
sie fällt dem Bundesgericht auch in vielen Fällen anderer Natur zu, vor
allem bei jeder Interessenabwägung und bei der Anwendung des Grundsatzes
der Verhältnismässigkeit. Diese Gewichtung muss hier klar zugunsten
der Erheblichkeit der neu entdeckten Tatsachen ausfallen. Es genügt,
die aus kantonalen Mitteln ohne Wissen des Parlamentes und des Volkes
aufgewendete Summe durch die Zahl der Stimmberechtigten des Laufentals
zu dividieren, um zu erkennen, wie erheblich diese Einflussnahme
war. Demnach ist festzustellen, dass der Grosse Rat des Kantons Bern
wegen der Erheblichkeit der neu entdeckten Tatsachen auf das von den
Beschwerdeführern am 3. September 1985 gestellte Wiedererwägungsgesuch
hätte eintreten müssen.

    Damit ist allerdings noch nichts über die Frage der Erlaubtheit
oder Unerlaubtheit der Einflussnahme gesagt. Diese Frage, also die Frage
der materiellen Begründetheit des Gesuchs, bildet nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens, sondern wird von der für die Wiedererwägung
zuständigen Behörde zu beurteilen sein. Die im angefochtenen Entscheid
(in Ziff. 2.5. der Erwägungen) enthaltene kurze Stellungnahme des Grossen
Rates zur Frage der Erheblichkeit der Einflussnahme auf die Abstimmung
vermag jedenfalls keine ausreichende Beurteilung der materiellen Vorbringen
der Beschwerdeführer darzustellen.

    f) Somit ist die staatsrechtliche Beschwerde im Sinne der vorstehenden
Erwägungen gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der
Entscheid des Grossen Rates des Kantons Bern vom 18. November 1985 ist
aufzuheben.

    Es drängt sich auf, die das Abstimmungs- und Wahlbeschwerdeverfahren
betreffende Bestimmung des Art. 93 GPR im Falle einer auf diesem Gebiet
vorzunehmenden Wiedererwägung analog anzuwenden, wie dies der Grosse Rat
getan hat. Entsprechend ist nach Art. 93 Abs. 2 GPR er selbst die zur
materiellen Beurteilung des Wiedererwägungsgesuchs zuständige Behörde. Der
Regierungsrat kommt nur als antragstellende Behörde in Betracht, wobei
hier offenbleiben kann, ob ihn eine Antragspflicht trifft oder ob er bei
einer besonderen Konstellation wie der vorliegenden vom Grossen Rat auch
von der Instruktion der Sache entbunden werden kann.